Ein schriftliches Denkmal für die Berchtesgadener Bergführer

Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenvereins, 1939

Unsere Bergführer

Fritz Schmitt, München

Wir wagen nun einen weiten Sprung hinüber ins Berchtesgadner Land.

Einer der ersten Berufsführer war hier der 1816 geborene Johann Jlsanker, genannt Stanzl. Ein Original ! Sein Leibberg war der Watzmann; im Sommer 1868 stand er 59mal oben, und im Februar 1871 brannte er mit Peter Lölzl nach der Einnahme von Paris auf dem Hocheck ein Siegesfeuer ab. Es war dies die erste Winterbesteigung.

Im nächsten Sommer besuchte der damalige deutsche Kronprinz den Watzmann, und es wurde nach dem ältesten Führer, dem Stanzl, geschickt. Der Prinz erzählte beim Aufstieg von der tapferen bayrischen Armee, die er Anno 70 geführt, und der Stanzl von den guten und minderen Leeren am Seil. Auf dem Hocheck meinte der Prinz nachdenklich: „Das ist eine eigene Sache mit dem Führen, nicht wahr, Stanzl?“ — „Woll, woll, Hoheit!“ antwortete der Berchtesgadner. „A richtiger Führer ist d‘ Hauptsach, und wenn d‘ Hoheit uns Bayern Anno 66 g’führt hält‘, nacher hätten mir sie kreuzweis verdroschen, die großmäuligen Preußen!“

Genau zwölf Jahre später schickte der Kronprinz dem Stanzl zum 50jährigen Führer Führerjubiläum einen freundlichen Brief und obendrein 100 Mark! —

Aus der Anfangszeit sind ferner zu nennen: Johann Berger, der L. von Barth 1868 auf das Grundübelhorn begleitete, die Brüder Johann und Josef Grafl, Simon Lasenknopf, Aschauer, vulgo Wimbacher, und Kaspar Ofner, der alte „Preißei“ und Stiefvater des Johann Punz. Ofner ging häufig mit Kaindl aus Linz und F. von Schilcher.

Der Lorbeer der Berchtesgadner Führerschaft gebührt Johann Grill, dem alten Kederbacher. Am 22. Oktober 1835 wurde er in Ramsau geboren. Mit dem jüngeren Nachbarsbuben Johann Punz, dem „Preißei“, erstieg er 1868 den Kleinen Watzmann über die bauchige Südwand und überschritt alle drei Watzmanngipfel. Es ist hier nicht möglich, nur annähernd die Erstbesteigungen Kederbachers aufzuzählen. 1874 betrat er mit Loschge in den Westalpen Wetterhorn,Schreckhorn, Matterhorn, Lyskamm und andere Gipfel. Als bedeutendste spätere Fahrten seien aus der Fülle herausgegriffen: 2. Begehung der Weißhorn-Westwand mit Farrar, Finsteraarhorn-Südostgrat, neuer Weg auf die Aiguille Verte, Erst Ersterkletterung des „Roten Turmes“ am Bietschhorn und Piz Kesch-Südwand. Ins Insgesamt ­stand er fünfzigmal auf Viertausendern, und in den Ostalpen blieb ihm kaum eine Gruppe fremd. Wenn von Kederbachers schönsten Bergerfolgen die Rede ist, dürfen die Erstersteigungen des Tribulaun (1874), der 1700 m hohen Wahmann-Ost- wand (1881) und des Presanella-Rordostgrates nicht verschwiegen werden. Kederbacher blieb bis in sein hohes Alter rüstig. Mit 57 Jahren durchstieg er innerhalb 14 Tagen zweimal die Watzmann-Ostwand, und als Sechziger erklomm er trotz tiefen Neuschnees Croda da Lago und Kleine Zinne. Ab 1888 bewirtschaftete der berühmte Ramsauer das neu erstellte Watzmannhaus. Die Feier seines 80. Geburtstages brachte ihm ein glückliches Erinnern, und innig freute er sich über ein ehrendes Schreiben des D. A. V.

