Friedrich Thiersch und die Münchener Alternative

Akademischer Alpenverein München

Jahresbericht 1928/1929

Watzmann-S.-Spitze (2712 m). Neuer Durchstieg durch die 0.-Wand unter Vermeidung der Schöllhornplatten und der Schwierigkeiten des Salzburger Weges. Durch Fritz Thiersch am 15.Juli 1929.

Der Weg führt durch die große Gras- und Karmulde, die links neben der Gipfelfallinie der Südspitze zum Südgrat hinaufzieht und etwa 400 m über dem Einstieg nach rechts gegen den deutlichen Vorbau hin, der unter der Mitte des ersten Bandes liegt.

Von der Eiskapelle am besten rechts in der Nähe des Baches aus dem Eiskar, über die Dolomitstufe hinauf. über Gras und brüchiges Gestein zu einem großen Schuttfleck (1 St.). Weiter über die rechts hinter ihm (südl.) ansetzenden glattgewaschenen Felsen und Rinnen auf einen wagrechten Absatz rechts (Steinmann). Auf einem Plattenband 50 m nach links und dann rechts aufwärts zu Schrofen. In dem oberen grasbewachsenen Spalt, der hier sichtbar wird nach rechts hinüber bis über die nächste Rippe. Dann auf das tiefer ansetzende Grasband. Der Durchstieg führt dann hinter dem Turm am Ende des Bandes in die Schlucht hinein, die zwischen Wand und Turm eingeschnitten ist. Etwas rechts ihrer Mündung über die Wandstufe hinauf und in der Schlucht empor. (Die schweren Stellen werden seitlich umgangen.) Die Schlußwand hinter einem kleinen Geröllfleck wird von links nach rechts ansteigend überwunden. Nun auf den Grat des Turmes und nach Süden zur Wand hin. Leicht nach rechts zu den Platten, die vom ersten Band herab ziehen und über sie hinauf auf das erste Band. Hier Treffpunkt mit dem Salzburger Weg. Mit Ausnahme der nun folgenden 20 m hohen Stelle (sehr schwer) nur schwierige Kletterei.

Bis zum Erreichen des I. Bandes (4-5 Std.), zum Gipfel weitere 2 ½ Std.

Friedrich Thiersch V & VII – Kleiner Watzmann ohne grossen Schinder

Der klassische Anstieg auf den kleinen Watzmann erfolgt in der Regel von Kühroint kommend über den Kederbichel mit der Schlüsselstelle Gendarm.

Relativ spät eröffnete sich durch die Seilschaft Thiersch V, Thiersch VII und Meindl eine Alternativroute.

Nachträglicher Bericht über eine Erstbegehung am Kleinen Watzmann

Die üblichen Anstiege von nicht zu großer Schwierigkeit auf den Kleinen Watzmann haben das Unangenehme, daß man am Anfang jedesmal einen sog. großen Schinder zu erledigen hat.

(Kederbichel auf der normalen Route; Watzmannkar, wenn man von der Watzmannscharte aus die Südwand oder den Südwestgrat benützt.)

Daher ist folgender Anstieg empfehlenswert, der zum erstenmal am 30. August 1926 von Friedrich Thiersch V, Christoph Meindl und Friedrich Thiersch VII gewählt wurde.

Er geht vom Schneeloch (1 Std. Kühroint) aus und benützt die große Plattenflucht, die zu ihm von der breiten Scharte herabfällt, welche in dem zum Mooslohnerkopf ziehenden Ostgrat des Kl. Watzmanns von weitem sichtbar ist. Von der höchsten Stelle des Schneefeldes aus wurde in einigen schwierigen Rissen die untere Steilstufe der Plattenflucht erklettert und durch Benutzung von Plattenrillen die erwähnte Scharte erreicht; nun erhebt sich der Ostgrat in einigen Türmen, deren zwei größte schwierig überklettert wurden. (Umgehung rechts leicht.) Dann auf dem rasendurchsetzten breiten Rücken zum Südgipfel. Der Weg verbindet mit anregender Kletterei schönste Tiefblicke auf den Königsee.

Schneeloch unterhalb des „Fensters“

Mit Josef Aschauer und Elisabeth Dabelstein auf der Wiederroute

Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, 1924

Die Wieder-Route

Von Elisabeth Dabelstein

 

Mit edeln Purpurröten

Und hellem Amselschlag,

Mit Rosen und mit Flöten

Stolziert der junge Tag!

F. Mener.

 

Ich stand am Herd und schaute der Mutter des Freundes zu, wie sie den Tee für unsere Feldflaschen mit Zucker und Rum würzte. Er selbst lehnte in der offenen Hoftür und prüfte beim letzten Licht des versinkenden Sommertages langsam und sorgfältig das Seil, das in diesem Jahr zum ersten Mal wieder benutzt werden sollte und das mir bekannt und gewohnt genug geworden war.

„Mei,“ seufzte die Mutter auf, „i weiß halt nimmer, was i dazu sagen soll — immer und immer gehts Ihr auf die Berg und allweil die wildesten müssens sein!“

Ich selbst wußte auch nicht, was ich dazu sagen sollte. Es war so behaglich gewesen, all diese letzte Zeit, wo ich allein im Hagengebirge herumgestrolcht und dann in die Hochkaltergruppe hinübergewechselt war. Aber mit dieser Behaglichkeit würde es nun vorbei sein, und nebenbei gesagt, es war gar nicht auszudenken, wie der Tag morgen verlaufen sollte, denn der Freund schwieg sich über Genaueres von unserem Ziel hartnäckig aus und sagte mir: „Ich führ Dich schon an ein schönes Platzerl!“ Irgendwo zwischen Himmel und Erde.

Schön, ja, das mußte ich selbst an diesem verzagten Abend zugeben, schön waren seine Patzerl allerdings.

„Weißt Beppi, i glaub fast, die Lili hat so recht keinen Schwung.“ fuhr die Mutter fort.

Joseph hob seinen Krauskopf und sah kritisch hinüber. „Dös war a Schlager, kein Schwung nicht!“ spottete er.

„Bleibts daheim und rastets aus!“ sagte sie, aber ihr Junge erklärte unumstößlich:

„Na, Muader, dös geht nicht. Aufi müssen mir, da kannst nix machen.“

Aufseufzend schraubte sie die Flaschen zu und schickte uns hinüber ins kleine Landhaus, wo mein Stübchen gegenüber dem der Söhne des Hauses lag. Wir packten das letzte in die Rucksäcke, und als wir uns schon niedergelegt hatten, kam die liebe Frau noch und stellte uns einen Rudel zum Frühstück bereit.

Es war vor drei Uhr und noch tiefdunkle Nacht, als wir dann vor eben diesem Rudel saßen. Entsetzlich schnarrend hatte der Wecker geraffelt, hohläugig hatte mich die ungelöste Frage dieses Tages angestarrt, als ich den Freund mit sanftem Puff geweckt hatte. Nun brodelte der Tee auf dem Spirituskocher und der Junge aß in Gemütsruhe eine Scheibe Rudel mit Marmelade nach der andern — nachts um 3 Uhr, wenn man noch halb schläft, wie kann man es nur? —

Wir waren fertig. Ueber den kleinen Hof und durch den Gang, den ein fast venezianisch anmutender Bogen überwölbt, an der Schnitzwerkstätte vorbei, traten wir auf die stillen Straßen Berchtesgadens hinaus. Jetzt waren sie einmal frei von all dem vielen fremden Volk, das sich hier sonst bewegt und mit seiner Buntheit nicht in das Bild solches Alpenstädtchens paßt, so frei wie sonst nur im späten Herbst und ersten Frühling, den wir darum liebten.

Letzte Sterne über einem Sommermorgen und Wandertag scheinen uns immer selten klar und leuchtend zu sein, und an diesem Tag waren sie es noch ganz besonders. Sie blinzelten freundlich zu diesen zwei Menschen hinab, deren rascher Schritt in so gutem Takt zueinander klang, die sich so gut kannten, daß jenes Schweigen zwischen ihnen war, das aus selbstverständlicher Kameradschaft entspringt. Und als die Sternlein sahen, daß es stetig vorwärts ging und es nichts weiter zu beobachten gab, da erloschen sie und überließen die Herrschaft dem sich mählich nähernden Tagesgestirn.

Die Nebel über der Königseer Ache hingen noch dicht, und ihr Wasser sah an diesem frühen Morgen so kalt aus, daß wir unwillkürlich zusammenschauerten und schneller gingen. Aber es wandert sich köstlich, wenn so ein sprudelnder Bach an unserer Seite sein Lied plätschert von der Höhe dort oben, aus der er kam, von der Ebene in der Ferne, zu der er will und von deren Trostlosigkeit der muntere Gesell so wenig weiß wie wir von den Jahren, die vor uns liegen — nun, froh wollen wir sein, daß wenigstens heute unser Weg die umgekehrte Richtung hat!

Ein fleißiges Bäuerlein steht in seiner nassen Wiese und beginnt zu mähen. Ich will daraufhin etwas Landwirtschaftliches zu meinem Freunde sagen, aber ich kann mich nicht aufraffen, und die Dinge ringsum reden auch so eindringlich mit mir, daß ich sie nicht unterbrechen kann. Da ist eine Bank, auf der einst zwei Leutchen zu sitzen pflegten, die jetzt nicht mehr beieinander sind. Und da ist inmitten blumenreichster Matten ein trauliches, weißes Haus, in dem nicht das Glück, bewahre, in dem eine ältere Schulvorsteherin wohnt, die Schuld daran hat, daß diese Bank jetzt leer bleibt. Ich kann ein Lachen nicht unterdrücken — was zwitschert doch die Meise auf jenem Buchenast dort? Wahrhaftig: „’s kommt wieder, ’s kommt wieder, bald, bald, bald.“ Nun, das muß ich Joseph denn doch erzählen, zumal er am Ende an der Sache beteiligt sein könnte!

Die Schönau liegt hinter uns, und gleich darauf nimmt unser Wog einen so mutigen Anlauf hinauf gen Herrenroint, daß uns die ersten Schweißtropfen auf die Stirn treten. Man kann es wohl kaum schildern, dies fröhliche Steigen dem jungen Tag entgegen — wie da die Kraft im wohlgeübten Körper erwacht und im mühelosem Spiel Höhe gewonnen wird. Nur in ein paar Liedern klingts an und da

jauchze ich hinaus, wie es mir gerade kommt:

Wir wollen zu zweit ausfahren

Ueber die Berge weit,

Jenseits zu den klaren

Gipfeln der Seligkeit! —

Hier auf diesem Wege zum Watzmann gibt es ein kleines Fleckchen, das wiederzusehen mich jedesmal unendlich erfreut, und das zu dem Lieblichsten gehört, was ich in den Alpen überhaupt getroffen habe. Eine Bergwiese ists, schon ziemlich weit oben, von machtvollen, dunklen Fichten umstanden, sanft geneigt und von verlorener Einsamkeit, da die gewöhnlichen Anstiegswege sie nicht berühren. Die langen, üppigen Halme dieses Grasteppichs kennen scheinbar keine Sensen und wiegen ihre schlanken Aehren sorglos im Morgenwind. Hier scheinen die Blumen niemals aufzuhören zu blühen und immer, wenn Ich drüberhin ging, in der Morgenstunde beim Ausstieg und abends zur Heimkehr, lag Tau auf ihr, so rein und frisch, daß ich auch jetzt wieder die Hände nah davon werden lasse und sie so gekühlt gegen mein heißes Gesicht drücke. Ich möchte einmal einen langen, törichten Tag über auf ihrem Grunde liegen und zusehen, wie die steigende Sonne die Tautröpfchen wegküsst, wie die Falter über ihre Blüten taumeln und die Schlange, schillernd und sündhaft schön, lautlos übers Moos gleitet. Ich werde den Duft der Tannen atmen und den Ruf des Kuckucks zählen. Und wenn ich satt wäre von all der kleinen Lieblichkeit, dann würde ich hinübersehen zu all den gewaltigen Bergen, die der Blick von hier schon frei erreicht. Der Untersberg, der alte Märchenerzähler, blaut inmitten des weiten Tales, und Göll und Brett winken zu ihm herüber, daß das Zauberreich ihrer Felsen dem Bergsteiger noch wunderbarere Tore öffnet, als fein Schoß einst dem sterbenden Kaiser Karl.

Nach Süden zu schließt sich das Hagengebirge an, in lauter, grauen, ebenmäßig gestalteten Formen, die ihre ganze Schönheit für den Schiläufer aufbewahren. Ich würde müde werden von all dem Schauen, und eh ichs denke, liegt Mondnacht über meiner Wiese, ein Reh zieht äsend herüber, und wieder, fällt der Tau. Wenn ich einst älter bin, will ich mich an dieses, Fleckchen erinnern und zu ihm hinaufsteigen und in all der stillen Feierlichkeit an die Zeit denken, wo ich flüchtig an ihr vorüberzog, so wie heute.

Kurz vor Herrenroint grüßt einmal ganz kurz zwischen den Stämmen des Hochwalds die Schönfeld spitze herüber, und ich gehe nie vorbei, ohne auf sie zu achten, war sie doch mit ihrer, schlanken, formenschönen Pyramide der Lieblingsberg meiner, ersten Wanderjahre hier. Bei der Jagdhütte dann kommen wir zuerst in den vollen Sonnenschein des strahlend schönen Morgens. Die Felsen des Großen und Kleinen Watzmann rücken uns näher und wirken in dieser starken Verkürzung fast ein wenig plump und tölpelhaft. Aber gleich darauf nimmt uns der Wald wieder auf, der sich erst bei den Almen von Kühroint lichtet. Glockengeläut, träge sich erhebende Kühe und über den Hütten aufsteigender blauer Rauch kann uns, nicht verlocken, den raschen Schritt zu hemmen. Wir sind vernarrt alle beide, in die bleichgrauen Felsen des Watzmann, der hier schon bedeutend mehr von seinen Riesenwänden enthüllt als in Herrenroint.

