Aus dem hinteren Eisbachtal auf die Südspitze – W. von Frerichs und R. von Below

Im September 1900 war Wilhelm von Frerichs am Watzmann besonders aktiv. In wechselnder Seilschaft gelangen ihm eine Reihe von Erstbegehungen.

22. September 1900 – Watzmann-Südspitze, 2712 in (neue Route ü. d. Südostwand , 1. Erst. aus d. hinteren Eisbachthal) – R. von Below, Dr. Wilhelm von Frerichs.

„Vom unteren Ende der Eiskapelle in der blockerfüllten Schlucht des Eisbachthals aufwärts. Von dem Südgrat der Südspitze löst sieh in ca. 2500 m eine südöstlich verlaufende Rippe. Sie endet mit einem auffallenden, tief ins Eisbachthal vorspringenden Felszacken, dem sog Kirchl. Um dies herum und über einen kurzen Dolomitabsatz auf das untere einer Reihe breiter, die unteren Partien der Südflanke der Rippe durchziehenden Grasbänder. Das Grasband schräg rechts (nordöstlich) verfolgend zur Kante der Rippe und nach links (südlich) auf ein höheres Grasband (An. 1350 m, 2 ½ Std. v. d. Eiskapelle). Von diesem durch eine brüchige DoIomitrinne wieder auf die Kante der Rippe und einen Abbruch mittels schwieriger Traversen von rechte (nördlich) her erkletternd auf ein sich um die Rippe ziehendes Band. Dies nach linke (südlich) bis zu seinem Abbruch verfolgend und weiter, über brüchigen Fels traversierend, zu schwärzlichen Plattenwänden. Ueber diese hinauf (Kletterschuhe, einmal Steigbaum). Diese Plattenwände bilden den unteren Absturz einer Rinne, welche weiter verfolgt und dann über sehr glatte, steile Platten nach rechts verlassen wird, um die Kante der Rippe wieder zu erreichen. Diese wird etwas oberhalb einer Scharte betreten, welche ein auffallender, aus der Rippe vorspringender Felskopf bildet. (Diese Scharte wurde am 7. IX. 1900 durch G. Leuchs und W. von Frerichs von Norden her erklettert) Weiter über die sich verflachende Rippe (nördlich der am 7. IX. eingeschlagenen Route). Nahe dem Südgrat nötigt die Felsbildung, wieder nach links (südlich) abzubiegen und durch einen sehr schwierigen Kamin den Grat wieder zu erreichen. Der erste rötliche Turm des Südgrats wird durch einen überhängenden Kamin erklettert, der zweite über eine exponierte Platte an der Ostecke. Die nächsten beiden Absätze sind gut passierbar und. bald darauf wird die Südspitze erreicht. 12 Std. incl. Rasten. Die Schwierigkeiten sind ungefähr dieselben wie die der gewöhnlichen Route, jedoch intensiver, so an dem Kamin unter dem Grat und an den Türmen des Südgrates. Die unteren Partien sind hochgradig steingefährlich.“

Georg Leuchs und Wilhelm von Frerichs – Ein neuer Weg auf die Südspitze

Im Jahresbericht 1899/1900 des Akademischen Alpenvereins München findet sich der Tourbericht einer von Georg Leuchs und Wilhelm von Frerichs durchgeführten Erstbegehung in der Ostwand des Watzmanns.

Leuchs und Frerichs berühren dabei Teile des Jahrzehnte später eröffneten Berchtesgadener Weg, kletten die Wasserfallplatte von unten und streifen den Bereich der Rampe unter der gelben Wand.

7. September 1900

Watzmann-Südspitze, 2712 m (neuer Aufstieg aus dem Eisthal) – Dr. Wilhelm von Frerichs, Georg Leuchs.

„Da, wo sich der Lawinenkegel der „Eiskapelle“ zu einer Zunge verschmälert., welche in die zum bisherigen Aufstieg dienende Schlucht hinaufzieht, mündet in den von der Schönfeldschneid abfallenden Wänden eine Rinne, welche – von unten betrachtet – sich als heller Streifen verfolgen lässt, der sich in flachem Bogen mit der Konvexität nach rechts oben bis in die Nähe der Schönfeldschneid erstreckt. (Diese nur scheinbar ununterbrochene Rinne kreuzt unsere Anstiegsroute in dem unten erwähnten Kar.) Weiter links mündet zur Eiskapelle eine zweite Rinne. Zwischen diesen beiden Rinnen, näher der linken, gelang schwierig die Ueberschreitung der Randkluft (ca 990 m). Nach kurzer Kletterei über splitterigen Dolomit gelangten wir auf steiles Grasterrein und stiegen über dasselbe, sowie über zwischengelagerte plattige Schrofen gerade aufwärts; ca. 850 m über dem Einstieg erreichten wir ein schutterfülltes Kar. Rechts hinten ist eine mächtige gelbweisse Wand; rechts von derselben springt ein Sporn in das Kar vor. Unsere Absicht war, auf diesem Sporn, der auch einige Latschen trägt, emporzuklettern, bis es möglich wäre, nach links unter der gelben Wand durchzutraversiren auf eine Plattenflucht oberhalb der Steilstufen, welche den Hintergrund des Kares abschliessen. Wir stiegen auf dem Sporn ziemlich gerade empor, anfangs über gut gestuften Fels, dann über steiles, grasdurchsetztes, unzuverlässiges Geschröfe von zunehmender Schwierigkeit. Ca. 140 m über dem letzten Latschenkopf auf dem Sporn, da wo eine Rinne beginnt (ca. 1740 m), welche, rechts von der gelben Wand eingeschnitten, zu einem mächtigen – von unten nicht sichtbaren – Plattenband emporführt und vermutlich auch den Weiterweg vermitteln würde, konnten wir leicht die beabsichtigte Traverse nach links auf einem etwas absteigenden Bande ausführen. Auf der Plattenflucht stiegen wir wiederum in im allgemeinen gerader Richtung empor und durchkletterten nun die mächtige Wand, welche über dem linken Teil der Platten sich aufbaut. Von den Platten weg in einem Winkel der Wand einsteigend (ca. 1900 m), gelangten wir nach kurzer Kletterei aufwärts auf ein System von Bändern und Gesimsen, die wir nach links verfolgten (Kletterschuhe !), bis wir eine 50 m hohe Kaminreihe trafen, welche in die senkrechte Wand eingeschnitten ist. Der unterste dieser sehr schwierigen flachen Kamine liess sich von links her umgehen, die übrigen wurden durchklettert. (Ende der Kamine ca. 1975 m.) Nun wieder eine 60 m lange Traverse nach links zu einer mässig geneigten Platte. Ueber derselben folgten fünf kurze, aber teilweise überhängende, von schmalen Absätzen unterbrochene Wandstufen, welche in Äusserst schwieriger Kletterei erstiegen wurden, die letzte mit Hilfe eines Mauerhakens. (Ende der Wandstufen ca. 2060 m.) Leichtere Grasschrofen leiteten dann nach rechts aufwärts in eine Rinne, durch welche wir relativ leicht in eine Einsattlung (ca. 2200 m) hinter einem Felskopf gelangten, der als oberster Punkt der durchkletterten Wand anzusehen ist. Von hier aus steht der Weg zum Grat offen; ebenso könnte man wohl auf den Schichtenbändern nach rechts abwärts die alte Route in ihrem obersten Teil erreichen. Am besten hält man sich indes wohl schief nach rechts aufwärts direkt gegen den Gipfel der Südspitze. Wir kletterten im allgemeinen gerade empor und erreichten, schliesslich noch durch einen sehr schwierigen Kamin, die Schönfeldschneid, ca. 250 m unter dem Gipfel. Wegen der vorgerückten Zeit mussten wir davon abstehen, den Grat zu verfolgen; wir traversierten daher auf den obersten Rand des Schönfelds und erreichten auf der Wimbachroute den Gipfel.

