Aus dem hinteren Eisbachtal auf die Südspitze – W. von Frerichs und R. von Below

Im September 1900 war Wilhelm von Frerichs am Watzmann besonders aktiv. In wechselnder Seilschaft gelangen ihm eine Reihe von Erstbegehungen.

22. September 1900 – Watzmann-Südspitze, 2712 in (neue Route ü. d. Südostwand , 1. Erst. aus d. hinteren Eisbachthal) – R. von Below, Dr. Wilhelm von Frerichs.

„Vom unteren Ende der Eiskapelle in der blockerfüllten Schlucht des Eisbachthals aufwärts. Von dem Südgrat der Südspitze löst sieh in ca. 2500 m eine südöstlich verlaufende Rippe. Sie endet mit einem auffallenden, tief ins Eisbachthal vorspringenden Felszacken, dem sog Kirchl. Um dies herum und über einen kurzen Dolomitabsatz auf das untere einer Reihe breiter, die unteren Partien der Südflanke der Rippe durchziehenden Grasbänder. Das Grasband schräg rechts (nordöstlich) verfolgend zur Kante der Rippe und nach links (südlich) auf ein höheres Grasband (An. 1350 m, 2 ½ Std. v. d. Eiskapelle). Von diesem durch eine brüchige DoIomitrinne wieder auf die Kante der Rippe und einen Abbruch mittels schwieriger Traversen von rechte (nördlich) her erkletternd auf ein sich um die Rippe ziehendes Band. Dies nach linke (südlich) bis zu seinem Abbruch verfolgend und weiter, über brüchigen Fels traversierend, zu schwärzlichen Plattenwänden. Ueber diese hinauf (Kletterschuhe, einmal Steigbaum). Diese Plattenwände bilden den unteren Absturz einer Rinne, welche weiter verfolgt und dann über sehr glatte, steile Platten nach rechts verlassen wird, um die Kante der Rippe wieder zu erreichen. Diese wird etwas oberhalb einer Scharte betreten, welche ein auffallender, aus der Rippe vorspringender Felskopf bildet. (Diese Scharte wurde am 7. IX. 1900 durch G. Leuchs und W. von Frerichs von Norden her erklettert) Weiter über die sich verflachende Rippe (nördlich der am 7. IX. eingeschlagenen Route). Nahe dem Südgrat nötigt die Felsbildung, wieder nach links (südlich) abzubiegen und durch einen sehr schwierigen Kamin den Grat wieder zu erreichen. Der erste rötliche Turm des Südgrats wird durch einen überhängenden Kamin erklettert, der zweite über eine exponierte Platte an der Ostecke. Die nächsten beiden Absätze sind gut passierbar und. bald darauf wird die Südspitze erreicht. 12 Std. incl. Rasten. Die Schwierigkeiten sind ungefähr dieselben wie die der gewöhnlichen Route, jedoch intensiver, so an dem Kamin unter dem Grat und an den Türmen des Südgrates. Die unteren Partien sind hochgradig steingefährlich.“

Georg Leuchs und Wilhelm von Frerichs – Ein neuer Weg auf die Südspitze

Im Jahresbericht 1899/1900 des Akademischen Alpenvereins München findet sich der Tourbericht einer von Georg Leuchs und Wilhelm von Frerichs durchgeführten Erstbegehung in der Ostwand des Watzmanns.

Leuchs und Frerichs berühren dabei Teile des Jahrzehnte später eröffneten Berchtesgadener Weg, kletten die Wasserfallplatte von unten und streifen den Bereich der Rampe unter der gelben Wand.

7. September 1900

Watzmann-Südspitze, 2712 m (neuer Aufstieg aus dem Eisthal) – Dr. Wilhelm von Frerichs, Georg Leuchs.