Immerhin ists noch ein gutes Stück, bis wir vom Verbindungsweg nach Mitterkaser scharf links abbiegend und dann lange — zuerst noch durch schütteren Wald — steil ansteigend, den unteren Blockwall des Kars erreichen, wo wir uns nach drei Stunden scharfen Marsches zu einer Rast, die nur kurz war — denn hierher dringt noch kein wärmender Sonnenstrahl und wir zittern bald vor Kälte — mitten in Felder blühender Alpenrosen ausstrecken. Der Freund hebt lächelnd hervor, wie gut es ihm taugt, daß nun wieder jemand bei ihm ist, der die Butterbröte für ihn zurecht macht! Ueber diese realistische Erwägung schleicht sich unversehens eine kleine Traurigkeit ein und setzt sich da nieder, wo die beiden andern sonst zu sitzen pflegten, wenn wir hier rasteten. Denn vier Kameraden sind wir gewesen — der eine schnürte sein Ränzlein und grüßt nun nach altem deutschen Brauch in einer Hansestadt das Handwerk: die andere, deren goldbraune Augen immer solch merkwürdige Verwirrung im alpinen Tatendrang meines Freundes, solch Verlangen nach vielen und langen Rasten auszulösen pflegten, ist unausdenkbar fern, mehr als der halbe Kontinent liegt zwischen uns und ihr. Nun, komm, wir, zwei, die wir zurückgeblieben sind, wir wollen dennoch den sonnigen Tag genießen wie einst!

Wir rücken nun mehr und mehr zwischen jene unsagbar gewaltigen Mauern, die aus stolzer Höhe jählings zum schutterfüllten Boden des Watzmannkars abstürzen. Zu unserer Linken baut sich die Westwand des Kleinen Watzmann fast in einer einzigen Plattenflucht völlig senkrecht empor. Sie liegt im Schatten und scheint eisigen Hauch auszuatmen, der das Düstern, das ihr eignet, doch hervorhebt. Er ist ein wilder, und eigensinniger Bursche, dieser „Kleine“, und wer ihn nur über seinen gutmütigen Nordgrat bestieg, auf den Latschengassen und Moospolster sonst hinaufleiten, der ahnt nicht, wie kalt und böse er ins Kar hineindroht und welch dämonisch lockende Aufgabe er dem Kletterer stellt, der es nicht lassen kann, die naßglatten Gesimse, die bauchigen Ueberhänge und die in die dicken Kalkbankungen sich einstemmenden, dunkel trotzigen Kamine mit den Augen zu suchen, aneinander reihen, bis er es eines Tages nicht mehr erträgt und hinauf und hindurch muss wie einst mein Freund, der sie als erster in der Fallinie des Gipfels durchstieg und mit dem ich noch nie hier vorbeiging, ohne daß wir stehenblieben und hinauf starrten und zu tiefst empfanden: welch ein Weg!

Zur rechten erstrecken sich in der reichen Fülle ihrer majestätischen Bergschönheit die Ostwände des Großen Watzmann, in edler Linienführung gewinnt der Berg vom Watzmann Haus seine Höhe am Hocheck und führt seinen wuchtigen und zerklüfteten Grat über 1000 Meter weit bis zur Südspitze, um erst hier in der Schönfeldschneid sich wieder zu senken. Zwei Drittel der so begrenzten enormen Flanken fallen ins Kar ab, das südliche Drittel dagegen wirft sich ohne Unterbrechung und Absatz 2000 Meter tief zur Eiskapelle hinab und bildet die Östwand im engeren Sinn die durch den Anstieg von Bartholomä ihre wilde Berühmtheit erworben hat. Dieser Teil ist vom Kar selbst aus nicht übersehbar, dagegen zeigen sich die Abstürze vom Watzmannhaus an bis südlich über die Mittelspitz hinaus so ausbauend und so gewaltig, daß man an ihrem Bau herumrätselt, ohne doch einen Ueberblick zu gewinnen.

Zwischen Haus und Hocheck werden sie durch ungeheure Plattenlaqer charakterisiert, deren bleiches Grau von einem dünnen Geäder schmaler, schwarzer Erosionsrinnen überwogen wird Zwei kleine Dauben überragen sie, nur einem scharfen Auge von hier aus erkennbar — ein schlichtes und dochberedtes Denkmal, für die, die bis in den Tod getreu waren.

Unbegreiflich an diesem Sonnentag ist meinem Freund die Erinnerung an Schneesturm und Kälte, die sie hervorrufen und deren Widerschein augenblickslang seine Züge verdunkelt.

Unter dem Hocheck durchsetzt eine Reihe tiefer Kamine die Wand, die sich teilweise schluchtartig nach unten erweitern und in ihrer hochtypischen Art in dieser an Mannigfaltigkeit der Formation doch überreichen Wand einzig sind. Wendet sich der Blick südwärts, so ist es ein Riesen-Band, nach dem Erstbegeher Wieder-Band genannt, das ihn sofort gefangennimmt und bezaubert. Von Norden nach Süden ansteigend, zieht es breit und mächtig durch die unermeßliche Mauer, und Schneeauflagerungen, die in den meisten Sommern nicht abtauen, betonen durch ihr schimmerndes Weiß noch seine ununterbrochene Länge. Wem bei seinem Anblick nicht das Herz schneller schlägt in dem jähen Verlangen, darüberhin zu steigen, der trank noch nie den Atem des Felsens.

Zwischen diesen beiden Wällen nun hocken im Firn des Gletschers vor uns jene fünf prächtigen Felsklötze, die „Watzmannskinder“. Bei dem Gerippe einer Wettertanne, das da, wo die scharfkantigen Felsenblöcke längst alles Pflanzenleben zurückgedrängt haben, noch vereinsamt emporragt, gewinnt man den ersten Blick auf sie. Dominierend zeigt sich dem überraschten Steiger hier plötzlich das schmale und schöne Felisenriff der  Watzmannjungfrau (4. Kind), dem Ankommenden seinen messerscharfen Bug, den Nordgrat, zukehrend. Wie sie uns eine alte Liebe aus vergangenen glücklichen Wandertagen ist, so ihre beiden kleineren Nebengipfel (3. und 5. Kind), die sich auch zu dieser Jahreszeit tief unter den Firn ducken, aus schneefroher Schizeit. Nach links hin (Osten) stellen die zerrissenen Zacken des 2. und 1. Kindes die Verbindung mit dem Kleinen Watzmann her, während sich nach rechts (Westen) Mischen 3. Kind und Ostwand in sanftem Bogen eine Scharte spannt, deren Schnee geradezu blendend vor dem tiefen Blau des Himmels steht.

Und über der Wildheit all dieser Gipfel, Grate und Wände, über den Geröllhalden und den weiten Schneefeldern liegt, beruhigend wie eine weiche, zärtliche Hand, die Stille des einsamsten Hochgebirges.

Wir standen am Saum des Firns, als mein Freund sich zu mir wandte und lachte:

„So, Du. Ostwand, Kleine Watzmann-Westwand oder Überschreitung der Kinder, jetzt such Dir aus.“

Die Zaghaftigkeit von gestern Abend überfiel mich hinterrücks.

„Weißt Du,“ schlug ich vor, „ich bleib halt hier und schau Dir zu, wie Du kletterst und geh ein bißchen zur Scharte hinauf“.

„Ja. gibt’s denn dös al“ höhnte er. „Moanst, das tat mi freuen? I alloan? Ja was tut er denn!“

„Ich zwing’s am Ende nicht. Beppi,“ sagte ich kleinlaut.

„A, Schmarrn, da fehlt nix, das sag Dir i. Also?“ war die ganze Antwort.

Was halfs, ich mußte Umschau halten wie weiland der alte Hesekiel unter den Töchtern Israels. War es ein Wunder, daß sie in ihrem Mantel von Sonnenglanz, durch jene Schneestreifen so zierlich verbrämt, mit ihrer stolzen und erdabgewandten Gebärde, sie, die Watzmann-Ostwadb, mir als das Köstlichste ringsum erschien? Und dann jenes herrliche Band, wie konnte ichs nur vergessen! „Die Wieder-Route!“ bat ich den Jungen, der alte Bergherrlichkeit zu verschenken hatte. Mit einem Schlage versank das letzte Bedenken, und jene starke Freude, die allen Sieg in sich trägt, verband uns wieder, wie sie es noch auf allen Türen getan hatte.

Wir hielten uns nun mehr nach rechts. Die Steilheit der langen Schneehänge nahm rasch zu.

„Kannst Di hier noch derfangen, wenn’s abi geht?“ Ich meinte es wohl und gab auch keine Veranlassung zu derartigen Reflexionen. Dennoch seilten wir an, als wir uns über einer Randkluft bewegten, und ich erkannte darin meines Freundes alte Gewissenhaftigkeit wieder, die jedoch niemals irgendwie die Ueberlegenheit andeutet, aus der sie erwächst.

Ich wußte nun wieder, daß niemand meine besten Kräfte so wachrufen imstande ist wie dieser junge Mensch, und unbegreiflich war mir die leise Angst, die mich noch gestern vor der Kühnheit seiner Wege erfüllte. Wir sprachen noch niemals von diesen Dingen miteinander, aber ich denke, sie sind ihm bewußt wie mir, denn man lernt sich kennen am Berg, bis ins letzte. Und der frohe Blick zum andern hinüber und der feste Händedruck, die haben ihre tiefen und guten Gründe.

Der Einstieg zu unserer Route, die vom Ansatz der Wand im Kar direkt zur Mittelspitze hinaufführt und somit einen Höhenunterschied von 800 Meter in strenger Felsarbeit überwindet, befindet sich ziemlich verdeckt in einer Schlucht, die man vielleicht am ehesten an ihrem rötlichen Gestein und ihrer süd-nördlichen Richtung — man hat die Wand also zur linken — erkennt. Das Gestein ist gut gestuft, aber von Geröllauflagerungen nicht ganz frei. Man gewinnt rasch an Höhe, von der man jedoch ein wenig aufgeben muß, um über plattigen Fels, der heute naß war, den Beginn des Bandes zu erreichen, das über uns in umgekehrter Richtung emporführt. Hier kam ein breiter Strahl Schmelzwasser aus großer Höhe mit solcher Gewalt herabgedonnert, daß wir nur mit Müh? in ihm unsere Flaschen auffüllen konnten, und ich mir einige Schelte wegen naßgewordener Kletterschuhe holte.

Mir schlug das Herz laut vor Freude und Erwartung, als wir jetzt, nach der Wendung südwärts und Ueberwindung einiger luftiger Steilstufen, das Band betraten. Und wirklich, ich weiß nichts, was ich der Eigenart und der Macht dieser Szenerie vergleichend an die Seite stellen kann. Bis zu 40 Meter breit, von einigen tiefgekerbten, seltsam verästelten Kannelüren überspannen, völlig glatt, ohne jede Steigung nach außen, steigt dieses Band ohne Unterbrechung durch die Wand empor. So wie ein edles Thema durch alle Sätze einer Symphonie geht, so wie ein starker Wille schlicht durch die Wirrsal des Lebens führt, so leitet dieses Band hinauf. Es haftet der Landschaft etwas Heroisches an. und wollte man es versuchen, ihr Bild in Worte zu spannen, so würde man unwillkürlich ein schweres und feierliches Versmaß, eine alte und klassische Sprache wählen. Uns segnete die Sonne den Weg. Sie ließ die mächtigen Schneewälle, die noch im Winkel der Wand lagen und uns stellenweise bis scharf an die Kante drängten, in weißer Pracht aufleuchten. Sie machte das Gestein so bleich und eintönig, daß es sich kaum abhob vom Schnee. Zuerst tastete der weichbesohlte Fuß zögernd auf den Platten, bald aber gewöhnte er sich an diese scheinbare Haltlosigkeit und vertraute den kleinen Rauhheiten, die das Auge nicht mehr wahrnimmt. Hand in Hand gehen wir mühelos nebeneinander empor, ohne Worte und hingegeben an die Erhabenheit unseres Weges.

Er findet sein Ende an einem Turm („Bandwächter“), der — zierlich und fast wie künstlich aufgerichtet — einer Hermessäule an griechischer Straße gleicht. Nun links von ihm über die senkrechte Wand in köstlichster Kletterarbeit empor und man stößt bald auf einen Steinmann, der in einer alten Blechdose die Karten der Ersteiger enthält. Sie waren völlig durchnäßt und von braunem Rost überzogen. Da wir hier rasteten, hatten wir Muße genug, sie sorgfältig zu trocknen und ihr Datum abzulesen. K. Wieder (Salzburg) führte den Anstieg am 29. Mai 1923 unter erschwerenden Umständen mit H. Lapuch zum ersten Mal durch und wiederholte ihn dann am 17. Juli 1921 mit drei anderen Begleitern. Die nächste Durchsteigung erfolgte am 31. Juli 1921 durch Aschauer, eben meinem Gefährten, mit dem Berchtesgadener Schelle. Wir konnten nicht alles entziffern, obwohl wir uns viel Mühe gaben, um festzustellen, wie oft die Wand in den drei Jahren ihrer Erschließung begangen worden ist. Nach dem, was wir herauslesen konnten, handelte es sich heute um das 7., höchstens 10. Mal, was in Anbetracht der überragenden Schonheit dieser Wand, ihrer bequemen Lage und ihrer klettertechnisch äußerst günstigen Struktur erstaunlich gering ist.

