Aus dem hinteren Eisbachtal auf die Südspitze – W. von Frerichs und R. von Below

Im September 1900 war Wilhelm von Frerichs am Watzmann besonders aktiv. In wechselnder Seilschaft gelangen ihm eine Reihe von Erstbegehungen.

22. September 1900 – Watzmann-Südspitze, 2712 in (neue Route ü. d. Südostwand , 1. Erst. aus d. hinteren Eisbachthal) – R. von Below, Dr. Wilhelm von Frerichs.

„Vom unteren Ende der Eiskapelle in der blockerfüllten Schlucht des Eisbachthals aufwärts. Von dem Südgrat der Südspitze löst sieh in ca. 2500 m eine südöstlich verlaufende Rippe. Sie endet mit einem auffallenden, tief ins Eisbachthal vorspringenden Felszacken, dem sog Kirchl. Um dies herum und über einen kurzen Dolomitabsatz auf das untere einer Reihe breiter, die unteren Partien der Südflanke der Rippe durchziehenden Grasbänder. Das Grasband schräg rechts (nordöstlich) verfolgend zur Kante der Rippe und nach links (südlich) auf ein höheres Grasband (An. 1350 m, 2 ½ Std. v. d. Eiskapelle). Von diesem durch eine brüchige DoIomitrinne wieder auf die Kante der Rippe und einen Abbruch mittels schwieriger Traversen von rechte (nördlich) her erkletternd auf ein sich um die Rippe ziehendes Band. Dies nach linke (südlich) bis zu seinem Abbruch verfolgend und weiter, über brüchigen Fels traversierend, zu schwärzlichen Plattenwänden. Ueber diese hinauf (Kletterschuhe, einmal Steigbaum). Diese Plattenwände bilden den unteren Absturz einer Rinne, welche weiter verfolgt und dann über sehr glatte, steile Platten nach rechts verlassen wird, um die Kante der Rippe wieder zu erreichen. Diese wird etwas oberhalb einer Scharte betreten, welche ein auffallender, aus der Rippe vorspringender Felskopf bildet. (Diese Scharte wurde am 7. IX. 1900 durch G. Leuchs und W. von Frerichs von Norden her erklettert) Weiter über die sich verflachende Rippe (nördlich der am 7. IX. eingeschlagenen Route). Nahe dem Südgrat nötigt die Felsbildung, wieder nach links (südlich) abzubiegen und durch einen sehr schwierigen Kamin den Grat wieder zu erreichen. Der erste rötliche Turm des Südgrats wird durch einen überhängenden Kamin erklettert, der zweite über eine exponierte Platte an der Ostecke. Die nächsten beiden Absätze sind gut passierbar und. bald darauf wird die Südspitze erreicht. 12 Std. incl. Rasten. Die Schwierigkeiten sind ungefähr dieselben wie die der gewöhnlichen Route, jedoch intensiver, so an dem Kamin unter dem Grat und an den Türmen des Südgrates. Die unteren Partien sind hochgradig steingefährlich.“

Georg Leuchs und Wilhelm von Frerichs – Ein neuer Weg auf die Südspitze

Im Jahresbericht 1899/1900 des Akademischen Alpenvereins München findet sich der Tourbericht einer von Georg Leuchs und Wilhelm von Frerichs durchgeführten Erstbegehung in der Ostwand des Watzmanns.

Leuchs und Frerichs berühren dabei Teile des Jahrzehnte später eröffneten Berchtesgadener Weg, kletten die Wasserfallplatte von unten und streifen den Bereich der Rampe unter der gelben Wand.

7. September 1900

Watzmann-Südspitze, 2712 m (neuer Aufstieg aus dem Eisthal) – Dr. Wilhelm von Frerichs, Georg Leuchs.

„Da, wo sich der Lawinenkegel der „Eiskapelle“ zu einer Zunge verschmälert., welche in die zum bisherigen Aufstieg dienende Schlucht hinaufzieht, mündet in den von der Schönfeldschneid abfallenden Wänden eine Rinne, welche – von unten betrachtet – sich als heller Streifen verfolgen lässt, der sich in flachem Bogen mit der Konvexität nach rechts oben bis in die Nähe der Schönfeldschneid erstreckt. (Diese nur scheinbar ununterbrochene Rinne kreuzt unsere Anstiegsroute in dem unten erwähnten Kar.) Weiter links mündet zur Eiskapelle eine zweite Rinne. Zwischen diesen beiden Rinnen, näher der linken, gelang schwierig die Ueberschreitung der Randkluft (ca 990 m). Nach kurzer Kletterei über splitterigen Dolomit gelangten wir auf steiles Grasterrein und stiegen über dasselbe, sowie über zwischengelagerte plattige Schrofen gerade aufwärts; ca. 850 m über dem Einstieg erreichten wir ein schutterfülltes Kar. Rechts hinten ist eine mächtige gelbweisse Wand; rechts von derselben springt ein Sporn in das Kar vor. Unsere Absicht war, auf diesem Sporn, der auch einige Latschen trägt, emporzuklettern, bis es möglich wäre, nach links unter der gelben Wand durchzutraversiren auf eine Plattenflucht oberhalb der Steilstufen, welche den Hintergrund des Kares abschliessen. Wir stiegen auf dem Sporn ziemlich gerade empor, anfangs über gut gestuften Fels, dann über steiles, grasdurchsetztes, unzuverlässiges Geschröfe von zunehmender Schwierigkeit. Ca. 140 m über dem letzten Latschenkopf auf dem Sporn, da wo eine Rinne beginnt (ca. 1740 m), welche, rechts von der gelben Wand eingeschnitten, zu einem mächtigen – von unten nicht sichtbaren – Plattenband emporführt und vermutlich auch den Weiterweg vermitteln würde, konnten wir leicht die beabsichtigte Traverse nach links auf einem etwas absteigenden Bande ausführen. Auf der Plattenflucht stiegen wir wiederum in im allgemeinen gerader Richtung empor und durchkletterten nun die mächtige Wand, welche über dem linken Teil der Platten sich aufbaut. Von den Platten weg in einem Winkel der Wand einsteigend (ca. 1900 m), gelangten wir nach kurzer Kletterei aufwärts auf ein System von Bändern und Gesimsen, die wir nach links verfolgten (Kletterschuhe !), bis wir eine 50 m hohe Kaminreihe trafen, welche in die senkrechte Wand eingeschnitten ist. Der unterste dieser sehr schwierigen flachen Kamine liess sich von links her umgehen, die übrigen wurden durchklettert. (Ende der Kamine ca. 1975 m.) Nun wieder eine 60 m lange Traverse nach links zu einer mässig geneigten Platte. Ueber derselben folgten fünf kurze, aber teilweise überhängende, von schmalen Absätzen unterbrochene Wandstufen, welche in Äusserst schwieriger Kletterei erstiegen wurden, die letzte mit Hilfe eines Mauerhakens. (Ende der Wandstufen ca. 2060 m.) Leichtere Grasschrofen leiteten dann nach rechts aufwärts in eine Rinne, durch welche wir relativ leicht in eine Einsattlung (ca. 2200 m) hinter einem Felskopf gelangten, der als oberster Punkt der durchkletterten Wand anzusehen ist. Von hier aus steht der Weg zum Grat offen; ebenso könnte man wohl auf den Schichtenbändern nach rechts abwärts die alte Route in ihrem obersten Teil erreichen. Am besten hält man sich indes wohl schief nach rechts aufwärts direkt gegen den Gipfel der Südspitze. Wir kletterten im allgemeinen gerade empor und erreichten, schliesslich noch durch einen sehr schwierigen Kamin, die Schönfeldschneid, ca. 250 m unter dem Gipfel. Wegen der vorgerückten Zeit mussten wir davon abstehen, den Grat zu verfolgen; wir traversierten daher auf den obersten Rand des Schönfelds und erreichten auf der Wimbachroute den Gipfel.