Königssee ab 2 Uhr 50 Min., Bartholomä 3 Uhr 50 Min Felseneinstieg 5 Uhr 45 Min., Kar 6 Uhr 50 Min., Einstieg in die Steilwand 10 Uhr 50 Min., Einsattlung 3 Uhr 20 Min , Schönfeldschneid 6 Uhr, Gipfel 7 Uhr, Watzmannhaus 9 Uhr 30 Min. Die Tour dürfte von Bartholomä bis zur Südspitze eine mittlere Zeitdauer von 12 Stunden excl. Rast erfordern; die Schwierigkeiten sind grossenteils denen der bisherigen Route gleich, übertreffen sie jedoch stellenweise bedeutend, namentlich in der Steilwand nach der Plattenflucht, welche sich indes vielleicht nach links umgehen lässt. (Die Angaben über rechts und links verstehen sich im Sinne des Anstiegs.)“

REDAPA @ Watzmann – Auf der Spur der Rampe unter der gelben Wand (3/5)

Im Bergsteiger des Jahres 1952 erfolgte nun eine Reaktion von Max Gruber aus München auf den Bericht von Paul Bernett.

Bergsteiger, 1952, Seite 11

Walzmann-Ostwand.

Am 27. August 1949 stieg ich mit meinem Sektionskameraden Max Hintermeier in die Watzmann-Ostwand ein, um den Berchtesgadener Weg zu begehen. Wir kamen jedoch zu weit nach links und stiegen auf der nunmehr Im „Bergsteiger“, Heft 12/1951, beschriebenen Rampenroute empor. Der von den Herren Bernett und v. Schlebrügge erwähnte Abseilhaken wurde von mir im Aufstieg zur Sicherung geschlagen. Wegen schweren Gepäckes erreichten wir das Rampenende erst bei einbrechender Dämmerung, wo wir biwakierten. Bevor wir uns über den Weiterweg schlüssig gemacht hatten, sahen wir auf dem Salzburger Weg zwei junge einheimische Kletterer und sodann fünf ältere Nürnberger nahe bei uns heraufkommen. Mit den Nürnbergern waren wir gemeinsam auf dem Gipfel. Diesen gegenüber bemerkten wir, daß wir eine Variante zum Berchtesgadener Weg gemacht hätten. Es war uns damals noch nicht klar, mit diesem Aufstieg ein Problem gelöst zu haben. Der ausführlichen Routenbeschreibung der Herren Bernett und v. Schlebrügge im ,,Bergsteiger“, Sept. 1951, S. 103, habe ich nichts hinzuzufügen. Die außerordentliche Brüchigkeit des Gesteins erfordert äußerste Vorsicht.

Fritz Gruber, Sekt. München DAV.

Rose Friedmann – Eine Frau gewinnt die Ostwand

ÖAZ, 1896, S. 218

Tourenberichte

Salzburger und Berchtesgadener Alpen

Watzmann von der Eiskapelle (Südostwand).

Frau Rose Friedmann aus Wien (als erste Dame), Herr Ingenieur Wilhelm Teufel aus München und meine Wenigkeit haben diese Tour am 3., 4. und 5. August ausgeführt. Mit Rücksicht auf die ungewöhnliche Länge der Tour ging unsere Absicht dahin, durch ein Bivouac im ersten Drittel der Wand, d. h. auf der breiten Terrasse unterhalb der schwierigsten Stelle, die Leistung auf zwei Tage zu vertheilen. Ein Träger, den wir ans Berchtesgaden mitnahmen, sollte Pelzdecken und sonstige Bivouacausrüstung zur Terrasse schaffen und von dort wieder zurückbringen. Gleich im Anfange unseres Aufstieges von der Eiskapelle, am Abende des 3. August, erwies sich jedoch zu unserem nicht geringen Missvergnügen der Träger als unfähig, die in den unteren Partien der Wand noch unschwierigen Felsen ohne Seilhilfe zu erklettern, und es war sofort klar, dass der Mann am nächsten Morgen bis auf den Schnee hinab begleitet werden musste. Dieser Umstand bewog uns, viel tiefer als geplant, nämlich schon ½ St. oberhalb der Eiskapelle unser Freilager zu beziehen. Während der Nacht vom 3. auf den 4. August trat wiederholt Regen ein. Am frühen Morgen des 4. August jedoch hatten sich die Wolken wieder verzogen, und das Wetter blieb bis gegen Abend gut. Um 4h 30m früh geleitete ich unseren ängstlichen und unsicheren Träger bis zur Eiskapelle hinab; bald nach 5 h brachen wir auf. Nach etwa 3 St. war die grosse Terrasse erklettert. Die reichen Massen von Lawinenschnee, die am Fusse einer vorn Mittelgipfel herabziehenden Rinne lagen, waren durch breite, unüberschreitbare Randklüfte von den Felsen getrennt; nur an einer Stelle füllten eingestürzte Firnschollen die tiefe Kluft und bildeten eine groteske, leidlich sichere Brücke. Es folgte sofort die schwierigste Stelle des ganzen Anstieges, eine circa 20 Meter hohe, plattige Wand, die nur mit Kletterschuhen zu bewältigen ist. Das Gepäck muss an dieser Stelle aufgeseilt werden.

