Aus dem hinteren Eisbachtal auf die Südspitze – W. von Frerichs und R. von Below

Im September 1900 war Wilhelm von Frerichs am Watzmann besonders aktiv. In wechselnder Seilschaft gelangen ihm eine Reihe von Erstbegehungen.

22. September 1900 – Watzmann-Südspitze, 2712 in (neue Route ü. d. Südostwand , 1. Erst. aus d. hinteren Eisbachthal) – R. von Below, Dr. Wilhelm von Frerichs.

„Vom unteren Ende der Eiskapelle in der blockerfüllten Schlucht des Eisbachthals aufwärts. Von dem Südgrat der Südspitze löst sieh in ca. 2500 m eine südöstlich verlaufende Rippe. Sie endet mit einem auffallenden, tief ins Eisbachthal vorspringenden Felszacken, dem sog Kirchl. Um dies herum und über einen kurzen Dolomitabsatz auf das untere einer Reihe breiter, die unteren Partien der Südflanke der Rippe durchziehenden Grasbänder. Das Grasband schräg rechts (nordöstlich) verfolgend zur Kante der Rippe und nach links (südlich) auf ein höheres Grasband (An. 1350 m, 2 ½ Std. v. d. Eiskapelle). Von diesem durch eine brüchige DoIomitrinne wieder auf die Kante der Rippe und einen Abbruch mittels schwieriger Traversen von rechte (nördlich) her erkletternd auf ein sich um die Rippe ziehendes Band. Dies nach linke (südlich) bis zu seinem Abbruch verfolgend und weiter, über brüchigen Fels traversierend, zu schwärzlichen Plattenwänden. Ueber diese hinauf (Kletterschuhe, einmal Steigbaum). Diese Plattenwände bilden den unteren Absturz einer Rinne, welche weiter verfolgt und dann über sehr glatte, steile Platten nach rechts verlassen wird, um die Kante der Rippe wieder zu erreichen. Diese wird etwas oberhalb einer Scharte betreten, welche ein auffallender, aus der Rippe vorspringender Felskopf bildet. (Diese Scharte wurde am 7. IX. 1900 durch G. Leuchs und W. von Frerichs von Norden her erklettert) Weiter über die sich verflachende Rippe (nördlich der am 7. IX. eingeschlagenen Route). Nahe dem Südgrat nötigt die Felsbildung, wieder nach links (südlich) abzubiegen und durch einen sehr schwierigen Kamin den Grat wieder zu erreichen. Der erste rötliche Turm des Südgrats wird durch einen überhängenden Kamin erklettert, der zweite über eine exponierte Platte an der Ostecke. Die nächsten beiden Absätze sind gut passierbar und. bald darauf wird die Südspitze erreicht. 12 Std. incl. Rasten. Die Schwierigkeiten sind ungefähr dieselben wie die der gewöhnlichen Route, jedoch intensiver, so an dem Kamin unter dem Grat und an den Türmen des Südgrates. Die unteren Partien sind hochgradig steingefährlich.“

Wilhelm von Frerichs – Ode an die Ostwand

Die Ostwand.

Die Ostwand des Großen Watzmanns ist unstreitig die großartigste seiner Fassaden. Topographisch betrachtet zerfällt sie in zwei scharf gesonderte Teile : Der nördliche entragt dem Watzmanngletscher und fußt auf dem Nordabhange des mächtigen Anbaues, der sich in Gestalt der Watzmannkinder und des Kleinen Watzmanns unterhalb der Mittelspitze aus dem Massiv loslöst. Die relative Höhe dieses Abschnittes, vom Scheitel des Grates Hocheck — Mittelspitze bis zum Geröll und dem schmutzigen Firn des Watzmanngletschers gemessen, schwankt zwischen 500 und 600 m. Auffallende Schichtbänder durchziehen diese durch Glätte und Schroffheit gekennzeichnete Wand. Der südliche Teil der Ostwand zeigt gewaltigere, riesenhafte Dimensionen. Mehr als 1900 m mißt der Absturz vom Kreuz der Mittelspitze bis zum Geröll des Eisbachtales, bis zum gewölbten Gletschertor der Eiskapelle.

Von dem Winkel der anstoßenden Südwand der Watzmannkinder bis zu einer großen, aus dem Südgrat der Schönfeldspitze sich lösenden Rippe reicht die eigentliche Ostwand. Schon eine oberflächliche Betrachtung lehrt, daß der Charakter ihrer Struktur ein mannigfaltiger ist und daß sie sich ungezwungen von oben nach unten in drei Zonen zerlegen läßt, deren jede ein anderes Gepräge zeigt.

Den Unterbau bilden die ungeschichteten Massen des Ramsaudolomites. Sie zeigen wechselnde Neigung, bald ungangbare Abbrüche, bald weniger jähe Böschungen, welche teilweise mit Graswuchs bedeckt sind, letztere namentlich in der Fallinie unter der Südspitze.

Darüber lagert ein in gleichmäßiger Schroffheit das ganze Massiv durchsetzender Mauergürtel, der, aus Dachsteinkalk bestehend, keine von weitem wahrnehmbare Schichtung besitzt; seine Höhe ist eine wechselnde, im Durchschnitt vielleicht 300 m betragend. In der Mitte der Ostwand dagegen vereinigt sich sein Steilabfall mit den darunterliegenden Abbrüchen des Sockels zu einer Wand von gewaltiger Ausdehnung, Diese Zone bildet, auf welcher Route man auch die Besteigung unternimmt, das Haupthindernis der Tour.

Der oberste Abschnitt ist ausgezeichnet durch die stark ausgeprägten parallelen Linien der Schichten des Dachsteinkalkes, die sanft nach Süden ansteigen. Es finden sich zahlreiche Bänder, unter ihnen namentlich im unteren Teil der Zone einige von beträchtlicher Breite und nur wenig unterbrochenem Verlauf. Da die Schichten nach Nordosten einfallen, so hat die Oberfläche eines solchen Bandes meist die Gestalt einer schräg nach außen abfallenden Platte. Neben steilen Wänden, die absatzlos die Schichtung nur an der Färbung erkennen lassen, finden sich auch einige eingerissene Rinnen, unter denen besonders diejenige erwähnenswert ist, welche ungefähr in der Mitte des Grates, nahe der Stelle, wo sich die Mittelspitze aus ihm steiler erhebt, mündet. Diese Rinne wird von den Partien benützt, welche von der Eiskapelle unter Vermeidung der Schönfeldspitze dem Hauptgipfel zustreben.

Zu erwähnen sind noch einige größere Terrassen, die zum Teil karartig in die Wand eindringen: eine solche befindet sich ziemlich senkrecht unter der Mittelspitze und trennt hier die unterste Zone von der mittleren. Ihr bergwärts ansteigender Boden ist meist das ganze Jahr hindurch von Lawinenresten bedeckt, die abschmelzend den Übertritt auf die Felsen der mittleren Wandstufe erschweren.

Ferner befinden sich unter der Südspitze in drei Stockwerken übereinander liegende Einbuchtungen, von denen namentlich die unterste zu den am wenigsten steilen Flächen der Wand gehört, während über dem höchsten Kar der erwähnte mittlere Mauergürtel sich besonders glatt und jäh aufrichtet.

Die Ostwand biegt an der als ihr Ende bezeichneten Rippe nach Süden um und verläuft in die Südostwand, welche, vom Südgrat begrenzt und dem Verlauf des steil ansteigenden Eisbachtales folgend, eine nach Süden stets abnehmende Höhe zeigt. Ihre oberen Teile fallen durch gewaltige Plattenpanzer auf, die tieferen Regionen gehören dem Gebiet des bröckeligen Dolomits an und sind abwechselnd bald sanfteren, bald wilden Charakters. An der Südseite der großen Rippe ist  eine Schlucht eingefügt, welche nach oben in Wände verläuft.

Der erste, der es wagte, über diese unwegsamste Seite des Watzmanns sich den Pfad zu suchen, war der talentvolle Ramsauer Führer Joseph Berger, Hermann von Barths Begleiter auf den Grundübelhörnern. Er wählte zur Erkletterung den niedrigeren nördlichen Teil der Ostwand. Gemeinschaftlich mit Kederbacher führte er im Jahre 1868 A. Kaindl und J. Pöschl vom Gletscher auf die Mittelspitze.

Diese Tour ist fast in Vergessenheit geraten. Erst 32 Jahre später wurde sie durch Georg Leuchs, Otto Schlagintweit und den Verfasser wiederholt.

Wer im Watzmannhause übernachtet, um die Mittelspitze vom Gletscher aus zu erklimmen, sieht sich in die unangenehme Lage versetzt, am anderen Morgen einen nicht unbeträchtlichen Teil der bereits erlangten Höhe wieder aufzugeben. Bis zur Falzalm muß er zurück und von dieser auf dürftigem Steige hinuntersteigen zum block- und latschenbedeckten Boden der Watzmannscharte, fast 400 m unterhalb der Unterkunftshütte. Dies ist die große Schattenseite des schönen Weges, die sich jedoch vermeiden läßt, wenn man auf die Annehmlichkeiten eines Nachtlagers in dem Watzmannhause verzichtet und entweder vom Tal aus aufbricht oder in der gut eingerichteten Hütte der Mitterkaseralm die Nacht verbringt. In diesem Falle kann man ohne nennenswerten Höhenverlust den die Mitterkaseralm mit der Kührointalm verbindenden Weg bis zum Beginn des Kars zwischen dem Großen und dem Kleinen Watzmann benutzen. Dann freilich gilt es noch einen kleinen Kampf mit Krummholz und Felstrümmern, ehe man das Eis des Watzmanngletschers betreten kann. Über Firnhalden und herausgeaperte Platten strebt man dem Grate zu, welcher das Massiv der Mittelspitze mit den Watzmannkindern verbindet. Diesem folgt man ein kurzes Stück aufwärts, um ihn zu verlassen, bevor er sich mit ungangbaren Steilstufen der Ostwand anschließt. Ein Schichtband erlaubt den Übertritt auf die Südseite des Grates und leitet weiter zu den Felsmauern des Massivs. Einige Schritte auf dem plattig abfallenden, mit rutschenden Blöcken bedeckten Bande, und man steht mit einem Schlage mitten in der wilden Einöde der großen Wand. Aus gewaltiger Tiefe klingt das verschwommene Rauschen des Eisbaches, schimmert der Schnee der Eiskapelle, nach oben türmt sich Absatz auf Absatz hoch empor zum Gipfelkreuz der Mittelspitze, während rings erdrückend hohe Wände den Blick beengen. Es ist dies der eindrucksreichste Augenblick der Besteigung. Man folgt dem Bande, bis es durch eine tiefe Schlucht abgeschnitten wird, welche, in den Gipfelkörper eingerissen, sich bis zur Spitze hinanzieht. An der Kante der die Schlucht begrenzenden Seitenwände klettert man höher hinauf zu einem Schärtchen hinter einem Felskopf, gekennzeichnet  durch eine gelbe Felsplatte, die durch Regen- und Schmelzwasser seltsam zersägt ist. Von hier aus kann man auf dem Gesimse einer Schichtfläche in die Schlucht selbst hineinqueren und an deren rechter Seitenwand, höher oben meist in ihr selbst, unmittelbar zum Gipfel gelangen.

Vom Watzmannhause ausgehend, wird man – die Rasten nicht eingerechnet – nach ungefähr 4 ½  Stunden die Mittelspitze betreten. Die Kletterei ist von mittlerer Schwierigkeit; der Einblick in die Felsbildung der Ostwand ist großartig.

Das schönste Problem am Watzmann zu lösen, blieb Kederbacher Vorbehalten : die Durchkletterung der Riesenwand von der Eiskapelle aus.

Am Peter- und Paulstag des Jahres 1881 wurde der erste Versuch gemacht.