Königssee ab 2 Uhr 50 Min., Bartholomä 3 Uhr 50 Min Felseneinstieg 5 Uhr 45 Min., Kar 6 Uhr 50 Min., Einstieg in die Steilwand 10 Uhr 50 Min., Einsattlung 3 Uhr 20 Min , Schönfeldschneid 6 Uhr, Gipfel 7 Uhr, Watzmannhaus 9 Uhr 30 Min. Die Tour dürfte von Bartholomä bis zur Südspitze eine mittlere Zeitdauer von 12 Stunden excl. Rast erfordern; die Schwierigkeiten sind grossenteils denen der bisherigen Route gleich, übertreffen sie jedoch stellenweise bedeutend, namentlich in der Steilwand nach der Plattenflucht, welche sich indes vielleicht nach links umgehen lässt. (Die Angaben über rechts und links verstehen sich im Sinne des Anstiegs.)“

REDAPA @ Watzmann – Auf der Spur der Rampe unter der gelben Wand (3/5)

Im Bergsteiger des Jahres 1952 erfolgte nun eine Reaktion von Max Gruber aus München auf den Bericht von Paul Bernett.

Bergsteiger, 1952, Seite 11

Walzmann-Ostwand.

Am 27. August 1949 stieg ich mit meinem Sektionskameraden Max Hintermeier in die Watzmann-Ostwand ein, um den Berchtesgadener Weg zu begehen. Wir kamen jedoch zu weit nach links und stiegen auf der nunmehr Im „Bergsteiger“, Heft 12/1951, beschriebenen Rampenroute empor. Der von den Herren Bernett und v. Schlebrügge erwähnte Abseilhaken wurde von mir im Aufstieg zur Sicherung geschlagen. Wegen schweren Gepäckes erreichten wir das Rampenende erst bei einbrechender Dämmerung, wo wir biwakierten. Bevor wir uns über den Weiterweg schlüssig gemacht hatten, sahen wir auf dem Salzburger Weg zwei junge einheimische Kletterer und sodann fünf ältere Nürnberger nahe bei uns heraufkommen. Mit den Nürnbergern waren wir gemeinsam auf dem Gipfel. Diesen gegenüber bemerkten wir, daß wir eine Variante zum Berchtesgadener Weg gemacht hätten. Es war uns damals noch nicht klar, mit diesem Aufstieg ein Problem gelöst zu haben. Der ausführlichen Routenbeschreibung der Herren Bernett und v. Schlebrügge im ,,Bergsteiger“, Sept. 1951, S. 103, habe ich nichts hinzuzufügen. Die außerordentliche Brüchigkeit des Gesteins erfordert äußerste Vorsicht.

Fritz Gruber, Sekt. München DAV.

REDAPA @ Watzmann – Auf der Spur der Rampe unter der gelben Wand (2/5)

Die beiden grundsätzlichen Optionen am Ende der Rampe sind

  1. südlich zum Pfeiler und darüber Aufstieg zum Südgrat
  2. nördlich im Abstieg auf den Berchtesgadener Weg

Bernett berichtet nun im Bergsteiger aus dem Jahre 1951 über eine Tour mit von Schlebrügge aus dem Jahre 1951 welche in der Option 2 ausgeführt worden ist.

Bergsteiger, 1951

Neutouren

Watzmann-Ostwand. Direkte Durchkletterung der „Rampe unter der gelben Wand“ (Paul Bernett und Hans v. Schlebrügge an 15. Juli 1951).

Im linken, südlichen Teil der Wand sieht man von Bartholomä unter der Verlängerung des ersten Bandes links der Gipfelschlucht eine steile Rampe, die unter einer auffälligen, gelben Wand parallel der Rampe des Berchtesgadener Weges von links unten nach rechts aufwärts zieht. Sie nimmt ihren Anfang in dem Kessel am oberen Ende der großen Rinne., deren rechte Begrenzung der Berchtesgadener Weg anfangs benützt. Die Rampe endet südlich der Gipfelschlucht auf der Verlängerung des ersten Bandes. Über diese „Rampe unter der gelben Wand“ führt der Anstieg.

Zunächst auf dem Berchtesgadener Weg bis in Höhe des oberen Wasserfalles. Jetzt wendet man sich nicht nach rechts zur Berchtesgadener Rampe, sondern steigt über leichtes Gelände aufwärts bis zu dem Beginn der „Rampe unter der gelben Wand“. Zunächst leicht, am besten auf ihrer rechten Begrenzung, da hier der Fels fester ist, dann schwieriger über steile Wandeln in schöner Kletterei mehrere Seillängen hinauf, bis sich die Rampe mehr zusammenschnürt und man um oder über eine kleine, sehr splittrige Wandstufe zu einer auffälligen gelben Gufel gedrängt wird, wo sich die Rampe mit der gewaltig überhängenden; gelben Wand verschneidet.

(Hans v. Schlebrügge und Usch Himmighoffen hielten sich 1949 bei der vermutlich ersten Begehung der Rampe ungefähr eine Seillänge mehr rechts und stiegen im wesentlichen am Rande der Rampe empor, bis sie im oberen Drittel zu dem später erwähnten 10-m-Riß gedrängt wurden. Die Kletterei in schönem, meist festen Fels ist leichter als die Rampenverschneidung.)