Vielleicht liegt es daran, daß die benachbarte Bartholomäwand sie in den Schatten stellt, aber doch wohl zu unrecht, denn wenn auch die Länge derselben dieser ohne Weiteres den Vorrang als alpine Leistung sichert, so trägt doch die Kletterei, von einigen wenigen schwierigeren Stellen in der Bartholomä-Wand abgesehen, naturgemäß denselben Charakter. Und was, die landschaftliche Schönheit betrifft, so waren der Freund und ich uns darin einig, daß es uns ganz unmöglich sei, der einen oder der andern den Preis zu erteilen. Gewiß ist der Tiefblick beim Bartholomäweg ein größerer, dafür hat man aber hier zu seinen Füßen den schimmernden Gletscher, mit dessen Weihe und prachtvoller Ausdehnung der schmutzige Firn der Eiskapelle am Rande der Wälder von Bartholomä nicht wetteifern kann. Ja. hier hat man noch den gewaltigen Blick in die ungeheure Wandflucht der Südspitze, der, wenn man sich in ihr selbst befindet, in den nächsten Wellen von Fels hängen bleibt, durch die man sich emporringt.

Ein leichter tänzelnder Wind gesellte sich zu uns, als wir nun weiterstiegen und milderte die Glut der Mittagsstunden, in der es mehr und mehr schwül lauerte. Es war so froh, so leichtgemut, dieses Klimmen im Fels, und obwohl ich es lange kenne, entzückte mich die Sicherheit, mit der mein Kamerad kletterte, doch wieder aufs neue. In seinen Bewegungen war jene Mühelosigkeit und Feinheit, die nur organisch werden und wachsen kann. Mit langausgreifenden ruhigen Bewegungen wurde er der schwersten Stellen Herr und die unbegreifliche Grazie, mit der er sie überwand, hätte mich wohl manches Mal über die Natur dieser Stellen getäuscht, wäre er dann nicht stehen geblieben, um sichernd das Seil einzuziehen. Er hatte eine eigene Art, die Hände behutsam auf das Gestein zu legen, um sich kaum merkbar in seichten Rillen zu verklammern, fast wie Streicheln war es. Niemals entstand die bange Frage, ob das Ziel unser würde — das stand ‚ganz außer Zweifel. Nirgends ward unser Weg zu jenem verbissenen und trotzigen Ringen, das den Berg wie einen Feind bezwingt. Wohl war es immer noch redlicher Kampf, wohl leuchte die Luft oft schwer in meinen ausgepumpten Lungen, aber es blieb genug Freiheit, sich der kleinen vereinzelten Blüte zu erfreuen, die ihr zartes Köpfchen in einer Ritze wiegt; genug, um dem huschenden Flug der Gipfeldohlen nachzusehen, genug auch, um den dürstenden Blick in die Weite der Berge hinauszusenden. Die Zeit steht uns still, und jede Unrast verklingt: alles was uns groß und begehrenswert dünkt, ist unser.

Den langen Quergängen, aus denen sich die untere Anstiegshälfte bewegt, folgt in der oberen eine mehr direkte Richtung. Man hält sich vorwiegend in einer seichten Schlucht in der Fallinie des Gipfels. Da er ein „Vielbesuchter“ ist, so ergibt sich für den „Ostwandler“ das zweifelhafte Vergnügen, üppig wuchernder Steinschlaggefahr. Aber auch durch die menschenfernen Teile der Wand hörten wir mehrfach lange und schwere Schläge gehen.

Nicht ganz unerwartet — denn sie hatte schon ins Kar zu uns herabgefunkelt — sahen wir uns dann plötzlich einer Schneewand von solcher Steilheit und so grauenvoller Ausgesetztheit gegenüber, daß wir augenblicks lang zögerten — wir waren ohne Pickel. Dann wechselten wir das Fußzeug, klemmten uns vorsichtig auf die kaum handbreite, nasse Felskante, die zwischen Schneerand und senkrechter Tiefe das einzige war, was an festem Boden blieb und sahen empor. Der Freund griff noch einmal prüfend an den Seilknoten auf seiner Brust und begann, ganz gerade aufzusteigen. Er hieb in kraftvollen Stößen die Füße fest ein, aber der Schnee war naß und breiig. Große Stücke flogen zischend in den freien Raum hinaus. Da war es ein Gedanke, der mich brennend schmerzhaft durchzog: nicht, daß, wenn der Schnee unter dem Freund vollends ausbrach, ich, da ich ihn nicht würde halten können, an sein Schicksal gebunden war, o nein, aber daß alle, die ihn verloren, ohne Weiteres glauben würden, ich habe es durch mein geringeres Können verursacht, das bereitete mir eine so bittere Qual, wie sie unsere Phantasie nur in Augenblicken höchster Nervenanspannung entstehen läßt. Viel Zeit hatte ich jedoch nicht. In den guten Spuren des Freundes, den leichten Seildruck wie tröstend Empfindend, folgte ich ihm nach. Fast berührte das Gesicht den Schnee, so groß war die Steigung des Hanges, und der gesenkte Blick fiel an den Füßen vorbei, ohne Hemmung Hunderte von Metern hinab ins Kar und hinüber in den selig blauen Himmel. Es waren nur zwei Seillängen.

Dieser blaue Himmel aber hatte uns noch ein seltenes und fesselndes Abenteuer zugedacht, das unseren schönheitstrunkenen Weg mit knisterndem Flammenspiel krönen sollte.

Keine Wolke war zu sehen, kein jäher Wind nahm sich auf, nur um die höchsten Zinnen unseres Berges lag ein bläulicher Dunst, der sich mehr und mehr zu verdichten schien und wie Mittagsglut über dem Grat flirrte. Wir hatten einen steileren Wandabsatz überwunden und befanden uns auf schönen, aber trittarmen Platten etwa 30 Meter unter dem Gipfel, als, mein Gefährte plötzlich ruckartig aufschnellte und im gleichen Augenblick erregt ausrief: «Elmsfeuer!“ An die Lebhaftigkeit seiner Aeußerungen gewöhnt, hob ich geruhsam die Augen von meinem Griff — noch heute sehe ich diese Rille im Plattengrund vor mir! —, um nach dem Gipfelkreuz auszuspähen, da ich annahm, sein Ausruf bezöge sich auf dieses. Aber es, war noch nicht in Sicht und erst als ich in das erschrockene, Gesicht des Freundes sah, begriff ich, daß über dem Bergfirst eine Hochspannung lag, die durch ausströmende Elektrizität verursacht war und in deren Region wir nun gerieten. Joseph hatte beide Hände auf die nackten Schultern gepreßt, wie um einen unangenehmen Schmerz zu mildern und zum ersten Mal sah ich ihn überrascht und ratlos. „Die Jacke über!“ schrie ich ihm zu, und in Windeseile riß er sie aus dem abgeworfenen Rucksack. Ich hatte ihn inzwischen eingeholt und in dem Augenblick, als ich die Hände hob, um ihm behilflich zu sein, fuhr es wie mit taufend Nadeln stechend durch sie hin durch und wie gelähmt ließ ich sie sinken — nun war auch ich im Bereich der elektrisch geladenen Atmosphäre, deren Abgrenzung gegen die von der Spannung freien Zone sich hätte haarscharf feststellen lassen können. Knisternd sträubten sich unsere Haare auseinander und bei mir so toll, daß ich sie kaum unter die seidene Zipfelmütze bändigen konnte, die ich nun hervorzog. Alles, was wir zunächst instinktiv empfanden, war: Eile! Und so stürmten wir über die letzten Platten ohne weitere Achtsamkeit und Seilbedienung. Mit jedem Schritt aber, den wir höher hinauf kamen, nahm die Stärke der elektrischen Ausströmungen zu.

Manchmal fuhr sie so stark und jäh durch uns hin, daß wir die Handflächen gegen die Kopfhaut drückten, um die unerträgliche, reißende Spannung in derselben herabzudämpfen. Oft, wenn man die Hand ausstreckte, um Halt im Gestein zu finden, fuhr es schlagend in sie und ich mußte dann alle Energie aufwenden, um dennoch zuzupacken. Nebenbei suchte ich in meinem Gedächtnis nach Resten alter Physikkenntnisse aus der Schulzeit — leider waren sie äußerst dürftig — um zu ermitteln, was zu tun wohl jetzt das Beste war. Ich erinnerte mich etwas unbestimmt über tückische und durchaus nicht harmlose Rückschläge gelesen zu haben, gleichzeitig dämmerte mir die keineswegs tröstliche Behauptung aus irgend einem Bergbuch, daß die Blitzgefahr auf Graten und Gipfeln in allgemeinen nicht unterschätzt werden dürfe. Aber vorwärts!

Keuchend kamen wir auf der Mittelspitze an. Einen Augenblick mußten wir verweilen, um den Puls ein wenig ausschlagen zu lassen. Das eiserne Gipfelkreuz brauste ein ein Gießbach, alle Besucher schienen längst umgekehrt zu sein. Diese völlige Einsamkeit hier oben, das dröhnende Eisen neben uns und der weite lachende Himmel ringsum, der von nichts zu wissen schien und sich sorglos über all die unendlichen Bergzüge spannte, die das Auge von hier erreicht, hatte etwas Grandioses, und wir empfanden und genossen es. Doch liessen wir uns nicht die Zeit, uns in’s Buch einzutragen, sondern hasteten weiter.

Mit jeder Minute wurde unsere Lage verschärfter und unheimlicher. Alle Sicherungen surrten und wir hielten uns nach Möglichkeit von ihnen fern. In den Gratscharten war es stets erträglicher, stiegen wir aber wieder empor, so schien sich die fremde Gewalt, der wir wehrlos preisgegeben waren verdoppelt zu haben. Manchmal rissen diese Eindrücke so alt den erregten Nerven, daß deren Widerstandskraft vielleicht in Frage gestellt worden wäre, wenn nicht die Aufmerksamkeit durch die Eile, mit der wir uns über den Grat kämpften, abgelenkt worden wäre. Mir schien es selbst kaum glaublich, daß wir knapp 12 Minuten, nachdem wir die  Mittelspitze verlassen hatten, ins Unterstandshüttchen auf dem Hocheck schlüpften.

Auch hier war es leer. Hochatmend sahen wir uns an — so waren wir doch noch nie gelaufen! Das Tempo in der Wand selbst, für die wir 235 Kletterstunden brauchten, kam mir jetzt kaum noch rasch vor! Waren mir in der Hütte sicher? Wir wußten es nicht, aber es ist merkwürdig, daß vier dünne Bretterwände genügen, um dem Menschen die Illusion zu geben, er sei allen feindlichen Mächten der Natur entronnen.

Während wir das Seil einpackten und die Nagelstiefel anzogen, polterten die ersten schweren Gewitterschläge um uns. Das Feuer der Blitze blendete in solcher Nähe, daß uns jedes Mal eine körperliche Erschütterung spürbar ward. Dabei fiel kein erlösender Regen, und die Ferne blieb klar und sonnenlichterfüllt. Wir hatten beide etwas Aehnliches noch nicht erlebt und standen noch lange unter dem Eindruck dieses dämonischen Ausklanges unseres Weges.

Eine Stunde später stießen wir im Watzmannhaus wieder auf Menschen, die ersten heute. „Gnädigste“, sagte ein älterer Herr zu mir, neben dem ich meine Suppe löffelte, „gehen Sie nicht auf die Mittelspitze, höchstens aufs Hocheck, es ist kein Weg für Damen.“ Ich bewahrte mein kleines Geheimnis, aber mein Gefährte lachte belustigt auf.

Von der Falzalm führte uns ein Jagdpfad schnell nach Kühroint hinüber. Dann aber wurde mir ein Umweg nach Norden nicht geschenkt, mußte ich doch notwendig die Schütte sehen, die die jungen Schiläufer Berchtesgadens mit köstlichem Eifer sich hier erbauten und die mein Freund mir schon in den glühendsten Farben geschildert hatte. Vielleicht, wenn ich noch besser Schi laufen lernen würde, dürfte ich auch einmal darin übernachten — ja, und nebenbei, das Schiklubmitglied durfte ich es natürlich so wie so! Nun, ich war dann doch sehr neugierig, aber keine Mauer, kein Dach schimmerte uns durch die Stämme entgegen — vorerst war von der Hütte nur ein kleiner viereckiger Fleck Waldboden vorhanden, den man von Moos und Gestrüpp befreit hatte und in dessen Mitte ein großer zentnerschwerer Stein sich wichtig und hinderlich machte. Die wackeren Erbauer der zukünftigen Hütte, mir wohlbekannte junge Berchtesgadener, streckten sich behaglich im Grase daneben, neckten ein „Deandl“, das sie sich mit heraufgenommen hatten — natürlich! — und rauchten Zigaretten.

„Der Stoan!“ seufzten sie, „der Stoan, so a Mistviech von Stoanl“ Ich bewunderte alles und lobte sie mit viel Begeisterung, und ein kleines Narrenglöckchsn bimmelte freundlich und vergnügt dazu.

Der Heimweg durch die stillen Wälder und den Frieden des Tales war dann der letzte Ton in der Melodie dieses Tages. Am Westhimmel brannte flammend und groß der Abend.

 

Kaspar Wieder – Durch die Ostwand der Mittelspitze

Ein neuer Weg zur Watzmann-Mittelspitze

(1. Ersteigung über die Ostwand, direkt vom Gletscher aus.) 

Von Kaspar Wieder Salzburg.

 Die Salzburger und Berchtesgadener Alpen in Wort und Schrift bereits vielfach gepriesen, verdienen dies Lob in der Tat. Großzügig an Masse und Gestaltung, Wände, Grate und Türme, den vielgerühmten Bergen südlich des Brenners vielfach ebenbürtig. Eine stattliche Reihe von Wanderungen in obengenannten Gebirgsgruppen erschloß mir eine Fülle ihrer Geheimnisse und Schönheiten.

Ein herrlicher Wintertag im Gebiete des Watzmanngletschers zunächst des westlichsten „Kindes“. Dem Eise des Gletschers entsteigt die Ostwand der Mittelspitze, hunderte von Metern türmt sich eine Flucht prachtvoller Platten zum höchsten Gipfel. Durch Jahre als unersteiglich in Geltung, lockte ihr Prachtbau ganz einfach unwiderstehlich. In voller Wucht und Höhe zeigt sich die schneebelastete Wand. Mit hohen, platten Mauern erhebt sich der massige Bau aus dem Gletscher, ein riesenhaftes Band gewaltiger Breite und Länge krönt diesen Abschnitt.