Mit Preiß und den Herren Pöschl und Wairinger aus Wien (Mündliche Angabe von Kederbacher und Preiß) verließ er St. Bartholomä ½ 2 Uhr morgens. Sein Plan war der: Zunächst sollte über die Südwand der Watzmannkinder der Gletscher und von diesem aus auf dem vom Jahr 1868 her bekannten Wege die Mittelspitze erreicht werden. Zunehmende Schwierigkeiten sowie ein Gewitter zwangen die Expedition unverrichteter Dinge umzukehren. Die durch den Regen entfesselten Steinfälle brachten auf dem Rückwege manche Gefahr. Erst 7 Uhr abends wurde St. Bartholomä wieder erreicht. Preiß erzählte mir, er halte auf der versuchten Route ein Durchkommen nicht für möglich.

Im selben Jahre noch gelang es der Energie Kederbachers, die schwierige Aufgabe zu lösen. Eine eingehende Rekognoszierung von der Saletalm und vom Eisbachtale aus hatte den leitenden Faden in dem ungeheuren Felschaos gezeigt. Am 6 . Mai führte er Otto Schück aus Wien auf die Mittelspitze.

Eine kurze Schilderung der Route in großen Zügen ist vielleicht am Platze; die vielen Einzelheiten können hier freilich nicht berücksichtigt werden.

Das erste Ziel ist das kleine Kar unter der Mittelspitze (Siehe Seite 305) das mit einem Ausweichen nach rechts (nordöstlich, in die Südwände der Watzmannkinder) erklettert wird, da der direkte Anstieg zu schwer, vielleicht nicht möglich sein würde. Wenn die Randkluft der Eiskapelle es gestattet, steigt man am besten vom obersten Ende des Schnees in die Felsen ein und klettert nach rechts schräg aufwärts, bis man den Beginn glattgescheuerter Wasserrinnen erreicht. Ist im Herbst die Kluft oben unpassierbar, so betritt man die Felsen vom unteren Beginn der Eiskapelle aus und hält sich dann etwas mehr links, um zu den Rinnen zu gelangen. Durch die rechtsgelegene (östliche) Schlucht klettert man schwierig auf und quert dann nach links hinüber in das Kar, das man oberhalb seines Beginnes betritt (unteres Ende ca. 1400 m). Das Kar verfolgt man aufwärts bis zu seinem Abschluß durch den Felswall des mittleren Mauergürtels, überschreitet die Randkluft, erklettert einige Platten und eine sehr steile Wand, um so in eine schräg nach rechts (Norden) hinaufziehende Schlucht zu gelangen. Die Erkletterbarkeit dieser Rinne und ihrer Absätze ist sehr von den Schneeverhältnissen abhängig; sie scheint zu Zeiten, wenn die Schneereste stark abgeschmolzen sind, nicht möglich zu sein.

In die Wände zur Linken (südlich) münden die drei untersten Bänder der oberen Zone.

Über die Platten und Wände der Schlucht dringt man vor bis zu einer Nische unter einem großen Überhang (ca. 1700 m). Hier verläßt man die große Rinne und wendet sich, südlich in etwas absteigender Richtung querend, den mittleren der erwähnten Bänder zu — das erste bricht mitten in der Wand ab — und verfolgt dieses, wobei man gleich anfangs ausgesetzt über sehr glatten Fels queren muß. Durch ein natürliches Felstor kann man das nächsthöhere Band erklimmen und sucht nunmehr die oben besser gestuften Felsen zu erreichen, wobei in den ausgedehnten, die Orientierung erschwerenden Wänden manche Variante möglich ist. Am besten wird man vorwärts kommen, wenn es gelingt, in eine aus der tiefsten Scharte des Hauptgrates herabziehende Rinne zu gelangen. Will man direkt zur Südspitze aufsteigen, so kann man auch das schmaler und luftiger werdende Band weiter benützen, bis es abbricht und sich 8 m tiefer fortsetzt. Man läßt sich am Seile hinab und quert weiter zu einer Rinne, an deren rechten Begrenzungswänden man hinaufklettert, um schließlich den Hauptgrat nördlich der Schönfeldspitze zu betreten.

Zur Würdigung der Tour und ihrer Schwierigkeit will ich Purtschellers Worte anführen: „Die Erklimmung des Großen Watzmanns von St. Bartholomä gehört zu den bedeutendsten und interessantesten Besteigungen, die im Bereich der Ostalpen ausgeführt werden können. Würden die Berge Berchtesgadens dem eigentlichen Hochgebirge beizuzählen sein und der Sockel des Gebirges um einige hundert Meter höher liegen, so könnte man diese Besteigung unzweifelhaft mit den größten Hochtouren in der Schweiz, in den italienischen Alpen und im Dauphine vergleichen.“ Ich glaube, daß diese Sätze auch heute noch die Erklimmung „dieser wohl höchsten durchkletterten Felswand der Alpen — 1800 m Kletterterrain —“ trefflich kennzeichnen. Gerade die lange Dauer der Arbeit, die fortgesetzt zu überwindenden, mehr oder minder großen Schwierigkeiten, die nicht immer leichte Orientierung, sowie schließlich die — im Vergleich mit einer kürzeren Tour — gesteigerte Gefahr eines Wetterumschlages rücken in mancher Beziehung diese Bergfahrt in eine Linie mit Schweizer Hochtouren und erheischen ein größeres und vielseitigeres Maß alpinen Könnens, als etwa eine durchweg sehr schwere, aber  kurze Dolomittour. Alle diese Faktoren zwingen dazu, die Ostwand des Watzmanns als sehr schwierig zu bezeichnen, obschon sich bedeutendere Schwierigkeiten nur an einigen Punkten des mittleren Mauergürtels vorfinden. Starkes Abschmelzen des Schnees oder durch die Verhältnisse bedingtes Abweichen von der gewöhnlichen Route vermehren natürlich die Hindernisse um ein sehr beträchtliches.

Von der Eiskapelle aufbrechend, wird man im allergünstigsten Falle acht Stunden bis zum Gipfel brauchen; im Durchschnitt wird der Zeitaufwand elf bis zwölf Stunden betragen, und befindet sich der Berg in schlechtem Zustande, noch erheblich mehr. (So brauchten Erwin Hübner und der Verfasser am 15. Juni 1896 vom Einstieg bis zur Südspitze ­16 Stunden, da sie die Wände über dem Kar wegen herabstürzender Wassermassen auf neuem, schwierigerem Wege erklettern mußten. Albrecht von Krafft, Wilhelm Teufel und Frau Friedmann benötigten von einem Biwak zwischen der Eiskapelle und dem Kar mehr als 14 Stunden bis zum Grat, wo sie durch ein Gewitter zu einem zweiten Freilager gezwungen wurden. Diese Ersteigung verteilt sich auf den 3., 4. und 5. August 1896.)

Steinfall ist leider stets zu befürchten, doch ist die Gefahr bei trockenem Wetter keine sehr dringende.

Ein Versuch Purtschellers, mit Kederbacher am 28. Oktober 1883 das Unter Unternehmen ­zu wiederholen, mißglückte. Alle Angriffe auf die Steilwände der großen Rinne blieben, da die Schneereste fast ganz geschwunden waren, erfolglos.

Zwei Jahre darauf, am 12. Juni 1885, führte ihn Preiß in der verhältnismäßig kurzen Zeit von elf Stunden von St. Bartholomä aus auf die Südspitze, ohne vorher durch Rekognoszierung sich mit der ihm unbekannten Route näher vertraut gemacht zu haben. Purtscheller zollt seinem wackeren Führer warmes Lob.

Der dritte Tourist auf diesem Wege war Gottfried Merzbacher, der in den oberen Partien einen abweichenden, schwierigeren Weg einschlug. Ihn begleiteten Kederbacher und Preiß, da Kederbacher, der das Mißlingen des mit Purtscheller unternommenen Versuches dem Fehlen eines dritten Mannes zuschrieb, die Tour nur noch in Gesellschaft eines zweiten Führers machen wollte.

(Die erste führerlose Begehung der Ostwand gelang Albrecht von Krafft und Ernst Platz im Sommer 1895. Am 15. Juni 1896 fanden Erwin Hübner und der Verfasser eine Abweichung vom gewöhnlich benutzten Wege auf, indem sie die Erkletterung der mittleren Zone in den Wänden nördlich der großen Rinne durchführten, diese überschritten und so das oberste der drei großen Bänder erreichten. Diese Route hat den Vorzug, über reinen Fels zu führen und nur in Bezug auf die Randkluft des Kars vom Schnee abhängig zu sein.)

Das Jahr 1890 brachte wieder einen Versuch, der mit dem Untergang eines ausgezeichneten Bergsteigers, Christian Schoellhorns, endete. Er verlor auf den Platten über dem kleinen Kar den Halt und stürzte in die 70 m tiefe Randkluft zwischen Schnee und Fels.

Wilhelm von Frerichs – Ein Denkmal für die Kederbacher

Zeitung des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1929, S. 169ff

Die Kederbacher aus der Ramsau

 Eine deutsche Führerfamilie

 Von W. F. b. Frerichs, Berchtesgaden

In steigendem Maße wird der Alpinismus zu geschichtlichem Rückschauen genötigt; mit allen anderen Erscheinungen dieses Zeitalters der Wende teilt er die historische Einstellung. Überall ertönt die Frage, wie es doch kam, daß wir in dieser so janusköpfigen Gegenwart stehen. Kein Zweifel, daß wir uns einem Abschluß nähern, der zwingt, für einen Augenblick haltzumachen und rückwärts gewendet im Geist den Weg nochmals zu durchmessen, der hinter uns liegt. Dieser Trieb zur Rechenschaft hat nichts gemein mit jenem Historizismus, der wie eine schleichende Krankheit auf dem letzten Jahrhundert gelastet hat. Nicht um ein Zurückrufen endgültig abgelebter Zeiten handelt es sich, nicht um Romantikerwunsch des Wiedererweckens der Vergangenheit, sondern um ein klares überblicken der Richtlinien, die unbewußter Trieb früherer Geschlechter einst zog. Auch der Alpinismus unterliegt solchem Zwange. Die Rückschau leitet aber nicht nur zu den großen, seelengeschichtlichen Geisteskurven, zu deren Auswirkungen die so verschieden gearteten Epochen der Beziehungen zwischen Mensch und Berg ebenfalls gehören, sondern auch zu der Kleinwelt der handelnden Personen, den vielköpfigen Trägern der Bewegung. Die Pioniere der Alpen, ihr Leben und Erleben, stehen heute von neuem im Vordergrund der Betrachtung für jene Alpenfreunde, deren Empfinden nicht auf dem dünnen Querschnitt des Ewig-Gegenwärtigen allein fußen mag, die vielmehr ihr Weltbild um die Dimension der Vergangenheits-Tiefe abzurunden sich mühen, um ahnend die Zukunfts-Weite fühlen zu können. Die Schar der Vorläufer, der Pioniere der Alpen, formt sich aus Liebhabern, Führern und Berufs-Bergsteigern; zu diesen zählen auch die Grills aus der bayerischen Ramsau, die einzigen großen Führer, die den deutschen Berglanden entsprossen sind.  Ihnen gelten diese einfachen Worte des Gedenkens, obwohl — oder vielleicht gerade weil — ihr Wirken dem heutigen Geschlecht schon sehr fernsteht.

 Heimat und Vater

Schmal nur ist der Alpensaum, der vom Hagengebirge im Osten bis zum Bregenzer Wald im Westen Deutschlands Südwall bildet. Nicht in eisige Höhen ragen seine bescheidenen Voralpengipfel. Waldige Täler, zierliche Hörner, dunkle Seen, wuchtig lastende Kalkklötze, rauschende Flüsse und Wiesenmatten fügen ein Erdbild, das immer klein, eng, anspruchslos bleibt, nirgends die Größe klastischer Gebirgslandschaften auch nur streift; ein behagliches Bürgerhäuschen im Vergleich mit den schimmernden Palästen der westlichen Alpentäler. Bajuvaren, Bergschwaben, Alemannen besiedelten einst dies Land, rangen armem Boden, rauhem Klima kärgliches Leben ab.