Ein breites Band führt nach links in die grosse Rinne; nunmehr hält sich der Weg an diese selbst, sie ist überall durch Lawinen und rinnendes Wasser glatt gescheuert und ausgewaschen. An ihrem oberen Ende öffnet sich nach: links ein Ausweg auf ein breites, ziemlich steil nach Süden ansteigendes Band, welches fast in seiner ganzen Breite an einem Absturze quer abgeschnitten ist. Der so gebildete vorspringende Erker ist wie geschaffen zum Rastplatze. Das Gestein ist mit Graspolstern überzogen, in nächster Nähe findet sich Wasser; der Blick hinab auf das idyllische Bartholomä und ein kleines Stück Königssee mit den langsam dahinziehenden Kähnen ist reizend schön. Fortwährend rollte das Echo der auf dem See abgegebenen Pistolenschüsse durch die Wände rings um uns.

Die schmale Fortsetzung des abgebrochenen Bandes wurde weiter nach Süden verfolgt bis zu einem zweiten Abbruche, über dem um eine Ecke herum eine schwierige Traversirstelle zu passiren ist. Wiederum wird das Band etwas breiter, wir verfolgten es noch eine Strecke von circa 10 Metern und stiegen dann in gerader Richtung durch theilweise mit Schnee erfüllte Rinnen gegen den Grat zwischen Südspitze und Mittelgipfel auf. Die Schwierigkeiten verringern sieh hier bedeutend, doch sind die Felsen immer noch glatt und Kletterschuhe, wenngleich entbehrlich, doch angenehm. Zwischen den beiden Gipfeln schneidet eine Scharte tief in den Grat ein; dieser steuerten wir zu. So nahe sie schien, vergingen doch Stunden, bis wir sie erreichten. Ein Gewitter, das um 5 h von Südwest über den Watzmann herüberzog, brachte uns für kurze Zeit Regen, ohne uns jedoch zu einer Unterbrechung der Kletterei zu zwingen. Es war 7 h vorbei, als wir endlich etwas nördlich der erwähnten Scharte auf den Grat gelangten. Da wurden wir eines zweiten Gewitters ansichtig, das vom Hochkalter gegen uns heranflog. Eilends folgten wir dem schwach ausgeprägten Felsensteige, der, zweimal absteigend und zweimal wieder die Höhe des Grates erklimmend, von der Scharte zum Mittelgipfel führt. War auch die Zeit schon sehr vorgerückt, so hofften wir doch an diesem Tage das Watzmannhaus noch zu erreichen, sei es auch erst bei Nacht. Heftiger Regen durchnässte uns in kurzer Zeit, und das bekannte, fatale Summen der Pickel wurde hörbar. Ich streckte einmal zufällig den Zeigefinger aus, uns auf den Mittelgipfel zu deuten, und siehe da, auch mein Finger liess das unheimliche Sausen vernehmen. Rasch entschlossen legten wir die Pickel ab und eilten weitet. Blendend hell fuhren die Blitze durch den verfinsterten Abendhimmel; von krachendem Donner begleitet. Mit einem Male verbreitete sich um uns eine blendende Helle: eine elektrische Feuerkugel lief dicht bei uns über die Felsen, kein Donner folgte der gespenstischen Lichterscheinung. Die Gefahr, vom Blitz erschlagen zu werden, trat zu den übrigen Schrecken, mit denen die Natur uns verfolgte. Da blieb nichts Anderes übrig, als mit grösster Beschleunigung eine Felsenhöhle aufzusuchen. Erst um 10h nachts verzog sich das Gewitter. Bei der vollständigen Finsterniss, die nunmehr herrschte, war an ein Weitergehen nicht zu denken. Nach sieben langen Stunden kam endlich der Tag zurück. Am 5. August holte ich im ersten Morgengrauen die abgelegten Pickel, um 5h früh standen wir bei klarem Wetter auf der Mittelspitze des Watzmanns. Eben erglänzten die Eisberge der Hohen Tauern im Morgenroth. Um 6 h 30m früh trafen wir auf dem Watzmannhause ein, von Kederbacher begrüsst, der uns in herzlichen Worten zum Gelingen unseres Aufstieges gratulirte und insbesondere Frau Friedmann freundlich beglückwünschte.

A. v. Krafft

Georg von Kaufmann und Beda Hafen – Über die Rampe unter der gelben Wand zum Gipfel

WATZMANN-OSTWAND

Ein schöner Durchstieg südlich der Gipfelschlucht

Von Georg von Kaufmann

Es gibt viele Bergsteiger, die mit Klettergelüsten einer vergangenen Entwicklungsperiode der Klettertechnik anhängen, einer Zeit, die den Felshaken als selten gebrauchtes Sicherungs- und Rückzugsmittel betrachtete und die noch keine akrobatischen Fähigkeiten zur Bezwingung von Felswänden verlangte. Diese Kletterfreunde müssen mit Bedauern feststellen, daß alle Fahrtenberichte über Neutouren in Stellen des fünften und sechsten Schwierigkeitsgrads schwelgen, und daß die Kletterfahrten alten Stils, die sich mit den Schwierigkeitsgraden III und IV bescheiden, fast keinen Zuwachs erfahren. Zumindest werden solche Fahrten nicht mehr der Veröffentlichung für wert befunden; denn Pioniere in scheinbar unbekannten Wandteilen finden sich immer wieder, und es gibt kaum eine Felsritze, die nicht schon auf Brauchbarkeit zum Klettern untersucht worden wäre. Das gilt auch von den Wänden und Türmen der Watzmann-Ostwand. Besonders ihr südlicher Teil hat es mir seit Jahren angetan mit dem gewaltigen Südostgrat, der sich links der Gipfelschlucht zur Höhe türmt. Das viele Herumsteigen und Suchen in dieser Wandgegend, das, Berichten im „Bergsteiger“ (September und November 1951) nach, noch mehrere Leute beschäftigt hat, ließ sich schließlich zu einem Durchstieg großzügiger Art und direkter Linienführung verbinden. Aus dem Bild auf Seite343 läßt sich die Route unschwer erkennen. Die Führe wird alle Liebhaber großzügiger Kletterfahrten voll befriedigen, denn sie verbindet wahren Klettergenuß in großartiger, ernster Felslandschaft (Schwierigkeit nicht über IV) mit einzig schönen Ausblicken. Allerdings hat die Fahrt drei Nachteile, die nicht verschwiegen werden sollen: Das Gestein ist, namentlich an den leichteren Stellen, brüchig und oft schuttbedeckt, die Kletterei ist sehr lang — zehn bis zwölf Stunden von der Eiskapelle — und der Ausstieg ist nicht am Gipfel der Südspitze, sondern etwa 30 Minuten unterhalb am Schönfeldgrat. Andererseits ist der Weg leicht zu finden, und man hat immer wieder Gelegenheit, auf leichtere Wege hinüberzuqueren.