Nun immer in der gelben Rampenverschneidung zu einem Abseilhaken eines früheren Versuches. Etwa eine Seillänge stets auf ihrem Innenrand weiter, bis sich dieser Teil der Rampe steiler aufbäumt. Der Aufschwung endet oben in einem auffälligen, glatten, etwa halbmeterbreiten, hellen, ins ersten Teil überdachten Band. Unter ihm an spärlichen Griffen aus der inneren Verschneidung rechts heraus und nach wenigen Metern gerade über eine kleingriffige Wandstelle empor. Nun auf festeren Fels über Wandln und Bänder, sich rechts haltend weiter, bis sich die Rampe wieder mehr zusammenschnürt, auf ein bequemes Band. Von seiner linken Hälfte leitet ein 10-m-Riß zu einem kleinen Geröllfleck, und über den folgenden kurzen, überhängenden Kamin erreicht man einen guten Standplatz vor einer kleinen Höhle am innersten Rampenrand. Über den überhängenden und bemoosten Riß mit Seilzug (die bei der ersten Begehung gewählte Aufwärtsquerung über die glatte Wand rechts davon ist schwerer) auf ein kleines Band, das man einige Meter nach rechts verfolgt. Nun über Wandstellen und grasdurchsetzte Bänder erst gerade hinauf, dann rechts zu dem die Rampe abschließenden Seitengrat. Gut gestufter, steiler Fels führt auf die Fortsetzung des ersten Bandes. Am besten auf ihm etwa zwei Seillängen absteigend zum Beginn der Gipfelschlucht und durch sie zum Hauptgipfel.

Höhe der Rampe etwa 400 m. Überaus schwierig, V. Innerer Teil der Rampe brüchig. Schlechte Sicherungsmöglichkeiten. Benötigte Kletterzeit etwa 8 Stunden. Der Weg stellt höhere Anforderungen als der Salzburger Weg. Landschaftlich besonders eindrucksvoll.

 

Lothar Patera – Gratwanderung von Ost nach West

Der Schüler Ludwig Purtschellers bevorzugte Grat- und Kammwanderungen sowie die Kombination von vielen Gipfeln. Im September 1895 gelang ihm eine bemerkenswerte Tour am kleinen Watzmann und den beiden folgenden Watzmannkindern.

ÖAZ, 1899, S. 157

Berchtesgadener Alpen

Kleiner Watzmann (2304m) mit Abstieg zur Labelscharte, Watzmannkinder (Punkt 2244 Alpenvereinskarte, I. Gratübergang zu Punkt 2230, II. Erst., P. 2165).

1. September 1895.

Ich verliess Zill hei Hallein 5h früh, kam 6h 30m nach Berchtesgaden, 7h 45m nach Ilsank und stieg von dort auf angenehmen Waldwegen zur Schappbachalm hinan (9h-9h 45m). Eine Zeitlang benützte ich noch einen kleinen Fahrweg, dann wandte ich mich direct durch Wald dem Kederbichel zu und erreichte über die Gratschneide fortkletternd ohne besondere Schwierigkeiten die Spitze des Kleinen Watzmannes (1h -2h). Indem ich mich anfangs etwas links (südöstlich) hielt, kletterte ich über die verwitterten Schrofen der steilen Südwand und durch jähe, mit losem Schutt gefüllte Rinnen hinab und traversierte weiter unten nach rechts zur Labelscharte (3h 3om – 4h), die inmitten einer grandiosen Felsscenerie gelegen ist. Ueber hohe Felsabsätze und Risse erklomm ich nun das östlichste Watzmannkind (Punkt 2244), ohne hiebei ein Drahtseil, das dort für die Treiber befestigt sein soll, anzutreffen (4h 30m). Der Anblick der schroffen Spitzen und Felswände des Watzmannes, der anderen Gebirgsstöcke ringsum, sowie insbesondere des tief unten liegenden, grünlich schimmernden Königssees ist wahrhaft erhaben und einzig. Da ich Lust hatte, noch einige Gipfel zu ersteigen, so versuchte ich den noch nicht ausgeführten, fast unmöglich scheinenden Abstieg über die jäh abstürzende Westwand zu forcieren. Ein schmaler Kamin, der sich unterhalb verflachte, nahm mich auf, nach dessen Bezwingung Risse und kleine Vorsprünge mit mehr als dürftigen Griffen den zwar kurzen, aber hervorragend exponierten Abstieg zur Scharte zwischen den beiden „Kindern“ 2244 und 2230 vermittelten. Von der Gletschermulde aus dürfte man wohl schwerlich direct hieher gelangen können. Auf den Punkt 2230 geht es von hier bequem über Geröll und Felsrippen (5h-5h 15m). Nach Westen bricht auch dieses „Kind“ in wilden Wänden ab, und nur eine Gratschneide ermöglicht das Hinabkommen, wobei es an pikanten Stellen nicht fehlt. So ist z. B. eine im Grate liegende, schräg abgedachte Platte nicht anders als durch „Hangeln“ zu überwinden, indem man mit den Händen den südlich über den Abgrund hinausragenden Rand erfasst und, die Füsse auf der anderen Seite in die Luft baumeln lassend, sich fortschiebt. Von der Scharte bestieg ich noch den unschwierigen Punkt 2165 (5h 45m-6h), stieg dann über die Schappbachalm nach Ramsau (9h) hinunter und marschierte noch bis zum Hintersee (10h), wo ich bei der Sedanfeier bis 1h tanzte und nach kurzer Rast zur Besteigung der Grundübelhörner aufbrach.

Rose Friedmann – Eine Frau gewinnt die Ostwand

ÖAZ, 1896, S. 218

Tourenberichte

Salzburger und Berchtesgadener Alpen

Watzmann von der Eiskapelle (Südostwand).