Ehe das Tal der Ache stromaufwärts zur bayerischen Ramsau sich weitet, schnüren die Uferwände sich zu enger Klause, über deren Felswall eine sonnige Berghalde sich dehnt. Dort Hausen seit Jahrhunderten die Grills auf dem Kederbach-Lehen, als vom fürstlichen Stift Berchtesgaden angesiedelte Lehensbauern. Klein nur war von jeher der ihnen zugewiesene Besitz, klein ist er noch heute. Zehn Hektar nur umfaßt er, zu gering, um auf karger Erde unter rauhem Himmel auch bei Anspannung aller Kräfte eine Familie zu nähren. Neben der Viehzucht mußte deshalb seit alters her noch ein anderer Erwerb die Führung des Lebens erzwingen.

In diesem Lande, auf diesem Fleck Erde ward 1835 Johann Grill geboren, der größte der deutschen Führer, ebenbürtig den Pionieren der Westalpen, ja überlegen gar manchem unter den berühmten Vorkämpfern der Schweiz und Frankreichs. Noch seltener als anderwärts erblühen Genies im Schoße der Bergbayern. Kleine Talente sprießen wohl häufig auf in diesem leicht bewegten Volke, aber hohe Gaben sucht man dort vergebens in den verschiedenen Bezirken menschlichen Wirkens. In Grill aber wurde der göttliche Funken künstlerisch bildender Bergmeisterschaft geboren. Auf seine Wiege blickten über den Kranz der Wälder hinweg der flache Rücken des Watzmanns, die grauen Kalkmauern des Hochkalters: die ersten Berge, die das junge Auge erspähte. In den Forsten zu ihren Füßen, auf den bröckelnden Graten ihrer Höhen wurde der Jüngling heimisch, als Holzknecht, als Treiber bei den Gemsjagden der Oberhäupter des Staates. Denn noch waren die Berchtesgadener Voralpen das bevorzugte Jagdgefilde der neuen Landesherren, der bayerischen Könige, wie zuvor das der Fürstpröpste des Stiftes. Hier betrat Kederbacher zum ersten Male das unwegsame Berggelände, übte Auge und Fuß, lernte die Schönheitswerte heben, die im dürren, krummholzbehangenen Kalk schwerer zugänglich sind als im lichteren Reiche der Hochwelt.

Schweiften seine Wünsche vielleicht damals schon hinüber zu den blinkenden Eishörnern der Tauern?

Die Liebe zur Schönheit der Berge war früh in ihm aufgegangen; ein echteres, einfacheres, geraderes Gewächs als das Naturgefühl des stadtgebundenen Menschen, das, aus dem tiefen Zwiespalt zwischen Erde und Mensch gezeugt, um so heißer betont ist, je größer und unschließbarer die Kluft geworden. Des noch naturverbundenen Bergbauern Liebe zur Alpenschönheit, umweglos unromantisch, nicht aus Abkehr geboren: ein seltenes Ding.

Abenteuerlust brannte heiß in seinen Adern, die Dynamik der wilden Europäerseele, jenes wunderlichen Gemisches aus Mittelmeergeist und Nordlandssturm. Das, was man heute den Sportgedanken nennt, lebte schon damals in ihm: der Drang, das Neue, unmöglich Scheinende zu erzwingen, die Grenzen weiter vorzurücken und immer weiter. Dies war die Triebfeder, die den Körper hinaufriß auf noch unbetretene Höhen der Heimatberge, allein, oder mit gleichgesinnten Genossen; innerem Rufe folgend, nicht von den Wünschen der Alpenfreunde angefeuert. Denn damals, in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war im Osten das Bergsteigertum erst schwach entwickelt, lebte es noch vom Geist der wissenschaftlichen Gebirgsforscher, von der romantischen Naturliebe der nachsentimentalen Zeit, während im Westen die ersten Schritte empor zur klastischen Höhe des Alpinismus getan werden. In Kunst, in Weltanschauung, in sozialem Geschehen bedeutet diese Epoche einen Einschnitt, einen Wendepunkt des europäischen Geistes, von dem aus ein neues Lebensgefühl seinen Anfang nahm — früher im Westen, später im Osten.

Kederbacher war von Jugend an aus sich selbst heraus Alpinist im vollen Sinne des Wortes ohne die Einwirkungen äußeren Zeitgeschehens, ohne den Antrieb durch die im Entstehen begriffene Gilde der Bergsteiger. Stets hat er diesen Wesenszug zur Schau getragen, auch noch als er Bergführer von Beruf geworden war. Unbeugsamer Wille, höchster Tatendrang wohnten in dem schmächtigen Körper, der von seltener Verstandesschärfe gelenkt wurde. Denn nicht physische Kraft allein, Geist und Seele machen den Meister der Berge. Wahre Herzensbildung, freundliche Sitten, echte Menschlichkeit rundeten sein Wesen zu einem vollen Akkord. Kederbacher war nicht nur ein idealer Bergsteiger, sondern auch eine harmonisch ausgeglichene Natur. Diese reichen Gaben waren ihm vom Schicksal in die Wiege gelegt; er aber hat sie genützt und mit seinem Pfunde gewuchert. Ein verbreiteter Wahn ist der Glaube, daß der Alpinismus den Menschen charakterlich, moralisch, geistig, veredle und auf ein höheres Niveau trage. Wer seltenere Gaben des Willens, Verstandes, Gemütes in sich birgt, der kann sie auch im Gebirge vervollkommnen, wer ohne solche Mitgift geboren, der bleibt in den Bergen das, was er zuvor im Tal gewesen.

Ans Licht der Firne, in die Tauern, zog den schon reifen Kederbacher zuerst Albert Kaindl aus Linz, einer jener schlichten Bergsteiger der Ostalpen, die liebevoll-bedächtig die Höhen ihrer Heimat erstiegen und erschlossen. Es war um das Jahr 1870; Grill stand damals im fünfunddreißigsten Lebensjahr. Im Westen war die Zeit der klassischen Höhe, der Probleme voll Größe und Einfalt, schon fast vorüber; die Pioniere hatten sich teilweise von den, wie es schien, erschöpften Alpen gewendet. Langsam erst, mit spürbarem Zwischenraum, begann sich die Barockperiode neuerer Problematik im westlichen Alpinismus zu entfalten. Im Osten hatte sich der hohe Stil nicht so folgerecht und geradlinig emporbilden können, fehlte hier doch der rechte Stoff für Werke dieser Art. So brach in den deutsch-österreichischen Bergen schon früh die zweite Zeitstufe der Kleinkunst an, in der bald das rasch wachsende Gewimmel des führerlosen Demos sich zu üben beginnen sollte. Neben dem neuen Wesen lebte freilich in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts noch eine kleine ostalpine Pioniertätigkeit kräftig weiter. Zu den Vertretern dieser Richtung gehörten mehr oder weniger F. Arning, K. Babenstuber, G. Hofmann, A. Kaindl, G. Merzbacher, V. Minnigerode, O. v.  Pfister, I. Pöschl, R. v. Lendenfeld, E. Richter, O. Schück, I. Stüdl, B. Wagner: Eisrinnen, Grate und Hütten bewahren noch heute die Namen eines Teiles dieser Männer, welche mit Kederbacher die Alpen vom Ennstal bis zum Montblanc durchzogen und manchen unerstiegenen Gipfel mit seiner Hilfe betraten. Der oft belagerte Tribulaun (1874), der Ödstein (1877) fielen unter seinem Ansturm, zahlreiche neue Wege fand er von der Ortlergruppe im Süden bis zu den bayerisch-österreichischen Kalkalpen im Norden, darunter den Pfad durch die riesenhafte Ostwand seines heimatlichen Watzmanns (1881). Der verwegene Geist Otto Schücks, auf große Dinge gerichtet, stand Pate zu jenem Unternehmen, das später Ludwig Purtscheller, ein großer Freund Kederbachers, mit diesem zu wiederholen versuchte.

Im Jahre 1874 hatte Heinrich Loschge aus Nürnberg den nun schon lange wohlbekannten Führer in das Oberland und Wallis mitgenommen. Seitdem betrat Grill fast alljährlich die Westalpen, oftmals mit nur schwach befähigten Bergsteigern, denen er als einziger Führer diente. Nicht leichtsinnig unterfing sich Kederbacher solcher Dinge, die damals in der Schweiz unerhört waren. Seine Meisterschaft war so groß, daß er es wagen durfte, nicht nur allein den Weg auf die höchsten Berge sicher zu finden, sondern auch noch hilflos-ungeschickte Begleiter glücklich hinauf und hinunter zu lotsen. Die ungeheure geistige Anspannung, die zu solchem Tun gehört, trug er spielend. Und der Lohn für solche Mühen? Es muß festgestellt werden, daß wohl fast alle Ostalpen-Bergsteiger, die mit Kederbacher in die Schweiz zogen, sich in erster Linie aus Ersparnisgründen seiner bedienten, weil sie die hohen Schweizer Führertarife, noch verschärft durch das Zwei-Führer-System, nicht zahlen wollten oder konnten. Ganz zu schweigen davon, daß Grill früher in den Ostalpen, wie er einst selbst unmutig bemerkt hat, schwere Arbeit für fünf Mark täglich geleistet bat. Auch vom geldlichen Standpunkt aus sind ihm manche deutsch-österreichischen Alpinisten zu hohem Dank verpflichtet.

Für seine Laufbahn wurde 1882 ein wichtiges Jahr. „Dessen Sommer sah“, so schreibt Mr. Farrar, „Kederbacher und Peter Dangl von Sulden, einen ebenfalls ausgezeichneten Mann, bekannt durch verschiedene großartige Unternehmungen in seinen Heimatlichen Bergen, in Zermatt, im Dienste zweier brillanter junger Alpinisten, Louis Friedmann und Carl Blodig. Sie bestiegen die üblichen hohen Berge und schickten schließlich ihre beiden Leute auf den Riffel zum Warten und zum Beobachten, wie ihre Herren die Besteigung des Weißhorns führerlos wiederholten. Dies war zuviel für die Selbstachtung Dangls, der sich eines ihm von mir angebotenen Engagements entsann und zu mir nach Paznaun in Tirol entfloh. Dort fand er die Berge zu niedrig für mich. Verschmitzt meinte er: „Das ist nichts für Sie, Herr!‘ und so eilten wir Hals über Kopf nach Zermatt, wo wir, das Weißhorn in der Tasche, sehr zufrieden mit uns selbst eintrafen.

Ich merkte, daß ein Grund für Dangls Vorliebe für Zermatt darin bestand, daß der diplomatische Herr Seiler die Tiroler, die gerade damals mit ihren Herren nach Zermatt zu kommen begannen, an feinem Hoteltisch essen ließ. Dangl erklärte mir mit großer Höflichkeit und ebenso großer Entschiedenheit, ich möge in jedes mir passende Hotel gehen, was ihn aber anbeträfe, so stiege er stets im Mont-Cervin ab.

Dort fanden wir Kederbacher, dessen Ruf mir damals wohlbekannt war; ich war eher enttäuscht, als ich seine nicht sehr imponierende Erscheinung sah, mit ziegelrotem Gesicht, langem braunen Bart, zusammengekniffenen und vom Wetter angegriffenen Augen, und soweit man sehen konnte, nur zwei großen Eckzähnen, was seine Aussprache einigermaßen undeutlich machte. In gewisser Weise erinnerte er mich an die kaum imponierendere Gestalt Christian Almers. Wenig ahnte ich von den Herzen, die in den Körpern der beiden wohnten, noch von der Bergkunst, die in ihren klugen Köpfen steckte. Wer es will, der mag in manchem Aufsatz von Kederbacher lesen, namentlich in der Ö. A.-Z. in den Artikeln Friedmanns, des seinerzeit vorzüglichsten österreichischem Bergsteigers, von einer fabelhaften Geschwindigkeit, und dazu ein sehr belehrender Schriftsteller, wie seine brillante Monographie der Ortlergruppe beweist.