Die herrlichen Herbsttage des Septembers 1951, die manche Entschädigung für den verregneten Sommer brachten, gaben Freund Beda Hafen und mir Gelegenheit, den Durchstieg erstmalig zusammenhängend auszuführen. Wir sind erst mit dem Vormittagsschiff nach Bartholomä gefahren und haben somit von vorneherein bei dem sicheren, warmen Herbstwetter ein Biwak im mittleren Teil der Wand ins Auge gefaßt. Die Kletterausrüstung bestand nach alter Väter Sitte in 30 Meter Seil und einigen wenigen Haken, von denen wir nur zweimal zu Sicherungszwecken Gebrauch machten. Der Weg zur Eiskapelle, von dem noch Noe in seinen Alpenbeschreibungen schwärmt, sieht aus wie ein Volksfestplatz nach dem Schlußtag. Die Massenwanderungen der Autobusbesucher am Königssee haben ihre argen Spuren hinterlassen. Die Butterbrotpapiere und Zigarettenschachteln lassen sich bis hoch auf den Eiskegel hinauf verfolgen. Dann beginnt auf einmal die Einsamkeit und das Wegsuchen. Im neuen Zeller-Führer ist der „Berchtesgadener Weg“, den wir verfolgen wollen, fälschlich in der Falllinie des großen Südostkars eingezeichnet. Man tut besser daran, das Steiglein links des Eises zu verfolgen, das, mehr oder weniger ausgetreten, ohne Steinfallgefahr, in mehreren Schleifen nach Süden ausbuchtend, das Kar erst oberhalb der Abbrüche erreicht. Wir stellen auf Grund der jährlich steigenden Benutzung dieses Steiges fest, daß der Berchtesgadener Weg immer mehr begangen wird. Die Aussprache hierüber bringt uns auf das naheliegende Thema „Biwakschachtel in der Ostwand“: Wir empfinden diese feste Unterkunft als eine Profanierung. Was der Wand in unserer heutigen klettertüchtigen Zeit allein noch den Nimbus wahrt, ist die Weite des Weges, die Verlassenheit am Gipfel. Das Wagnis — ob die Zeit reicht für den Durchstieg, ob die Kräfte langen, ob das Wetter hält — ist an der Wand das Große, Abenteuerliche. Ein Glück, daß das Schachtelungetüm am Südgrat oben aufgestellt und damit die eigentliche Wand vor einem Familienhotel bewahrt wurde.