Frau Rose Friedmann aus Wien (als erste Dame), Herr Ingenieur Wilhelm Teufel aus München und meine Wenigkeit haben diese Tour am 3., 4. und 5. August ausgeführt. Mit Rücksicht auf die ungewöhnliche Länge der Tour ging unsere Absicht dahin, durch ein Bivouac im ersten Drittel der Wand, d. h. auf der breiten Terrasse unterhalb der schwierigsten Stelle, die Leistung auf zwei Tage zu vertheilen. Ein Träger, den wir ans Berchtesgaden mitnahmen, sollte Pelzdecken und sonstige Bivouacausrüstung zur Terrasse schaffen und von dort wieder zurückbringen. Gleich im Anfange unseres Aufstieges von der Eiskapelle, am Abende des 3. August, erwies sich jedoch zu unserem nicht geringen Missvergnügen der Träger als unfähig, die in den unteren Partien der Wand noch unschwierigen Felsen ohne Seilhilfe zu erklettern, und es war sofort klar, dass der Mann am nächsten Morgen bis auf den Schnee hinab begleitet werden musste. Dieser Umstand bewog uns, viel tiefer als geplant, nämlich schon ½ St. oberhalb der Eiskapelle unser Freilager zu beziehen. Während der Nacht vom 3. auf den 4. August trat wiederholt Regen ein. Am frühen Morgen des 4. August jedoch hatten sich die Wolken wieder verzogen, und das Wetter blieb bis gegen Abend gut. Um 4h 30m früh geleitete ich unseren ängstlichen und unsicheren Träger bis zur Eiskapelle hinab; bald nach 5 h brachen wir auf. Nach etwa 3 St. war die grosse Terrasse erklettert. Die reichen Massen von Lawinenschnee, die am Fusse einer vorn Mittelgipfel herabziehenden Rinne lagen, waren durch breite, unüberschreitbare Randklüfte von den Felsen getrennt; nur an einer Stelle füllten eingestürzte Firnschollen die tiefe Kluft und bildeten eine groteske, leidlich sichere Brücke. Es folgte sofort die schwierigste Stelle des ganzen Anstieges, eine circa 20 Meter hohe, plattige Wand, die nur mit Kletterschuhen zu bewältigen ist. Das Gepäck muss an dieser Stelle aufgeseilt werden.

Ein breites Band führt nach links in die grosse Rinne; nunmehr hält sich der Weg an diese selbst, sie ist überall durch Lawinen und rinnendes Wasser glatt gescheuert und ausgewaschen. An ihrem oberen Ende öffnet sich nach: links ein Ausweg auf ein breites, ziemlich steil nach Süden ansteigendes Band, welches fast in seiner ganzen Breite an einem Absturze quer abgeschnitten ist. Der so gebildete vorspringende Erker ist wie geschaffen zum Rastplatze. Das Gestein ist mit Graspolstern überzogen, in nächster Nähe findet sich Wasser; der Blick hinab auf das idyllische Bartholomä und ein kleines Stück Königssee mit den langsam dahinziehenden Kähnen ist reizend schön. Fortwährend rollte das Echo der auf dem See abgegebenen Pistolenschüsse durch die Wände rings um uns.

Die schmale Fortsetzung des abgebrochenen Bandes wurde weiter nach Süden verfolgt bis zu einem zweiten Abbruche, über dem um eine Ecke herum eine schwierige Traversirstelle zu passiren ist. Wiederum wird das Band etwas breiter, wir verfolgten es noch eine Strecke von circa 10 Metern und stiegen dann in gerader Richtung durch theilweise mit Schnee erfüllte Rinnen gegen den Grat zwischen Südspitze und Mittelgipfel auf. Die Schwierigkeiten verringern sieh hier bedeutend, doch sind die Felsen immer noch glatt und Kletterschuhe, wenngleich entbehrlich, doch angenehm. Zwischen den beiden Gipfeln schneidet eine Scharte tief in den Grat ein; dieser steuerten wir zu. So nahe sie schien, vergingen doch Stunden, bis wir sie erreichten. Ein Gewitter, das um 5 h von Südwest über den Watzmann herüberzog, brachte uns für kurze Zeit Regen, ohne uns jedoch zu einer Unterbrechung der Kletterei zu zwingen. Es war 7 h vorbei, als wir endlich etwas nördlich der erwähnten Scharte auf den Grat gelangten. Da wurden wir eines zweiten Gewitters ansichtig, das vom Hochkalter gegen uns heranflog. Eilends folgten wir dem schwach ausgeprägten Felsensteige, der, zweimal absteigend und zweimal wieder die Höhe des Grates erklimmend, von der Scharte zum Mittelgipfel führt. War auch die Zeit schon sehr vorgerückt, so hofften wir doch an diesem Tage das Watzmannhaus noch zu erreichen, sei es auch erst bei Nacht. Heftiger Regen durchnässte uns in kurzer Zeit, und das bekannte, fatale Summen der Pickel wurde hörbar. Ich streckte einmal zufällig den Zeigefinger aus, uns auf den Mittelgipfel zu deuten, und siehe da, auch mein Finger liess das unheimliche Sausen vernehmen. Rasch entschlossen legten wir die Pickel ab und eilten weitet. Blendend hell fuhren die Blitze durch den verfinsterten Abendhimmel; von krachendem Donner begleitet. Mit einem Male verbreitete sich um uns eine blendende Helle: eine elektrische Feuerkugel lief dicht bei uns über die Felsen, kein Donner folgte der gespenstischen Lichterscheinung. Die Gefahr, vom Blitz erschlagen zu werden, trat zu den übrigen Schrecken, mit denen die Natur uns verfolgte. Da blieb nichts Anderes übrig, als mit grösster Beschleunigung eine Felsenhöhle aufzusuchen. Erst um 10h nachts verzog sich das Gewitter. Bei der vollständigen Finsterniss, die nunmehr herrschte, war an ein Weitergehen nicht zu denken. Nach sieben langen Stunden kam endlich der Tag zurück. Am 5. August holte ich im ersten Morgengrauen die abgelegten Pickel, um 5h früh standen wir bei klarem Wetter auf der Mittelspitze des Watzmanns. Eben erglänzten die Eisberge der Hohen Tauern im Morgenroth. Um 6 h 30m früh trafen wir auf dem Watzmannhause ein, von Kederbacher begrüsst, der uns in herzlichen Worten zum Gelingen unseres Aufstieges gratulirte und insbesondere Frau Friedmann freundlich beglückwünschte.

A. v. Krafft

Hans Feichtner – Spuren am Watzmann

Die Österreichische Alpenzeitung berichtet über zwei Touren von Hans Feichtner am Watzmannstock aus dem Jahre 1919.

Von Hans Feichtner (+) wurden 1919 noch folgende neue Turen (allein) ausgeführt:

Watzmannjungfrau. Südwestkante. Erste Ersteigung, am 5. August 1919.