In diesem Winter verstand es Dangl, den ich für drei Wochen engagiert hatte, und der ein großer Verehrer Kederbachers war, es irgendwie so einzurichten, daß Vlezinger (ein württembergischer Amtsrichter, ein ganz reizender Mann, der nun schon lange tot ist) — er hatte Kederbacher engagiert — mich auffordern sollte, unsere Kräfte zu vereinen und mir die Aufstellung des Programms zu überlassen 1).“

1) A. I. XXXI S. 262 sf.

Dieses ist die Vorgeschichte des großen Tages, den ihm das Jahr 1883 bringen sollte, als er im achtundvierzigsten Jahr, zum achten Male innerhalb eines Jahrzehnts die Schweiz wiederum betrat. Die Partie Blezinger-Farrar unternahm zunächst die Besteigung des Wetterhorns, sodann die des Schreckhorns und überschritt die Jungfrau vom Guggi nach Concordia. Darauf vollführten sie die dritte Ersteigung des Finsteraarhorns über den Südostgrat, eine Tur, die später das Sonderstudium des englischen Bergsteigers werden sollte. Ihm vertraute Kederbacher seinen Herzenswunsch an, endlich einmal „etwas wirklich Schwieriges“ unternehmen zu dürfen. Die Ziele des Ramsauers lagen also viel höher als die nicht gerade leichten Wege auf verschiedene Viertausender, die er bereits kennengelernt, ganz zu schweigen von den Normalanstiegen. Sein Augenmerk hatte sich auf die wahrhaft furchtbare Nordwand des Eigers gerichtet, an deren Fuß er bei Alpiglen vorbeigezogen war. Zwar sieht man von dort die Wand stark verkürzt, so daß sie ihren wahren Charakter hinter scheinbar harmlosem Aussehen verbirgt. Trotzdem ist kaum anzunehmen, daß Kederbacher die Wand völlig verkannt haben sollte; denn er hatte zuvor sowohl den Eiger selbst einmal, wie auch das Wetterhorn viermal bestiegen, so daß er von verschiedenen Standpunkten aus mit der wahren Neigung und Länge des Objektes seiner Wünsche vertraut sein mußte. Sein Herr hatte Mühe, ihn von der Wand loszureißen. Bis heute ist diese Mauer undurchstiegen geblieben 2).

2) Die Ciger-Rordwand ist bereits 1874 von den Brüdern Hartley mit Peter Rubi und Peter Kaufmann versucht worden. Sie schlugen einige Stunden lang Stufen gerade empor, zweigten dann aber nach links zum Mittellegigrat ab. Mr. Farrar hatte die Güte, dem Verfsasser diesen beachtenswert frühen Versuch englischer Vesteiger mitzuteilen. Ferner stieg Mr. Claude Macdonald in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vom Mittellegigrat durch den unteren Teil der Nordwand nach Alpiglen ab, nachdem ein Versuch aus den Grat gescheitert war. (Alpine Journal November 1928.)“

Der sie begrenzende Mittellegi-Grat trotzte durch vier Jahrzehnte allen Aufstiegsversuchen und wurde erst 1921 bezwungen. Niemand weiß, ob Kederbachers Wand möglich ist, ob nicht Steinschläge ein Begehen verbieten. Bewundernswert bleibt, daß er als einer der ersten den Entschluß gefaßt, seine Kunst dort zu erproben. Aus sich selbst heraus, ohne Anreiz von außen; als reifer Mann den Fünfzigern nahe, dem die großen Berge der Schweiz auf schon begangenen Wegen nicht genügten.

An die Stelle dieses allzu abenteuerlichen Unternehmens setzte Mr. Farrar für seinen Bayern ein anderes Problem: die Westwand des Walliser Weißhorns. Einmal erst war diese eisige Plattenflucht durchstiegen worden. Ferdinand Imseng, der Sieger an der Macugnaga-Flanke des Monte Rosa — sein späteres Grab —, hatte mehrfacher Anläufe bedurft, ehe er dies gewaltige Unternehmen zu einem glücklichen Ende hatte führen können. Kederbacher besah die Wand nur flüchtig und durchstieg sie im ersten Ansturm. Eine zweiköpfige Seilschaft: Grill und Farrar. Welcher Schweizer Führer der damaligen Zeit hätte es gewagt, diese Fahrt ohne einen oder gar zwei Berufsgenossen zu unternehmen, mit einem Herrn, den er erst seit etwa zwei Wochen kannte und auf nur vier vorherigen Türen beobachtet hatte? Freilich ging Alexander Burgener mit Güßfeldt und Mummery allein auf verwegene Taten aus, und andere Westalpengrößen mögen manchmal ähnlich gehandelt haben, aber stets nur als seltene Ausnahme und mit Bergsteigern, deren Fähigkeiten sie genau und lange geprüft hatten. Nicht Übermut und Vermessenheit bewogen den Ramsauer zu solchem Handeln. Seine scharfe Beobachtung, sein heller Verstand hatten ihm in wenig Tagen gezeigt, wessen der junge englische Bergsteiger fähig war, und sein eigenes Vermögen hat Grill nie überschätzt.

So kämpften sich denn die beiden in gemeinsamer Arbeit durch diese noch heute zu den schlimmsten Plattenschüssen der Alpen zählende Wand, verbrachten schutzlos eine leidensvolle Frostnacht in mehr als 4300 m Höhe 1), erreichten anderen Tages den Gipfel und stiegen über den langen Ostgrat wohlbehalten nach Randa hinunter.

1) Kein Wort verlor Kederbacher, als die Nacht hereinbrach und das Biwak unvermeidlich wurde. Er zuckte die Achseln und sagte nur: „Wir müssen hier bleiben.“ (Alpine Journal XXXI.) — Captain Farrar bezeichnet sich selbst als „bescheidenen Zweiten“ aus dieser Tur. Hat er auch den Führer vielleicht aktiv nicht zu unterstützen brauchen, so war er doch sicherlich ein starker moralischer Rückhalt für den Ersten, man müßte denn annehmen, daß Grill die Fahrt auch als Alleingänger hätte ausführen können.

„Ich gab ihm“, schreibt Farrar, „fünf Pfund und einen Napoleon, alles was ich hatte, außer ein paar überzähligen Franken für meine Heimreise. Ich erinnere mich, daß er mir genau ebenso dankte, wie wenn ich ihm fünfhundert Franken oder auch nur deren zwanzig gegeben hätte. Aus wundervoll stolzer Unternehmungslust heraus hatte er seine Arbeit geleistet, nicht des Gewinnes halber 2).“

2) Die Weißhorn-Westwand hat auch in der Neuzeit ihren Rang voll bewahrt. Die junge Generation hat sich, soweit bekannt, an ihr bisher nicht erprobt. Es gibt kaum einen Berg von 4500 m Höhe, der eine ähnliche Plattenflucht aufweist, wenn man von der anders gearteten, noch undurchstiegenen Nordwand des Matterhorns absieht. Seit Georg Winklers Tod in der Westwand (1888) ist sie nicht mehr ernstlich angegriffen worden.

Das Jahr 1883 blieb das einzige, in dem Grill die Schweiz mit Mr. Farrar betrat, der gleich darauf Europa für längere Zeit verließ. Man muß sagen: leider, denn welche Leistungen blieben dadurch unvollbracht, daß Kederbacher zuvor und später die Westalpen nur mit deutschen Bergsteigern aufsuchen konnte, deren Höhendrang meist schon mit den üblichen Gipfeln gestillt war. Hier liegt eine Tragik in Kederbachers Geschick; sein Genius ruhte ungenutzt in einem stillen Bergwinkel, aus dem er nur selten hervorgezogen wurde an das volle Licht. Die Heimat bot ihm kein Feld für große Taten, das Ausland stand ihm nur bedingt offen: ein echt deutsches Schicksal. Kein Zweifel, daß er es nicht so empfand. Zufriedenen und heiteren Gemütes führte er, heimgekehrt aus den Hochalpen, wiederum auf den Watzmann und die anderen Kalkhöhen, wandelte auf Pfaden, die nicht mehr als Trägerarbeit heischten. Hätte sich je einer unterfangen dürfen, Alexander Burgener zu einer Besteigung des Breithorns oder gar des Gorner Grates aufzufordern? Mit verächtlichem Stolze hätte der Walliser solche Einladung abgewiesen.

Viermal noch durfte Grill die Schweiz Wiedersehen; dort war es ihm im Jahre 1885 beschieden, den von Christian Almer und anderen stets unberührt gelassenen und auf gefährlichem Wege umgangenen Roten Turm des Vietschhorn-Westgrates zu erklimmen, und so einen neuen sicheren Weg zu eröffnen. Zwei Jahre darauf nahm er auf dem Gipfel der Dent Blanche, begleitet von seinem ältesten Sohne, Abschied von den Westalpen.

Sein Gefährte vom Weißhorn aber hatte ihn nicht vergessen. Wenn es auch zu keiner gemeinsamen Fahrt ins Hochgebirge mehr kam, so suchte ihn Captain Farrar doch, einem alten Versprechen getreu, nach neun Jahren in der Ramsau auf und ließ sich das damals größte Schaustück der Nördlichen Kalkalpen, die Ostwand des Watzmanns, von Vater und Sohn Grill im Aufstiege zeigen. Nach einem Ausflug in die Dachsteingruppe und das Glocknergebiet nahm Kederbacher in Huben den letzten Abschied von seinem Engländer.

Dann kam der Lebensabend als Pächter des Watzmannhauses, das er schon 1887 übernommen hatte. Mit sechzig Jahren noch erklomm er im Oktober 1895 bei tiefem Neuschnee die ihm unbekannten Dolomitgipfel der Kleinen Zinne und der Croda da Lago, wohl die letzte größere Leistung, die ihm beschieden. Fortan nahm ihn seine Wirtschaft ganz in Anspruch, der er bis 1905 Vorstand, um sie dann an seinen ältesten Sohn abzugeben. Als fast Achtzigjähriger erstieg er noch einmal seinen besten Freund, den Watzmann.

Als ihm zu seinem achtzigsten Geburtstage eine besondere Ehrung erwiesen wurde, schrieb er in seinem Dankesbriefe: „Ich hätte niemals gedacht, daß meine wenigen Bergführerdienste, welche ich seinerzeit mit Freude, Lust und Begeisterung pflichtgemäß mit vielen Alpenfreunden ausgeführt hatte, mir an meinem Lebensabend solch eine Ernte von Freuden, Lob und Ehrenbezeigungen eintragen könnte. War ich doch damals schon bei meinen Land- und Bergfahrten der glücklichste Mann in der Welt, weil ich alle Schönheiten mit meinen Bergfreunden unentgeltlich mitansehen durfte, und überdies noch reichlichen Lohn nach Hause brachte 1).“

1) Der Brief befindet sich in der Alpenvereins-Bücherei in München.

 

Er zeichnet seinen Brief als „altersgrauer ehemaliger Bergführer und Alpenfreund“. Ruhig ging er hinüber im zweiundachtzigsten Jahre am 14. Februar 1917.

Ins Grab ruft Farrar dem Vater Kederbacher nach: „Du läßt mir Erinnerungen zurück an herrliche Tage. Immer wirst Du für mich das Sinnbild unbeugsamer Unerschrockenheit bleiben. Du flößtest Deinen Leuten eine Willenskraft ein, die schon die Hälfte des Sieges bedeutete. Oft noch werde ich Dich in der Erinnerung sehen, immer auf dem verantwortlichen Posten, vorsichtig, ruhig und gefaßt in den Stunden der Gefahr — ein großer Pilot — ein Mann, der sich stets ganz einseht 2).“

2) Der einzige würdige Nachruf für Kederbacher ist von Mr. Farrar im A. I. XXXI veröffentlicht worden. Captain Farrar schätzte Grills Können außerordentlich doch ein. Kein Westalpen-Führer sei dem Bayern in seiner Vollkraft überlegen gewesen, höchstens ein halbes Dutzend ihm gleich gekommen. Dies ist das sehr wohlerwogene Urteil, das einer der besten Bergsteiger im Jahre 1917 fällte, nach reichlicher Überlegung und gestützt auf langjährige, unvergleichliche Kenntnis der Alpen und vieler großer Alpinisten. „Er war in jeder Beziehung ein großer Mann.“ (Nach einem an den Verfasser gerichteten Brief Farrars.)