Unter solcherlei ketzerischen Reden — wir sind beide „Bayerländer“ — haben wir den Fuß der Südostwand erreicht. Bald zweigt der „Münchner Weg“ nach rechts ab, später auch der „Berchtesgadener Weg“, während wir die alte Richtung zum obersten Karwinkel beibehalten. Hier scheint die Kletterwelt zu Ende, und man ist baß erstaunt, daß man im obersten Winkel nach rechts eine verhältnismäßig leichte Möglichkeit des Weiterkommens findet. Der Tourenbericht im „Bergsteiger“, September 1951, Chronik, Seite 103*, enthebt mich einer genauen Wegbeschreibung. Vielleicht darf hinzuge-ügt werden, daß man den obersten Karwinkel auf einem Band von links nach rechts gewinnt, dann aber nicht zur gelben Wand weiter vordringt, sondern über den Vorbau nach rechts in Plattenrinnen und über Steilschrofen an Höhe gewinnt. Die Verschneidung der gelben Wand mit dem Vorbau erreicht man erst bei der untersten auffallenden Höhle, und es empfiehlt sich, sie hier wie weiter oben immer wieder nach rechts zu verlassen. Jedenfalls hat man ein Gefühl der Befreiung, wenn man der gelben Wand und der Verschneidung entronnen ist. Man steht dann auf einmal in friedlichem Schuttgelände am Ende eines riesigen Bandes, das sich leicht begehbar nach Norden zur Gipfelschlucht absenkt. Etwas links über sich erblickt man den Beginn des gewaltigen Felsgrates, über den die Route weitergeht. Wir entdeckten wenige Meter über unserem Ausstieg einen verlockenden, steilen Kamin, der senkrecht zum nächsten Band hinaufleitet, und hielten es für nicht schwierig, über dieses Band den Grat zu erreichen; aber wir hatten berechtigte Bedenken, ob sich da oben im Steilgelände ein würdiger Biwakplatz finden ließ. Das Biwak in der warmen Herbstnacht hatten wir uns schon in den schönsten Farben und Stimmungen ausgemalt, und wir hatten vor, es feierlich zu begehen und auszukosten. Das beglückende Erlebnis der Kriegsnächte unter dem Sternenhimmel des Balkans, Kretas oder Italiens — eine der wenigen schönen Erinnerungen an die heimatfernen Kampfzeiten — sollte wieder Auferstehung feiern. So wählten wir mit Vorbedacht eine geräumige, weit offene Höhlung etwas unter unserem Standplatz mit entzückendem Tiefblick auf den Königssee als Schlafgemach. Es zeigte sich zwar in den folgenden Stunden, daß die überschwengliche Erinnerung an selige Sternennächte die Härte der steinigen Unterlage und einen gewissenTemperaturrückgang gegen die Morgenstunden weitgehend außer acht gelassen hatte, aber wir konnten doch nach dem Aufstehen in der Morgendämmerung, alles zu-sammengenommen, von einem genuß- und eindrucksvollen Erleben sprechen. Der vorerwähnte Kamin, dessen Durchsteigung den neuen Klettertag eröffnete, zeigte sich als nicht ganz einfach. Er dürfte die schwerste Stelle der ganzen Tour bedeuten. Allerdings blieb uns beim Aufseilen der Rucksäcke das Seil stecken, und es ist ja bekannt, daß derlei unangenehme Zwischenfälle nicht nur zu einer falschen Einwertung, sondern sogar zu einer Verbitterung gegen gewisse Kletterstellen führen können. Genau umgekehrt verhielt sich dann der Grat. Er beeindruckte uns mit schauerlichen Abstürzen und Türmen bis zum Verzagen und zeigte dann Immer wieder lächelnd ein Falte in seinem vielgliederigen Aufbau, in dem ein leichtes Fortkommen möglich war. Zum größten Teil liegen diese Möglichkeiten links des Grates (südlich). Nur einmal muß die Gratkante selbst über einen schwierigen Zacken erstiegen werden. Nach längerem Emporturnen voll freudiger Überraschungen und schönster Ausblicke geht der Grat zu Ende, das heißt er geht über in eine sehr steile, abweisende Wand, Als wir vor Jahren zum erstenmal an dieser Stelle standen, hat mich der ganze Ernst der Ostwand erfaßt: Die unterste Wandstufe war durchsetzt von rostigen Haken; gerissene Seilschlingen und ausgewaschene, gefranste Seilenden hingen über den schwarzen Fels. In dem steilen Gratgelände unter der Wand waren mühsam kleine Steinmauern errichtet worden, mehr ein Werk der Verzweiflung als des Schutzes. Ob sich hier eine schwierige Bergung abgespielt hat oder ob die Wegunkundigen, die in der Gipfelschlucht vom Normalweg nach links abgeirrt sind, hier an der schweren Wand die Bitternis der späten Umkehr aufgezwungen erhielten, ich weiß es nicht. Aber es ging mir ein beengender Schauer durchs Herz, den ich in der freien Wand auf eigenen Wegen so gar nicht kenne und der immer verbunden ist mit Menschen und Menschenwerk — und sei es nur ein rostiger Haken — im Fels. Es ist wie ein unterbewußtes Ahnen, daß der Mensch im felsigen Steilgelände in einen ihm nicht zugehörigen Lebensraum vordringt, eine wohlgemeinte natürliche Hemmung, die unsere klassischen Vorfahren als göttliches Verbot auslegten. — Nachdem verbotene Früchte immer die besten sind, läßt sich trotz dieser kletterabträglichen These die Leidenschaft der Klettergilde gut erklären. Diesmal hat das Wandstück für uns leider den abenteuerlichen Reiz der Neuheit verloren. Während wir damals ruhelos in größter Spannung und angesichts der vielen Rückzugsbaken mit wenig Hoffnung ins Unbekannte vorstießen, hatten wir nunmehr Muße, bei einer ausgiebigen Brotzeit die einzigartige Aussicht zu genießen sowie auch weniger wertvollen Empfindungen, wie dem reichlich warmen Sonnenschein oder den durchgekletterten Fingerspitzen, Beachtung zu schenken. Wir wissen ja: Eine halbe Seillänge links abwärts geht es über einen Felsblock und ein kurzes Band unschwierig zum Einstieg in eine Kaminreihe, die ziemlich weit südlich der gratverlängernden Kante senkrecht aufwärts führt. Es macht einem hier nur noch die Länge der Kletterei, weiter oben auch das brüchige Gestein zu schaffen; die technischen Schwierigkeiten sind nicht erheblich. Endlich ist dann der Südgrat erreicht. Wer auf dem Normalweg durch die Ostwand als sportgestählter Schirennläufer der überwundenen Höhe nicht achtet und von einem „Spaziergang“ spricht, der kann sich auf dieser kletterreichen Route wieder einen Eindruck davon holen, was 2000 m Wand bedeuten. Wir jedenfalls beschließen zunächst, uns an der Biwakschachtel hinzusetzen und uns am Regenwasser des dort befindlichen Eimers zu laben, bevor wir den Gipfel ganz ersteigen. Aber die Biwakschachtel ist weg. Sie steht nicht mehr an ihrem letztjährigen Platz unter dem obersten Schönfeldgrat. Frische Schleifspuren weisen nordöstlich hinunter in die Wand—Richtung Massiger Pfeiler*. Ein wenig Bitternis ist noch in mir am Gipfel. Aber der klare Herbsttag ist viel zu schön, als daß die Trauer um die zerbrochene Reinheit und Würde der Wand die Oberhand behalten könnte. Wir preisen den September als Bergsteigermonat im allgemeinen und den September 1951 im besonderen: So weit, so klar haben wir den ganzen Sommer noch von keinem Gipfel geschaut. Auch der Durst wird noch gelöscht, im Abstieg, an der Quelle im „Schönen Feld“. Voll wie selten ergießt sie sich über unsere erhitzten Glieder — ein herrliches Labsal nach Stunden der Entbehrung.

 

Watzmann Ostwand – Polenweg

Mit dem Polenweg kam 1973 eine weitere Ostwandvariante hinzu. Die Polen kletterten direkt an die Wasserfallplatte heran, überschritten diese und gingen über die Schlebrügge Rampe weiter in Richtung Gipfel.

Ungefähre Tourenführe

Bericht über die Tour in einer polnischen Alpinzeitung
Quelle : http://pza.org.pl

Hermann Buhl – Magische Momente in der Ostwand

Mit Hermann Buhl verbinden viele, fast alle wirklichen Alpinisten, die Erstbesteigung des Nanga Parbats am 03.07.1953.

Buhls Bergsteigerleben fand fast 4 Jahre später, am 27.06.1957 ein tragisches Ende beim Abstieg von der Chogolisa.

Wenigen ist jedoch bekannt, welche Spuren Hermann Buhl an der Ostwand des grossen Watzmanns hinterlassen hat.

In der Nacht vom 28.02. auf den 01.03.1953 durchstieg Hermann Buhl als Erster im Alleingang und im Winter den Salzburger Weg.

Wer jemals in einer wolkenlosen Vollmondnacht das Watzmannmassiv gesehen hat bekommt einen ungefähren Eindruck von der Magie dieser Momente am Fels. Dieser dürfte sich nicht unwesentlich durch die Bedeckung des Fels mit Schnee noch verstärkt haben.

Buhl berichtet selbst über seine Durchsteigung.