„Da, wo sich der Lawinenkegel der „Eiskapelle“ zu einer Zunge verschmälert., welche in die zum bisherigen Aufstieg dienende Schlucht hinaufzieht, mündet in den von der Schönfeldschneid abfallenden Wänden eine Rinne, welche – von unten betrachtet – sich als heller Streifen verfolgen lässt, der sich in flachem Bogen mit der Konvexität nach rechts oben bis in die Nähe der Schönfeldschneid erstreckt. (Diese nur scheinbar ununterbrochene Rinne kreuzt unsere Anstiegsroute in dem unten erwähnten Kar.) Weiter links mündet zur Eiskapelle eine zweite Rinne. Zwischen diesen beiden Rinnen, näher der linken, gelang schwierig die Ueberschreitung der Randkluft (ca 990 m). Nach kurzer Kletterei über splitterigen Dolomit gelangten wir auf steiles Grasterrein und stiegen über dasselbe, sowie über zwischengelagerte plattige Schrofen gerade aufwärts; ca. 850 m über dem Einstieg erreichten wir ein schutterfülltes Kar. Rechts hinten ist eine mächtige gelbweisse Wand; rechts von derselben springt ein Sporn in das Kar vor. Unsere Absicht war, auf diesem Sporn, der auch einige Latschen trägt, emporzuklettern, bis es möglich wäre, nach links unter der gelben Wand durchzutraversiren auf eine Plattenflucht oberhalb der Steilstufen, welche den Hintergrund des Kares abschliessen. Wir stiegen auf dem Sporn ziemlich gerade empor, anfangs über gut gestuften Fels, dann über steiles, grasdurchsetztes, unzuverlässiges Geschröfe von zunehmender Schwierigkeit. Ca. 140 m über dem letzten Latschenkopf auf dem Sporn, da wo eine Rinne beginnt (ca. 1740 m), welche, rechts von der gelben Wand eingeschnitten, zu einem mächtigen – von unten nicht sichtbaren – Plattenband emporführt und vermutlich auch den Weiterweg vermitteln würde, konnten wir leicht die beabsichtigte Traverse nach links auf einem etwas absteigenden Bande ausführen. Auf der Plattenflucht stiegen wir wiederum in im allgemeinen gerader Richtung empor und durchkletterten nun die mächtige Wand, welche über dem linken Teil der Platten sich aufbaut. Von den Platten weg in einem Winkel der Wand einsteigend (ca. 1900 m), gelangten wir nach kurzer Kletterei aufwärts auf ein System von Bändern und Gesimsen, die wir nach links verfolgten (Kletterschuhe !), bis wir eine 50 m hohe Kaminreihe trafen, welche in die senkrechte Wand eingeschnitten ist. Der unterste dieser sehr schwierigen flachen Kamine liess sich von links her umgehen, die übrigen wurden durchklettert. (Ende der Kamine ca. 1975 m.) Nun wieder eine 60 m lange Traverse nach links zu einer mässig geneigten Platte. Ueber derselben folgten fünf kurze, aber teilweise überhängende, von schmalen Absätzen unterbrochene Wandstufen, welche in Äusserst schwieriger Kletterei erstiegen wurden, die letzte mit Hilfe eines Mauerhakens. (Ende der Wandstufen ca. 2060 m.) Leichtere Grasschrofen leiteten dann nach rechts aufwärts in eine Rinne, durch welche wir relativ leicht in eine Einsattlung (ca. 2200 m) hinter einem Felskopf gelangten, der als oberster Punkt der durchkletterten Wand anzusehen ist. Von hier aus steht der Weg zum Grat offen; ebenso könnte man wohl auf den Schichtenbändern nach rechts abwärts die alte Route in ihrem obersten Teil erreichen. Am besten hält man sich indes wohl schief nach rechts aufwärts direkt gegen den Gipfel der Südspitze. Wir kletterten im allgemeinen gerade empor und erreichten, schliesslich noch durch einen sehr schwierigen Kamin, die Schönfeldschneid, ca. 250 m unter dem Gipfel. Wegen der vorgerückten Zeit mussten wir davon abstehen, den Grat zu verfolgen; wir traversierten daher auf den obersten Rand des Schönfelds und erreichten auf der Wimbachroute den Gipfel.

Königssee ab 2 Uhr 50 Min., Bartholomä 3 Uhr 50 Min Felseneinstieg 5 Uhr 45 Min., Kar 6 Uhr 50 Min., Einstieg in die Steilwand 10 Uhr 50 Min., Einsattlung 3 Uhr 20 Min , Schönfeldschneid 6 Uhr, Gipfel 7 Uhr, Watzmannhaus 9 Uhr 30 Min. Die Tour dürfte von Bartholomä bis zur Südspitze eine mittlere Zeitdauer von 12 Stunden excl. Rast erfordern; die Schwierigkeiten sind grossenteils denen der bisherigen Route gleich, übertreffen sie jedoch stellenweise bedeutend, namentlich in der Steilwand nach der Plattenflucht, welche sich indes vielleicht nach links umgehen lässt. (Die Angaben über rechts und links verstehen sich im Sinne des Anstiegs.)“

Wilhelm von Frerichs – Ode an die Ostwand

Die Ostwand.