Uns aber bleibt sein Bild, wie er im Zenit seines Lebens in die Hochalpen stieg:

Der kurze, stämmige Mann mit großem, wehendem Bart, nicht in der Berchtesgadener Tracht, sondern mit langen, zugebundenen Hosen, den Hut mit einem roten Taschentuch unterm Kinn festgeknüpft. So steigt er auf eisigem Grat für uns hinüber in die Zeitlosigkeit, ein großer Mensch und ein großer Führer.

Die wichtigsten von Johann Grill Vater bestiegenen Westalpen-Gipfel

Die zahlreichen Hochpässe sind weggelassen:

Verninagruppe:

Piz Bernina 2, Piz Corvatsch 2, Piz Kesch (Reutur) 2

Berner Oberland:

Finsteraarhorn 6, Aletschhorn 2, Jungfrau 5, Mönch 1, Schreckhorn 4, Eiger 3

Bietschhorn (Reutur) 2, Balmhorn 3, Wetterhorn 5, Blümlisalphorn 1, Gspaltenhorn 1

Peters Grat 1.

Titlisgruppe:

Titlis 1

Tödigruppe:

Tödi 1

Dammagruppe:

Galenstock 1

Wallis:

Monterosa 5, Dom 1, Täschhorn 1, Lyskamm 1, Weißhorn 8, Matterhorn 6, Dent Blanche 3

Zinalrothorn 3, Breithorn 2, Ober-Gabelhorn 2, Allalinhorn 1, Mittaghorn 1

Montblancgruppe:

Montblanc 2, Aiguille Verte 1) 1

1) Im Führerbuch Johann Grills des Älteren findet sich eine Eintragung des Herrn H. Loschge-Rürnberg, laut der er mit Kederbacher im Jahre 1875 die Aiguille Verte von Argentiere aus auf neuem Wege bestiegen habe. Es ist schwer zu glauben, daß Herr Loschge die furchtbare östliche Eiswand der Verte vor O. Maund, Th. Middlemore und H. Cordier (1876) eröffnet habe. Vielleicht hätte auch Kederbacher allein die nötige Eisarbeit nicht leisten können. Zwar war ein Venediger-Führer bei dem Unternehmen beteiligt, doch muß man zweifeln, ob er Grill bei einer derartigen Arbeit hätte unterstützen und ablösen können. Zudem hat Kederbacher oft und gern von der Weißhorn-Wand fabuliert, nie aber von der Aiguille Verte, deren Ostwand ihm ebenfalls den stärksten Eindruck hätte hinterlaffen müssen. Andrerseits sind die Eintragungen Loschges stets knapp, genau und durchaus glaubwürdig. Man sollte fast annehmen, daß die Partie Loschge den üblichen Verte-Anstieg von Lognan aus erreicht habe. Dem scheint aber der hierfür erforderliche Zeitaufwand entgegen zu stehen. Der Verfasser überläßt die Lösung dieses Problems den alpinen Historikern. Übrigens ist die Route O. Maunds und Genossen bisher nur einmal wiederholt worden, und zwar 1924 durch französische Führerlose.

Der Sohn

Die Kederbachers gehören zu den Aristokraten unter den Bauern des Berchtesgadener Landes. Freilich nicht im Sinne des Besitzes, sondern in dem schöneren des geistigen und sittlichen Vorranges. Ihre engere Heimat — die entlegene Ramsau — bildet überhaupt hinsichtlich ihrer Bewohner einen Gegensatz zu dem Rest des Landes, das schon seit Jahrhunderten eine an Industriegegenden gemahnende Bevölkerungsdichte mit all ihren charakterlichen Folgeerscheinungen aufweist, so daß der böse Einfluß des Fremdenzustroms dort üppigen Nährboden findet. Von jeher lagen in der Ramsau die Verhältnisse anders und besser. Dort herrschen noch Geradheit, Ehrenhaftigkeit, einfache Sitten. So ist es nicht zu verwundern, wenn der große Name des Vaters dem Sohn nicht zum Hemmnis ward, wie solches sonst wohl die Regel bildet.

Am 12. Juli 1862 kam er zur Welt, stand also in der Glanzzeit seines Vaters schon in einem Alter, um den Erzählungen des Heimkehrenden von seinen Abenteuern mit Verständnis folgen zu können. Roch heute entsinnt er sich lebhaft der Sorge, die oft viele Tage auf der Familie lastete, wenn vom Alten keine Nachrichten eintrafen und die Möglichkeit eines Unfalles schwarze Schatten vorauswarf. Um so größer war dann die Freude über die glückliche Heimkehr und die Schilderungen der kühnen Taten. So ward ihm schon die Kinderzeit erfüllt von Bergabenteuern und Belehrung über die Hochwelt. Als Knabe übte der junge Grill sich an den Wänden der Preißenklamm, mit denen sein heimatlicher Hof zur Ache abstürzt, ein Klettergarten, wie er ihn sich näher und schöner nicht wünschen konnte. Mit zwölf Jahren ging er als Hüterbube auf die Kematenalm, hoch über dem grünen Pinzgau und dem Zeller See, in dem die weißen Tauern sich spiegeln. Dort war er schon mitten im Gebirge, das nahe Kammerling-Horn lockte ihn oft hinauf und ward sein erster Gipfel, während fern die geheimnisvolle Gletscherwelt winkte. Dann nahm ihn der Vater in ernste Schule, lehrte ihn mit Wort und Tat und ließ ihn an einem sonst nie betretenen scharfen Felsgrat des Watzmannstockes sein Probestück als Geselle ablegen. Schon mit siebzehn Jahren ward er im Herbst 1879 zum Bergführer autorisiert.

Als Dr. Arning und Herr R. Mitscher im Jahre 1881 den Vater Grill in die Schweiz riefen, durfte auch der neunzehnjährige Sohn mitziehen, den Fuß auf seinen ersten Viertausender, die Jungfrau, setzen und die strahlende Bernina erblicken. Hier lernte er Peter Dangl kennen, den Bewunderer des Vaters, den Stifter der Freundschaft mit Mr. Farrar.

Die alten Ostalpen-Bergsteiger Carl Arnold, Demeter Diamantidi, Gustav Curinger, Eduard Lanner, Bruno Wagner verknüpfen sich auch mit des Sohnes Berg-Erleben und verweben seine Jugend mit der ausgehenden Zeit der Erschließung der deutschösterreichischen Gebirge. Anekdotenhafte Erinnerungen tauchen auf und bringen Leben in die trockenen Besteigungslisten: So eine Neujahrsfahrt mit dem Vater und Dr. B. Wagner auf den Hochkönig, Gegenstand einer Fünfhundert-Gulden-Wette, wenn die Tur Wien—Hochkönig—Wien in bestimmter knapper Frist beendet sei. Die Grills sorgten dafür, daß Wagner seine Wette gewann. Dann kam die Militärzeit bei den Landshuter Jägern, die ihm, obwohl vorzüglicher Soldat, durch die Sehnsucht nach den Bergen getrübt wurde.

Erst sechs Jahre nach seiner ersten Schweizer Reise kam er wieder in den Westen, auch diesmal als Gehilfe seines Vaters, mit dem er Herrn G. Curinger auf manchen der Riesen des Oberlandes und des Wallis geleitete. Die Zeiten hatten sich gewandelt. Den früh schon unternommenen, aber vereinzelt gebliebenen Fahrten Führerloser und Alleingänger war nun das erste Anschwellen der neuen Bewegung gefolgt. Auf die kühnen Taten der Mesirs. Gardiner und Pilkington antworteten die österreichischen Vorkämpfer Purtscheller, Zsigmondy, Lämmer, während langsam der Stern Mummerys zum Zenit emporstieg. Aber noch immer herrschte der Fachmann, der Führer, wie er ja bis heute im friedlichen Wettbewerb mit den Liebhabern, dem neuen Salz der Berge, seinen großen Anteil am alpinen Geschehen bewahrt hat. In zwölf von den Jahren, die zwischen 1881 und 1902 liegen, hat Grill fünfzehn Reisen in die Westalpen unternommen, die bedeutendsten Gipfel fast sämtlicher Schweizer Gruppen betreten und in den Gebieten des Montblanc und des Grand Paradis sein Können gezeigt. An fünfzigmal hat er auf Viertausendern gestanden. Auch er hat, wie sein Vater, oft ohne zweiten Führer im Vertrauen auf sein Können zu dritt oder auch nur zu zweit am Seil auf hohe Berge den Weg gebahnt. Den Ruhm führerloser Kalkalpen-Größen sah er als ihr Begleiter einmal an den Rottal-Wänden der Jungfrau im Schneesturm zerflattern 1).

1) Grill erzählte dem Verfasser, daß Mr. Farrar, der sich damals in Südafrika befand, von dieser Tur gehört und ihm einen Brief geschrieben habe, in dem er den Führer vor derartigen Unternehmungen mit Nur-Kletterern ohne Zuhilfenahme eines zweiten Führers gewarnt habe.

Auf der anderen Seite gewann er von den Fähigkeiten eines gewissen Führerturisten eine ganz andere Ansicht als Norman-Neruda, der vor einem Menschenalter die ätzende Lauge seines Spottes über die Unglücklichen ergoß, der es wagte, die damaligen Modeturen der Dolomiten allzu niedrig einzuschätzen. In der alpinen Geschichte steckt viel Wahrheit und Dichtung, gar oft nur dünn verhüllt. Wie vor seinem Kammerdiener ist auch vor seinem Führer niemand ein Held, und umgekehrt zeigt sich mancher, der vor die Augen der Welt als Tropf hingestellt wurde, als Mann vor dem Berggefährten.

Mr. Farrar, der den jungen Führer 1892 an der Watzmann-Ostwand kennengelernt hatte, durchstreifte fünf Jahre später mit ihm die nördlichen Kalkalpen vom Allgäu bis zum Karwendel und nahm ihn darauf zu ernster Arbeit in das Berner Oberland mit, wo die Partie, verstärkt durch den großen Meister Daniel Maquignaz 1) manch schwere Tat vollbrachte.

1) Der Neffe und Schüler des berühmten Jean Joseph Maquignaz, des Erstersteigers der Dent du Geant. Mr. Farrar und D. Maquignaz haben 1893 den Ostaufstieg auf die Aiguille Blanche de Peteret und den Übergang zum Montblanc als Erste erkundet und geplant. Güßfeldt kam ihnen in der Ausführung zuvor, doch konnten sie kurz darauf die zweite Begehung der Route durchführen.

 

Das Ergebnis weniger Wochen war: das Kleine Viescherhorn von Norden, Versuch auf das Lauteraarhorn vom Schrecksattel 2), das Wetterhorn auf neuem Wege über die Westflanke und den Nordgrat, die Überschreitung des Schreck-Horns von Lauteraar zur Schwarzegg, der Mönch über den Nöllen im Auf- und Abstieg, und schließlich nochmals das Wetterhorn.

2 ) Schlechte Verhältnisse zwangen zum Abbruch des Versuches.

Abgesehen von der letztgenannten Tur sind sämtliche übrigen Fahrten außergewöhnliche Unternehmungen. Erst fünf Jahre später gelang es, das Lauteraarhorn auf dem von Mr. Farrar versuchten Wege zu erreichen. Das Schreckhorn war, soweit bekannt, zuvor erst zweimal von Ost nach West und einmal von West nach Ost überschritten worden. Der Nordgrat des Wetterhorns bedeutet eine Erstlingstur, und der Mönch über die Eiswand des Nöllen wird von manchen Sachkennern als eine der härtesten und schwersten Arbeiten im Eis gewertet.

