Hermann Buhl – Magische Momente in der Ostwand

Mit Hermann Buhl verbinden viele, fast alle wirklichen Alpinisten, die Erstbesteigung des Nanga Parbats am 03.07.1953.

Buhls Bergsteigerleben fand fast 4 Jahre später, am 27.06.1957 ein tragisches Ende beim Abstieg von der Chogolisa.

Wenigen ist jedoch bekannt, welche Spuren Hermann Buhl an der Ostwand des grossen Watzmanns hinterlassen hat.

In der Nacht vom 28.02. auf den 01.03.1953 durchstieg Hermann Buhl als Erster im Alleingang und im Winter den Salzburger Weg.

Wer jemals in einer wolkenlosen Vollmondnacht das Watzmannmassiv gesehen hat bekommt einen ungefähren Eindruck von der Magie dieser Momente am Fels. Dieser dürfte sich nicht unwesentlich durch die Bedeckung des Fels mit Schnee noch verstärkt haben.

Buhl berichtet selbst über seine Durchsteigung.

Der Bergsteiger

1953

Hermann Buhl

»Man schreibt den 28. Februar 1953. Es ist gerade Mittagszeit. Wie bei einem Torlauf schlängle ich mich, bepackt mit Rucksack, Ski und Eispickel, durch das Gewühl von Menschen, das sich durch Münchens Hauptstraßen zwängt. Die Hochdrucklage der letzten Tage ließ mich nicht länger in der Stadt verweilen. Dank der verständnisvollen Einsicht meines Chefs, welcher ja selbst begeisterter Bergsteiger war, konnte ich schon am Freitag meinen Arbeitsplatz verlassen.

Der D-Zug bringt mich in die Berge. Berchtesgaden — alles aussteigen! Dieser Erdenfleck ist mir fast schon zur zweiten Heimat geworden, seitdem ich mir hier meine Lebensgefährtin geholt. Hier ist noch tiefer Winter. Noch schnell einige Einkäufe, die Ski bleiben in der Gepäck-Aufbewahrung und weiter zum Königssee.

Die Einheimischen verstehen ihr Geschäft, und erst, nachdem ich den >Eintritt< bezahlt habe, darf ich mit einem Billett in der Hand die feste Eisdecke des zugefrorenen Königssee betreten. Manch fragenden Blick muss ich über mich ergehen lassen. Rucksack, Eispickel — allein Richtung Bartholomä — wird wohl nicht … Zu allem Ungeschick begegne ich noch einem Nachbarn aus der Ramsau. Wenn das nur nicht meine Frau erfährt! Eine Stunde später ist Bartholomä erreicht. Ein verstohlener Blick hinauf zur Wand, die Verhältnisse lassen sich nicht entziffern. Im Gasthause am See wird mein Bärenhunger etwas gestillt. Mir gegenüber sitzt eine fröhliche Tischrunde. Es scheinen Jagdfreunde zu sein. Sie besprechen gerade das Programm des bevorstehenden Abends. Schweinsbraten, dazu eine anständige Maß Bier und dann einen Humpen Wein. Mir wird ein Teller heißer Suppe serviert. Es ist nicht ganz zu vermeiden, dass auf der Suche nach Proviant der eine oder andere alpine Ausrüstungsgegenstand aus dem Rucksack hervorschaut. Und wieder dieselbe Frage auf den Mienen der Anwesenden:  „Was willst du denn da mit dem Pickel — wo ist dein Kamerad ?“, und ich fühle mich förmlich verpflichtet, ihnen Auskunft zu geben.

Anhand des Führers wird noch einmal die Route, der Salzburger Weg, studiert. Ein kurzer Vergleich mit der Natur, es ist gerade noch hell genug. Die markantesten Stellen werden eingeprägt.

Um 7 Uhr abends verlasse ich Bartholomä. Schon nach kurzer Zeit endet der Holzziehweg, und somit auch jegliche Spur menschlichen Daseins. Trügerischer Bruchharsch macht jeden Schritt zur Anstrengung. Teils versinke ich bis zu den Knien im Schnee. Hinter dem Göllmassiv kommt der Mond hervor und überflutet die Umgebung mit silbernem Glanze. Schemenhaft wächst. vor mir die gewaltige Wand empor. Wie anders ist es hier im Sommer. Lärmerfülltes Treiben übermütiger Menschen, welche die Natur nur als einen Tummelplatz betrachten. Jetzt zieht nur die Gemse einsam ihre Spur im tiefen Schnee, und ah und zu wird die feierliche Ruhe vorn Gepolter niedergehender Lawinen unterbrochen.

