Hermann Lapuch – Die Mittelspitz Ostwand

Der Naturfreund, 1926, S. 125 ff.

Auf dem Watzmann.

Über die direkte Mittelspitz-Ostwand vom Watzmanngletscher aus.

Von Hermann LAPUCH, Salzburg.

Manche Stunde saßen mein Bergfreund Kaspar und ich beisammen, plauderten von vergangenen schönen Zeiten, die wir gemein gemeinsam auf unseren lieben Bergen erlebten.

Aber diesmal, es war Pfingsten 1920 vor der Tür, wollten wir zur Abwechslung einmal eine ganz besonders schöne Bergfahrt unter unternehmen, und zwar faßten wir den Entschluß, einen direkten, wenn auch wenig einladenden neuen Durchstieg vom Watzmanngletscher auf die 2714 Meter hohe Mittelspitze zu versuchen.

Am 23. Mai nachmittags fuhren wir trotz ungünstiger Wetteraussichten nach Berchtesgaden, aber hier war’s auch nicht besser.

Über 1500 Meter waren alle Berge in Nebel gehüllt, doch wir trabten gemächlich nach llsank (Ramsauertal) und von hier auf gutem Karrenweg durch das starkbewaldete Schapbachtal, hie und da einige Minuten rastend.

War es, daß es langsam zu regnen begann, die majestätische Ruhe oder gar das immer näher kommende Problem, daß wir so schweigsam emporstiegen?

Da lichtete sich der Wald etwas, eine Almwiese mit der Schapbachalm, unser heutiges Ziel, lag im Dämmerschein vor uns. Nach einem kräftigen Nachtmahl streckten wir uns auf den harten Brettern des leeren Heubodens der Hütte aus.

Etwas mißgestimmt über das schlechte Wetter, es klatschte schon gehörig über unseren Köpfen auf den Schindeln der Hütte, schliefen wir ein. Es mag 3 Uhr früh gewesen sein, als mein Freund Kaspar mir von draußen verkündete, es werde der schönste Tag.

Und tatsächlich, als wollte uns die Natur belohnen, daß wir gestern trotz des Regens aufgestiegen waren, blickte ich auf zu einem tiefblauen Himmel mit verblassenden Sternen.

Nun galt es keine Zeit versäumen, mit frischem Quellwasser gewaschen, inzwischen hatten die Kocher das ihre getan, und gefrühstückt, ging’s neugestärkt mit steter Bewunderung der Watzmanngipfel, die von den ersten Sonnenstrahlen des Morgens vergoldet wurden, aufwärts.

Bald links vom Weg abzweigend auf einem Rücken empor ins eigentliche Watzmannkar, etwa 6 Uhr früh standen wir am Fuße der Mittelspitze mit ihrer gewaltigen Ostwand.

Auf einem großen Felsblock wurde Rast gemacht, jetzt, wo wir vor unserer Aufgabe saßen, sahen wir, daß unser Unternehmen um 3 bis 4 Wochen zu früh angesetzt war, da in der Riesenwand mit beiläufig 600 bis 700 Meter Höhe noch ziemlich viel Schnee lag.

Noch ganz von der Naturschönheit befangen, der Gipfel des Hohen Göll lag im weißen Hermelinmantel im Sonnenglanz wie ein König der Natur vor uns.

Die ganze unterste Partie der Ostwandfelsen hatten wir mit dem Feldstecher nach einer schwachen Stelle abgesucht, aber überall stießen wir auf senkrechte Platten oder Überhänge, nur in der Falllinie des Gipfels der Mittelspitze, wo sich eine Schneezunge steil zu einer rötlichgelben Rinne zieht, war die einzige Möglichkeit vorhanden. Wir querten auf steilem, hartem Schnee (Stufenschlagen) in dieser empor (brüchig) bis zum Abschluß, welcher in bandartige Felsen übergeht.

Von hier ging’s gut 40 Meter nach rechts zu einer steilen großen Platte (Steinmann).