Das folgende Jahr 1898 sah ihn wiederum als Gefährten von I. P. Farrar und D. Maquignaz. Die Grivola wurde über den Nordgrat bezwungen, eine zweite Besteigung, dann der gesamte Grat mit allen Erhebungen vom Grand Paradis bis zum Mont d‘ Herbetet überschritten. Im Montblanc-Gebiet wurde der Gipfel des Monarchen zum ersten Male von der Aiguille de Bionnaffay über den Dome du Goüter erreicht, und vom Col de Miage bis zum Col du Midi der gewaltige Halbkreis gezogen. Bisher war es nur einmal gelückt, über den Ostgrat der Aiguille de Bionnaffay bis zum Dome zu gelangen.

Den Abschluß bildete ein zweitägiger Versuch, den Nordostgrat der Aiguille Verte vom Col des Grands Montets aus zu bezwingen. Sechs Jahre darauf glückte die Ersteigung des abweisenden Berges von dieser Seite, wenn auch nicht über den Grat selbst, vier italienischen Führerlosen nach mehrtägiger Arbeit und zwei Biwaks unter ungeheuerlichem Zeitaufwand. Der Grat fiel erst 1925 unter dem Angriff französischer Führerloser 3), freilich nur teilweise, da verschiedene Türme umgangen wurden.

3 ) Der Partie P. Dalloz, I. Lagarde, H. de Segogne.

Streng genommen ist der Grat bis heute noch nicht überschritten worden. Daher ist die Kühnheit des so frühen Versuches von 1898 besonders bemerkenswert. Es ist klar, daß Aufgaben solchen Umfanges erst nach längeren Versuchen gelingen können. Ebenso verständlich ist es, daß der geistige Leiter einer Führer-Partie seine Leute nicht einem solchen Risiko auszusehen vermag, wie er es für seine Person vielleicht übernähme. Es ist daher sinngemäß, daß die endliche Lösung Führerlosen glückte. Als Denkmal des Versuches bleibt ein zum ersten Male erreichter Turm, der heute den Namen Pointe Farrar trägt 4).

4 ) Der Mangel eines genügend langen Reserveseiles ließ den Versuch scheitern, überdies hatte die Partie eine schwere Campagne hinter sich und wollte daher nicht die Gefahr eines oder mehrer unvorbereiteter Biwaks laufen. In jüngster Zeit hat übrigens auch der vorzügliche junge Chamonix-Führer Armand Charlet mit M. de Eigord die Aiguille Verte von dieser Seite bestiegen. Die Umgehungsroute soll nichts Ungewöhnliches bieten, hingegen wäre die Verfolgung der Gratlinie selbst etwas sehr Schwieriges. — Es scheint, daß die Partie Farrar-Maquignaz-Grill am zweiten Tage auch die große Nordost-Rippe der Aiguille Verte ernstlich, aber erfolglos angegriffen hat. Diese Rippe gehört der furchtbaren Argentiere-Flanke des Berges an und ist bis heut unbezwungen. (Alpine Journal XXXVI S. 398.)

 

Das Jahr 1900 sah Grill wiederum in der Schweiz, als Gefährten der Herren Dr. G. Meyer und Dr. F. Pflaum, der später sein Leben der Unfähigkeit eines Schweizer Führers zum Opfer bringen sollte. Mit ihnen betrat er die Hauptgipfel des Oberlandes und des Wallis. Auf dieser Reise hatte er gleich zu Beginn Gelegenheit, durch sofort handelsbereite Geistesgegenwart und mutige Tatkraft ein Menschenleben zu retten. Es war auf dem Wege zur Dossenhütte. Dr. Meyer und sein Führer stiegen über steile, schmelzwasserüberronnene Platten empor, die teilweise mit riesigen Geröllmassen bedeckt waren. „Da rutschte plötzlich ein großer Block“ — so schildert Dr. Meyer den Unfall — „andere kamen aus dem Gleichgewicht, und dann setzte sich die ganze Masse aus glatter Platte mit mir in Bewegung. Vergeblich suchte ich frei zu kommen, ein Schlammstrom unter dem Geröll hob jede Reibung aus und die Mure rollte unaufhaltsam mit mir dem nahen Absturz entgegen. Schon war ich bis fast zur Brust in dem Steinstrom versunken und ungefüge Klötze trafen meinen Kopf. Blitzschnell war Kederbacher zu meiner Rettung auf einen riesigen Felswürfel gesprungen, an dem die Mure brandete. Niederkniend reichte er mir seinen Pickel, den ich zuerst nicht annehmen wollte, da ich jede Hilfe für aussichtslos hielt. Aber unter Grills Belastung wankte der nur scheinbar feste Riesenblock und gleich daraus stand auch der Führer bis zu den Knien im Steinstrome. Doch glückte es ihm, sich auf eine geröllfreie Platte zu retten, an die er sich mit aller Kraft klammerte, um mich schließlich herauszureißen.“ Während banger Augenblicke hatte Grill gezweifelt, ob er dem übermenschlichen Zuge würde standhalten können oder mit seinem Gefährten den Weg in die Tiefe werde nehmen müssen. Für ihn hieß es: Beide oder keiner, und das Schicksal war ihm gnädig. Es war ein Anfall, wie er dem Besten ohne Verschulden zustoßen kann. Nur die nie, auch auf den Wegen zu Hütten — die freilich in der Schweiz anderer Natur sind als im Osten — erlahmende Aufmerksamkeit des Führers und sein opfermutiges rasches Zugreifen verhinderten einen verhängnisvollen Ausgang.

Seine letzte Fahrt in die Schweiz fällt in das Jahr 1902, in welchem er vier Monate lang als Begleiter Dr. Gilems, eines holländischen Bergsteigers 1), die Ost- und Westalpen durchstreifte und — außer den alten bekannten Viertausendern — den sehr schwierigen Monte Scerfcen über die Eisnase bezwang.

1) Abgestürzt am Lol du Geant i. 1.1907.

Die vergletscherten Gebiete der Ostalpen hat er ebenfalls oft betreten. Wiederholt waren die Hohen Tauern, das Zillertal, das Stubai und das Otztal, sowie der Ortler der Schauplatz seiner Tätigkeit. Bezeichnenderweise beträgt die Zahl der von ihm im Osten erstiegenen Gletschergipfel und überschrittenen Hochpässe nur wenig mehr als die Hälfte seiner Westalpenturen. Im Zillertal glückte ihm mit Mr. W. F. Kendrick die erste Begehung des Grates vom Hochfeiler zum Weißzint 2).

2) 29. 8.1892.

Der heimische Kalk ist ihm natürlich vom Dachstein bis zum Allgäu aus das engste vertraut. In seinem Führerbuche, das die Jahre 1881—1900 und 1917—1927 umfaßt 3), sind fast anderthalb hundert Besteigungen des Watzmanns verzeichnet.

3 ) Das Buch von 1901—1916 wurde ihm von einem Bergsteiger entwendet.

Welch eine Vergeudung solcher Begabung, und zugleich welch rührendes Beispiel von Bescheidenheit! In fast unendlicher Wiederholung hat er wohl sämtliche Gipfel der Heimat erwandert, als Begleiter von bergunkundigen Sommerfrischlern, von oftmals gewiß auch jener wenig gewählten Art, wie sie für das Berchtesgadener Land kennzeichnend ist. Gegen die selbstischen Quäler, die im Führer nur den Packesel erblicken, wird er sich schon zur Wehr gesetzt haben, denn die Grills sind stärkeren Charakters, als ihr armer Berufsgenosse Preiß, der unter der erbarmungslos ihm aufgepackten Belastung schließlich körperlich zusammenbrach.

Immerhin, es klingt verwunderlich, daß der Mann der Walliser Riesen, dem der Ehrenposten des Letzten im Abstieg auf dem Vionnassay-Ostgrat anvertraut war, in der Heimat sich zu Waldausflügen wie dem Vlaueisgletscher hergeben mußte. Man atmet wieder auf, wenn man liest, daß er im letzten Jahrzehnt zweimal den schwierigen Blaueis-Nordgrat erklettert hat, ein würdigerer Gegenstand seiner reiferen Jahre, als die anderen mühsamen Wanderungen.

Spät erst im Leben, und nur ein einziges Mal ist Grill nach Südtirol gekommen. Es war im Jahre 1901, als der alte Freund der Familie, Mr. Farrar, ihn mit den Dolomiten vertraut machte. Damals waren der Schmitt-Kamin, der Winkler-Turm, die Rosengarten-Ostwand noch nicht so alltägliche Unternehmungen geworden, wie dies heute vielleicht der Fall ist. Auf diesen Fahrten, wie auch auf die Grohmannspitze und die Häupter der Pala-Gruppe ließ der mitgenommene Ortsführer dem Berchtesgadener ohne weiteres den ersten Platz.

Mit 1902 schließen Grills Wanderungen in größere Fernen. Seine Taten beschränkten sich fortan auf die nördlichen Kalkalpen und die nahen Tauern. Ein Armbruch, den er 1903 erlitt, hielt ihn längere Zeit von den Bergen fern und festere Bande ketteten ihn bald darauf an die Heimat, als er das Watzmannhaus übernahm und von 1905—1910 dies Gasthaus leitete.

Doch blieben ihm die alten Bergfreunde stets getreu und suchten ihn immer wieder auf, um auf neuen Fahrten alte Erinnerungen wieder aufleben zu lasten. Manche Namen tauchen in seinem Führerbuche regelmäßig von neuem auf, wenn auch zwischen dem ersten und dem letzten Eintrag manchmal fast vier Jahrzehnte liegen 1).

1) So Dr. Bertram, der schon 1881 mit dem Vater gegangen war und 1886 mit dem Sohn  eine Winterbesteigung des Watzmanns gemacht hatte. 35 Jahre später zogen Dr. Bertram und Grill in die Glocknergruppe, wo der Führer den erkrankten Bergsteiger mit seltener Auf opferung in der Stüdlhütte pflegte.

Solche Anhänglichkeit zeugt beredter als alle Worte von den menschlichen Werten, die Grills Charakter in hellstem Lichte erscheinen lasten.

Die letzten Julitage des Jahres 1922 sollten ihm eine unerwartete Begegnung bringen. Er war aus einer der üblichen Fahrten über das Steinerne Meer und die Riffelscharte zum Glöckner gewandert; schlechtes Wetter trieb die Partie hinunter nach Heiligenblut. In der Gaststube des Wirtshauses stärkte man sich nach den erlittenen Unbilden. An einem nahen Tische saßen mehrere Bergsteiger, darunter ein älterer. Wieder und wieder zog der Kopf des Grauhaarigen Grills Auge auf sich. Auch der Bergsteiger blickte immer von neuem forschend auf Kederbacher und dann plötzlich erkannten sich die beiden: der junge Engländer des alten Grill, nun nicht mehr jung, Captain I. P. Farrar und der einstmals junge Kederbacher trafen sich wieder, zwei Jahrzehnte nach ihrer letzten gemeinsamen Fahrt. Die Leistungen, die der Sohn der Voralpen im Hochgebirge vollbracht, sprechen eine beredte Sprache. Voll gewürdigt können sie nur werden vom Standpunkt der nun abgetretenen Generation, und nicht aus dem Geiste der Jungen, welche die Vrenva-Flanke des Montblanc in wenigen Stunden durchmessen. „Er ist nach meiner Ansicht in jeder Beziehung erstklassig — völlig gleichwertig mit seinem Vater in besten Tagen 2).“

2 ) Führerbuch Grills des Jüngeren. — „Beide Kederbachers waren ganz außerordentlich anständige Leute. Man konnte ihnen in jeder Beziehung vertrauen und sie verfehlten nie, ihre Pflicht voll und ganz zu tun. Ich habe noch heute die allerbeste Erinnerung an sie und die größte Achtung vor ihnen.“ (Aus einem Brief Mr. Farrars.)