Der rötlich gelbe Wandteil unter dem untersten Drittel des Riesenbandes , wird, bis herab zum Gletscher, von einer versteckten, hohen Rinne durchrissen, welche den Einstieg vermittelt. Einbuchtungen, Schroffe Mauergürtel fasst regelmäßig, von schmäleren Bändern unterbrochen , bilden die weitere Signatur zum Ziel umworbenen Bergeshaupt. Vom sftarten »Heiß“ unterstützt, fand ich den auch einen Pfad zurecht, dessen mögliche Begehung keinen Zweifel litt.

Befriedigt stecke ich also meine Skizze und talabwärts gleite ich in flotter Fahrt. Die bisher fälschlich als „Ostrwand vom vom Gletscher aus“ bezeichnete Route, führt über den aufs Massiv der Mittelspitze mit Watzmannkindern verbindenden Grat in die Südabstürze des Berges und über diese zum Gipfel. Route vom Jahre 1868 durch den Ramsauer Führer Josef Berger mit A. Kaindl-Linz und I. Pöschl-Wien.

Drei Monate später 29. Mai 1920. Vier Uhr früh die Schapbachalm. 1040 m mit Hermann Lapuch-Salzburg verlassen standen wir trotz ermüdender, säumender Schneewaterei, 3 Stunden später etwas

überhalb der Gletschermitte,  gerade gegenüber der gelbbrüchigen, niederdräuenden Einstiegsrinne in „unsere“ Ostwand. Die vielerorts lagernden Schneemassen ließen keinen Zweifel über den Ernst unseres verfrühten Unternehmens. Gleich einem umgestürzten Schiffskiel ragte am  B. hoch im Gipfelmassiv am obersten Schneeband eine riesige Wächte in die Luft und bedrohte somit unsere Anstiegslinie zu zwei Dritteilen aufs schwerste. Hier nun zwischen Angriff oder Rückzug zu entscheiden, oder, drastischer ausgedrückt, zu verhindern, daß die Vernunft mit der Leidenschaft durchbrenne, fiel mir übel auf Herz und Hirn.

Wir wagten indes den großen Wurf, das Glück ward uns hold und es gelang. Nach etwas mehr denn fünfstündigem, schweren gefährlichem Ringen mit wassertriefenden Fels, Eis und Schnee, arg bedroht von fallenden Steinen und abgebrochenen Teilen der Gipfelwächten, standen wir am Ziele. Erfreut und ergriffen ob all des Gewaltigen Ernsten, das uns zu durchleben soeben beschieden gewesen, genossen wir – ausnahmsweise ungestört – aus ragender Rinne den Lohn unserer Mühen.

Daß die soeben angedeuteten Verhältnisse nach der in der Hauptsache beendigten Schneeschmelze wesentlich günstiger sein mussten, ward mir klar, und dünkt es mir zweckdienlicher, eine Fahrt unter solchen Umständen ausführlicher zu schildern.

17 Juli 1921. Mit den Herren Hauptlehrer I. Gmelch, Justizrat G. v. d. Pforndten-Traunstein und Fr. Weiser, Salzburg wandere ich von »Dorf“ Königssee zur Kührointalm 1458 Meter. Eine unangenehme Ueberraschung auf diesem Wege verursachte die doch kaum so vordringliche, wohl zwecks Umgehung des Jagdhauses Herrnroint durchgeführte Weg bezw. Markierungsänderung. Ziemlich steil, fast schnurgerade, führt dieser „Schinderweg“ in schweißtreibendster Art zur Höhe.

Bei den Hütten von Kühroint lange vergebliches Bitten um Nachtquartier. Freilich, nachdem wir erfahren, wie alpine Wildlinge hier zur Winterszeit gehaust, begriffen wir deren Abneigung, jemand zu beherbergen, voll und ganz. Bergsteiger, Alpinisten, im guten alten Sinne, sind derartige Gelichter nicht. Hoffentlich überlebt sich diese tief bedauerliche Periode der Verrohung und Verwilderung.

Vielversprechend ward der junge Tag geworden als wir 5.20 Uhr morgens auf dem die Kührointalm mit dem Mitterkaser verbindendem markierten  Wege bergwärts schritten. Wir folgen selben etwa 15 Minuten, biegen bei der ersten deutlichen Weggabelung links ab, um später dann, stets auf mehr oder minder deutlichen Steigspuren ins Blockgewirr des eigentlichen Watzmannskares selbst zu gelangen. Wir schwenken mählich recht ab, ersteigen den in der Karmitte aufragenden, begrünten Felskopf und streben nun geradeaus dem Gletscher zu.

3 Stunden vor der Alm unfern eines den Gletscher durchbrechenden Felshanges kurze Rast. Erwartungsvoll blicken wir zu unserer, in erhabener Ruhe und Größe ragender, von einem Meer aus Licht und Sonne umflossenen Ostwand empor.

Wir brechen auf. Der im spitzen Winkel zur Einstiegsrinne emporziehenden Gletscherecke steuern wir zu, knapp links der im Firn untertauchenden, hangenden Platten. 8 Uhr früh. Eine Randkluft ist nicht vorhanden, leicht wird die Rinne erreicht und klettern, nach abermaliger kurzer Rast, zu einer plattigem Verschneidung empor. Die Kletterei ist kaum sonderlich schwierig, doch erheischt das noch nicht beseitigte, teilweise etwas lockere Gestein erhöhte Vorsicht. In enge verschneidende Plattenwinkel nun an kleinen, doch festen Griffen hinauf und weiter in gerölliger Rinne zum Ende derselben bei einem vorragenden, von einem mächtigen Blocke gekrönten Felskopfe. Knapp unter denselben zerschellte ein aus großer Höhe kommender Stein, das einzige, welches wir zu beobachten tagsüber Gelegenheit hatten. Eine Steintaube am Beginn der Einstiegsrinne, sowie ein solider Steinmann am bereits erwähnten, das Rinnenende bezeichneten Felsblocke. bilden die ersten Merkmale der richtigen Fährte. Das größte Fragezeichen der Tur. die untersten allerorts senkrechten, teilweise überhängenden Mauern, ward also ohne besondere Schwierigkeit gelöst. Von schulterähnlichem Vorsprung an die 20 m aufwärts schreitend, gehts dann auf schönem Bande rechts, so ungefähr wagrecht an stets wasserdurchströmten Rinnsal vorüber und hinaus zur schneefreien Terrasse am Beginnen des linksaufstrebenden Riesenbandes. Hier traten nun Kletterschuhe in Dienst. Füllte den mittleren Teil des Bandes auch ein mächtiger Schneewall, verbürgte der größtenteils schneefreie Außenrand hierfür ein rasches, hindernisloses Höherkommen. Zum 2. Male betraten Menschen dies gigantische, iahrtausendalte Wunderwerk schaffen der Kräfte im Weltall. Voll freudiger Zuversicht betreten wir die glattgescheuerten, von zahlreichen, vielfach geknickten Komelüren durchfurchten Platten. In verblüffender Länge durchzieht es, anfangs von ungewöhnlicher Breite, später etwas schmaler werdend, ohne die geringste Neigung nach außen fast die ganze Länge der Ostwand. Sicher haftet der Kletterschuh an den Rillen und Runsen des Gesteines, nirgends fand ich Großartigeres als an diesen ungeheuren Plattenschüssen. Dabei mangelt es keinesfalls an geeigneter verläßlicher Sicherungsmöglichkeit. Allmählich verbreitert sich der Schneewall, knapp am Rande des gewaltigen Abgrundes mit ergreifendem Tiefblick zum Gletscher, geht’s weiterhin völlig unschwierig zur Höhe.

Nun hat auch dies ein Ende. Ein großer Schneeschild ragt über, den Rand ins Leere und verrammelt brutal den sicheren Weiterweg. Darüber hin in geschlagenen Stufen zu wollen, verbot die einfachste Vorsicht. Gelegentlich der ersten Ersteigung wagten wir überhaupt nicht den schneefreien Außenrand in der unteren Bandhälfte zu betreten, hackten und kletterten vielmehr in geradezu abenteuerlicher Weise an die 200 Meter in der tiefen, von phantastisch geformten Eis und Schneedraperien gefährlich verzierten Randkluft empor.

Wieder angetan mit den schwerschrötigen Nagelschuhen, schlage ich eine Reihe solider Stufen in steilendem Schneehang zur Rechten, komme hierdurch ewige Spalten in die Quere, nach deren etwas heikler Ueberwindung uns eine wasserdurchträubte Schneemulde kurzen, ungemütlichen Aufenthalt gewährte.

Etliche Stufen an fast senkrechter Schneewand brachten uns dem Bereiche dieses völlig regelrechten Gletscherbruches. Im Winkel der Wand, entlang eines niederen Schneewalls, eine Seillänge in eine Plattenmulde empor, welche den wieder vorteilhaft empfundenen Schuhwechsel gestattete.

Die Glätte der Platten erfährt hier eine erhebliche Steigerung, eigentümlicherweise aber nicht deren Schwierigkeit. Wir queren abermals zum Rande hinaus, geniessen einen unvermittelten Tiefblick zum Gletscher und streben dann über aufgelöste Felsen dem Bandende zu. Zwischen dem vor uns stehenden Turm – Bandwächter – links und der Hauptwand rechts, durchsteigend jenseits einige Schritte abwärts und die Querung ist beendigt. Knapp links von einer niederen Stufe durch eine lichte Rinne gerade unter einem großen, schützenden Ueberhang empor. Vereinsamt steht hier seit mehr denn Jahresfrist unser Steinmann, seine Karten hatten sich nicht vermehrt — wir sind heute die zweiten Ersteiger.

Kurze Rast ist allseits willkommen. Prachtvoll der Blick in die hehre Landschaft. Es ist 11 Uhr mittags. Etwas mehr denn bis Hälfte der Wand wurde in drei Stunden erklommen. Die bisher in langen Quergängen gewonnene Höhe wird, nun von einer mehr geraden Linie abgelöst. Den mächtigen Ueberhang zur Linken klettern wir durch eine leichte Rinne an einem markanten Felsbach vorüber, steigen wenige Schritte ab und befinden uns, schwach rechts haltend, alsbald in einer breiten Einbuchtung unmittelbar in der Fallinie der Mittelspitze.

Ueber sehr steile, jedoch vorzüglich fest- und gutgriffige Felsen, klimmen wir inmitten wildgroßartigen Felsengrundes empor bis nahe an die vom Schmelzwasser des obersten Schneebandes durchströmte tiefe Schlucht.

Einen Versuch, auf diesem verhältnismäßig kurzem Wege zum Gipfel zu gelangen, gab ich, in Kürze gänzlich durchnäßt infolge Uebermacht des Wassers, auf. Diese Wegänderung, welche rechts (nördl.) des Gipfels enden würde und, wie ich feststellen konnte, ohne weiteres Durchführbar wäre, verliert eben infolge dieses Uebelstandes jede praktische Bedeutung. Wir wandten uns daher links (südl.) kletterten auf dem aus drei übereinander gelagerten Schichtbänken bestehenden, fast schneefreien Bande der Südkante zu; bei einem niederen, spitzen Felszahn wird diese betreten. Ein Prachtblick bietet sich hier dem Stürmer der Ostwand: Unbehindert ist die Schau in die 1800 Meter hohe Riesenwand von St. Bartholomä, auf 1300 Meter hoher Südwand thronend, ragen gotischen. Türmen gleich, die Säulen der Watzmannkinder ins strahlende Licht.

Ueber einer Reihe hoher Felsgalerien erblicken wir im Norden die Plattenburg des Hochecks. Weit im Osten die gletscherstolzen Felsriesen des Dachsteins, desgleichen in ihrer stillen und doch so erhabenen Schönheit die seenreichen, gipfelgewaltigen Höhen der Niederen Tauern und weiter gen West die Riesen des ewigen Eises. Im Lande der Dolomiten sah ich nichts Schöneres.

Prüfend und wägend betrachteten wir vor Jahresfrist den schroffen Gipfelbau; als sturmfestes Bollwerk von grauen, senkrechten Platten schwingt sich derselbs zum nahen Ziele auf. Auf schönem Bande kamen wir damals um die Kante in eine seichte Buchtung, durch diese an sehr schwierigen, ausgesetzten und kleingriffigen Platten gerade aufwärts haltend, zu blockbesezter Kante und über diese zum Gipfel. Heute obwaltet diesfalls keine Sorge und diesen Umstand« möchte die verminderte Aufmerksamkeit zuzuschreiben sein, welche mich auf ein wohl tiefer liegendes, jedoch bequem gangbares Band geraten ließ.

Da nun meine Gefährten keinerlei Wert auf Fallinienpraxis legten, suchten und fanden wir für die letzten paar Seillängen auf bedeutend leichterem, gleich herrlichen, luftigen Kletterfels den Weg zum Ziele. Auf dem Bande mit wundervollem Blick zum dunklen Grunde der Eiskapelle und des Königssees hinschreitend, verlassen wir dasselbe knapp vor seinem Endes und klettern über völlig senkrechten, plattigen Fels gerade empor. Jenseits einer tiefen Schlucht erblicken wir die ersten Werke schaffensfroher, bergfreudiger Menschen: Die Drahtfeile des Gipfels. Sonderbar! Welch mächtige Freude lösen doch diese in uns. Gipfelsüchtiges Sehnen trieb uns jedoch weiter. Abermals auf plattigen, ausgesetzten Felsen empor; schwach rechts haltend, wird die blockige Kante und auf ihr leicht und rasch Berchtesgadens höchste Zinne 2714 Meter erklommen.