Hier bot sich uns eine Überraschung: ein Riesenband, teils mit 20 bis 30 Meter breiten Platten, zog sich einige Seillängen nach links aufwärts. Wenn auch stark gegen den Abgrund geneigt, so war es doch zu dieser frühen Zeit noch mit Unmengen Schnee (haushohe Schneeblöcke) bedeckt. Hier dachten wir im stillen an Umkehr, aber die Sonne begann schon langsam ihr Werk und löste hie und da in den oberen Felsen Steine und Schneebrocken, welche uns zu raschem Handeln mahnten. Nun gab’s kein Für und Wider mehr, vorwärts war meine Parole und mein alter Bergfreund war einverstanden. Zur Sicherheit querten wir zwischen den Schneemassen und der Plattenwand links aufwärts beiläufig 60 Meter und dann weiter auf dem glattgescheuerten Bande (Kletterschuhe), zu dessen Außenrande (herrlicher Tiefblick) bis zu einem kleinen Schärtchen, links davon ein Turm mit etwa 8 bis 10 Meter, rechts die Plattenwand.

Einige Meter links vom Turm, über eine fast senkrechte schwierige Wand zu einer steilen Rinne mit einem Überhang (links).

Nun endlich waren wir aus der Stein Steinschlagzone herausgekommen und dachten an Rast; wir hatten einen für Kletterer herrlichen Rastplatz entdeckt. (Hier Steinmann und Ersteigungsdaten.)

Auch sahen wir zu unserer Freude, daß der größte Teil dieser schönen, gewaltigen Wand bezwungen war. Nachdem der Körper wieder gestärkt, verfolgen wir die Rinne, bis sich selbe auflöst. Von Band zu Band empor emporkletternd, erreichten wir eine breite Schlucht, gefüllt mit Lawinenschnee. Der Tiefblick hier fesselt jeden Hochalpinisten; wie ein winziges Spielzeug liegt Bartholomä zu unseren Füßen mit dem dunkelgrünen Königsee, wo sich die schneebedeckten Gipfel und Wände spiegeln, der Kleine Watzmann, 2307 m, kommt uns schon unscheinbar vor, da wir ja schon einige Meter höher sind.

Große, wuchtige Schneewächten, drohend über dem Abgrund, versperren uns den Weiterweg, nur ein exponiertes, steiles Band, mit Eis bedeckt, gibt uns noch Stufenarbeit, dann haben wir links die steilen und plattigen Schlußwände erreicht. Auch diese werden, wenn auch in teilweiser schwerer, doch herr herrlicher Kletterei mit dem Gefühl des Sieges überwunden und einige Minuten später stehen wir beim Gipfelkreuz der Mittelspitze auf dem Watzmann, 2714 m, und reichen uns die Hände mit Glückwunsch und Berg-Frei!

Fünf Stunden hatten wir unter recht ungünstigen Verhältnissen gebraucht und trotz trotzdem nahm die Freude am Gelingen die ganze Müdigkeit von uns. In lustigen Sprüngen ging’s zum Hocheck nach einstündiger Rast, vorbei am Münchner Haus (Hotel), abwärts zu den Menschen der Tiefe, wo noch sehr viele das Wirtshaus unserer so schönen, herrlichen und freien Natur vorziehen.

Watzmann Ostwand – Schlüsselstelle Wasserfallplatte

Die Wasserfallplatte ist eine erste Schlüsselstelle bei der Begehung der Watzmann Ostwand auf dem Berchtesgadener Weg.

Die Platte sollte nicht ungesichert und nicht gerade hoch geklettert werden.

Nach der Wasserplatte keinesfalls schräg links in den vermeintlich leicht gangbaren Bereich klettern. Die richtige Führe ist schräg rechts hoch auf die Rampe.

Kleiner Watzmann – Schlüsselstelle Gendarm

Beim Aufstieg auf den kleinen Watzmann stellt der Gendarm eine erste Schlüsselstelle dar. Die teilweise ausgesetzte Kletterpassage wird mit der Schwierigkeit II bewertet und bereitet sicherlich im Vorfeld manchem Gipfelaspiranten Kopfzerbrechen.

Die gute Nachricht ist, der Gendarm ist unten und in der Mitte mit Bohrhaken und Ring bestückt. Im oberen Teil befindet sich ein Kettenstand.