Vom schneeigen Sattel östlich des Westlichen Kindes schwach rechts über steile, schrofige Felsen knapp an der Südwestkante schwer hinauf auf ein schmales Band. Auf ihm rechts zur Kante. Nun dicht an der Kante, einmal südlich knapp rechts von ihr durch einen Riß, dann wieder an der Kante vollends zum Gipfel. (100 Meter, ½ bis 1 Stunde.)

Kleiner Watzmann. Südwestgrat. Erster Aufstieg, vermutlich am 5. August 1919.

Aus der Watzmannscharte, immer der Gratkante folgend, bis zum überhangenden Abbruch. a) Derselbe wird schwach rechts der Kante durch einen Riß sehr schwer und anstrengend überwunden. Oder b) knapp links der Kante durch einen links schräg aufwärts führenden Riß sehr schwer und anstrengend hinaus. Nun wieder an der Kante weiter bis zum plattigen Gipfelabbruch. Unter diesem kurzer Quergang nach links und über eine plattige, rinnenartige  Verschneidung zum südlichen Vorgipfel und über den Grat zum Hauptgipfel.

Georg von Kaufmann und Beda Hafen – Über die Rampe unter der gelben Wand zum Gipfel

WATZMANN-OSTWAND

Ein schöner Durchstieg südlich der Gipfelschlucht

Von Georg von Kaufmann

Es gibt viele Bergsteiger, die mit Klettergelüsten einer vergangenen Entwicklungsperiode der Klettertechnik anhängen, einer Zeit, die den Felshaken als selten gebrauchtes Sicherungs- und Rückzugsmittel betrachtete und die noch keine akrobatischen Fähigkeiten zur Bezwingung von Felswänden verlangte. Diese Kletterfreunde müssen mit Bedauern feststellen, daß alle Fahrtenberichte über Neutouren in Stellen des fünften und sechsten Schwierigkeitsgrads schwelgen, und daß die Kletterfahrten alten Stils, die sich mit den Schwierigkeitsgraden III und IV bescheiden, fast keinen Zuwachs erfahren. Zumindest werden solche Fahrten nicht mehr der Veröffentlichung für wert befunden; denn Pioniere in scheinbar unbekannten Wandteilen finden sich immer wieder, und es gibt kaum eine Felsritze, die nicht schon auf Brauchbarkeit zum Klettern untersucht worden wäre. Das gilt auch von den Wänden und Türmen der Watzmann-Ostwand. Besonders ihr südlicher Teil hat es mir seit Jahren angetan mit dem gewaltigen Südostgrat, der sich links der Gipfelschlucht zur Höhe türmt. Das viele Herumsteigen und Suchen in dieser Wandgegend, das, Berichten im „Bergsteiger“ (September und November 1951) nach, noch mehrere Leute beschäftigt hat, ließ sich schließlich zu einem Durchstieg großzügiger Art und direkter Linienführung verbinden. Aus dem Bild auf Seite343 läßt sich die Route unschwer erkennen. Die Führe wird alle Liebhaber großzügiger Kletterfahrten voll befriedigen, denn sie verbindet wahren Klettergenuß in großartiger, ernster Felslandschaft (Schwierigkeit nicht über IV) mit einzig schönen Ausblicken. Allerdings hat die Fahrt drei Nachteile, die nicht verschwiegen werden sollen: Das Gestein ist, namentlich an den leichteren Stellen, brüchig und oft schuttbedeckt, die Kletterei ist sehr lang — zehn bis zwölf Stunden von der Eiskapelle — und der Ausstieg ist nicht am Gipfel der Südspitze, sondern etwa 30 Minuten unterhalb am Schönfeldgrat. Andererseits ist der Weg leicht zu finden, und man hat immer wieder Gelegenheit, auf leichtere Wege hinüberzuqueren.

Die herrlichen Herbsttage des Septembers 1951, die manche Entschädigung für den verregneten Sommer brachten, gaben Freund Beda Hafen und mir Gelegenheit, den Durchstieg erstmalig zusammenhängend auszuführen. Wir sind erst mit dem Vormittagsschiff nach Bartholomä gefahren und haben somit von vorneherein bei dem sicheren, warmen Herbstwetter ein Biwak im mittleren Teil der Wand ins Auge gefaßt. Die Kletterausrüstung bestand nach alter Väter Sitte in 30 Meter Seil und einigen wenigen Haken, von denen wir nur zweimal zu Sicherungszwecken Gebrauch machten. Der Weg zur Eiskapelle, von dem noch Noe in seinen Alpenbeschreibungen schwärmt, sieht aus wie ein Volksfestplatz nach dem Schlußtag. Die Massenwanderungen der Autobusbesucher am Königssee haben ihre argen Spuren hinterlassen. Die Butterbrotpapiere und Zigarettenschachteln lassen sich bis hoch auf den Eiskegel hinauf verfolgen. Dann beginnt auf einmal die Einsamkeit und das Wegsuchen. Im neuen Zeller-Führer ist der „Berchtesgadener Weg“, den wir verfolgen wollen, fälschlich in der Falllinie des großen Südostkars eingezeichnet. Man tut besser daran, das Steiglein links des Eises zu verfolgen, das, mehr oder weniger ausgetreten, ohne Steinfallgefahr, in mehreren Schleifen nach Süden ausbuchtend, das Kar erst oberhalb der Abbrüche erreicht. Wir stellen auf Grund der jährlich steigenden Benutzung dieses Steiges fest, daß der Berchtesgadener Weg immer mehr begangen wird. Die Aussprache hierüber bringt uns auf das naheliegende Thema „Biwakschachtel in der Ostwand“: Wir empfinden diese feste Unterkunft als eine Profanierung. Was der Wand in unserer heutigen klettertüchtigen Zeit allein noch den Nimbus wahrt, ist die Weite des Weges, die Verlassenheit am Gipfel. Das Wagnis — ob die Zeit reicht für den Durchstieg, ob die Kräfte langen, ob das Wetter hält — ist an der Wand das Große, Abenteuerliche. Ein Glück, daß das Schachtelungetüm am Südgrat oben aufgestellt und damit die eigentliche Wand vor einem Familienhotel bewahrt wurde.