Ein Uhr Mittag ist’s. Fünf Stunden hatten wir vom Einstiege bis hierher benötigt, eine Zeit, welche ohne weiteres bedeutend gekürzt werden kann. Wir hatten und machten es nicht eilig. Es wurden auch gelegentlich der 3. und 4. Ersteigung durch die Berchtesgadener Aschauer, Schelle und Schuster, sowie den Salzburgern Reumanr, Dr. Nopper, Frl. Doppler und Schifferer wesentlich kürzere Zeiten erzielt. Doch hat dies nichts zur Sache.

Ein ungefähres Urteil über diese Tur soll m folgende Worte gefaßt fein: Steingefahr ist, wie bei allen derart ausgedehnten mächtigen Wandfluchten vorhanden. Doch ist diese im Allgemeinen kaum besonders bedenklich. Steine, welche infolge menschlicher Gedankenlosigkeit ihren Weg zur Tiefe nehmen, bilden ja eine Gefahr für sich.

Dagegen kämpfen bekanntlich auch Götter vergebens. Gerölle liegt nur im oberen Teil der Einstiegsrinne. Bänder und Platten bestehen aus gutgriffigem, kahlen, harten Fels. Die bis zum späten Frühsommer auf den Bändern lagernden, langsam abschmelzenden Schneemassen, lassen eine genußvolle Durchkletterung nicht vor Ende Juni empfehlenswert erscheinen. Als günstigster Stützpunkt kommt wohl die Hütte des Mitterkasers und, falls auf Nachtlager gerechnet werden kann, die Hütten von Kühroint in Betracht. Am bequemsten allerdings ist die Uebernachtung im Watzmannhause. falls man sich mit dem 400 Meter betragenden Höhenverluste, welchen der Abstieg ins Watzmannkar erfordert, abzufinden vermag. Dasselbe gilt sowohl für Turen auf den kleinen Watzmann, (Westwand, Südwestgrat), als auch für die Ersteigung oder Überschreitung der Watzmannkinder.

An Großzügigkeit, landschaftlicher und tektonischer Schönheit mit der Bartholomäwand wetteifernd, an technischer Schwierigkeit ihr ebenbürtig, zählt diese Bergfahrt als leuchtender Edelstein im Kranze lebensfroher Bergerinnerungen

Hermann Lapuch – Die Mittelspitz Ostwand

Der Naturfreund, 1926, S. 125 ff.

Auf dem Watzmann.

Über die direkte Mittelspitz-Ostwand vom Watzmanngletscher aus.

Von Hermann LAPUCH, Salzburg.

Manche Stunde saßen mein Bergfreund Kaspar und ich beisammen, plauderten von vergangenen schönen Zeiten, die wir gemein gemeinsam auf unseren lieben Bergen erlebten.

Aber diesmal, es war Pfingsten 1920 vor der Tür, wollten wir zur Abwechslung einmal eine ganz besonders schöne Bergfahrt unter unternehmen, und zwar faßten wir den Entschluß, einen direkten, wenn auch wenig einladenden neuen Durchstieg vom Watzmanngletscher auf die 2714 Meter hohe Mittelspitze zu versuchen.

Am 23. Mai nachmittags fuhren wir trotz ungünstiger Wetteraussichten nach Berchtesgaden, aber hier war’s auch nicht besser.

Über 1500 Meter waren alle Berge in Nebel gehüllt, doch wir trabten gemächlich nach llsank (Ramsauertal) und von hier auf gutem Karrenweg durch das starkbewaldete Schapbachtal, hie und da einige Minuten rastend.

War es, daß es langsam zu regnen begann, die majestätische Ruhe oder gar das immer näher kommende Problem, daß wir so schweigsam emporstiegen?

Da lichtete sich der Wald etwas, eine Almwiese mit der Schapbachalm, unser heutiges Ziel, lag im Dämmerschein vor uns. Nach einem kräftigen Nachtmahl streckten wir uns auf den harten Brettern des leeren Heubodens der Hütte aus.

Etwas mißgestimmt über das schlechte Wetter, es klatschte schon gehörig über unseren Köpfen auf den Schindeln der Hütte, schliefen wir ein. Es mag 3 Uhr früh gewesen sein, als mein Freund Kaspar mir von draußen verkündete, es werde der schönste Tag.

Und tatsächlich, als wollte uns die Natur belohnen, daß wir gestern trotz des Regens aufgestiegen waren, blickte ich auf zu einem tiefblauen Himmel mit verblassenden Sternen.

Nun galt es keine Zeit versäumen, mit frischem Quellwasser gewaschen, inzwischen hatten die Kocher das ihre getan, und gefrühstückt, ging’s neugestärkt mit steter Bewunderung der Watzmanngipfel, die von den ersten Sonnenstrahlen des Morgens vergoldet wurden, aufwärts.

Bald links vom Weg abzweigend auf einem Rücken empor ins eigentliche Watzmannkar, etwa 6 Uhr früh standen wir am Fuße der Mittelspitze mit ihrer gewaltigen Ostwand.

Auf einem großen Felsblock wurde Rast gemacht, jetzt, wo wir vor unserer Aufgabe saßen, sahen wir, daß unser Unternehmen um 3 bis 4 Wochen zu früh angesetzt war, da in der Riesenwand mit beiläufig 600 bis 700 Meter Höhe noch ziemlich viel Schnee lag.

Noch ganz von der Naturschönheit befangen, der Gipfel des Hohen Göll lag im weißen Hermelinmantel im Sonnenglanz wie ein König der Natur vor uns.

Die ganze unterste Partie der Ostwandfelsen hatten wir mit dem Feldstecher nach einer schwachen Stelle abgesucht, aber überall stießen wir auf senkrechte Platten oder Überhänge, nur in der Falllinie des Gipfels der Mittelspitze, wo sich eine Schneezunge steil zu einer rötlichgelben Rinne zieht, war die einzige Möglichkeit vorhanden. Wir querten auf steilem, hartem Schnee (Stufenschlagen) in dieser empor (brüchig) bis zum Abschluß, welcher in bandartige Felsen übergeht.

Von hier ging’s gut 40 Meter nach rechts zu einer steilen großen Platte (Steinmann).

Hier bot sich uns eine Überraschung: ein Riesenband, teils mit 20 bis 30 Meter breiten Platten, zog sich einige Seillängen nach links aufwärts. Wenn auch stark gegen den Abgrund geneigt, so war es doch zu dieser frühen Zeit noch mit Unmengen Schnee (haushohe Schneeblöcke) bedeckt. Hier dachten wir im stillen an Umkehr, aber die Sonne begann schon langsam ihr Werk und löste hie und da in den oberen Felsen Steine und Schneebrocken, welche uns zu raschem Handeln mahnten. Nun gab’s kein Für und Wider mehr, vorwärts war meine Parole und mein alter Bergfreund war einverstanden. Zur Sicherheit querten wir zwischen den Schneemassen und der Plattenwand links aufwärts beiläufig 60 Meter und dann weiter auf dem glattgescheuerten Bande (Kletterschuhe), zu dessen Außenrande (herrlicher Tiefblick) bis zu einem kleinen Schärtchen, links davon ein Turm mit etwa 8 bis 10 Meter, rechts die Plattenwand.

Einige Meter links vom Turm, über eine fast senkrechte schwierige Wand zu einer steilen Rinne mit einem Überhang (links).

Nun endlich waren wir aus der Stein Steinschlagzone herausgekommen und dachten an Rast; wir hatten einen für Kletterer herrlichen Rastplatz entdeckt. (Hier Steinmann und Ersteigungsdaten.)

Auch sahen wir zu unserer Freude, daß der größte Teil dieser schönen, gewaltigen Wand bezwungen war. Nachdem der Körper wieder gestärkt, verfolgen wir die Rinne, bis sich selbe auflöst. Von Band zu Band empor emporkletternd, erreichten wir eine breite Schlucht, gefüllt mit Lawinenschnee. Der Tiefblick hier fesselt jeden Hochalpinisten; wie ein winziges Spielzeug liegt Bartholomä zu unseren Füßen mit dem dunkelgrünen Königsee, wo sich die schneebedeckten Gipfel und Wände spiegeln, der Kleine Watzmann, 2307 m, kommt uns schon unscheinbar vor, da wir ja schon einige Meter höher sind.

Große, wuchtige Schneewächten, drohend über dem Abgrund, versperren uns den Weiterweg, nur ein exponiertes, steiles Band, mit Eis bedeckt, gibt uns noch Stufenarbeit, dann haben wir links die steilen und plattigen Schlußwände erreicht. Auch diese werden, wenn auch in teilweiser schwerer, doch herr herrlicher Kletterei mit dem Gefühl des Sieges überwunden und einige Minuten später stehen wir beim Gipfelkreuz der Mittelspitze auf dem Watzmann, 2714 m, und reichen uns die Hände mit Glückwunsch und Berg-Frei!

Fünf Stunden hatten wir unter recht ungünstigen Verhältnissen gebraucht und trotz trotzdem nahm die Freude am Gelingen die ganze Müdigkeit von uns. In lustigen Sprüngen ging’s zum Hocheck nach einstündiger Rast, vorbei am Münchner Haus (Hotel), abwärts zu den Menschen der Tiefe, wo noch sehr viele das Wirtshaus unserer so schönen, herrlichen und freien Natur vorziehen.

Gustav Jurek – Rendezvous mit der Jungfrau

Der Naturfreund, 1901

Eine Bergfahrt im Watzmanngebiet.

Ersteigung des höchsten Watzmannkindes (2260 m) auf theilweiser neuer Route.

Von GUSTAV JUREK.

Knarrend fällt die Thüre der zur Zeit ungastlichen ­Schappachalm hinter dem Letzten unseres Trios in’s Schloss. Fein und schneidig umweht uns der Morgenwind, bleich und kalt blicken die Watzmannwände in’s Thal, kein Laut stört die Stille, als das lustige Plätschern der naheliegenden Quelle.

Froh, den tückischen Balken des angeblichen Heubodens entronnen zu sein, eilen wir mit beschleunigten Schritten den Hochwald hinan, als nächstes Ziel der Watzmannscharte zustrebend. So gut es eben geht, bahnen wir uns den Weg zwischen mächtigen, mit Moos überwucherten Steintrümmern und uralten Stämmen. Da ein Blitz! Aufflammt der Watzmann in glühender Lohe, die starren Wände färben sich in Purpur — Bergmorgen! Es stockt der stahlbewehrte Fuss, die Augen hängen gebannt an dem feenhaften Bilde, der Mensch freut sich des herrlichen Naturschauspiels. Weiter geht’s durch Wald, Latschen und Steintrümmer empor, den Weg vom Münchnerhaus zum Königssee querend, bis uns das klare Nass einer munter sprudelnden Quelle zu Rast und Frühstück ladet. Erquickt und gestärkt streben wir, zur Linken die Schuttfelder Klein-Watzmanns, unserem heutigen Ziele, dem bereits sichtbaren Sprossen Vater Watzmanns, dem höchsten, gar trotzig blickenden Watzmannkind entgegen. Wie ungeberdig dieser Range sein kann, sollten wir erst später erfahren. Vorsichtig, mit Vermeidung jeden Geräusches dringen wir vor, denn wir schreiten auf verbotenen Pfaden, und wehe dem Pechvogel von Alpinisten, dem hoch oben der Hüter der hier in Rudeln hausenden Gemsen — der Jäger — den Weg vertritt. Vorbei ist jede Hoffnung auf eine frische, fröhliche Bergfahrt. Doch uns ist Fortuna hold, schon stolpern wir fluchend und lachend durch das Chaos von grossen und kleinen Blöcken, welche das Kar des Watzmanngletschers füllen. Links blicken höhnisch die Wände des kleinen Watzmann und der beiden links liegenden Watzmannkinder herab, während gerade vor uns unser Ziel, das höchste Watzmannkind, sich uns als kühnes Horn präsentirt. Rechts von ihm gurgeln und rumoren die Wassergeister in den Spalten des Watzmanngletschers, während wallende Nebel den grossen Watzmann uns nur ahnen lassen.

Nach dreiviertelstündigem Stolpern sind wir am Fusse unseres Zieles angelangt. Die Rucksäcke werden geöffnet und nach kurzer Stärkung geht’s zum Angriff. Schon sind die Nagelschuhe mit den schleichenden Kletterschuhen vertauscht, das Seil um die Schulter gerollt, die Rucksäcke und Pickel geborgen und Freund B. packt als Erster die Felsen an, um durch einen circa 4 m hohen Riss auf ein breites, schuttbedeck schuttbedecktes ­Schichtenband zu gelangen. Rasch folgen wir diesem und lustig geht es über eine weitere Felsstufe auf ein zweites, etwas ansteigendes Band.

Dasselbe verfolgend dringen wir vor, begleitet von den Juchzern einer Partie, die soeben den Gipfel des kleinen Watzmann erreicht Ein Lachen! Was ist’s? Da steht Freund B. und weist auf eine ungeheure Platte, die in unfreundlicher und unheimlicher Glätte, am oberen Ende von Nebeln umwallt, den weiteren Anstieg vermittelt. Nur frisch voran!

Schon kriecht unser Erster hinan und langsam folgen wir Seillänge um Seillänge. Während des Wartens findet mein Bruder Rudolf genügend Zeit, um zierliche Steindauben zu bauen, die zu seinem Missvergnügen oft das nachschleichende Seil wieder zerstört. Sieben Seillängen liegen hinter uns, da wendet sich der Vorangehende scharf rechts, und schon klettert er die überhängenden Platten durch einen pikanten Riss hinan. Eine Seillänge und die Stelle ist überwunden. Teuflisch lächelnd lauert Freund B. auf unser Zurückzucken, wenn wir ahnungslos über die schmale Gratschneide in der schwindelnden Tiefe den Watzmanngletscher er erblicken. ­Weiter geht’s über den schmalen Grat, einen Thurm überkletternd. Als ich nachgekommen, steht B. in einer schmalen Scharte und betrachtet kopfschüttelnd die Fortsetzung unseres „Weges“. Ein über den Gletscher in furchtbarer Exposition hinaushängender Gratthurm (schwierigste Stelle), dessen Kante messerartig geschärft, prophezeit eine unheimliche grifflose Passage; die Kniee fest zu zusammenpressend, ­die winzigen „Griffe“ krampfhaft umklammernd, schiebt sich unser Vordermann empor ­und nach einigen bangen Minuten steht er keuchend oben und wir folgen auf demselben Wege.