Die Ostwand des Großen Watzmanns ist unstreitig die großartigste seiner Fassaden. Topographisch betrachtet zerfällt sie in zwei scharf gesonderte Teile : Der nördliche entragt dem Watzmanngletscher und fußt auf dem Nordabhange des mächtigen Anbaues, der sich in Gestalt der Watzmannkinder und des Kleinen Watzmanns unterhalb der Mittelspitze aus dem Massiv loslöst. Die relative Höhe dieses Abschnittes, vom Scheitel des Grates Hocheck — Mittelspitze bis zum Geröll und dem schmutzigen Firn des Watzmanngletschers gemessen, schwankt zwischen 500 und 600 m. Auffallende Schichtbänder durchziehen diese durch Glätte und Schroffheit gekennzeichnete Wand. Der südliche Teil der Ostwand zeigt gewaltigere, riesenhafte Dimensionen. Mehr als 1900 m mißt der Absturz vom Kreuz der Mittelspitze bis zum Geröll des Eisbachtales, bis zum gewölbten Gletschertor der Eiskapelle.

Von dem Winkel der anstoßenden Südwand der Watzmannkinder bis zu einer großen, aus dem Südgrat der Schönfeldspitze sich lösenden Rippe reicht die eigentliche Ostwand. Schon eine oberflächliche Betrachtung lehrt, daß der Charakter ihrer Struktur ein mannigfaltiger ist und daß sie sich ungezwungen von oben nach unten in drei Zonen zerlegen läßt, deren jede ein anderes Gepräge zeigt.

Den Unterbau bilden die ungeschichteten Massen des Ramsaudolomites. Sie zeigen wechselnde Neigung, bald ungangbare Abbrüche, bald weniger jähe Böschungen, welche teilweise mit Graswuchs bedeckt sind, letztere namentlich in der Fallinie unter der Südspitze.

Darüber lagert ein in gleichmäßiger Schroffheit das ganze Massiv durchsetzender Mauergürtel, der, aus Dachsteinkalk bestehend, keine von weitem wahrnehmbare Schichtung besitzt; seine Höhe ist eine wechselnde, im Durchschnitt vielleicht 300 m betragend. In der Mitte der Ostwand dagegen vereinigt sich sein Steilabfall mit den darunterliegenden Abbrüchen des Sockels zu einer Wand von gewaltiger Ausdehnung, Diese Zone bildet, auf welcher Route man auch die Besteigung unternimmt, das Haupthindernis der Tour.

Der oberste Abschnitt ist ausgezeichnet durch die stark ausgeprägten parallelen Linien der Schichten des Dachsteinkalkes, die sanft nach Süden ansteigen. Es finden sich zahlreiche Bänder, unter ihnen namentlich im unteren Teil der Zone einige von beträchtlicher Breite und nur wenig unterbrochenem Verlauf. Da die Schichten nach Nordosten einfallen, so hat die Oberfläche eines solchen Bandes meist die Gestalt einer schräg nach außen abfallenden Platte. Neben steilen Wänden, die absatzlos die Schichtung nur an der Färbung erkennen lassen, finden sich auch einige eingerissene Rinnen, unter denen besonders diejenige erwähnenswert ist, welche ungefähr in der Mitte des Grates, nahe der Stelle, wo sich die Mittelspitze aus ihm steiler erhebt, mündet. Diese Rinne wird von den Partien benützt, welche von der Eiskapelle unter Vermeidung der Schönfeldspitze dem Hauptgipfel zustreben.

Zu erwähnen sind noch einige größere Terrassen, die zum Teil karartig in die Wand eindringen: eine solche befindet sich ziemlich senkrecht unter der Mittelspitze und trennt hier die unterste Zone von der mittleren. Ihr bergwärts ansteigender Boden ist meist das ganze Jahr hindurch von Lawinenresten bedeckt, die abschmelzend den Übertritt auf die Felsen der mittleren Wandstufe erschweren.

Ferner befinden sich unter der Südspitze in drei Stockwerken übereinander liegende Einbuchtungen, von denen namentlich die unterste zu den am wenigsten steilen Flächen der Wand gehört, während über dem höchsten Kar der erwähnte mittlere Mauergürtel sich besonders glatt und jäh aufrichtet.