Unter solcherlei ketzerischen Reden — wir sind beide „Bayerländer“ — haben wir den Fuß der Südostwand erreicht. Bald zweigt der „Münchner Weg“ nach rechts ab, später auch der „Berchtesgadener Weg“, während wir die alte Richtung zum obersten Karwinkel beibehalten. Hier scheint die Kletterwelt zu Ende, und man ist baß erstaunt, daß man im obersten Winkel nach rechts eine verhältnismäßig leichte Möglichkeit des Weiterkommens findet. Der Tourenbericht im „Bergsteiger“, September 1951, Chronik, Seite 103*, enthebt mich einer genauen Wegbeschreibung. Vielleicht darf hinzuge-ügt werden, daß man den obersten Karwinkel auf einem Band von links nach rechts gewinnt, dann aber nicht zur gelben Wand weiter vordringt, sondern über den Vorbau nach rechts in Plattenrinnen und über Steilschrofen an Höhe gewinnt. Die Verschneidung der gelben Wand mit dem Vorbau erreicht man erst bei der untersten auffallenden Höhle, und es empfiehlt sich, sie hier wie weiter oben immer wieder nach rechts zu verlassen. Jedenfalls hat man ein Gefühl der Befreiung, wenn man der gelben Wand und der Verschneidung entronnen ist. Man steht dann auf einmal in friedlichem Schuttgelände am Ende eines riesigen Bandes, das sich leicht begehbar nach Norden zur Gipfelschlucht absenkt. Etwas links über sich erblickt man den Beginn des gewaltigen Felsgrates, über den die Route weitergeht. Wir entdeckten wenige Meter über unserem Ausstieg einen verlockenden, steilen Kamin, der senkrecht zum nächsten Band hinaufleitet, und hielten es für nicht schwierig, über dieses Band den Grat zu erreichen; aber wir hatten berechtigte Bedenken, ob sich da oben im Steilgelände ein würdiger Biwakplatz finden ließ. Das Biwak in der warmen Herbstnacht hatten wir uns schon in den schönsten Farben und Stimmungen ausgemalt, und wir hatten vor, es feierlich zu begehen und auszukosten. Das beglückende Erlebnis der Kriegsnächte unter dem Sternenhimmel des Balkans, Kretas oder Italiens — eine der wenigen schönen Erinnerungen an die heimatfernen Kampfzeiten — sollte wieder Auferstehung feiern. So wählten wir mit Vorbedacht eine geräumige, weit offene Höhlung etwas unter unserem Standplatz mit entzückendem Tiefblick auf den Königssee als Schlafgemach. Es zeigte sich zwar in den folgenden Stunden, daß die überschwengliche Erinnerung an selige Sternennächte die Härte der steinigen Unterlage und einen gewissenTemperaturrückgang gegen die Morgenstunden weitgehend außer acht gelassen hatte, aber wir konnten doch nach dem Aufstehen in der Morgendämmerung, alles zu-sammengenommen, von einem genuß- und eindrucksvollen Erleben sprechen. Der vorerwähnte Kamin, dessen Durchsteigung den neuen Klettertag eröffnete, zeigte sich als nicht ganz einfach. Er dürfte die schwerste Stelle der ganzen Tour bedeuten. Allerdings blieb uns beim Aufseilen der Rucksäcke das Seil stecken, und es ist ja bekannt, daß derlei unangenehme Zwischenfälle nicht nur zu einer falschen Einwertung, sondern sogar zu einer Verbitterung gegen gewisse Kletterstellen führen können. Genau umgekehrt verhielt sich dann der Grat. Er beeindruckte uns mit schauerlichen Abstürzen und Türmen bis zum Verzagen und zeigte dann Immer wieder lächelnd ein Falte in seinem vielgliederigen Aufbau, in dem ein leichtes Fortkommen möglich war. Zum größten Teil liegen diese Möglichkeiten links des Grates (südlich). Nur einmal muß die Gratkante selbst über einen schwierigen Zacken erstiegen werden. Nach längerem Emporturnen voll freudiger Überraschungen und schönster Ausblicke geht der Grat zu Ende, das heißt er geht über in eine sehr steile, abweisende Wand, Als wir vor Jahren zum erstenmal an dieser Stelle standen, hat mich der ganze Ernst der Ostwand erfaßt: Die unterste Wandstufe war durchsetzt von rostigen Haken; gerissene Seilschlingen und ausgewaschene, gefranste Seilenden hingen über den schwarzen Fels. In dem steilen Gratgelände unter der Wand waren mühsam kleine Steinmauern errichtet worden, mehr ein Werk der Verzweiflung als des Schutzes. Ob sich hier eine schwierige Bergung abgespielt hat oder ob die Wegunkundigen, die in der Gipfelschlucht vom Normalweg nach links abgeirrt sind, hier an der schweren Wand die Bitternis der späten Umkehr aufgezwungen erhielten, ich weiß es nicht. Aber es ging mir ein beengender Schauer durchs Herz, den ich in der freien Wand auf eigenen Wegen so gar nicht kenne und der immer verbunden ist mit Menschen und Menschenwerk — und sei es nur ein rostiger Haken — im Fels. Es ist wie ein unterbewußtes Ahnen, daß der Mensch im felsigen Steilgelände in einen ihm nicht zugehörigen Lebensraum vordringt, eine wohlgemeinte natürliche Hemmung, die unsere klassischen Vorfahren als göttliches Verbot auslegten. — Nachdem verbotene Früchte immer die besten sind, läßt sich trotz dieser kletterabträglichen These die Leidenschaft der Klettergilde gut erklären. Diesmal hat das Wandstück für uns leider den abenteuerlichen Reiz der Neuheit verloren. Während wir damals ruhelos in größter Spannung und angesichts der vielen Rückzugsbaken mit wenig Hoffnung ins Unbekannte vorstießen, hatten wir nunmehr Muße, bei einer ausgiebigen Brotzeit die einzigartige Aussicht zu genießen sowie auch weniger wertvollen Empfindungen, wie dem reichlich warmen Sonnenschein oder den durchgekletterten Fingerspitzen, Beachtung zu schenken. Wir wissen ja: Eine halbe Seillänge links abwärts geht es über einen Felsblock und ein kurzes Band unschwierig zum Einstieg in eine Kaminreihe, die ziemlich weit südlich der gratverlängernden Kante senkrecht aufwärts führt. Es macht einem hier nur noch die Länge der Kletterei, weiter oben auch das brüchige Gestein zu schaffen; die technischen Schwierigkeiten sind nicht erheblich. Endlich ist dann der Südgrat erreicht. Wer auf dem Normalweg durch die Ostwand als sportgestählter Schirennläufer der überwundenen Höhe nicht achtet und von einem „Spaziergang“ spricht, der kann sich auf dieser kletterreichen Route wieder einen Eindruck davon holen, was 2000 m Wand bedeuten. Wir jedenfalls beschließen zunächst, uns an der Biwakschachtel hinzusetzen und uns am Regenwasser des dort befindlichen Eimers zu laben, bevor wir den Gipfel ganz ersteigen. Aber die Biwakschachtel ist weg. Sie steht nicht mehr an ihrem letztjährigen Platz unter dem obersten Schönfeldgrat. Frische Schleifspuren weisen nordöstlich hinunter in die Wand—Richtung Massiger Pfeiler*. Ein wenig Bitternis ist noch in mir am Gipfel. Aber der klare Herbsttag ist viel zu schön, als daß die Trauer um die zerbrochene Reinheit und Würde der Wand die Oberhand behalten könnte. Wir preisen den September als Bergsteigermonat im allgemeinen und den September 1951 im besonderen: So weit, so klar haben wir den ganzen Sommer noch von keinem Gipfel geschaut. Auch der Durst wird noch gelöscht, im Abstieg, an der Quelle im „Schönen Feld“. Voll wie selten ergießt sie sich über unsere erhitzten Glieder — ein herrliches Labsal nach Stunden der Entbehrung.