Fort geht’s auf der schmalen Schneide, sausend treibt uns der Wind feuchte Nebelfetzen in’s Gesicht. Endlich nach weiteren 20 Minuten exponirter Kletterei stehen wir auf dem Gipfel. Der rasch durchsuchte Steinmann barg nur vier Karten, wovon drei von führerlosen und eine von einer Partie mit Führer (Kederbacher) herrührten. Auch wir deponiren unsere Karten und blicken nun, auf einer Kante sitzend, hinein in das dampfende und wogende Chaos. Da, ein Luftzug, smaragdgrün blitzt aus der Tiefe der Königssee. Ueber schwindelnde Wände gleitet der Blick in die Tiefe, zu den Lawinenresten der Eiscapelle, zu dem herrlichen St. Bartholomä, und wieder aufwärts, um haften zu bleiben an den nebelumflorten Wänden des Hochecks und der Mittelspitze. Wieder ein Luftzug, verschwunden ist die Pracht; feuchter Nebel schlägt uns in’s Gesicht und fröstelnd wenden wir uns zum Abstiege; den von uns zahlreich errichteten Steindauben folgend klettern wir thalwärts, und in einer Stunde stehen wir wieder bei unseren Rucksäcken. Eine kleine Stärkung und wir stolpern weiter über die zu derb gerathenen Schuttfelder, dann geht es hurtig dem Hochwalde entgegen. Jetzt haben wir ihn erreicht.

Abschiednehmend fliegt der Blick empor zu den nebelumflatterten Wänden und Graten der wilden Gesellen. Leb’ wohl. Watzmann ! Was auch ängstliche Philister predigen über die Schrecken der Bergwelt, wir kehren wieder und bald klirren aber abermals ­die Pickel in deinen Wänden auf frischer, schneidiger Bergfahrt!

Hermann Feichtner, Hans Feichtner, Viktor Reitmayr und Ludwig Schifferer – Ein neuer Weg durch die Watzmann Ostwand

Der Weg der Erstbegeher, der Kederbacher-Weg, konfrontiert den Alpinisten im Rahmen der Begehung mit zwei grossen Problemen.

1. Die Route weisst eine erhebliche Steinschlaggefahr auf

2. Gewisse Wandbereiche erfordern, um den Zustieg möglich zu machen, ein ausreichendes Schneeniveau um vorhandene Randklüfte zu überwinden.

Aus den Problembereichen resultierend gelang einer Salzburger Seilschaft am 08.09.1923 die Begehung einer alternativen Route über die in den Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins informiert wurde.

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1923, S. 114 ff.

Rubrik „Turistik“

Neuer empfehlenswerter Einstieg in die Watzmann-Ostwand

Watzmann-Südspitze, 2712 m. 1. Ersteigung der Watzmann-Ostwand (Bartholomäwand) ohne Benützung der Randkluft und, Schöllhornplatte auf neuem Wege. (Salzburger Weg) über das erste Band, am 8. September 1923.

Die in fast allen Alpinistenkreisen bekannte Watzmann-Ostwand ist durch die Schneeverhältnisse bei der Randkluft unterhalb der Schöllhornplatte nur bis zu einer gewissen Jahreszeit ersteigbar. Nach normalen Wintern bis höchstens Mitte August. Auch nach dem schneereichen Winter 1923 war die Randkluft Ende August durch das Einbrechen der Schneebrücke unpassierbar, wodurch eine Ersteigung der normalen Ostwandroute unmöglich ist. Infolge der Schneefreiheit der Schichtenbänder unter dem Gipfelgrat ist eine Begehung der Ostwand im Spätsommer außer den übrigen herbstlichen schönen Stimmungen besonders genußreich.

Am 8. September 1923 ab Königsee 3 1/4 Uhr früh mit Ruderboot bei Nacht und Nebel. Ab Bartholomä 5 Uhr zur Eiskapelle und auf den gewöhnlichen Anstieg, wie im „Hochtourist“ oder „Zellers Führer durch die Berchtesgadener Alpen“ zur großen Terasse. (7 Uhr bis 9 Uhr.)

Vom Biwakblock führt der „Salzburger Weg über den dahinter gegen Nordwest hinanziehenden Schutt- und Grasrücken in eine ausgewaschene Rinne. Diese Rinne ein Stück verfolgend, dann nach rechts auf einem nach Osten abfallenden Felssockel vor dem sich steil aufbäumenden Wandabsturz unterhalb des von unten markant aussehenden Felstopfes am unteren (rechten, östl.) Ende des ersten Bandes. Vom Felssockel in der rinnenähnlichen Felsverschneidung schräg rechts aufwärts zu einem kleinen länglichen Loch. Ueber den die Verschneidung sperrenden Ueberhang noch etwa 25 m nach rechts Hinaus. Hierauf Quergang scharf nach links und über fast senkrechte Wandstufen gerade aufwärts zu dem schon vom Biwakplatz sichtbaren blockgesperrten, weitwinkeligen Kamin. Nach diesem schräg rechts auswärts bis man das gewaltige erste Band erblickt. Von hier auf schmalen, kurzen Bändern nach links auf das untere Ende des ersten Bandes. (Sehr schwere und ausgesetzte Kletterei auf ständig festem und gutgriffigem Fels, etwa 800 m vom Biwakplatz, normale Kletterzeit 2—3 Std.)

Auf dem Riesenband, welches bis zu 70 m breit und ungegliedert ist (rechts halten) weitermarschierend bis ungefähr zur Mitte desselben, wo man eine geräumige Höhle und Wasser antrifft. (Steinmann mit Karten, 12 Uhr bis 1 ½ Uhr).

Von hier das Band weiter verfolgend bis es in Schroffen gegen Südwest abbricht. Zur Linken ein großer Felsblock. Von diesem Scheitel über die kurze Wandstufe nach rechts in schwerer Kletterei auf die obere Fortsetzung des ersten Bandes und nach links querend zur Mündung der Gipfelschlucht. (Schneereste auch im Herbst.) In der Gipfelfschlucht steigt man nur kurze Zeit empor, um dann an der rechten Begrenzungsflanke nach etwa 100 m den Normalanstieg zu erreichen. Wie im Zeller-Führer oder Hochtourist weiter zur Südspitze. (½ 5 Uhr bis 5 Uhr). Abstieg über das Schönfeld zur Wimbachgrieshütte (an 7 ¼ Uhr.)

Rechnet man von der Gesamtdauer des Aufstieges von Bartholomä bis zur Südspitze die Rasten, sowie 1 Stunde für die Errichtung großer und zahlreicher Steinmänner ab, so bleiben etwa 7 Stunden reine Kletterzeit, welche bei Wiederholungen gewiss verringert werden, wenn leichtere Rucksäcke – wir rechneten mit einem Biwak – zu tragen sind.

Der „Salzburger Weg“ gewinnt noch an Bedeutung dadurch, daß er vor Steinschlag und Lawinen sicherer und die Orientierung wesentlich leichter ist. Die Wandhöhe des Salzburger Weges vom Biwakblock bis zur mittleren Gipfelschlucht beträgt etwa 900 Meter.

Hermann und Hans Feichtner, Viktor Reitmayr, Ludwig Schifferer, Salzburg.

Paul Krebs – Der kleine Watzmann mit Abstieg nach St. Bartholomä

Gemeinsam mit dem Führer Franz Pfnür fand Paul Krebs am 20.09.1886 eine neue Abstiegsroute vom kleinen Watzmann. Hierbei wählten die beiden als Ziel des Abstiegs St. Bartholomä über das Watzmannlabl und den Rinnkendlsteig.

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1886, S. 254 ff

Kleiner Watzmann

Paul Krebs, Wien

Kleiner Watzmann 2304 m. Besteigungen des Kleinen Watzmann gehören zu den Seltenheiten, da dieselben als schwierig und gefahrvoll gelten. Freilich zeigt sich der Berg so schroff, dass diese Ansicht gerechtfertigt erscheint, namentlich wenn man die Ostabhänge betrachtet, welche so steil in den Königssee abfallen, dass bis jetzt, so weit bekannt, es noch Niemand unternommen hatte, den Abstieg durch diese Wände nach St. Bartholomae zu versuchen.

Um mich von der Möglichkeit dieses Abstieges zu überzeugen, ging ich am 20. September mit Führer Franz Pfnür aus Berchtesgaden zur Kührointalm; da diese jedoch nicht mehr bewohnt war, mussten wir zu der eine Stunde tiefer gelegenen Schapbachalm hinabgehen, um dort zu übernachten. Am nächsten Tage war das Wetter zu ungünstig, um den uns Beiden neuen Weg zu unternehmen, wir benutzten jedoch den Nachmittag, um den Archenkopf und die nördlich von demselben den Königssee einschliessenden Höhen zu besteigen, welche ein herrliches Panorama bieten; der Blick vom Archenkopf auf den See und St. Bartholomae lohnt die leichte Besteigung dieser Höhe. Die Nacht zum 22. September brachte wieder Regen, so dass wir erst nach 7 U Morgens, als das Wettersich aufzuheitern begann, von der Schapbachalm aufbrechen konnten. Um 8 U hatten wir die Kührointalm wieder erreicht und begannen nun den Anstieg, welcher naturgemäss zunächst über den grünen Riegel führte, der sich rechts am Fusse des Kleinen Watzmann hinanzieht, und auf welchem man leicht bis ungefähr zur halben Höhe des Bergkegels gelangt. Rechts unter sich hat man hier die zähen Abstürze zur Watzmannscharte, gegenüber die imponirenden, terrassenförmigen Ostabhänge des Grossen Watzmann. Die früheren Besteiger traversirten von da, wo der grüne Riegel sein Ende erreicht und die Wände steiler werden, nach links hinüber, oberhalb der hier steil zum Fusse des Berges abfallenden Platten, und erreichten durch eine Einsenkung, sich in dieser dann rechts haltend, den Gipfel. Auch Hermann v. Barth wählte diesen Weg, wie ich aus seinen Aufzeichnungen zu ersehen Gelegenheit hatte. Wir setzten den Anstieg in direkter Richtung auf den Gipfel zu fort, welchen wir ohne erhebliche Schwierigkeiten erreichten; nur hatten wir eine steile, ca. 20 Fuss hohe Wand zu überklettern, welche jedoch, da sie Spalten und Risse zeigt, von einem leidlich geübten Touristen leicht und gefahrlos zu überwinden ist; ferner unmittelbar unter dem Gipfel eine steile Platte, bei deren Begehung wir Hände und Füsse zu Hilfe nahmen. Um 10 U 45 hatten wir die Spitze erreicht und fanden uns durch eine herrliche Aussicht belohnt. Das Panorama ist nahezu dasselbe wie vom Grossen Watzmann, nur sind die Höhen westlich vom Gross-Venediger an, welcher zwischen Hundstod und dem Grossen Watzmann sichtbar ist, verdeckt.

Die Spitze des Kleinen Watzmann besteht aus zwei Kuppen, die durch eine geringe Einsattlung von einander getrennt sind. Die von Berchtesgaden aus sichtbare Spitze ist um einige Fuss höher, doch ist St. Bartholomae nur von der anderen, südöstlich gelegenen, aus sichtbar. Um 11 U 30 traten wir den Abstieg an. Da ich denselben direct nach St. Bartholomae hinunter machen wollte, legten wir die Steigeisen an, und stiegen zunächst 2 St. in südöstlicher Richtung, gerade auf St. Bartholomae zu, ab; dann wendeten wir uns nordöstlich und erreichten in weiteren 2 St. den Jägersteig, welcher

vom sogenannten Watzmannanger über die Mooslahnerwand und durch das Watzmannrinnkendel nach St. Bartholomae hinunter führt, wo wir um 4 U glücklich eintrafen. Die ersten zwei Stunden des Abstieges hatten wir schroffe Felswände zu durchklettern, wobei uns viele kleine, erkerartige Vorsprünge zu Statten kamen, indem man von denselben aus den zunächst zu wählenden Weg leichter übersehen konnte.

Vorsichtigerweise hatten wir ungewöhnlich lange und starke Bergstöcke genommen, welche uns bei den oft sehr hohen Stufen von grossem Nutzen waren, so dass sich die mitgenommenen Seile als entbehrlich erwiesen. Als wir dann ungefähr die Höhe des Watzmannanger erreicht hatten, welchen wir seitwärts liegen liessen und von welchem wir durch eine den Watzmannwänden parallel laufende Wand getrennt waren, kamen wir in dichtes Krummholz, welches das Steigen erschwerte und zur Vorsicht nöthigte. Nur wenig an Höhe verlierend, traversirten wir sodann die Mooslahnerwand entlang zum Archenkopf hinüber, um den vorher erwähnten Jägersteig zu erreichen, welcher von der Höhe des Archenkopfes nordwestlich zum Watzmannanger, südlich in einer guten halben Stunde nach St. Bartholomae hinunterführt.

Dieser neue Abstieg ist insofern interessant, als man während der ganzen Zeit das herrliche Bild des von Booten belebten Königsee’s mit der Halbinsel St. Bartholomae unter sich hat.

Die ganze Tour ist von Berchtesgaden aus leicht in einem Tag zu machen, wenn man um 4 oder 5U von dort aufbricht; freilich dürfte dieselbe nur geübten Bergsteigern zu empfehlen sein.

Wien. Paul Krebs.

 

Gottfried Merzbacher – Der dritte Sieg über die Ostwand

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins, 1889

Dritte Ersteigung des Watzmann von Bartholomä

Von Gottfried Merzbacher in München.