Der Bergsteiger

1953

Hermann Buhl

»Man schreibt den 28. Februar 1953. Es ist gerade Mittagszeit. Wie bei einem Torlauf schlängle ich mich, bepackt mit Rucksack, Ski und Eispickel, durch das Gewühl von Menschen, das sich durch Münchens Hauptstraßen zwängt. Die Hochdrucklage der letzten Tage ließ mich nicht länger in der Stadt verweilen. Dank der verständnisvollen Einsicht meines Chefs, welcher ja selbst begeisterter Bergsteiger war, konnte ich schon am Freitag meinen Arbeitsplatz verlassen.

Der D-Zug bringt mich in die Berge. Berchtesgaden — alles aussteigen! Dieser Erdenfleck ist mir fast schon zur zweiten Heimat geworden, seitdem ich mir hier meine Lebensgefährtin geholt. Hier ist noch tiefer Winter. Noch schnell einige Einkäufe, die Ski bleiben in der Gepäck-Aufbewahrung und weiter zum Königssee.

Die Einheimischen verstehen ihr Geschäft, und erst, nachdem ich den >Eintritt< bezahlt habe, darf ich mit einem Billett in der Hand die feste Eisdecke des zugefrorenen Königssee betreten. Manch fragenden Blick muss ich über mich ergehen lassen. Rucksack, Eispickel — allein Richtung Bartholomä — wird wohl nicht … Zu allem Ungeschick begegne ich noch einem Nachbarn aus der Ramsau. Wenn das nur nicht meine Frau erfährt! Eine Stunde später ist Bartholomä erreicht. Ein verstohlener Blick hinauf zur Wand, die Verhältnisse lassen sich nicht entziffern. Im Gasthause am See wird mein Bärenhunger etwas gestillt. Mir gegenüber sitzt eine fröhliche Tischrunde. Es scheinen Jagdfreunde zu sein. Sie besprechen gerade das Programm des bevorstehenden Abends. Schweinsbraten, dazu eine anständige Maß Bier und dann einen Humpen Wein. Mir wird ein Teller heißer Suppe serviert. Es ist nicht ganz zu vermeiden, dass auf der Suche nach Proviant der eine oder andere alpine Ausrüstungsgegenstand aus dem Rucksack hervorschaut. Und wieder dieselbe Frage auf den Mienen der Anwesenden:  „Was willst du denn da mit dem Pickel — wo ist dein Kamerad ?“, und ich fühle mich förmlich verpflichtet, ihnen Auskunft zu geben.

Anhand des Führers wird noch einmal die Route, der Salzburger Weg, studiert. Ein kurzer Vergleich mit der Natur, es ist gerade noch hell genug. Die markantesten Stellen werden eingeprägt.

Um 7 Uhr abends verlasse ich Bartholomä. Schon nach kurzer Zeit endet der Holzziehweg, und somit auch jegliche Spur menschlichen Daseins. Trügerischer Bruchharsch macht jeden Schritt zur Anstrengung. Teils versinke ich bis zu den Knien im Schnee. Hinter dem Göllmassiv kommt der Mond hervor und überflutet die Umgebung mit silbernem Glanze. Schemenhaft wächst. vor mir die gewaltige Wand empor. Wie anders ist es hier im Sommer. Lärmerfülltes Treiben übermütiger Menschen, welche die Natur nur als einen Tummelplatz betrachten. Jetzt zieht nur die Gemse einsam ihre Spur im tiefen Schnee, und ah und zu wird die feierliche Ruhe vorn Gepolter niedergehender Lawinen unterbrochen.

Über frische, zu Eis gefestigte Lawinenkegel steige ich steil den hintersten Winkel der Eiskapelle hinan. Der erste Steilaufschwung liegt unter tiefem Schnee begraben. Meterhohe Eiswände, hart wie Beton, haben die niederstürzenden Schneemassen, die mit der Gewalt ganzer Lastzüge die Wand herunter poltern, in den Schnee gefräst. Ich habe gutgetan, diese Zeit. für den unteren Teil des Anstieges zu wählen, in der normalerweise der Mensch sich ausruht. Der Nachtfrost hält den Schnee zusammen. Allerdings, ein kleiner Rechenfehler ist mir unterlaufen. Die wohl harte Oberfläche des Schnees hält dem Körpergewicht nicht stand. Die Verfirnung des Schnees hat noch nicht stattgefunden, da die Sonne nur für wenige Stunden am Tage die Planken der Wand berührt. Bruchharsch nennt man dieses unangenehme Stadium der Schneeveränderung. Doch die harten Lawinenbahnen ermöglichen mir ein rascheres Ansteigen, allerdings nur mit Hilfe der Steigeisen, denn hier ist es beinhart. Mehrmals lässt mich das markdurchdringende Getöse abgehender Lawinen aufhorchen. Es ist in den gegenüberliegenden Flanken des Hachelkopfes, welche, noch im Schatten, wie ein Ungeheuer herüber dräuen.

Meine überreizten Nerven scheinen mich zu narren. Gruselige Bilder zeigen sich vor meinem Auge. immer wieder sehe ich die leblosen Körper der beiden Abgestürzten in der weißen Schneefläche. Es ist ja erst einige Monate her. Damals machte ich erstmals Bekanntschaft mit der Watzmann-Ostwand. Mit noch einigen Berchtesgadener Kameraden war ich auf der Suche nach zwei vermissten Bergsteigern. Die Wand war schon in tiefem Neuschnee-Kleide. Wir verfolgten eine Spur. Sie verlor sich in frischen Lawinenrutschen. Angestrengt suchte das Auge die weiße Fläche am Wandfuße ab. Da — ein runder Gegenstand, ein Rucksack — dann ein Biwaksack — eine Proviant-Dose. Ein Anhaltspunkt. In der Sturzbahn steigen wir an. Und wieder — ein Handschuh — Schneereifen, hier lag etwas Schwarzes im Schnee Es war einer der beiden, die wir suchten. Weiter oben wieder die Spur. Wir verfolgten sie. Eine steile Schneerinne, Rutschspuren und dann — ein Körper hängt leblos am Seil, der Schnee ist noch blutgetränkt.