Über frische, zu Eis gefestigte Lawinenkegel steige ich steil den hintersten Winkel der Eiskapelle hinan. Der erste Steilaufschwung liegt unter tiefem Schnee begraben. Meterhohe Eiswände, hart wie Beton, haben die niederstürzenden Schneemassen, die mit der Gewalt ganzer Lastzüge die Wand herunter poltern, in den Schnee gefräst. Ich habe gutgetan, diese Zeit. für den unteren Teil des Anstieges zu wählen, in der normalerweise der Mensch sich ausruht. Der Nachtfrost hält den Schnee zusammen. Allerdings, ein kleiner Rechenfehler ist mir unterlaufen. Die wohl harte Oberfläche des Schnees hält dem Körpergewicht nicht stand. Die Verfirnung des Schnees hat noch nicht stattgefunden, da die Sonne nur für wenige Stunden am Tage die Planken der Wand berührt. Bruchharsch nennt man dieses unangenehme Stadium der Schneeveränderung. Doch die harten Lawinenbahnen ermöglichen mir ein rascheres Ansteigen, allerdings nur mit Hilfe der Steigeisen, denn hier ist es beinhart. Mehrmals lässt mich das markdurchdringende Getöse abgehender Lawinen aufhorchen. Es ist in den gegenüberliegenden Flanken des Hachelkopfes, welche, noch im Schatten, wie ein Ungeheuer herüber dräuen.

Meine überreizten Nerven scheinen mich zu narren. Gruselige Bilder zeigen sich vor meinem Auge. immer wieder sehe ich die leblosen Körper der beiden Abgestürzten in der weißen Schneefläche. Es ist ja erst einige Monate her. Damals machte ich erstmals Bekanntschaft mit der Watzmann-Ostwand. Mit noch einigen Berchtesgadener Kameraden war ich auf der Suche nach zwei vermissten Bergsteigern. Die Wand war schon in tiefem Neuschnee-Kleide. Wir verfolgten eine Spur. Sie verlor sich in frischen Lawinenrutschen. Angestrengt suchte das Auge die weiße Fläche am Wandfuße ab. Da — ein runder Gegenstand, ein Rucksack — dann ein Biwaksack — eine Proviant-Dose. Ein Anhaltspunkt. In der Sturzbahn steigen wir an. Und wieder — ein Handschuh — Schneereifen, hier lag etwas Schwarzes im Schnee Es war einer der beiden, die wir suchten. Weiter oben wieder die Spur. Wir verfolgten sie. Eine steile Schneerinne, Rutschspuren und dann — ein Körper hängt leblos am Seil, der Schnee ist noch blutgetränkt.

Noch eine leichte Querung, dann stehe ich im Schöllhornkar. Gott sei Dank — die Erinnerungen weichen. Ich finde die altgewohnte Ruhe wieder. Auch hier erlauben mir die tiefen Lawinenfurchen ein rascheres Vorwärtskommen. Eine dunkle Felswand stellt sich nun vor mir auf. Ich weiß, das Mondlicht trügt, aber trotzdem wird es kein Kinderspiel werden. Eine schmale Randkluft, ein kurzes, steiles Eisfeld, dann setzt jäh glatter Fels an. Noch im Eise stehend werden die Steigeisen abgeschnallt und verschwinden im Rucksack, ich brauche sie jetzt für längere Zeit nicht mehr. Es geht gegen 22 Uhr. Mein Höhenmesser zeigt 1400 Meter; 500 Meter der Wand liegen also hinter mir. Eine sehr glatte Platte hätte mich beinahe zu langwierigen Umwegen gezwungen, ehe ich am Beginn des Salzburger Weges, des schwersten Ostwand-Anstieges, bin. Gerade an den Vorsprüngen, die mir eine sichere Auflage für meine Profilgummisohlen gewähren würden, liegt größtenteils eine feine Eisauflage. Überall plätschert Wasser von den Wänden. Unheimlich lau scheint mir diese Nacht. Der Fels ist abweisend und glatt. Ich versuche es etwas links, doch hier muss ich die ersten Meter durch die kühlende Traufe hindurch. Verrostete Ringhaken geben mir die Gewissheit, dass ich noch auf richtiger Fährte hin. Eine steile Rampe zieht rechts aufwärts. Mein Körper wirft dunkle Schatten auf den Fels, und teilweise muss ich ein wenig zur Seite rücken, will ich noch die Griffe und Tritte in unmittelbarer Nähe ausfindig machen. Über mir in der Wand regt sich wieder was, es ist stürzender Schnee, über die Schöllhornplatte poltert Eis, doch ich bin in Sicherheit. Ein schmaler Standplatz ist erreicht, eine luftige Warte.