Anfangs Juni d. J. von den Höhen der Appeninen, auf welchen um diese Zeit noch ganz erstaunliche Schneemassen lagerten, nach meiner alpenumkränzten Heimat reisend, war ich auf dem Brenner und noch mehr im Innthale überrascht, die stolzen Berge zu so früher Jahreszeit schon ganz im grünen und grauen Sommerkleide zu finden. Nur auf den höchsten Höhen und in tiefen Schluchten erglänzten noch, als letzte Zeugen entschwundenen Wintergrimmes, weisse Schneeflecken; sogar die Gletscherabstürze schimmerten unter den heissen Strahlen einer Frühlingssonne, wie ich sie sengender und drückender nicht auf den Gefilden Siciliens empfand, bereits in jenem zarten Blaugrün, das sie sonst erst im Spätsommer umglänzt. Niemals hatte ich das Hochgebirge in so früher Jahreszeit, so sommerlich gekleidet gefunden, und in Fortsetzung meiner Reise durch das grünende Pinzgau nach Salzburg stiegen besondere Zweifel in mir auf, ob mir wohl ein Vorhaben gelingen würde, ohne dessen Ausführung ich nicht glaubte, nach langen, beschwerlichen Reisen mich mit ruhigem Gewissen einigen Wochen heimatlicher Ruhe hingeben zu dürfen.

Seit mehreren Jahren schon, insbesondere nach Durchlesung von Purtscheller’s hübscher Schilderung in der „Zeitschrift“ 1886, S. 281, steht das Project der Watzmannbesteigung von Bartholomä auf meiner Tourenliste, ohne dass Zeit und Umstände die Ausführung mir bisher erlaubt hätten. Sollte ich auch diesmal wieder unverrichteter Dinge heimkehren? Sollten wirklich die Schneebänder, welche die ungeheuren Watzmannwände oberhalb Bartholomä durchsetzen, schon so weit abgeschmolzen sein, um einen Aufstieg auch für dies Jahr unmöglich zu machen? Waren ja doch (nach Versicherungen Kederbacher‘s) ein Dutzend Aufstiegsversuche an diesen Wänden schon gescheitert und nur zwei bisher geglückt. Wie dem auch sein mochte, den Versuch wollte ich auf alle Fälle wagen! So sass ich denn am Sonntag den 3. Juni morgens im Garten der Post in Berchtesgaden, mit dem Führer Punz (Preiss) aus Ramsau mich eifrig über die Vorbereitungen zu dem Unternehmen unterhaltend, und wir waren bereits vollständig über alles Wichtige ins Reine gekommen, Punz wollte eben aufstehen, um in seiner Behausung Bergkleidung und Ausrüstung zu holen, als der mir wohl befreundete Führer Kederbacher unserm Tische zuschritt, mich freundlich begrüssend.

Kaum hatte er von meinem Vorhaben vernommen, als er sofort die schwersten Bedenken dagegen geltend machte und ernstlich abrieth, die Tour zu Zweien zu unternehmen. Er für seinen Theil würde überhaupt unter keinen Umständen mehr die Tour zu Zweien antreten und wäre der Tüchtigste sein Begleiter, dabei auch auf sein Missgeschick bei dem Versuch mit Purtscheller („Zeitschrift“ 1886, S. 283) verweisend. Bei dem starken Rückgange der Schneezungen stellte er es als sicher hin, dass Wir zu Zweien zurückgeschlagen würden, und nur bei tüchtigem Zusammenarbeiten zu Dreien hielt er einen Erfolg für möglich. Wenn uns aber das Missgeschick der Umkehr, und zwar, wie voraussichtlich, erst auf dem obersten Bande aufgezwungen würde, so könnten die Gefahren des Rückweges, infolge der zu so vorgerückter Tageszeit in diesen Wänden unausbleiblichen Steinschläge und Schneeabbrüche für uns die verhängnissvollsten werden. Vergebens führte ich meine guten Gründe mit möglichster Beredsamkeit in das Feld; es gelang mir nicht, Kederbacher’s Ansicht auch nur im Mindesten zu erschüttern. Da ich aber, bei dem mir genügend bekannten Charakter Kederbacher’s, leidige Gewinnsucht als Motiv seines Abrathens für gänzlich ausgeschlossen hielt, so musste ich mir wohl oder übel sagen, dass, wenn ein Mann von dem unzweifelhaften und so oft erwiesenen Muthe Kederbacher’s, von seinen reichen und grossen Erfahrungen in den Fährlichkeiten und Wagnissen schwieriger Bergfahrten und von seiner ganz eminenten Kenntniss des hier in Frage kommenden Gebirges so urtheilte, mir nichts Anderes übrig bleibe, als mich unterzuordnen, wollte ich mir nicht den Vorwurf zuziehen, bei eventuell schlimmem Ausgang des Unternehmens das Leben eines Andern in sicher voraussehbare Gefahr gebracht zu haben, im günstigsten Falle aber den Spott, unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen, einheimsen.

Mit schwerem Herzen fügte ich mich denn in die eiserne Notwendigkeit und bestellte nunmehr auch Kederbacher für den Abend zum Treffpunkt am Königsee. Meine frohe Bergeslaune war aber dahin; ein grosser Theil des Zaubers der schönen Bergfahrt war für mich verloren, denn wie gab es mehr eine Selbstständigkeit des Vorgehens für den Touristen, eine Möglichkeit zu frohem Wagen und keckem Handeln, welche einen grossen Theil des Reizes schwieriger Bergtouren ausmachen, inmitten zweier Führer wie Kederbacher und Punz?

Die Schwüle der Luft und der nachmittags zum Ausbruch kommende Regen, nach so langer Reihe ungetrübt schöner Tage, trug auch nicht dazu bei, mich aufzuheitern, und meine Stimmung hatte sich daher um nichts gebessert, als ich abends 8 h mit den beiden Männern am Ufer des Königsees zusammentraf. Der Himmel hatte sich wieder aufgeklärt; aus dem kühlen, dunklen Himmelsblau glänzten freundliche Sterne herab; Wellen und Luft spielten miteinander wehend und wogend und die über den Bergen schwebende schmale Mondessichel, lockte nur auf den höchsten Spitzen derselben einen silbernen Tag hervor, während dunkle Schatten die Schönheiten des Seekessels verbargen. Kühle Luft umfing mich, als nachts 12 h 10 m die an den Felswänden wiederhallenden Ruderschläge der beiden Schiffer, welche uns nach Bartholomä übersetzten, die feierliche Stille der Nacht unterbrachen, und einem gespenstischen Schatten gleich glitt das Boot mit seinen schweigsamen Insassen über den verlassenen Seespiegel. Wie oft hatte ich mir im Vorgefühl jener Bergtour diese nächtliche Fahrt im Geiste ausgemalt, aber anders, ganz anders! Von der frohund wagemuthigen Laune, dem frischen Thatendrang, welche damals mein Herz schwellten, empfand ich heute wenig mehr. Wir landeten um 2 h in Bartholomä und setzten beim flackernden Scheine einer Laterne sogleich den Weg in das Eisthal fort, aus welchem eine wie in einem Backofen erwärmte dicke Luft uns von Zeit zu Zeit entgegenbrodelte; ein schlimmes Vorzeichen, welches auch den Rest getrübter Freude, den die Aussicht auf das Gelingen des Unternehmens noch in mir rege hielt, zu nichte machte. Die Fichten standen regungslos in der Erde und nur die Laubsträucher wiegten leise ihr neugebornes Grün in den lau flatternden Lüften, als wir der hohen, von der Dunkelheit noch verschleierten Bergeswelt entgegen schritten. 2 h 55 m beim ersten schwachen Zwielicht des kommenden Tages erreichten wir die Schneehalden, welche zu den Felsen hinanziehen, und die schwere Arbeit der Ersteigung der Steilwände konnte beginnen.

Angeweht von kühlerer Morgenluft stieg es sich jetzt leicht, allein in immer stärkeren Stössen kam uns die von der Sonnen gluth des vorigen Tages erhitzte und in den Felsschluchten eingepresste Luft, durch die deckenden Nebelschichten der Nacht am Entweichen verhindert, dick entgegen. Es war klar, dass günstigsten Falles bis mittags auf gutes Wetter zu zählen war, dass wir aber sodann mit Sicherheit Regen zu erwarten hatten. „Wenn’s nur bis mittags aushält, dann ist’s gewonnen,“ meinte Kederbacher. Bis dahin durften wir vom Grat nicht mehr weit entfernt sein, denn bei einfallendem Nebel wäre kein Vorwärts- noch Zurückgehen in den schwierigen Wänden mehr möglich gewesen. Eile war daher vonnöthen. Die Führer wollten das Seil herausnehmen und mich an dasselbe befestigen. Das hatte mir nun gerade noch gefehlt, um das Mass meiner üblen Laune voll zu machen. In entschiedenster Weise verwahrte ich mich dagegen und wäre lieber umgekehrt, als unter solchen Umständen die Besteigung auszuführen, eine Entschiedenheit, die mir den Genuss meiner Freiheit wahrte. Nur an einigen wenigen, den allerschwierigsten Stellen, wo ein Zusammenwirken unerlässlich schien, wurde dann allein von dem Seile Gebrauch gemacht. Wir waren alle Drei bei günstigster körperlicher Disposition, und es war ein wahrer Wettlauf, den wir an den Felsen empor ausführten. In einer Kederbacher selbst in Erstaunen versetzenden Kürze der Zeit, in 1 St. 50 Min., hatten wir die erste Terrasse überwunden und standen 4 h 45 m am Beginne des zweiten Schneebandes. Die Sonne blitzte eben über die Berge östlich des Sees herüber und warf ihr Rosenfeuer in das dünn schwebende Gewölk, das in zartesten, beweglichen Farbentönen erglänzte, während das bisher tiefe Blau der Zackenkrone des Gebirges von dämmerndem Golde angehaucht wurde. Wir liessen uns zum wohlverdienten Frühstück nieder und frohe Hoffnung des Gelingens begann mich wieder mit besserem Lebensmuthe zu erfüllen, zumal meinem Thatendrang durch die bevorstehende schwierige Felskletterei Spielraum genug zur Sättigung gegeben war.

Bewundernd betrachtete ich das herrliche Schauspiel, wie der Ring der Berge um den Königsee immer mehr von der Sonne erhellt wurde und die Lichter des Tages, wie Schnee immer tiefer an den Wänden herabrollten indess der See noch von dunklem Schatten bedeckt war. Ein plötzlicher Steinhagel schreckte mich aus meinen Betrachtungen auf und mit knapper Noth konnten wir uns der drohenden Gefahr entziehen. Hoch oben unbemerkt von uns durch die Wände setzende Gemsen hatten die Geschosse auf unseren Lagerplatz herabgesandt. Rasch die bedrohte Stelle verlassend, wurde 5 h 15 m der Weg fortgesetzt. Die Randkluft zwischen Schnee und Fels gähnte überall breit entgegen und nur eine einzige Stelle erlaubte noch einen Uebergang. Noch wenige Tage und jede folgende Partie musste schon hier zurückgeschlagen werden. Der Uebergang war indess nicht leicht. Punz zog seine Schuhe aus, um als der Erste, von uns unterstützt, die ausgewaschenen, plattigen Felsen zu erklimmen; ich folgte, zuletzt Kederbacher, von mir gehalten. Punz benützte die ihm gelassene Pause, um durch eine unachtsame Bewegung zu unserem nicht geringen Schrecken einen seiner Schuhe in die gähnende Randkluft hinabzustossen. Ein wahres Glück, dass er in geringer Tiefe noch auf einem vorspringenden Schneezacken liegen blieb; er wäre sonst unwiederbringlich verloren gewesen. Am Seile musste Punz wieder hinab, um ihn heraufzuholen. Die nun in kurzen Pausen sich folgenden schwierigen Stellen, meist steil aufgerichtete, ausgewaschene Platten, hohe Wandstufen, oder ausgebogene Felsblöcke, wurden sämmtlich ohne grossen Zeitverlust genommen und schon 7 h 48 m war das dritte grosse Schneeband erreicht, welches als Unterlage eine gegen Südwest durch eine tiefe Schlucht unterbrochene Felsterrasse hat. Kederbacher war zufrieden, denn wir hatten ein gutes Stück der schwierigen Arbeit in ungemein kurzer Zeit erledigt. Der Himmel war zwar schon etwas umzogen, allein das Gewölk war noch dünn und stand hoch. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten wir den Grat schon überschritten, bevor eine Wendung zum Schlimmen eintreten konnte. Die Aussicht auf die so nahe scheinende glückliche Lösung der schwierigen Aufgabe und die Befriedigung, welche die schöne, abwechslungsreiche, alle Kräfte anspannende Arbeit des Felskletterns gewährte, hatten auch das gestörte Gleichgewicht meiner seelischen Erregungen wieder in harmonische Stimmung verwandelt. Unter frohem Geplauder lagerten wir uns unterhalb einer Felswand, neben herabströmendem Schmelzwasser, um eine Stärkung zu nehmen, allein auch diese kurze Spanne Zeit beschaulichen Genusses sollte nicht ungetrübt vorüberrauschen und mit unwiderleglicher Logik wurde erwiesen, dass Kederbacher’s Befürchtungen nur zu begründet waren. Ein in ‚allen Wänden wiederhallendes, donnerähnliches Krachen scheuchte uns auf und schnell suchten wir an der Felswand Schutz vor der drohenden Gefahr. In dumpfem Grollen entfernte sich der Schall und ängstlich lauschten wir seiner Erneuerung. Es wurde jedoch wieder still und wir konnten uns von dem unheimlichen Platze mit heiler Haut zurückziehen. Wie sich später oben zeigte, hatte sich ein grosses Stück einer auf stark geneigter Felsunterlage ruhenden Schneescholle abgelöst und war mit starkem Getöse herabgestürzt, jedoch nach kurzem Falle in einer muldenförmigen Vertiefung liegen geblieben, wodurch wir vor drohendem Unheil beschützt blieben.