Dies Zeugnis gibt ihm der — kürzlich verstorbene — seit fünfundvierzig Jahren weitgereiste englische Bergsteiger Mr. Farrar, einer der besten Kenner der Geschichte des Alpinismus. Es ist überflüssig, die zahllosen gleichartigen Urteile anderer Alpinisten über Grills Meisterschaft auf Fels und Eis anzuführen. Aber nicht das technische Können allein, auch die Gaben des Herzens und des Verstandes gehören zu seinem Bilde. Vielen war er „nicht nur ein meisterlicher Führer, sondern ein Freund, der den ihm Anvertrauten mit treuester Fürsorge umgibt, und ein Mensch mit Auge und Sinn für die Schönheiten der Bergwelt“.

In seines Vaters Buch hatte einst eine Bergsteigerin geschrieben: „Es gibt nur einen Kederbacher.“ Daran anknüpfend bemerkt einer der Herren des Sohnes, er müsse nach seinen Erlebnissen auf schwerer Kletterfahrt sagen: „Es gibt zwei Kederbacher, Johann Kederbacher Vater und Sohn.“ Mit diesem Urteil aus dem Jahre 1919 wollen wir das Führerbuch schließen.

Einer der besten Alpenführer und ein ganzer Mensch steht vor uns, wenn wir seine Taten an uns vorüberziehen lasten. Auch Johann Grill der Jüngere nimmt, wie sein berühmter Vater, einen würdigen Platz ein unter den Pfadfindern der Alpen.

Die wichtigsten von Johann Grill Sohn bestiegenen Westalpen-Gipfel

Die zahlreichen Hochpässe sind weggelassen : 1)

1) Das verlorene Führerbuch Grills des Jüngeren (1901—1916) konnte nur annähernd ergänzt werden. Seine hier angeführten Westalpen-Turen find daher nicht ganz vollständig.

Verninagruppe:

Piz Bernina 1, Piz Roseg 2, Monte Scerscen 1, Piz Lorvatsch 1

Berner Oberland:

Finsteraarhorn 4, Metschhorn 1, Jungfrau 5, Mönch 1, Schreckhorn 4, Eiger 1, Metschhorn 2

Kl. Mescherhorn 1, Balmhorn 1, Wetterhorn (Neutur) 3, Petersgrat 2

Wallis:

Monterosa 5, Dom 2, Täschhorn 1, Lyskamm 1, Weißhorn 4, Matterhorn 5, Dent Blanche 1

Grand Combin 1, Castor 1, Zinalrothorn 3, Dem d’Herens 1, Breithorn 2, Ober-Gabelhorn 2

Weißmies 1, Kleines Matterhorn 1, Limes Manches 1, Almagellhorn 1

Montblancgruppe:

Montblanc 2, Aig. de Bionnaffay (Neutur) 1

Aig. du Midi 1, Pointe Farrar (1. Erst.) 1

Mg. des Grands Charmoz 1

Paradis-Gruppe:

Grand Paradis 1, Grivola 1, Petit Paradis 1, Bec de Montandeyne 1, Mont d’Herbetet 1

Benutzte Schriften

2t. 3. XXIII 6.308, XXIV 6.303, XXV 6.51, XXVII 6.263, XXXI 6.262, XXXVII 6.363.

Voll. L. A. I. 1904,5 6. 311, D. A. Z. X 6.191, XV S. 244.

Ib. 6. A. C. XXI 6.127, M. A. V. 1886 6. 79, 1917, 6.3, M. A. V. 1892 6.247.

A. V. 1883, S. 507, 1885 S. 266, 1914 6.195.

Dübis Hochgebirgsführer durch die Berner Alpen II S. 167, III (1909), S. 131.

Guide Kurz, La Chaine du Montblanc 1927.

Purtschcller-Heß, Der Hochturist in den Ostalpen (1911).

Führerbuch Johann Grills des Älteren (Abschrift).

Führerbücher Johann Grills des Jüngeren 1880—1900, 1916—1927.

 

 

 

Seilschaften : Andreas Hinterstoißer und Toni Kurz

Andreas Hinterstoißer und Toni Kurz waren die Kletterstars der 30’er Jahre in den Berchtesgadener Bergen. Sowohl kletter- als auch hakentechnisch eröffneten sie beide Dimensionen bis in den VI Grad der Schwierigkeit.

Toni Kurz hinterlässt seine Spuren am Westriss des kleinen Watzmanns, zusammen mit Karl Dreher, und zusammen mit Andreas Hinterstoißer an der direkten Südkante des dritten Watzmannkindes.

Die beiden Bad Reichenhaller Gebirgsjäger griffen am 18.07.1936 die grosse Nordwand des Eigers an und fanden, in Seilgemeinschaft mit Willy Angerer und Eduard Rainer, unter dramatischen Umständen den heldenhaften Bergtod.

Grabstätte Andreas Hinterstoißer auf dem Friedhof St. Zeno in Bad Reichenhall

Inschrift

In diesem städtischen Ehrengrab ruht der Reichenhaller Bergsteiger Anderl Hinterstoißer, Gefreiter der 11. Kompanie des Gebirgs.Jäger-Regimentes 100, geboren am 3. Oktober 1914, der vom 19. bis 21. Juli 1936 die Eiger-Nordwand zu bezwingen suchte und dabei einen heldenhaften Bergtod starb.

Grabstätte Toni Kurz auf dem Alten Friedhof Berchtesgaden

Inschrift

RIP Unser lb Sohn und Enkel Toni Kurz Gefr. im Gebirgsjäg. Reg. 100 † 22. Juli 1936 im 24. Lebensj. im Kampfe um die Eigernordwand.

Ein schriftliches Denkmal für die Berchtesgadener Bergführer

Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenvereins, 1939

Unsere Bergführer

Fritz Schmitt, München

Wir wagen nun einen weiten Sprung hinüber ins Berchtesgadner Land.

Einer der ersten Berufsführer war hier der 1816 geborene Johann Jlsanker, genannt Stanzl. Ein Original ! Sein Leibberg war der Watzmann; im Sommer 1868 stand er 59mal oben, und im Februar 1871 brannte er mit Peter Lölzl nach der Einnahme von Paris auf dem Hocheck ein Siegesfeuer ab. Es war dies die erste Winterbesteigung.

Im nächsten Sommer besuchte der damalige deutsche Kronprinz den Watzmann, und es wurde nach dem ältesten Führer, dem Stanzl, geschickt. Der Prinz erzählte beim Aufstieg von der tapferen bayrischen Armee, die er Anno 70 geführt, und der Stanzl von den guten und minderen Leeren am Seil. Auf dem Hocheck meinte der Prinz nachdenklich: „Das ist eine eigene Sache mit dem Führen, nicht wahr, Stanzl?“ — „Woll, woll, Hoheit!“ antwortete der Berchtesgadner. „A richtiger Führer ist d‘ Hauptsach, und wenn d‘ Hoheit uns Bayern Anno 66 g’führt hält‘, nacher hätten mir sie kreuzweis verdroschen, die großmäuligen Preußen!“

Genau zwölf Jahre später schickte der Kronprinz dem Stanzl zum 50jährigen Führer Führerjubiläum einen freundlichen Brief und obendrein 100 Mark! —

Aus der Anfangszeit sind ferner zu nennen: Johann Berger, der L. von Barth 1868 auf das Grundübelhorn begleitete, die Brüder Johann und Josef Grafl, Simon Lasenknopf, Aschauer, vulgo Wimbacher, und Kaspar Ofner, der alte „Preißei“ und Stiefvater des Johann Punz. Ofner ging häufig mit Kaindl aus Linz und F. von Schilcher.

Der Lorbeer der Berchtesgadner Führerschaft gebührt Johann Grill, dem alten Kederbacher. Am 22. Oktober 1835 wurde er in Ramsau geboren. Mit dem jüngeren Nachbarsbuben Johann Punz, dem „Preißei“, erstieg er 1868 den Kleinen Watzmann über die bauchige Südwand und überschritt alle drei Watzmanngipfel. Es ist hier nicht möglich, nur annähernd die Erstbesteigungen Kederbachers aufzuzählen. 1874 betrat er mit Loschge in den Westalpen Wetterhorn,Schreckhorn, Matterhorn, Lyskamm und andere Gipfel. Als bedeutendste spätere Fahrten seien aus der Fülle herausgegriffen: 2. Begehung der Weißhorn-Westwand mit Farrar, Finsteraarhorn-Südostgrat, neuer Weg auf die Aiguille Verte, Erst Ersterkletterung des „Roten Turmes“ am Bietschhorn und Piz Kesch-Südwand. Ins Insgesamt ­stand er fünfzigmal auf Viertausendern, und in den Ostalpen blieb ihm kaum eine Gruppe fremd. Wenn von Kederbachers schönsten Bergerfolgen die Rede ist, dürfen die Erstersteigungen des Tribulaun (1874), der 1700 m hohen Wahmann-Ost- wand (1881) und des Presanella-Rordostgrates nicht verschwiegen werden. Kederbacher blieb bis in sein hohes Alter rüstig. Mit 57 Jahren durchstieg er innerhalb 14 Tagen zweimal die Watzmann-Ostwand, und als Sechziger erklomm er trotz tiefen Neuschnees Croda da Lago und Kleine Zinne. Ab 1888 bewirtschaftete der berühmte Ramsauer das neu erstellte Watzmannhaus. Die Feier seines 80. Geburtstages brachte ihm ein glückliches Erinnern, und innig freute er sich über ein ehrendes Schreiben des D. A. V.

Im Kriegswinter 1917 trat der alte Kederbacher ohne Siechtum und Kampf seine letzte Erdenfahrt an. In sein Führerbuch schrieben vorbildliche Alpinisten Worte höchster Anerkennung. Farrar bezeichnte ihn als „Sinnbild unbeugsamer Anerschrockenheit“. Dr. Blodig, der ihn einen „Fürsten im Bauernkittel“ nannte, erzählte, daß Keder Kederbacher einmal auf Drängen nach einer Besteigung der Aiguille Blanche gesagt habe:  „Ja, ja, es geht schon, aber i geh net!“ Als Friedmann eine Karte in eine Gipfelflasche gesteckt hatte, erkundigte sich Kederbacher nach dem Sinn dieses Tuns, überlegen meinte er: „Dös hat alles koan Wert! D‘ Hauptsach is, daß i selber woaß, daß i droben war!“ Fast sprichwörtlich ist Kederbachers Beruhigungsformel vor mancher gewagten Fahrt geworden: „Wenn man nur woaß, wo der Berg steht!“ Alle drei Kederbacher-Söhne haben das Führerzeichen erworben, und besonders der älteste, der 1862 geborene Hans, machte seinem väterlichen Vorbild alle Ehre.Mit 17 Jahren autorisiert, mit 19 Jahren auf einem Viertausender — für einen Ramsauer nicht alltäglich! Bei dem erstklassigen Ruf — „völlig gleichwertig mit seinem Vater in dessen besten Tagen“, schrieb Capt. Farrar, mit dem er erstmals Pointe Farrar erklomm und in den Dolomiten Schmittkamin, Winklerturm und Rosengartenspitze-Ostwand kennenlernte — erübrigt sich eine lange Fahrtenliste. Er stand auf mehr als 40 verschiedenen Westalpenhäuptern, beispielsweise auf dem Matterhorn fünfmal. Nach einem Armbruch übernahm er 1905 das Watzmannhaus.

Dem jüngeren Kederbacher war nicht ein so friedlich-glücklicher Lebensabend beschieden wie seinem Vater. 1929 erlag er einem schweren, zehrenden Leiden.