Die vorhandenen Haken ermöglichen im Aufstiegsfall eine solide Sicherung des Nachsteigenden, eine klassische Abstiegssicherung mit Abzugsmöglichkeit kann ebenfalls gelegt werden.

 

Ein schriftliches Denkmal für die Berchtesgadener Bergführer

Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenvereins, 1939

Unsere Bergführer

Fritz Schmitt, München

Wir wagen nun einen weiten Sprung hinüber ins Berchtesgadner Land.

Einer der ersten Berufsführer war hier der 1816 geborene Johann Jlsanker, genannt Stanzl. Ein Original ! Sein Leibberg war der Watzmann; im Sommer 1868 stand er 59mal oben, und im Februar 1871 brannte er mit Peter Lölzl nach der Einnahme von Paris auf dem Hocheck ein Siegesfeuer ab. Es war dies die erste Winterbesteigung.

Im nächsten Sommer besuchte der damalige deutsche Kronprinz den Watzmann, und es wurde nach dem ältesten Führer, dem Stanzl, geschickt. Der Prinz erzählte beim Aufstieg von der tapferen bayrischen Armee, die er Anno 70 geführt, und der Stanzl von den guten und minderen Leeren am Seil. Auf dem Hocheck meinte der Prinz nachdenklich: „Das ist eine eigene Sache mit dem Führen, nicht wahr, Stanzl?“ — „Woll, woll, Hoheit!“ antwortete der Berchtesgadner. „A richtiger Führer ist d‘ Hauptsach, und wenn d‘ Hoheit uns Bayern Anno 66 g’führt hält‘, nacher hätten mir sie kreuzweis verdroschen, die großmäuligen Preußen!“

Genau zwölf Jahre später schickte der Kronprinz dem Stanzl zum 50jährigen Führer Führerjubiläum einen freundlichen Brief und obendrein 100 Mark! —

Aus der Anfangszeit sind ferner zu nennen: Johann Berger, der L. von Barth 1868 auf das Grundübelhorn begleitete, die Brüder Johann und Josef Grafl, Simon Lasenknopf, Aschauer, vulgo Wimbacher, und Kaspar Ofner, der alte „Preißei“ und Stiefvater des Johann Punz. Ofner ging häufig mit Kaindl aus Linz und F. von Schilcher.

Der Lorbeer der Berchtesgadner Führerschaft gebührt Johann Grill, dem alten Kederbacher. Am 22. Oktober 1835 wurde er in Ramsau geboren. Mit dem jüngeren Nachbarsbuben Johann Punz, dem „Preißei“, erstieg er 1868 den Kleinen Watzmann über die bauchige Südwand und überschritt alle drei Watzmanngipfel. Es ist hier nicht möglich, nur annähernd die Erstbesteigungen Kederbachers aufzuzählen. 1874 betrat er mit Loschge in den Westalpen Wetterhorn,Schreckhorn, Matterhorn, Lyskamm und andere Gipfel. Als bedeutendste spätere Fahrten seien aus der Fülle herausgegriffen: 2. Begehung der Weißhorn-Westwand mit Farrar, Finsteraarhorn-Südostgrat, neuer Weg auf die Aiguille Verte, Erst Ersterkletterung des „Roten Turmes“ am Bietschhorn und Piz Kesch-Südwand. Ins Insgesamt ­stand er fünfzigmal auf Viertausendern, und in den Ostalpen blieb ihm kaum eine Gruppe fremd. Wenn von Kederbachers schönsten Bergerfolgen die Rede ist, dürfen die Erstersteigungen des Tribulaun (1874), der 1700 m hohen Wahmann-Ost- wand (1881) und des Presanella-Rordostgrates nicht verschwiegen werden. Kederbacher blieb bis in sein hohes Alter rüstig. Mit 57 Jahren durchstieg er innerhalb 14 Tagen zweimal die Watzmann-Ostwand, und als Sechziger erklomm er trotz tiefen Neuschnees Croda da Lago und Kleine Zinne. Ab 1888 bewirtschaftete der berühmte Ramsauer das neu erstellte Watzmannhaus. Die Feier seines 80. Geburtstages brachte ihm ein glückliches Erinnern, und innig freute er sich über ein ehrendes Schreiben des D. A. V.