Noch eine leichte Querung, dann stehe ich im Schöllhornkar. Gott sei Dank — die Erinnerungen weichen. Ich finde die altgewohnte Ruhe wieder. Auch hier erlauben mir die tiefen Lawinenfurchen ein rascheres Vorwärtskommen. Eine dunkle Felswand stellt sich nun vor mir auf. Ich weiß, das Mondlicht trügt, aber trotzdem wird es kein Kinderspiel werden. Eine schmale Randkluft, ein kurzes, steiles Eisfeld, dann setzt jäh glatter Fels an. Noch im Eise stehend werden die Steigeisen abgeschnallt und verschwinden im Rucksack, ich brauche sie jetzt für längere Zeit nicht mehr. Es geht gegen 22 Uhr. Mein Höhenmesser zeigt 1400 Meter; 500 Meter der Wand liegen also hinter mir. Eine sehr glatte Platte hätte mich beinahe zu langwierigen Umwegen gezwungen, ehe ich am Beginn des Salzburger Weges, des schwersten Ostwand-Anstieges, bin. Gerade an den Vorsprüngen, die mir eine sichere Auflage für meine Profilgummisohlen gewähren würden, liegt größtenteils eine feine Eisauflage. Überall plätschert Wasser von den Wänden. Unheimlich lau scheint mir diese Nacht. Der Fels ist abweisend und glatt. Ich versuche es etwas links, doch hier muss ich die ersten Meter durch die kühlende Traufe hindurch. Verrostete Ringhaken geben mir die Gewissheit, dass ich noch auf richtiger Fährte hin. Eine steile Rampe zieht rechts aufwärts. Mein Körper wirft dunkle Schatten auf den Fels, und teilweise muss ich ein wenig zur Seite rücken, will ich noch die Griffe und Tritte in unmittelbarer Nähe ausfindig machen. Über mir in der Wand regt sich wieder was, es ist stürzender Schnee, über die Schöllhornplatte poltert Eis, doch ich bin in Sicherheit. Ein schmaler Standplatz ist erreicht, eine luftige Warte.

Über meinem Kopfe setzt ein großer Überhang an, zwei Ringhaken schauen herab, sie werden vorsichtig auf ihre Haltbarkeit geprüft. Der Fels drückt sehr nach außen, die Rucksackriemen schneiden in die Schultern. Ich muss zurück, stehe wieder auf der kleinen Plattform unterm Überhang. Mittels einer Seilschlinge wird der nicht. leichte Rucksack an den ersten Haken gehängt. Ohne diesen Ballast geht es wesentlich leichter. Eine kleine Ruckstemme, und der Überhang, die Schlüsselstelle, liegt unter mir. Der Rucksack wird aufgeholt, noch ein Blick im Scheine der Taschenlampe in den Zellerführer, um wieder Gewissheit über den weiteren Verlauf des Anstieges zu erlangen, da ja das Mondlicht gerade bei größerer Entfernung jedes Beurteilungsvermögen nimmt und dem Gelände keine Plastik gibt. Überlegend wird jede Rückzugsmöglichkeit in Erwägung gezogen, die Schlosserei und das 40-Meter-Perlonseil würden ja reichen. Der Ausstiegskamin mag noch mit allerlei Überraschungen aufwarten — Eiskaskaden, Schneebalkone — wie wird der Übergang zum ersten Bande sein ? Einige vereiste Platten werden links umgangen. Eine schmale Leiste führt nach links hin, an die Kante. Kalt und abweisend erscheint mir der sonst warme, sonnige Kalk. Doch die Griffe sind gut. Noch einmal kommen Zweifel wegen des Weiterweges auf. Einige Irrgänge, Fleißaufgaben, nochmals zurück, ein kurzer Quergang mithilfe einer Seilschlinge, dann stehe ich am Beginn des Schlusskamins. Ich bin angenehm überrascht. Der Weg scheint mir nach oben hin geöffnet. Der Grund des Kamins ist teilweise vereist, jedoch behindert das die Kletterei kaum. Eine Plattenrampe zieht nach links hin zum Beginn des ersten Bandes. Jäh ist der Übergang vom Fels auf harten Schnee, welcher nach unten in Eisrändern abbricht. Das Schöllhornkar liegt schon tief unter mir. Von Bartholoma dringt der Schein elektrischer Beleuchtung zu mir herauf. Hier mag das Jagdfest gerade seinen Höhepunkt haben. Der Mond hat sich schon stark nach Süden gewendet und steigt entlang dem abfallenden Schönfeldgrat höher. Eine große, weiße Fläche zieht steil nach links hoch, noch eine kurze Unterbrechung, dann stehe ich am Riesenbande. An verschiedenen Stellen ist der Schnee aufgerissen und lässt mich in schwarze Klüfte schauen. Hier mag die Schneehöhe bis zu 10 m betragen. Das Band wird immer schmäler und gibt bald den Blick in steil abfallende Schneerinnen frei. Eine fast senkrechte Schneewand zieht vor mir in die Höhe. Ganze Eiskaskaden hängen an den Wänden, doch sie scheinen sehr stabil. Die vorderen Zacken der Zwölfzacker und die Pickelspitze bieten den einzigen halt in dem abschüssigen Gelände. Kurze Zeit später stehe ich am Quergang zur Gipfelschlucht. Es ist Mitternacht. Nichts regt sich, unheimliche Ruhe in der Wand. Eine Orange belebt meinen ausgetrockneten Gaumen. Der Mond verschwindet hinter dem Watzmann-Grat, und immer weiter schleichen die schwarzen Schatten die Wand empor. Mit. Spannung betrete ich die Gipfelschlucht. Anfangs schaut sie geradezu einladend aus: eine steile Schneerinne, nur an einigen Stellen unterbrochen, zieht in die Höhe. Vorerst ist der Schnee noch glashart, wird aber mit zunehmender Höhe immer schlechter. An den benachbarten Gipfeln kann ich mein Fortkommen ermessen, Der Hachel-Kopf ist nun in gleicher Höhe. Die Watzmann-Kinder überragen mich nur um Weniges. Mein Tempo verlangsamt sich, öfters muss ich kurze Rastpausen einschalten, das andauernde Spuren strengt an. Rechts fällt die Wand steil zu den großen Bändern ab. Hier muss der Kederbacherweg herauf kommen. Überall unwirkliche Schneegebilde. Schneepilze — balkonartige Vorsprünge, ganze Wagenladungen gepressten Schnees hängen absturzbereit auf schmalen Gesimsen. Alles ist unter einer weißen Masse vergraben. Ausgleichend ziehen steile Schneefelder zum Grat empor, verdecken die Wandstufen und verleihen den Flanken den Eindruck absoluter Exponiertheit. Ich quere nach rechts hinüber. Schon nach den ersten Metern schwimme ich in grundlosem Pulver. Schlagartig haben sich die Verhältnisse geändert. Die Wand ist hier etwas nach Norden gerichtet und der Sonne abgetan. Zierliche Schneegrate nehmen meine Spur auf. Sie bilden die Brücke von einem Vorsprunge zum anderen. Fast tut es mir leid, diese wunderbaren Naturgebilde zu zerstören. In der Nähe. von Felsen ist ein Weiterkommen fast unmöglich, tiefe Hohlräume haben sich zwischen Fels und Schnee gebildet, und öfters müssen mühsame Umwege in Kauf genommen werden, um überhaupt noch weiter zu kommen. Im Südosten glänzt die. Hochfläche des Hochkönigs. Rechts die dunkle Pyramide des Hundstod. Unter einem überhängenden Felsen wird die. letzte Orange verzehrt. Der Wind hat hier in seinem schöpferischen Spiel einen großen Kolk gebildet. und mir so ein bequemes Rastplätzchen geschaffen. Hier müsste eigentlich die Biwakschachtel sein, doch liegt diese wahrscheinlich sehr tief unter dem Schnee begraben. Steile Rinnen und scharfe Schneegrate vermitteln den Anstieg, dazwischen wieder kurze Felspartien und zur Abwechslung aufreibende Querungen. Steil baut sich noch die Gipfelwand auf, Sie liegt im Schatten und lässt keine Einzelheiten erkennen. Ein Kamin, ganz mit Schnee ausgefüllt, leitet durch eine Steilstufe. An weit ausladenden Schneegebilden schleiche ich mich hoher. Die Neigung nimmt stark zu. Fast greifbar nahe hebt sich über mir die Silhouette des Gipfelgrates als weißer Saum vom dunklen Nachthimmel ab. Doch die Wand beugt sich nicht so schnell. Jeder Meter mag noch erkämpft sein. Eine. kurze Wandstufe — und frei liegt die steile Rinne, die zum Grat empor ziele, vor mir. Ich kann es kaum erwarten. Wieder trete ich in das helle Licht des Mondes. Kalter Wind empfängt mich. Die letzten Meter zum Gipfel haste ich noch. Kein Händedruck, kein Freund weit und breit, dem man seine Gefühle übermitteln könnte. Trotzdem ein großartiger Augenblick. Unter mir der dunkle Abgrund der höchsten Wand der Ostalpen und weiter draußen der Lichterkranz Berchtesgadens. Es ist erst vier Um früh Ich steige etwas vorn Gipfel ab, trete mir einen Platz zurecht und ziehe die Perlonhülle. über. In zwei Stunden muss ja die Sonne aufgehen, bis zu diesem Zeitpunkt will ich noch warten. Ich habe des Nachtwandelns genug und sehne mich nach Sonne und Wärme. Der Abstieg in das Wimbachgries ist mir noch fremd, und so ziehe ich den Grat hinüber zum Hocheck vor. Allmählich wird es im Osten hell. Ich mache mich wieder auf den Weg. Der Grat bietet keine besonderen Schwierigkeiten, dafür aber wunderbare Einblicke in die Wand, und jeden Meter dieser Wand, der von meiner Spur gezeichnet ist, suche ich ab. Wie wohl tut mir die Sonne. An der Mittelspitze genieße ich noch für kurze Zeit in vollen Zügen ihre Wärme. Noch einige Wächtengalerien und über den abgeblasenen Rücken geht es zum Watzmann-Hause hinunter. Ich freue mich schon auf einen heißen Tee. Doch mit jedem Schritt, den ich dem Hause näher komme, wird meine Enttäuschung größer. Die Fensterläden verschlossen, die Türen abgesperrt. Also wieder weiter, trotz höllischem Durst, hinunter ins Tal. Und dieser Abstieg ist noch ein elender Schinder.«