Über meinem Kopfe setzt ein großer Überhang an, zwei Ringhaken schauen herab, sie werden vorsichtig auf ihre Haltbarkeit geprüft. Der Fels drückt sehr nach außen, die Rucksackriemen schneiden in die Schultern. Ich muss zurück, stehe wieder auf der kleinen Plattform unterm Überhang. Mittels einer Seilschlinge wird der nicht. leichte Rucksack an den ersten Haken gehängt. Ohne diesen Ballast geht es wesentlich leichter. Eine kleine Ruckstemme, und der Überhang, die Schlüsselstelle, liegt unter mir. Der Rucksack wird aufgeholt, noch ein Blick im Scheine der Taschenlampe in den Zellerführer, um wieder Gewissheit über den weiteren Verlauf des Anstieges zu erlangen, da ja das Mondlicht gerade bei größerer Entfernung jedes Beurteilungsvermögen nimmt und dem Gelände keine Plastik gibt. Überlegend wird jede Rückzugsmöglichkeit in Erwägung gezogen, die Schlosserei und das 40-Meter-Perlonseil würden ja reichen. Der Ausstiegskamin mag noch mit allerlei Überraschungen aufwarten — Eiskaskaden, Schneebalkone — wie wird der Übergang zum ersten Bande sein ? Einige vereiste Platten werden links umgangen. Eine schmale Leiste führt nach links hin, an die Kante. Kalt und abweisend erscheint mir der sonst warme, sonnige Kalk. Doch die Griffe sind gut. Noch einmal kommen Zweifel wegen des Weiterweges auf. Einige Irrgänge, Fleißaufgaben, nochmals zurück, ein kurzer Quergang mithilfe einer Seilschlinge, dann stehe ich am Beginn des Schlusskamins. Ich bin angenehm überrascht. Der Weg scheint mir nach oben hin geöffnet. Der Grund des Kamins ist teilweise vereist, jedoch behindert das die Kletterei kaum. Eine Plattenrampe zieht nach links hin zum Beginn des ersten Bandes. Jäh ist der Übergang vom Fels auf harten Schnee, welcher nach unten in Eisrändern abbricht. Das Schöllhornkar liegt schon tief unter mir. Von Bartholoma dringt der Schein elektrischer Beleuchtung zu mir herauf. Hier mag das Jagdfest gerade seinen Höhepunkt haben. Der Mond hat sich schon stark nach Süden gewendet und steigt entlang dem abfallenden Schönfeldgrat höher. Eine große, weiße Fläche zieht steil nach links hoch, noch eine kurze Unterbrechung, dann stehe ich am Riesenbande. An verschiedenen Stellen ist der Schnee aufgerissen und lässt mich in schwarze Klüfte schauen. Hier mag die Schneehöhe bis zu 10 m betragen. Das Band wird immer schmäler und gibt bald den Blick in steil abfallende Schneerinnen frei. Eine fast senkrechte Schneewand zieht vor mir in die Höhe. Ganze Eiskaskaden hängen an den Wänden, doch sie scheinen sehr stabil. Die vorderen Zacken der Zwölfzacker und die Pickelspitze bieten den einzigen halt in dem abschüssigen Gelände. Kurze Zeit später stehe ich am Quergang zur Gipfelschlucht. Es ist Mitternacht. Nichts regt sich, unheimliche Ruhe in der Wand. Eine Orange belebt meinen ausgetrockneten Gaumen. Der Mond verschwindet hinter dem Watzmann-Grat, und immer weiter schleichen die schwarzen Schatten die Wand empor. Mit. Spannung betrete ich die Gipfelschlucht. Anfangs schaut sie geradezu einladend aus: eine steile Schneerinne, nur an einigen Stellen unterbrochen, zieht in die Höhe. Vorerst ist der Schnee noch glashart, wird aber mit zunehmender Höhe immer schlechter. An den benachbarten Gipfeln kann ich mein Fortkommen ermessen, Der Hachel-Kopf ist nun in gleicher Höhe. Die Watzmann-Kinder überragen mich nur um Weniges. Mein Tempo verlangsamt sich, öfters muss ich kurze Rastpausen einschalten, das andauernde Spuren strengt an. Rechts fällt die Wand steil zu den großen Bändern ab. Hier muss der Kederbacherweg herauf kommen. Überall unwirkliche