Um 8 h 20 m aufbrechend, traversirten wir etwas nach rechts, denn es galt nun, von dem Schneeband aus, die dasselbe überragenden Felswände wieder zu erreichen. Das Mittel hiezu schien ein vorspringender Felskopf zu bieten, am Fusse der grossen Rinne, und die beiden Führer versicherten, dass dies die Stelle sei, welche sie bei ihrer früheren Ersteigung benützt hätten. Der Schnee reichte jedoch nicht hoch genug hinan, um den ganz ausgebogenen Felskopf ansteigen zu können. Das Hinderniss musste also umgangen werden und wir wandten uns nach links, Südwest, hinüber, auf einem Felsbande so lange fortwandernd, bis dasselbe von einem mit Schnee erfüllten klammartigen Einriss unterbrochen wurde, sprangen in den Schnee hinab und setzten über denselben den „Weg fort, der uns hoch und immer höher in südwestlicher Richtung an die Felsen emporführte. Wir glaubten so eine nicht mehr ferne, etwas östlich umbiegende Felsschlucht erreichen zu können, von der anzunehmen war, dass sie sich weiter oben wieder mit der zum Gipfelgrat emporziehenden grossen Rinne vereinigen würde. Bald standen wir indess unerwarteter Weise an einem Abbruch des ganzen Bandes, der jedes Vorwärtsdringen unmöglich machte. Eine etwa 12 Meter hohe Wand trennte uns von einem Graben, über den hinweg eine Fortsetzung gangbarer Felsbänder und Schneehalden zu erkennen war. Abseilen war hier die einzige, doch schwierige Möglichkeit; als Stützpunkt bot sich nämlich nur eine kleine, schmale Felsplatte unter einem überhängenden Felsen. Nach sorgfältigen Vorbereitungen wurde der zögernde Punz, dem die Sache nicht recht gefallen wollte, zuerst hinabgelassen; dann kamen die Rucksäcke und Pickel, hernach meine Wenigkeit und endlich seilte sich Kederbacher mit bekannter Geschicklichkeit und Vorsicht selbst ab. So waren wir denn, nach mehr als einstündiger Arbeit, alle wieder glücklich beisammen unten angelangt; doch nein! — Peinliche Ueberraschung ! Einer war zurückgeblieben, K e d e r b a c h e r’s Hut, den derselbe im Eifer der Arbeit auf dem Felsband oben liegen liess, wo derselbe heute noch liegt.

Wer wird ihn holen ? — Der Verlauf der Schichtenbänder drängte uns indessen immer mehr nach links, Südwest, was Kederbacher unheimlich vorkam, so dass er schliesslich die schwersten Bedenken zur Geltung brachte, ob wir auf diesem Wege eine zum Gipfelgrate emporführende Rinne wohl erreichen würden. Ihm schien es unerlässlich, aus solcher Ungewissheit herauszukommen und auf alle Fälle, wenn auch mit weiterem Zeitverlust, die grosse Hauptrinne wieder zu erreichen. Kurz entschlossen, versuchte er es über einige Felsstufen nach rechts abzubiegen, überstieg einige vorspringende Rippen und verständigte uns dann nachzukommen, nachdem der gewonnene Ueberblick ihn von der Gangbarkeit des Terrains überzeugt hatte. Sein vielbewährter Orientirungssinn hatte ihn auch diesmal nicht getäuscht; über Einrisse, Schneezungen und Schichtenbänder bahnten wir uns einen Weg und erreichten glücklich die Hauptrinne wieder, hatten jedoch im Ganzen durch diese uns allerdings aufgezwungene Abweichung von der Hauptanstiegslinie, der grossen Rinne, ca. 2 St. Zeit verloren.

Und wir hätten eigentlich keine Zeit zu verlieren gehabt, denn die Wolkendecke wurde während des nun folgenden Aufstieges immer dichter, senkte sich tiefer herab und einzelne Nebelfetzen krochen bereits verdächtig unter uns an den Wänden herauf, als wir 11 h 20 m ein kurzes Stück unterhalb des Grates noch eine Rast machten, um durch einen kleinen Imbiss die während der letzten dreistündigen harten Arbeit stark mitgenommenen Kräfte zu erneuern.

Als wir 11 h 50 m wieder aufbrachen, war bereits ein weites Stück des Grates in dichten Nebel gehüllt und die Orientirung auch für Leute vom Schlage der beiden Führer eine schwierige geworden. Kederbacher hatte die Tour nur einmal, und zwar vor acht Jahren ganz ausgeführt, Punz war an dieser Stelle überhaupt nicht vorbeigekommen, denn bei seiner Ersteigung mit Purtscheller war er schon tiefer unten mehr nach Südwesten ausgebogen, um die Südspitze zu erreichen („Zeitschrift“ 1886, S. 286), während die Erreichung der Mittelspize in meiner Absicht lag. Punz wurde also zum Auskundschaften des Weges vorgeschickt, während Kederbacher und ich unter einem überhängenden Fels vor dem nun zum Ausbruch kommenden Regen Schutz such ten. Mit der Rückkehr von Punz nach ¼ St. hatte sich das Wetter indess wieder etwas gebessert und wir setzten mit ihm den Weg fort, der bis zur Erreichung der Grathöhe noch eine längere und anstrengendere Kletterei erforderte, als wir vorausgesetzt hatten. Hart unter den Abstürzen der Südspitze betraten wir gegen 1 h den Hauptgrat gerade in dem Augenblick, als die Sonne den Wolkenhimmel auseinanderwarf. Glänzende Wolkenstücke zogen sich langsam in die Ferne nach Norden zu und ihre Schatten glitten über das helle Grün der Thäler.

Die Sonne zog ein weites Strahlennetz über das mich umgebende einsame, uralte Felsenmeer, voll starr und jäh aufbäumender Wellen. Die Fernen glänzten und dampften und hie und da am Horizonte stäubten schwarze Dunstballen ihren Inhalt in die feucht schimmernde Welt herab. Dieser erhabene grossartige Krieg der Sonne mit dem Wasser, mit den Dünsten und der Erde fesselte mich lange und nöthigte mir stumme Bewunderung ab. Indessen wurde es wieder düsterer um uns und von Neuem umwogten feuchte Nebelballen den wild gezackten Felsgrat, weshalb wir bei Fortsetzung des Weges bald auf demselben, bald unterhalb desselben auf der Nordwestseite durch die Schwierigkeit der Orientirung manchen Zeitverlust erlitten.

Endlich um 3 h betraten wir unser langersehntes Ziel, den Mittelgipfel des Watzmanns, und hatten so doch noch glücklich eine Aufgabe gelöst, deren Gelingen mir am Morgen wenig wahrscheinlich erschien. Ob Kederbacher’s Ansicht, diese Tour nur mehr zu Dreien zu unternehmen, durch den Verlauf unserer Besteigung vollständig gerechtfertigt wurde, möge der denkende geneigte Leser je nach seiner Auffassung und alpinen Erfahrung selbst entscheiden. 13 St. waren verflossen, seit wir bei Bartholomä in der Nacht den Fuss ans Land gesetzt hatten und keine vollen 2 St. waren hievon auf Rasten entfallen. Wären wir durch die ungünstige Beschaffenheit der Schneebänder nicht von der grossen Hauptrinne abgedrängt worden, so hätten wir den Gipfel in weniger als 11 St. erreicht. Nur kurze Zeit konnten wir uns der mühsam errungenen Höhe erfreuen, denn bald fing es zu regnen an und strömende Wasserfluthen geleiteten uns auf dem ferneren Wege zum Hocheck und hinab zum Watzmannhaus, das wir um 5 h betraten, als auch nicht ein trockener Faden mehr an uns war.

Franz von Schilcher – Auf dem Gipfel des wilden Gesellen

Die Erstbesteigung des kleinen Watzmanns, auch Watzmannfrau genannt, genau zu datieren und mit Primärquellen zu belegen gestaltet sich schwierig.

Franz von Schilcher bestieg den Gipfel des kleinen Watzmanns am 27.08.1863 und berichtet hierüber in einem längeren Aufsatz über die Berchtesgadener Gruppe aus dem Jahre 1878.

Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenvereins, 1878, S. 185

Aus der Berchtesgadener Gruppe

Franz von Schilcher, München

Kleiner Watzmann.

1 Ersteigung des Kleinen Watzmann 2293m*).

Am 27. August 1863 Morgens 5 U. 30 MA verliess ich mit Johann Grafl Berchtesgaden. Beim Brunnwerk Ilsang überschritten wir die Ramsauer Ache und stiegen über die Schappach- nach der Kühroint-Alpe am Fusse des Kleinen Watzmann, der auch hier die Gestalt, in welcher er sich vom Thal aus repräsentirt, beibehält, jedoch in der Nähe betrachtet, so gewaltige Wände und Schrofen zeigt, dass sein Ruf als wilder Geselle vollkommen gerechtfertigt erscheint.

8 U. 20 begannen wir die Besteigung und gelangten anfänglich durch Fichtenwald, dann später über felsiges, mit Krummholz bewachsenes Terrain, zuletzt eine Strecke weit am Rand der Watzmannscharte rasch in die Höhe. Bald schlugen wir die östliche Richtung ein und es folgte nun eine mühselige Wanderung durch fast undurchdringliches Latschen Latschendickicht, an einigen mächtigen Steilwänden vorüber, zuletzt betraten wir den Grat und gelangten theils auf ihm selbst, theils unter seinem Südabfall fortschreitend 10 U. 15 zur Spitze. Sie bildet eine nicht ungeräumige, sanft gewölbte Kuppe mit leichtem Grasanflug.

Die Aussicht über das Berchtesgadener Thal, der Blick auf den Göll und die ihm östlich sich anschliessende Gruppe der Königseer Berge, dann südlich auf die Schneefläche der Uebergossenen Alpe und auf einen beträchtlichen Theil der Tauernkette, auf den Obersee, vor Allem aber der Anblick des unmittelbar zu Füssen sich ausbreitenden Königseespiegels bieten dem Auge ein Bild voll Reiz und Erhabenheit. Ein Anblick unbeschreiblicher Wildheit und massloser Zerstörung stellt sich dar, wenn man gegen W. gewendet in die Fels- und Schneebecken der Watzmannscharte hinabschaut. Die Schrofenreihe der „Watzmannkinder“ schliesst dieselbe gegen S., die himmelanstrebende Mauer des Grossen Watzmann gegen W. ein. Der uns zunächst gelegene Schroten steigt mächtig und steilwandig auf; unsere Spitze überragt ihn kaum um 200′; der Bezeichnung eines „Watzmannkindes“ ist er also eigentlich entwachsen. Gerne hätten wir noch länger auf unserer Zinne verweilt, hätte nicht der Gedanke an den Abstieg zur Scharte und die Möglichkeit hiebei eintretender Zwischenfälle zum Auf Aufbruch gedrängt.

1 Uhr verliessen wir die Spitze, die südöstlich und südlich umgangen werden muss; an der Westseite hinabzugelangen erklärte der Führer für unmöglich und in der That scheinen die lothrechten, stellenweise stark überhängenden Wände diesen Ausspruch zu bestätigen. Wir stiegen zuerst an der Südostseite ziemlich tief hinab, steuerten dann aber bald in westlicher Richtung der Lablscharte zu, wobei zuerst in schwindelnder Tiefe der Königssee und St. Bartholomä, dann der tief eingerissene nach 0. jäh hinabziehende Lablgrabenunter uns lag.

Nach Inständigem beschwerlichem Abwärtsklimmen an verwitterten Schrofen und durch steile, mit losem Schutt erfüllte Kamine, wobei es an wirklich gefährlichen Situationen nicht mangelte, langten wir schweissgebadet an der Labischarte an, einer thorartigen Einsenkung zwischen dem Kleinen Watzmann und dem oben erwähnten Schrofen; in grosser Tiefe liegt der Eis- oder Schartenboden unter uns. Aufs neue beginnt das Klettern, Gesimse um Gesimse muss überwunden werden, das letzte unter einer stark über überhängenden ­hängenden überhängenden Wand. Es ist dies die schlimmste Stelle der ganzen Partie; denn kaum zwei Hände breit und ziemlich stark ab abwärts ­geneigt ist die Basis, auf welcher, in halb liegender, halb sitzender Stellung, zur Rechten die Felswand, zur Linken einen tiefen Abgrund nach Bergmannsart 20 — 25′ abgerutscht werden mnss. Ein Seil hätte hier gute Dienste geleistet. Als der erste passirte ich ohne Unfall die gefährliche Stelle, am Bergstock glitten die Rucksäcke hinab, glücklich folgte zu zuletzt der Führer.

Hier angelangt rasteten wir; es war 2 U. 30. Damals bot sich uns der seltene Genuss, an 100 — 150 Gemsen die zur Abhaltung einer für die nächsten Tage beabsichtigten Hofjagd zusammengetrieben waren, in nächster Nähe beobachten ­zu können. 3 U. 30 brachen wir auf, passirten ziemlich  mühelos den untersten Theil der Scharte und langten um 4 U. 10 wieder auf Kühroint an.

*) So weit meine Erkundigungen reichen, war derselbe bis dahin noch von keinem Touristen bestiegen worden; im Jahr 1861 hatten  vier Berchtesgadener Führer, die Gebrüder Johann und Josef Grafl, Mich. Walch und Rupert Holzeis die Besteigung ausgeführt und zwar mit dem Abstieg durch die Scharte. Im August 1869 wurde — jedoch ohne Auf- oder Abstieg stieg Abstieg durch die Scharte — die Spitze des Kl. Watzmann erstiegen von Fräulein Anna Blumenbach aus Riga mit Joh. Grafl; um dieselbe Zeit auch von Hermann v. Barth, welcher meines Wissens die Scharte nicht berührte.