 

Der Stanzl und das Siegesfeuer

Nachdem Frankreich im Mai 1871 geschlagen war rollte wohl eine Welle des Patriotismus durch das neue Reich. Auch am Watzmann setzte man, bereits nach dem Sieg bei Sedan, Anfang 1871 ein leuchtendes Siegeszeichen.

Amthor – Der Alpenfreund – Band 3

Miszellen aus der Alpenwelt

Auch eine Siegesfeier!

Wer zählt die verschiedenen Arten von Kundgebungen nationaler Freude und Begeisterung, die in den letzten Wochen „von den Alpen bis zum Belt“ stattgefunden haben? Ist dieß auch nicht die Aufgabe des Alpenfreunds, so kann dieser doch nicht unterlassen, zu registriren, wie ein paar bayerische Aelpler in der Freude ihres deutschgesinnten Herzens das Siegesfest begangen haben. Die Bergführer Stantzl und Hölzl in Berchtesgaden führten den von ihnen gefaßten kühnen Entschluß, auf der beeisten Spitze des Watzmanns eine deutsche Fahne aufzustecken und ein Freudenfeuer anzuzünden, am 2. Februar aus. Jedes deutsche Herz muß ein solches Opfer und Wagniß um solche Jahreszeit mit Bewunderung und Freude erfüllen. Aber leider gibt es in unserm Bayerlande, wie allgemein bekannt, eine Klasse von Menschen, die, sich „Patrioten“ nennend, der Pfaffenherrschaft das engere und weitere Vaterland, König und Kaiser gerne zum Opfer bringen möchten. Ist ihnen auch die Aussicht zur Ausführung dieses „patriotischen“ Vorhabens, Dank den Ereignissen der letzten Monate, für immer entschwunden, so suchen sie doch öffentlich und im Geheimen durch Wort und Schrift auf alle mögliche Weise die Verdienste von Kaiser und König, von Heerführern und Soldaten zu bekritteln und zu verkleinern, ja die Freudenfeste mit ihrem Koth zu bewerfen. Auch unsere wackern Aelpler mußten sich direkt und indirekt von dieser saubern Species Dinge über ihre exquisite Siegesfeier sagen lassen, die sie tief kränkten. Sie faßten deßhalb nachstehende Schilderung ab, um deren Aufnahme wir ersucht wurden. Wir haben uns keinerlei Aenderung der Fassung erlaubt, geben vielmehr das für die Leser des Alpenfreunds interessante Schriftstück verbo tenus, da wir die schlichten, für die deutsche Sache begeisterten Alpensöhne in ihrer unverfälschten Sprache zum Wort kommen lassen wollen.