Im Kriegswinter 1917 trat der alte Kederbacher ohne Siechtum und Kampf seine letzte Erdenfahrt an. In sein Führerbuch schrieben vorbildliche Alpinisten Worte höchster Anerkennung. Farrar bezeichnte ihn als „Sinnbild unbeugsamer Anerschrockenheit“. Dr. Blodig, der ihn einen „Fürsten im Bauernkittel“ nannte, erzählte, daß Keder Kederbacher einmal auf Drängen nach einer Besteigung der Aiguille Blanche gesagt habe:  „Ja, ja, es geht schon, aber i geh net!“ Als Friedmann eine Karte in eine Gipfelflasche gesteckt hatte, erkundigte sich Kederbacher nach dem Sinn dieses Tuns, überlegen meinte er: „Dös hat alles koan Wert! D‘ Hauptsach is, daß i selber woaß, daß i droben war!“ Fast sprichwörtlich ist Kederbachers Beruhigungsformel vor mancher gewagten Fahrt geworden: „Wenn man nur woaß, wo der Berg steht!“ Alle drei Kederbacher-Söhne haben das Führerzeichen erworben, und besonders der älteste, der 1862 geborene Hans, machte seinem väterlichen Vorbild alle Ehre.Mit 17 Jahren autorisiert, mit 19 Jahren auf einem Viertausender — für einen Ramsauer nicht alltäglich! Bei dem erstklassigen Ruf — „völlig gleichwertig mit seinem Vater in dessen besten Tagen“, schrieb Capt. Farrar, mit dem er erstmals Pointe Farrar erklomm und in den Dolomiten Schmittkamin, Winklerturm und Rosengartenspitze-Ostwand kennenlernte — erübrigt sich eine lange Fahrtenliste. Er stand auf mehr als 40 verschiedenen Westalpenhäuptern, beispielsweise auf dem Matterhorn fünfmal. Nach einem Armbruch übernahm er 1905 das Watzmannhaus.

Dem jüngeren Kederbacher war nicht ein so friedlich-glücklicher Lebensabend beschieden wie seinem Vater. 1929 erlag er einem schweren, zehrenden Leiden.

Ein Nachbar,Kamerad und Weggefährte des alten Kederbacher war Johann Punz, als „Preißei“ weit bekannt. Die Einträge im Führerbuch des um acht Jahre Jüngeren beginnen 1861. Im nächsten Sommer lesen wir bereits Glöckner, Lochtenn, Wiesbachhorn und später Weißkugel, Ortler, Zillertaler und Rieserferner. Mehrmals begleitete er Prof. Richter wochenlang auf seinen „Gletscherbeobachtungen“: „War, wie immer, mit seiner Bescheidenheit und Geschicklichkeit sehr zufrieden. …“ 1888 nahmen Purtscheller und Dr. Diener den schneidigen „Preißei“ — ein Turist schrieb einmal „Punz aus Preußen“ auf drei Wochen mit ins Wallis. Von den 20 erstiegenen Gipfeln seien nur genannt: Matterhorn, Weißhorn, Montblanc de Seilon, Grand Combin usw. In seiner Bergheimat schaffte er sich durch Wiederholungen der Watzmann-Ostwandfahrt, Erstbegehung der Lochkalter-Ostflanke und Erkletterung des brüchigen Kleinen Palfelhorns — „ein eminenter Führer“, schrieb F. von Schilcher ins Buch einen guten Ruf. 1890 kam in der Wahmann-Ostwand die dunkle Stunde seines Daseins: Schöllhorn stürzte in die Randkluft. „Preißei“ litt seelisch sehr unter diesem tragischen Ünglück und konnte seine Leistungen vorher lesen wir noch Marltgrat bis zur Lälfte, Monte Disgrazia, Biancograt, Zinalrothorn nicht mehr überbieten. 1894 mußte er wegen eines Herz- und Lungenleidens dem Führerberuf entsagen, und 1907 schloß er seine weltmüden, einst so tatenfrohen Augen.

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