 

Friedrich Thiersch und die Münchener Alternative

Akademischer Alpenverein München

Jahresbericht 1928/1929

Watzmann-S.-Spitze (2712 m). Neuer Durchstieg durch die 0.-Wand unter Vermeidung der Schöllhornplatten und der Schwierigkeiten des Salzburger Weges. Durch Fritz Thiersch am 15.Juli 1929.

Der Weg führt durch die große Gras- und Karmulde, die links neben der Gipfelfallinie der Südspitze zum Südgrat hinaufzieht und etwa 400 m über dem Einstieg nach rechts gegen den deutlichen Vorbau hin, der unter der Mitte des ersten Bandes liegt.

Von der Eiskapelle am besten rechts in der Nähe des Baches aus dem Eiskar, über die Dolomitstufe hinauf. über Gras und brüchiges Gestein zu einem großen Schuttfleck (1 St.). Weiter über die rechts hinter ihm (südl.) ansetzenden glattgewaschenen Felsen und Rinnen auf einen wagrechten Absatz rechts (Steinmann). Auf einem Plattenband 50 m nach links und dann rechts aufwärts zu Schrofen. In dem oberen grasbewachsenen Spalt, der hier sichtbar wird nach rechts hinüber bis über die nächste Rippe. Dann auf das tiefer ansetzende Grasband. Der Durchstieg führt dann hinter dem Turm am Ende des Bandes in die Schlucht hinein, die zwischen Wand und Turm eingeschnitten ist. Etwas rechts ihrer Mündung über die Wandstufe hinauf und in der Schlucht empor. (Die schweren Stellen werden seitlich umgangen.) Die Schlußwand hinter einem kleinen Geröllfleck wird von links nach rechts ansteigend überwunden. Nun auf den Grat des Turmes und nach Süden zur Wand hin. Leicht nach rechts zu den Platten, die vom ersten Band herab ziehen und über sie hinauf auf das erste Band. Hier Treffpunkt mit dem Salzburger Weg. Mit Ausnahme der nun folgenden 20 m hohen Stelle (sehr schwer) nur schwierige Kletterei.

Bis zum Erreichen des I. Bandes (4-5 Std.), zum Gipfel weitere 2 ½ Std.

Watzmann Ostwand – Schlüsselstelle Wasserfallplatte

Die Wasserfallplatte ist eine erste Schlüsselstelle bei der Begehung der Watzmann Ostwand auf dem Berchtesgadener Weg.

Die Platte sollte nicht ungesichert und nicht gerade hoch geklettert werden.

Nach der Wasserplatte keinesfalls schräg links in den vermeintlich leicht gangbaren Bereich klettern. Die richtige Führe ist schräg rechts hoch auf die Rampe.