„Da von der Besteigung des Watzmann, welche ich am 2. Februar 1871 unter Begleitung des wackern Bergführers Hölzl unternommen hatte, mir verschiedenes Gerede zu Ohren kommt, und Einige es für eine Unmöglichkeit halten und meinen, das Feuer, welches wir Abends auf der 9000 Fuß hohen Spitze anzündeten, sei uns vom Himmel gefahren, Einige glauben, ich sei von den preußisch Gesinnten aufgehetzt worden, wieder Andere, ich habe so und so viel Geld verlangt oder bekommen, so sehe ich mich veranlaßt, dem verehrten Publikum und Freunden des Bergbesteigens der Wahrheit gemäß folgenden Thatbestand zu erklären. „Ich, Johann Ilsanker, einfach genannt der Bergführer Stanzl, wurde geboren den 27. December 1816. Seit meinem 12. Lebensjahre bin und war ich im Sommer immer auf den Bergen, Anfangs als Hüterbube, dann als Holzarbeiter, später als Edelweißpflücker und Fremdenführer; durch öftere und glückliche Besteigung aller Berge habe ich mir die Gunst der Herrschaften in einem solchen Grade erworben, daß noch jetzt in meinen alten Tagen eine große Nachfrage nach mir ist. „Wer mich persönlich kennt, muß sagen, daß ich von schwacher Statur bin, und getraue mir selber nicht zu behaupten, ob 40 Pfund Fleisch an mir sind; aber mein Lebtag, Gott sei Dank, weiß ich keine Stunde von einer Krankheit. Ich habe in meinem Leben viele Unternehmungen bestanden, wo sich Jedermann wunderte, wie ich es leisten konnte; ich will nur der Kürze halber einige vom Watzmann bemerken. Im Jahre 1867 war ich von Berchtesgaden aus in 14 Stunden zwei Mal vom Watzmann hin und zurück gekommen; im Jahre 1868 war ich vom 9. bis 15. August 6 Tage nacheinander mit Herrschaften auf die Spitze des Watzmann gekommen, und mußte auch noch allerhand Gepäck tragen; im Jahre 1869 bestieg ich in 26 Stunden drei Mal hin und zurück den Watzmann; auch war ich gewiß zehn Mal bei Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang auf dieser Spitze; und es gibt keine Stunde in der Nacht, wo ich nicht auf diesen Felsen kletterte; also wird Jedem begreiflich sein, daß mir jeder Tritt und Schritt so bekannt ist, wie zu meinem Nachbarshause. Vor zwei Jahren war ich mit zwei Herren aus dem Wiener Alpenclubverein auf dem Watzmann: sie würden so um Weihnachten, sagten sie, zu mir kommen, und da müßte ich mit ihnen den Watzmann besteigen, sind aber nicht gekommen, – aber der Wunsch blieb in meinem Herzen, bei besonderer Gelegenheit möchte ich ihn auch im Winter ein Mal besteigen. Und richtig, die passendste Gelegenheit war jetzt gekommen; jedes deutsche Herz muß staunen und bewundern die herrlichen Siege unserer tapfern Armee, muß sich erfreuen, ein Mal ein einiges Deutschland zu erhalten, das Herz muß sich zu allerhand Unternehmungen begeistern, wenn es bedenkt, die fast von allen fünf Welttheilen gefürchtete Nation ist zu Boden geworfen, auf den Wällen weht die deutsche Fahne, die Aussicht auf einen ehrenvollen Frieden ist vorhanden. Einzig und allein diese Begeisterung hat auch mich dazu veranlaßt, eine deutsche Fahne auf die eisige Spitze des Watzmann aufzustecken und ein Sieg – und Freudenfeuer anzuzünden ! „Ich brach früh Morgens um 8 Uhr nach dem Gottesdienste auf, mit Brennmaterial versehen, welches meistens aus Pech bestand, an der Seite mein getreuer Begleiter, und wir erreichten Abends 5 Uhr diese Spitze, um halb 6 Uhr loderte, zur Freude aller Bewohner Berchtesgadens. der goldene Schimmer der Feuerflamme hoch empor; gleich darauf wurde der Rückweg angetreten und um halb 10 Uhr Nachts sind wir wieder in Berchtesgaden angekommen. Am beschwerlichsten zu besteigen war er von der Stubenalpe bis zur Gugelalpe, die Entfernung dieser zwei Alpen beträgt im Sommer 1/2 Stunden, der Schnee war zwischen 3 und 4 Fuß tief, aber leicht zum Waten, jeder Schritt ging auf den Boden, bei dieser Strecke brauchten wir 32 Stunden. Von dort aus ging es besser, auf den Felsen war Alles abgeweht und der Wind ging auch selben Tag so heftig, daß wir uns die Hüte auf den Kopf anbinden mußten. Im Hinaufsteigen einer Höhe von 4 oder 5 tausend Fuß sahen wir einige Gemsen und Hirsche, welche in dem Schnee mit ihren Füßen arbeiteten, um auf die Alpenrosen-Gesträuche zu gelangen und ihren Hunger zu stillen; beiläufig so 6000 Fuß sahen wir noch die Spuren von Hasen und höher die letzten Pfade von Mäusen. Daraus wird doch Jeder erkennen, daß es für geübte Bergsteiger keine Unmöglichkeit ist, wenn man ein wenig Anstrengung nicht scheut. Auch alles Andere kann ich widersprechen, daß ich weder aufgehetzt, noch so und so viel Geld dafür verlangt habe. Wir sind auf anderer Seite dafür belohnt worden, es war für uns Ä eine große Freude, und sind unserem lieben Gott dafür dankbar, daß wir so vergnügt und so glücklich zurückgekommen sind: dann sind wir dankbar für den Empfang bei unserer Ankunft, wo Jung und Alt, Arm und Reich uns mit Freuden begrüßte; für die liebevolle Bewirthung der Frau Posthalterin Anna Schwarzenbeck, Herrn Gastgeber Köberl und Herrn Sägmüller, sowie allen Jenen, welche uns mit einem kleinen Trinkgeld beehrten, besonders Herrn Baumeister Lorentz herzlichen Dank. Und zur größten Freude erfuhren wir gleich am andern Tag, daß von Ihrer Majestät, der Königin Mutter, ein Dankes-Telegramm dafür an die treuen Berchtesgadener eingetroffen ist. „Schließlich bitte ich Alle um Verzeihung für mein simples, bauernartiges Benehmen, und lasset uns Alle Gott befohlen sein, damit wir noch lange gesund sind und bleiben, und die Segnungen des so heißersehnten Friedens und die Früchte des neu aufblühenden Deutschlands genießen können.

Mit aller Hochachtung empfehlen sich der Bergführer Stanzl und Bergführer Hölzl.“

Vorstehende Zeilen bedürfen keines Commentars; die Wackeren haben mit einfachen und das Gepräge der Wahrheit an sich tragenden Worten dargethan, was sie gewollt und erreicht haben!

E. A.

Grosse Tour am kleinen Watzmann – Franz Barth und Kaspar Wieder mit der „Alten Westwand“

Österreichische Alpenzeitung

1909, S. 279

Turenberichte.

Salzburger Kalkalpen.

Kleiner Watzmann (2307 m). 1. Ersteigung über die Westwand am 12. Juli 1908 mit Herrn Franz Barth-Salzburg.

Von der Schapbachalm (1014 m) auf anfänglich schönem, später dürftigem Jagdsteig links abbiegend ins Watzmannkar bis unmittelbar unter dem Gipfel des Kleinen Watzmanns.

Einstieg in die Westwand in der Fallinie der mittleren (höchsten) Spitze, wo der Schutt zu höchst hinanreicht.

Über steilen Schnee (in späterer Jahreszeit wohl Schutt) zu einem schrofigen Vorbau, über welchen man einen oben blockgesperrten Kamin erreicht; durch diesen empor. Man gewinnt damit ein nach links führendes Band, das bei einer kesselförmigen Einbuchtung der Wand endet, knapp unterhalb ungangbarer Plattenschüsse.

Wenige Meter abwärts und über leichten Fels zu einer linke (nördlich) steil emporführenden Rinne; durch diese in schöner Kletterei unter einen Überhang hinauf. Kurze Traverse nach links (sehr exponiert) zu einem weiteren Überhang; sehr schwer und äußerst ausgesetzt darüber hinauf.

Auf schmalem Schrofenband nach links und über leichten Fels rechts zu dem fast die ganze Westwand von links nach rechts aufwärts durchziehenden, durchwegs von kolossalen Überhängen überdachten Band hinauf. (Vom Watzmannhause gut sichtbar.) Ohne Schwierigkeit auf diesem, stellenweise fast nach innen geneigten Bande aufwärts. Eine kurze Unterbrechung leicht überwindend zu dessen Ende empor. Steinmann mit Karten.

Von hier über eine hellgraue; etwas brüchige Wand direkt zu einem etwas westlich des höchsten Gipfels herabziehenden Riß emporkletternd, quert man, wenige Meter unter seinem Beginne, auf sehr glatter, schwieriger Platte nach rechts und gewinnt mit wenigen Schritten aufwärts den westlichen Gipfel.

Landschaftlich sowie technisch einzigartig schöne Tur. Dauer der Kletterei ungefähr 3 Stunden.

Kaspar Wieder, Salzburg