Die Ostwand biegt an der als ihr Ende bezeichneten Rippe nach Süden um und verläuft in die Südostwand, welche, vom Südgrat begrenzt und dem Verlauf des steil ansteigenden Eisbachtales folgend, eine nach Süden stets abnehmende Höhe zeigt. Ihre oberen Teile fallen durch gewaltige Plattenpanzer auf, die tieferen Regionen gehören dem Gebiet des bröckeligen Dolomits an und sind abwechselnd bald sanfteren, bald wilden Charakters. An der Südseite der großen Rippe ist  eine Schlucht eingefügt, welche nach oben in Wände verläuft.

Der erste, der es wagte, über diese unwegsamste Seite des Watzmanns sich den Pfad zu suchen, war der talentvolle Ramsauer Führer Joseph Berger, Hermann von Barths Begleiter auf den Grundübelhörnern. Er wählte zur Erkletterung den niedrigeren nördlichen Teil der Ostwand. Gemeinschaftlich mit Kederbacher führte er im Jahre 1868 A. Kaindl und J. Pöschl vom Gletscher auf die Mittelspitze.

Diese Tour ist fast in Vergessenheit geraten. Erst 32 Jahre später wurde sie durch Georg Leuchs, Otto Schlagintweit und den Verfasser wiederholt.

Wer im Watzmannhause übernachtet, um die Mittelspitze vom Gletscher aus zu erklimmen, sieht sich in die unangenehme Lage versetzt, am anderen Morgen einen nicht unbeträchtlichen Teil der bereits erlangten Höhe wieder aufzugeben. Bis zur Falzalm muß er zurück und von dieser auf dürftigem Steige hinuntersteigen zum block- und latschenbedeckten Boden der Watzmannscharte, fast 400 m unterhalb der Unterkunftshütte. Dies ist die große Schattenseite des schönen Weges, die sich jedoch vermeiden läßt, wenn man auf die Annehmlichkeiten eines Nachtlagers in dem Watzmannhause verzichtet und entweder vom Tal aus aufbricht oder in der gut eingerichteten Hütte der Mitterkaseralm die Nacht verbringt. In diesem Falle kann man ohne nennenswerten Höhenverlust den die Mitterkaseralm mit der Kührointalm verbindenden Weg bis zum Beginn des Kars zwischen dem Großen und dem Kleinen Watzmann benutzen. Dann freilich gilt es noch einen kleinen Kampf mit Krummholz und Felstrümmern, ehe man das Eis des Watzmanngletschers betreten kann. Über Firnhalden und herausgeaperte Platten strebt man dem Grate zu, welcher das Massiv der Mittelspitze mit den Watzmannkindern verbindet. Diesem folgt man ein kurzes Stück aufwärts, um ihn zu verlassen, bevor er sich mit ungangbaren Steilstufen der Ostwand anschließt. Ein Schichtband erlaubt den Übertritt auf die Südseite des Grates und leitet weiter zu den Felsmauern des Massivs. Einige Schritte auf dem plattig abfallenden, mit rutschenden Blöcken bedeckten Bande, und man steht mit einem Schlage mitten in der wilden Einöde der großen Wand. Aus gewaltiger Tiefe klingt das verschwommene Rauschen des Eisbaches, schimmert der Schnee der Eiskapelle, nach oben türmt sich Absatz auf Absatz hoch empor zum Gipfelkreuz der Mittelspitze, während rings erdrückend hohe Wände den Blick beengen. Es ist dies der eindrucksreichste Augenblick der Besteigung. Man folgt dem Bande, bis es durch eine tiefe Schlucht abgeschnitten wird, welche, in den Gipfelkörper eingerissen, sich bis zur Spitze hinanzieht. An der Kante der die Schlucht begrenzenden Seitenwände klettert man höher hinauf zu einem Schärtchen hinter einem Felskopf, gekennzeichnet  durch eine gelbe Felsplatte, die durch Regen- und Schmelzwasser seltsam zersägt ist. Von hier aus kann man auf dem Gesimse einer Schichtfläche in die Schlucht selbst hineinqueren und an deren rechter Seitenwand, höher oben meist in ihr selbst, unmittelbar zum Gipfel gelangen.

Vom Watzmannhause ausgehend, wird man – die Rasten nicht eingerechnet – nach ungefähr 4 ½  Stunden die Mittelspitze betreten. Die Kletterei ist von mittlerer Schwierigkeit; der Einblick in die Felsbildung der Ostwand ist großartig.

Das schönste Problem am Watzmann zu lösen, blieb Kederbacher Vorbehalten : die Durchkletterung der Riesenwand von der Eiskapelle aus.

Am Peter- und Paulstag des Jahres 1881 wurde der erste Versuch gemacht.