Schneegebilde. Schneepilze — balkonartige Vorsprünge, ganze Wagenladungen gepressten Schnees hängen absturzbereit auf schmalen Gesimsen. Alles ist unter einer weißen Masse vergraben. Ausgleichend ziehen steile Schneefelder zum Grat empor, verdecken die Wandstufen und verleihen den Flanken den Eindruck absoluter Exponiertheit. Ich quere nach rechts hinüber. Schon nach den ersten Metern schwimme ich in grundlosem Pulver. Schlagartig haben sich die Verhältnisse geändert. Die Wand ist hier etwas nach Norden gerichtet und der Sonne abgetan. Zierliche Schneegrate nehmen meine Spur auf. Sie bilden die Brücke von einem Vorsprunge zum anderen. Fast tut es mir leid, diese wunderbaren Naturgebilde zu zerstören. In der Nähe. von Felsen ist ein Weiterkommen fast unmöglich, tiefe Hohlräume haben sich zwischen Fels und Schnee gebildet, und öfters müssen mühsame Umwege in Kauf genommen werden, um überhaupt noch weiter zu kommen. Im Südosten glänzt die. Hochfläche des Hochkönigs. Rechts die dunkle Pyramide des Hundstod. Unter einem überhängenden Felsen wird die. letzte Orange verzehrt. Der Wind hat hier in seinem schöpferischen Spiel einen großen Kolk gebildet. und mir so ein bequemes Rastplätzchen geschaffen. Hier müsste eigentlich die Biwakschachtel sein, doch liegt diese wahrscheinlich sehr tief unter dem Schnee begraben. Steile Rinnen und scharfe Schneegrate vermitteln den Anstieg, dazwischen wieder kurze Felspartien und zur Abwechslung aufreibende Querungen. Steil baut sich noch die Gipfelwand auf, Sie liegt im Schatten und lässt keine Einzelheiten erkennen. Ein Kamin, ganz mit Schnee ausgefüllt, leitet durch eine Steilstufe. An weit ausladenden Schneegebilden schleiche ich mich hoher. Die Neigung nimmt stark zu. Fast greifbar nahe hebt sich über mir die Silhouette des Gipfelgrates als weißer Saum vom dunklen Nachthimmel ab. Doch die Wand beugt sich nicht so schnell. Jeder Meter mag noch erkämpft sein. Eine. kurze Wandstufe — und frei liegt die steile Rinne, die zum Grat empor ziele, vor mir. Ich kann es kaum erwarten. Wieder trete ich in das helle Licht des Mondes. Kalter Wind empfängt mich. Die letzten Meter zum Gipfel haste ich noch. Kein Händedruck, kein Freund weit und breit, dem man seine Gefühle übermitteln könnte. Trotzdem ein großartiger Augenblick. Unter mir der dunkle Abgrund der höchsten Wand der Ostalpen und weiter draußen der Lichterkranz Berchtesgadens. Es ist erst vier Um früh Ich steige etwas vorn Gipfel ab, trete mir einen Platz zurecht und ziehe die Perlonhülle. über. In zwei Stunden muss ja die Sonne aufgehen, bis zu diesem Zeitpunkt will ich noch warten. Ich habe des Nachtwandelns genug und sehne mich nach Sonne und Wärme. Der Abstieg in das Wimbachgries ist mir noch fremd, und so ziehe ich den Grat hinüber zum Hocheck vor. Allmählich wird es im Osten hell. Ich mache mich wieder auf den Weg. Der Grat bietet keine besonderen Schwierigkeiten, dafür aber wunderbare Einblicke in die Wand, und jeden Meter dieser Wand, der von meiner Spur gezeichnet ist, suche ich ab. Wie wohl tut mir die Sonne. An der Mittelspitze genieße ich noch für kurze Zeit in vollen Zügen ihre Wärme. Noch einige Wächtengalerien und über den abgeblasenen Rücken geht es zum Watzmann-Hause hinunter. Ich freue mich schon auf einen heißen Tee. Doch mit jedem Schritt, den ich dem Hause näher komme, wird meine Enttäuschung größer. Die Fensterläden verschlossen, die Türen abgesperrt. Also wieder weiter, trotz höllischem Durst, hinunter ins Tal. Und dieser Abstieg ist noch ein elender Schinder.«

 

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