Ein Nachbar,Kamerad und Weggefährte des alten Kederbacher war Johann Punz, als „Preißei“ weit bekannt. Die Einträge im Führerbuch des um acht Jahre Jüngeren beginnen 1861. Im nächsten Sommer lesen wir bereits Glöckner, Lochtenn, Wiesbachhorn und später Weißkugel, Ortler, Zillertaler und Rieserferner. Mehrmals begleitete er Prof. Richter wochenlang auf seinen „Gletscherbeobachtungen“: „War, wie immer, mit seiner Bescheidenheit und Geschicklichkeit sehr zufrieden. …“ 1888 nahmen Purtscheller und Dr. Diener den schneidigen „Preißei“ — ein Turist schrieb einmal „Punz aus Preußen“ auf drei Wochen mit ins Wallis. Von den 20 erstiegenen Gipfeln seien nur genannt: Matterhorn, Weißhorn, Montblanc de Seilon, Grand Combin usw. In seiner Bergheimat schaffte er sich durch Wiederholungen der Watzmann-Ostwandfahrt, Erstbegehung der Lochkalter-Ostflanke und Erkletterung des brüchigen Kleinen Palfelhorns — „ein eminenter Führer“, schrieb F. von Schilcher ins Buch einen guten Ruf. 1890 kam in der Wahmann-Ostwand die dunkle Stunde seines Daseins: Schöllhorn stürzte in die Randkluft. „Preißei“ litt seelisch sehr unter diesem tragischen Ünglück und konnte seine Leistungen vorher lesen wir noch Marltgrat bis zur Lälfte, Monte Disgrazia, Biancograt, Zinalrothorn nicht mehr überbieten. 1894 mußte er wegen eines Herz- und Lungenleidens dem Führerberuf entsagen, und 1907 schloß er seine weltmüden, einst so tatenfrohen Augen.

Welzenbachskala – Eine zeitgenössische Betrachtung der Schwierigkeiten beim Klettern

1923 von Wilhelm Welzenbach vorgeschlagen etablierte sich im Laufe der Zeit die heute übliche Bewertung der Schwierigkeit nach dem Prinzip „je schwieriger, desto höher“.
Aus der Welzenbachskala entstand über die Jahre 1947 und 1968 die heute gebräuchliche UIAA-Skala. In den Jahren 1977-1979 wurde die UIAA-Skala nach oben hin geöffnet.
 
UIAA I

Meist stark geneigtes Gelände, große Haltepunkte. Hier beginnt das Klettern.
Im Normalfall dienen die Hände der Stabilisierung, das Körpergewicht lastet vollständig auf den Füßen. Keine besonderen Anforderungen an Trainingsstand und klettertechnische Ausbildung.

UIAA II

Auch beim Schwierigkeitsgrad II gibt es noch keine gesteigerten Anforderungen an die Konstitution des Kletterers. Im allgemeinen handelt es sich um geneigtes Gelände mit großen Haltepunkten. Die Hände werden meist fortwährend zur Stabilisierung des Körpers eingesetzt.

UIAA III

Der dritte Schwierigkeitsgrad bietet bereits Kletterei im etwas steileren Gelände. Dennoch sind Kletterrouten in diesem Grad normalerweise noch nicht senkrecht, die Haltepunkte sind nach wie vor sehr groß.

UIAA IV

Normalerweise die Grenze dessen, was ungeübte, jedoch sportlich veranlagte Anfänger leisten können. Das Gelände ist meist leicht geneigt bis senkrecht, die Haltepunkte können in diesem Schwierigkeitsgrad auch schon weiter voneinander entfernt liegen. Hier beginnen auch die ersten Anforderungen an die Klettertechnik.

Zur Frage der Schwierigkeitsabstufung

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1927, S. 102

Zur Frage der Schwierigkeitsabstufung

Diese leidige Frage hat schon viel Nachdenken in zünftigen Kreisen verursacht und hat mit dem Massenandrang in die Berge, der seit Kriegsende eintrat, allgemeine Bedeutung gewonnen. Vergleiche zwischen einzelnen Bergfahrten zu ziehen und — wegen der einen oder anderen Stelle Aehnlichkeiten festzustellen, erschien mir persönlich seit jeher genau so lächerlich, wie etwa die familiären Behauptungen, daß der oder die, weil sie auch diesen oder jenen Charakterzug, oder dieselbe Absonderlichkeit (z. B. eine Warze auf der gleichen Körperstelle) habe, dem Onkel Kasimir oder der Tante Eulalia oder sonst einem Ur-Urahn ähnelt.

Zu meiner Zeit — als ich noch für einen schneidigen Bergsteiger galt — habe ich mich überhaupt nicht um derlei ausgeklügelte Unterscheidungen gekümmert, sondern, im Bewußtsein alpin-technisch gut beschlagen zu sein, mich an jene Bergziele herangemacht, die mich ästhetisch oder sportlich reizten. Dabei genügte es zu wissen — wenn dies überhaupt bekannt war! —, daß die betreffende Bergfahrt leicht, schwierig oder sehr schwer sei. Ueberstieg es die eigenen Kräfte, dann unterließ man es vernünftigerweise, denn die modernen, technischen Behelfe und Kniffe kannte man damals noch nicht!

Selbstverständlich galten diese Schwierigkeitsgrade immer nur relativ, also Kalkgebirge, Urgestein und Eis für sich betrachtet und bei Voraussetzung normaler Wetter- und sonstiger Verhältnisse. Als ich bei der Neuauflage des „Hochturist“ gezwungen war, eine Schwierigkeitsskala aufzustellen, — von der es in der Einleitung zu diesem Buche ausdrücklich heißt: „Die Stufen der Schwierigkeitsbestimmung können selbstverständlich kein absolut gültiges Urteil bedeuten; schon deshalb nicht, weil kein einzelner alles vergleichen kann, und selbst dies als möglich angenommen, nicht immer bei den Anstiegen die gleichen Verhältnisse herrschen. Daher ist es besonders schwer, Beispiele aus der Gletscherregion zu geben, wo sich die Verhältnisse von Tag zu Tag oft gründlicher ändern als im Felsbereich.

Aber sie werden einen ungefähren Maßstab bilden für die Beurteilung des eigenen Könnens und die Wahl des Zieles wie des Weges dahin begünstigen“ — da war es. mir im voraus klar, daß diese Aufstellung viel Anfeindung finden werde.

Außer persönlichen Anschauungen, kamen ja die „alpinen Schulen“ als Ganzes in Betracht, denn die „Münchner“, „Innsbrucker“, „Wiener“, „Grazer“ usw. — jede örtlich umgrenzte Alpinistengilde hat andere Vergleichsobjekte, andere Vergleichsgrundsätze. Die einen schwören auf die Leuchs’sche Kaiser-Skala, die andern lassen nur Pichl’s oder Benesch‘ Graduierung gelten, die dritten halten sich an Karwendelbegriffe usw. So vortrefflich jede dieser Ausstellungen für den gedachten, örtlich-beschränkten Zweck auch sein mögen, für alle ostalpinen Gruppen passen sie nicht.

Daher meine Versuche, sie diesem Bedürfnis anzupassen, wobei ich als selbstverständlich annahm, daß die Muster der einen Stufe immer nur mit den örtlich gleichartigen Mustern der anderen Stufen in Beziehung gebracht werden können, also Kalk mit Kalk, Urgestein mit Urgestein, Eis mit Eis, um nicht raumverschwendend drei gesonderte Tabellen aufstellen zu müssen.

Befriedigt war ich nicht; daher auch die Abänderung in den Bänden II und IV. Doch auch diese, im Verein mit maßgebenden Alpinisten zustande gekommene Aufstellung taugt meines Erachtens nicht für den „Hochturist“. Und darin hat mich nun eine zufällige Aussprache mit Dr. Josef Braunstein bestärkt, wobei ich von seinen im Druck erschienenen Betrachtungen über diese Frage Kenntnis erhielt.

Welch sonderbare Folgerungen selbst ein so scharfsichtiger Kritiker wie Dr. I. B. aus der 5 Stufigen Skala im „Hochturist“ zieht, ergibt sich z. B. aus dem Satze: „Da Glocknerwand und Glockner-NW-Grat beide bloß als „schwierig“ bezeichnet werden, müßte die Tur Glocknerwand bis Großglockner (über den NW-Grat) ebenfalls nur als „schwierig“ eingeschätzt werden, eine Unternehmung, die Welzenbach als „sehr schwierig“ klassifiziert und mit Weißhorn über den Schalligrat vergleicht.“ — Und doch haben wir beide recht; denn „schwierig“ plus „schwierig“ ist eben doppelt oder „sehr schwierig“ !

Es sei mir gestattet noch eine Frage zu stellen: Ist eine Tur, etwa in den Jütischen Alpen, die technisch mit dem Totenkirchl oder dem Kleinen Buchstein zu vergleichen wäre, nicht schwieriger als diese, wenn erst ein stundenlanger, wüster Anmarsch mit Sack und Pack zur Kletterei bringt?

Solche Erwägungen versuchte ich in den Schwierigkeitsstufen vergleichend zur Geltung zu bringen. Der Versuch ist mißglückt. Und diese Erwägungen bestärken mich nun in dem schon vorher gefaßten Entschluß, in Zukunft die Bergfahrten im „Hochturist“ einfach als «leicht“, „mittelschwer“, „schwierig“, „sehr schwierig“ und „äußerst schwierig“ zu bezeichnen und auf Vergleiche ganz zu verzichten.

Da der „Hochturist“ ausdrücklich bemerkt, daß er für den geübten Bergsteiger bestimmt sei, denn nur ein solcher soll führerlos Hochturen unternehmen, müssen diese fünf Stufen genügen, normale Verhältnisse vorausgesetzt.

Hans Barth, Wien

Hermann Lapuch und Kaspar Wieder – Die Eroberung des Riesenbandes

Zu den sehenswertesten Kletterrouten am Watzmann gehört die sogenannte Wieder-Route.

Vom Gletscher des Watzmanns aufsteigend traversiert man im Rahmen der Route auf einem ca. 300 Meter langen und ca. 40 Meter breiten Band, bevor man den auf der Mittelspitze endenden Anstieg in der Ostwand auf den Gipfel des Watzmanns klettert.

Das Salzburger Blatt vom 26.05.1920 berichtet über die am 24.05.1920 erfolgte Erstbegehung durch Lapuch und Wieder.

Salzburger Wacht, 26.05.1920

Erstbesteigung am Watzmann

Am 24. d. M. vollführten die Salzburger Alpinisten Herm. Lapuch und K. Wieder die erste Ersteigung der Watzmann-Mittelspitze über die Ostwand direkt von der Mitte des Watzmanngletschers aus.

Viel Schnee, Bereifung und Wasser gestalteten den Durchstieg sehr schwer und gefährlich. In späterer Jahreszeit wohl die großartigste Band- und Plattenkletterei in prächtiger Hochgebirgslandschaft. Kletterzeit 5 Stunden 20 Minuten. Wandhöhe reichlich 600 Meter. Ausstieg knapp südlich des Gipfelkreuzes, 2713 Meter.

Entwicklungsphasen des Alpinismus

Albert Hirschbichler, in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Rekordhalter für die schnellste Begehung der Watzmann Ostwand auf dem Berchtesgadener Weg in 2 Stunden – 10 Minuten und 12 Sekunden, gibt hier einen interessanten Abriss über die Entwicklung des Alpinismus unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in den Berchtesgadener Alpen.

Das von Hirschbichler präsentierte Phasenmodell unterteilt sich in 5 Epochen. Innerhalb der Berchtesgaden prägenden Epoche  identifiziert er seilschaftsbasierende Subphasen.

1.) Die Epoche des PräalpinismusVon den Anfängen bis zur Erstbesteigung des Mont Blanc 1786

2.) Die Epoche des frühen AlpinismusVon der Erstbesteigung des Mont Blanc bis zur Gründung der alpinistischen Organisationen 1857-69

3.) Die Epoche des klassischen AlpinismusVon der Gründung der alpinen Vereine 1857/69 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

4.) Die Epoche des modernen AlpinismusErste Hälfte des 20. Jahrhunderts; die „letzten Probleme“ in den Alpen und modernes Klettern

5.) Der zeitgenössische Alpinismus – Von der Ersteigung des ersten Achttausenders 1950 bis in die Gegenwart

 

Der moderne Alpinismus im Berchtesgadener Land

1900-1920: Berchtesgadener Kletterpioniere
Die 20er Jahre – Josef Aschauer, kühne Routen im V. Grad ohne Haken
Die 30er Jahre – Die Seilschaft Hinterstoisser/Kurz eröffnet Routen im VI. Grad