Im Kriegswinter 1917 trat der alte Kederbacher ohne Siechtum und Kampf seine letzte Erdenfahrt an. In sein Führerbuch schrieben vorbildliche Alpinisten Worte höchster Anerkennung. Farrar bezeichnte ihn als „Sinnbild unbeugsamer Anerschrockenheit“. Dr. Blodig, der ihn einen „Fürsten im Bauernkittel“ nannte, erzählte, daß Keder Kederbacher einmal auf Drängen nach einer Besteigung der Aiguille Blanche gesagt habe:  „Ja, ja, es geht schon, aber i geh net!“ Als Friedmann eine Karte in eine Gipfelflasche gesteckt hatte, erkundigte sich Kederbacher nach dem Sinn dieses Tuns, überlegen meinte er: „Dös hat alles koan Wert! D‘ Hauptsach is, daß i selber woaß, daß i droben war!“ Fast sprichwörtlich ist Kederbachers Beruhigungsformel vor mancher gewagten Fahrt geworden: „Wenn man nur woaß, wo der Berg steht!“ Alle drei Kederbacher-Söhne haben das Führerzeichen erworben, und besonders der älteste, der 1862 geborene Hans, machte seinem väterlichen Vorbild alle Ehre.Mit 17 Jahren autorisiert, mit 19 Jahren auf einem Viertausender — für einen Ramsauer nicht alltäglich! Bei dem erstklassigen Ruf — „völlig gleichwertig mit seinem Vater in dessen besten Tagen“, schrieb Capt. Farrar, mit dem er erstmals Pointe Farrar erklomm und in den Dolomiten Schmittkamin, Winklerturm und Rosengartenspitze-Ostwand kennenlernte — erübrigt sich eine lange Fahrtenliste. Er stand auf mehr als 40 verschiedenen Westalpenhäuptern, beispielsweise auf dem Matterhorn fünfmal. Nach einem Armbruch übernahm er 1905 das Watzmannhaus.

Dem jüngeren Kederbacher war nicht ein so friedlich-glücklicher Lebensabend beschieden wie seinem Vater. 1929 erlag er einem schweren, zehrenden Leiden.

Ein Nachbar,Kamerad und Weggefährte des alten Kederbacher war Johann Punz, als „Preißei“ weit bekannt. Die Einträge im Führerbuch des um acht Jahre Jüngeren beginnen 1861. Im nächsten Sommer lesen wir bereits Glöckner, Lochtenn, Wiesbachhorn und später Weißkugel, Ortler, Zillertaler und Rieserferner. Mehrmals begleitete er Prof. Richter wochenlang auf seinen „Gletscherbeobachtungen“: „War, wie immer, mit seiner Bescheidenheit und Geschicklichkeit sehr zufrieden. …“ 1888 nahmen Purtscheller und Dr. Diener den schneidigen „Preißei“ — ein Turist schrieb einmal „Punz aus Preußen“ auf drei Wochen mit ins Wallis. Von den 20 erstiegenen Gipfeln seien nur genannt: Matterhorn, Weißhorn, Montblanc de Seilon, Grand Combin usw. In seiner Bergheimat schaffte er sich durch Wiederholungen der Watzmann-Ostwandfahrt, Erstbegehung der Lochkalter-Ostflanke und Erkletterung des brüchigen Kleinen Palfelhorns — „ein eminenter Führer“, schrieb F. von Schilcher ins Buch einen guten Ruf. 1890 kam in der Wahmann-Ostwand die dunkle Stunde seines Daseins: Schöllhorn stürzte in die Randkluft. „Preißei“ litt seelisch sehr unter diesem tragischen Ünglück und konnte seine Leistungen vorher lesen wir noch Marltgrat bis zur Lälfte, Monte Disgrazia, Biancograt, Zinalrothorn nicht mehr überbieten. 1894 mußte er wegen eines Herz- und Lungenleidens dem Führerberuf entsagen, und 1907 schloß er seine weltmüden, einst so tatenfrohen Augen.