Mit Preiß und den Herren Pöschl und Wairinger aus Wien (Mündliche Angabe von Kederbacher und Preiß) verließ er St. Bartholomä ½ 2 Uhr morgens. Sein Plan war der: Zunächst sollte über die Südwand der Watzmannkinder der Gletscher und von diesem aus auf dem vom Jahr 1868 her bekannten Wege die Mittelspitze erreicht werden. Zunehmende Schwierigkeiten sowie ein Gewitter zwangen die Expedition unverrichteter Dinge umzukehren. Die durch den Regen entfesselten Steinfälle brachten auf dem Rückwege manche Gefahr. Erst 7 Uhr abends wurde St. Bartholomä wieder erreicht. Preiß erzählte mir, er halte auf der versuchten Route ein Durchkommen nicht für möglich.

Im selben Jahre noch gelang es der Energie Kederbachers, die schwierige Aufgabe zu lösen. Eine eingehende Rekognoszierung von der Saletalm und vom Eisbachtale aus hatte den leitenden Faden in dem ungeheuren Felschaos gezeigt. Am 6 . Mai führte er Otto Schück aus Wien auf die Mittelspitze.

Eine kurze Schilderung der Route in großen Zügen ist vielleicht am Platze; die vielen Einzelheiten können hier freilich nicht berücksichtigt werden.

Das erste Ziel ist das kleine Kar unter der Mittelspitze (Siehe Seite 305) das mit einem Ausweichen nach rechts (nordöstlich, in die Südwände der Watzmannkinder) erklettert wird, da der direkte Anstieg zu schwer, vielleicht nicht möglich sein würde. Wenn die Randkluft der Eiskapelle es gestattet, steigt man am besten vom obersten Ende des Schnees in die Felsen ein und klettert nach rechts schräg aufwärts, bis man den Beginn glattgescheuerter Wasserrinnen erreicht. Ist im Herbst die Kluft oben unpassierbar, so betritt man die Felsen vom unteren Beginn der Eiskapelle aus und hält sich dann etwas mehr links, um zu den Rinnen zu gelangen. Durch die rechtsgelegene (östliche) Schlucht klettert man schwierig auf und quert dann nach links hinüber in das Kar, das man oberhalb seines Beginnes betritt (unteres Ende ca. 1400 m). Das Kar verfolgt man aufwärts bis zu seinem Abschluß durch den Felswall des mittleren Mauergürtels, überschreitet die Randkluft, erklettert einige Platten und eine sehr steile Wand, um so in eine schräg nach rechts (Norden) hinaufziehende Schlucht zu gelangen. Die Erkletterbarkeit dieser Rinne und ihrer Absätze ist sehr von den Schneeverhältnissen abhängig; sie scheint zu Zeiten, wenn die Schneereste stark abgeschmolzen sind, nicht möglich zu sein.

In die Wände zur Linken (südlich) münden die drei untersten Bänder der oberen Zone.

Über die Platten und Wände der Schlucht dringt man vor bis zu einer Nische unter einem großen Überhang (ca. 1700 m). Hier verläßt man die große Rinne und wendet sich, südlich in etwas absteigender Richtung querend, den mittleren der erwähnten Bänder zu — das erste bricht mitten in der Wand ab — und verfolgt dieses, wobei man gleich anfangs ausgesetzt über sehr glatten Fels queren muß. Durch ein natürliches Felstor kann man das nächsthöhere Band erklimmen und sucht nunmehr die oben besser gestuften Felsen zu erreichen, wobei in den ausgedehnten, die Orientierung erschwerenden Wänden manche Variante möglich ist. Am besten wird man vorwärts kommen, wenn es gelingt, in eine aus der tiefsten Scharte des Hauptgrates herabziehende Rinne zu gelangen. Will man direkt zur Südspitze aufsteigen, so kann man auch das schmaler und luftiger werdende Band weiter benützen, bis es abbricht und sich 8 m tiefer fortsetzt. Man läßt sich am Seile hinab und quert weiter zu einer Rinne, an deren rechten Begrenzungswänden man hinaufklettert, um schließlich den Hauptgrat nördlich der Schönfeldspitze zu betreten.

Zur Würdigung der Tour und ihrer Schwierigkeit will ich Purtschellers Worte anführen: „Die Erklimmung des Großen Watzmanns von St. Bartholomä gehört zu den bedeutendsten und interessantesten Besteigungen, die im Bereich der Ostalpen ausgeführt werden können. Würden die Berge Berchtesgadens dem eigentlichen Hochgebirge beizuzählen sein und der Sockel des Gebirges um einige hundert Meter höher liegen, so könnte man diese Besteigung unzweifelhaft mit den größten Hochtouren in der Schweiz, in den italienischen Alpen und im Dauphine vergleichen.“ Ich glaube, daß diese Sätze auch heute noch die Erklimmung „dieser wohl höchsten durchkletterten Felswand der Alpen — 1800 m Kletterterrain —“ trefflich kennzeichnen. Gerade die lange Dauer der Arbeit, die fortgesetzt zu überwindenden, mehr oder minder großen Schwierigkeiten, die nicht immer leichte Orientierung, sowie schließlich die — im Vergleich mit einer kürzeren Tour — gesteigerte Gefahr eines Wetterumschlages rücken in mancher Beziehung diese Bergfahrt in eine Linie mit Schweizer Hochtouren und erheischen ein größeres und vielseitigeres Maß alpinen Könnens, als etwa eine durchweg sehr schwere, aber  kurze Dolomittour. Alle diese Faktoren zwingen dazu, die Ostwand des Watzmanns als sehr schwierig zu bezeichnen, obschon sich bedeutendere Schwierigkeiten nur an einigen Punkten des mittleren Mauergürtels vorfinden. Starkes Abschmelzen des Schnees oder durch die Verhältnisse bedingtes Abweichen von der gewöhnlichen Route vermehren natürlich die Hindernisse um ein sehr beträchtliches.

Von der Eiskapelle aufbrechend, wird man im allergünstigsten Falle acht Stunden bis zum Gipfel brauchen; im Durchschnitt wird der Zeitaufwand elf bis zwölf Stunden betragen, und befindet sich der Berg in schlechtem Zustande, noch erheblich mehr. (So brauchten Erwin Hübner und der Verfasser am 15. Juni 1896 vom Einstieg bis zur Südspitze ­16 Stunden, da sie die Wände über dem Kar wegen herabstürzender Wassermassen auf neuem, schwierigerem Wege erklettern mußten. Albrecht von Krafft, Wilhelm Teufel und Frau Friedmann benötigten von einem Biwak zwischen der Eiskapelle und dem Kar mehr als 14 Stunden bis zum Grat, wo sie durch ein Gewitter zu einem zweiten Freilager gezwungen wurden. Diese Ersteigung verteilt sich auf den 3., 4. und 5. August 1896.)

Steinfall ist leider stets zu befürchten, doch ist die Gefahr bei trockenem Wetter keine sehr dringende.

Ein Versuch Purtschellers, mit Kederbacher am 28. Oktober 1883 das Unter Unternehmen ­zu wiederholen, mißglückte. Alle Angriffe auf die Steilwände der großen Rinne blieben, da die Schneereste fast ganz geschwunden waren, erfolglos.

Zwei Jahre darauf, am 12. Juni 1885, führte ihn Preiß in der verhältnismäßig kurzen Zeit von elf Stunden von St. Bartholomä aus auf die Südspitze, ohne vorher durch Rekognoszierung sich mit der ihm unbekannten Route näher vertraut gemacht zu haben. Purtscheller zollt seinem wackeren Führer warmes Lob.

Der dritte Tourist auf diesem Wege war Gottfried Merzbacher, der in den oberen Partien einen abweichenden, schwierigeren Weg einschlug. Ihn begleiteten Kederbacher und Preiß, da Kederbacher, der das Mißlingen des mit Purtscheller unternommenen Versuches dem Fehlen eines dritten Mannes zuschrieb, die Tour nur noch in Gesellschaft eines zweiten Führers machen wollte.

(Die erste führerlose Begehung der Ostwand gelang Albrecht von Krafft und Ernst Platz im Sommer 1895. Am 15. Juni 1896 fanden Erwin Hübner und der Verfasser eine Abweichung vom gewöhnlich benutzten Wege auf, indem sie die Erkletterung der mittleren Zone in den Wänden nördlich der großen Rinne durchführten, diese überschritten und so das oberste der drei großen Bänder erreichten. Diese Route hat den Vorzug, über reinen Fels zu führen und nur in Bezug auf die Randkluft des Kars vom Schnee abhängig zu sein.)

Das Jahr 1890 brachte wieder einen Versuch, der mit dem Untergang eines ausgezeichneten Bergsteigers, Christian Schoellhorns, endete. Er verlor auf den Platten über dem kleinen Kar den Halt und stürzte in die 70 m tiefe Randkluft zwischen Schnee und Fels.