Welzenbachskala – Eine zeitgenössische Betrachtung der Schwierigkeiten beim Klettern

1923 von Wilhelm Welzenbach vorgeschlagen etablierte sich im Laufe der Zeit die heute übliche Bewertung der Schwierigkeit nach dem Prinzip „je schwieriger, desto höher“.
Aus der Welzenbachskala entstand über die Jahre 1947 und 1968 die heute gebräuchliche UIAA-Skala. In den Jahren 1977-1979 wurde die UIAA-Skala nach oben hin geöffnet.
 
UIAA I

Meist stark geneigtes Gelände, große Haltepunkte. Hier beginnt das Klettern.
Im Normalfall dienen die Hände der Stabilisierung, das Körpergewicht lastet vollständig auf den Füßen. Keine besonderen Anforderungen an Trainingsstand und klettertechnische Ausbildung.

UIAA II

Auch beim Schwierigkeitsgrad II gibt es noch keine gesteigerten Anforderungen an die Konstitution des Kletterers. Im allgemeinen handelt es sich um geneigtes Gelände mit großen Haltepunkten. Die Hände werden meist fortwährend zur Stabilisierung des Körpers eingesetzt.

UIAA III

Der dritte Schwierigkeitsgrad bietet bereits Kletterei im etwas steileren Gelände. Dennoch sind Kletterrouten in diesem Grad normalerweise noch nicht senkrecht, die Haltepunkte sind nach wie vor sehr groß.

UIAA IV

Normalerweise die Grenze dessen, was ungeübte, jedoch sportlich veranlagte Anfänger leisten können. Das Gelände ist meist leicht geneigt bis senkrecht, die Haltepunkte können in diesem Schwierigkeitsgrad auch schon weiter voneinander entfernt liegen. Hier beginnen auch die ersten Anforderungen an die Klettertechnik.

Gustav Jurek – Rendezvous mit der Jungfrau

Der Naturfreund, 1901

Eine Bergfahrt im Watzmanngebiet.

Ersteigung des höchsten Watzmannkindes (2260 m) auf theilweiser neuer Route.

Von GUSTAV JUREK.

Knarrend fällt die Thüre der zur Zeit ungastlichen ­Schappachalm hinter dem Letzten unseres Trios in’s Schloss. Fein und schneidig umweht uns der Morgenwind, bleich und kalt blicken die Watzmannwände in’s Thal, kein Laut stört die Stille, als das lustige Plätschern der naheliegenden Quelle.

Froh, den tückischen Balken des angeblichen Heubodens entronnen zu sein, eilen wir mit beschleunigten Schritten den Hochwald hinan, als nächstes Ziel der Watzmannscharte zustrebend. So gut es eben geht, bahnen wir uns den Weg zwischen mächtigen, mit Moos überwucherten Steintrümmern und uralten Stämmen. Da ein Blitz! Aufflammt der Watzmann in glühender Lohe, die starren Wände färben sich in Purpur — Bergmorgen! Es stockt der stahlbewehrte Fuss, die Augen hängen gebannt an dem feenhaften Bilde, der Mensch freut sich des herrlichen Naturschauspiels. Weiter geht’s durch Wald, Latschen und Steintrümmer empor, den Weg vom Münchnerhaus zum Königssee querend, bis uns das klare Nass einer munter sprudelnden Quelle zu Rast und Frühstück ladet. Erquickt und gestärkt streben wir, zur Linken die Schuttfelder Klein-Watzmanns, unserem heutigen Ziele, dem bereits sichtbaren Sprossen Vater Watzmanns, dem höchsten, gar trotzig blickenden Watzmannkind entgegen. Wie ungeberdig dieser Range sein kann, sollten wir erst später erfahren. Vorsichtig, mit Vermeidung jeden Geräusches dringen wir vor, denn wir schreiten auf verbotenen Pfaden, und wehe dem Pechvogel von Alpinisten, dem hoch oben der Hüter der hier in Rudeln hausenden Gemsen — der Jäger — den Weg vertritt. Vorbei ist jede Hoffnung auf eine frische, fröhliche Bergfahrt. Doch uns ist Fortuna hold, schon stolpern wir fluchend und lachend durch das Chaos von grossen und kleinen Blöcken, welche das Kar des Watzmanngletschers füllen. Links blicken höhnisch die Wände des kleinen Watzmann und der beiden links liegenden Watzmannkinder herab, während gerade vor uns unser Ziel, das höchste Watzmannkind, sich uns als kühnes Horn präsentirt. Rechts von ihm gurgeln und rumoren die Wassergeister in den Spalten des Watzmanngletschers, während wallende Nebel den grossen Watzmann uns nur ahnen lassen.

Nach dreiviertelstündigem Stolpern sind wir am Fusse unseres Zieles angelangt. Die Rucksäcke werden geöffnet und nach kurzer Stärkung geht’s zum Angriff. Schon sind die Nagelschuhe mit den schleichenden Kletterschuhen vertauscht, das Seil um die Schulter gerollt, die Rucksäcke und Pickel geborgen und Freund B. packt als Erster die Felsen an, um durch einen circa 4 m hohen Riss auf ein breites, schuttbedeck schuttbedecktes ­Schichtenband zu gelangen. Rasch folgen wir diesem und lustig geht es über eine weitere Felsstufe auf ein zweites, etwas ansteigendes Band.

Dasselbe verfolgend dringen wir vor, begleitet von den Juchzern einer Partie, die soeben den Gipfel des kleinen Watzmann erreicht Ein Lachen! Was ist’s? Da steht Freund B. und weist auf eine ungeheure Platte, die in unfreundlicher und unheimlicher Glätte, am oberen Ende von Nebeln umwallt, den weiteren Anstieg vermittelt. Nur frisch voran!

Schon kriecht unser Erster hinan und langsam folgen wir Seillänge um Seillänge. Während des Wartens findet mein Bruder Rudolf genügend Zeit, um zierliche Steindauben zu bauen, die zu seinem Missvergnügen oft das nachschleichende Seil wieder zerstört. Sieben Seillängen liegen hinter uns, da wendet sich der Vorangehende scharf rechts, und schon klettert er die überhängenden Platten durch einen pikanten Riss hinan. Eine Seillänge und die Stelle ist überwunden. Teuflisch lächelnd lauert Freund B. auf unser Zurückzucken, wenn wir ahnungslos über die schmale Gratschneide in der schwindelnden Tiefe den Watzmanngletscher er erblicken. ­Weiter geht’s über den schmalen Grat, einen Thurm überkletternd. Als ich nachgekommen, steht B. in einer schmalen Scharte und betrachtet kopfschüttelnd die Fortsetzung unseres „Weges“. Ein über den Gletscher in furchtbarer Exposition hinaushängender Gratthurm (schwierigste Stelle), dessen Kante messerartig geschärft, prophezeit eine unheimliche grifflose Passage; die Kniee fest zu zusammenpressend, ­die winzigen „Griffe“ krampfhaft umklammernd, schiebt sich unser Vordermann empor ­und nach einigen bangen Minuten steht er keuchend oben und wir folgen auf demselben Wege.

Fort geht’s auf der schmalen Schneide, sausend treibt uns der Wind feuchte Nebelfetzen in’s Gesicht. Endlich nach weiteren 20 Minuten exponirter Kletterei stehen wir auf dem Gipfel. Der rasch durchsuchte Steinmann barg nur vier Karten, wovon drei von führerlosen und eine von einer Partie mit Führer (Kederbacher) herrührten. Auch wir deponiren unsere Karten und blicken nun, auf einer Kante sitzend, hinein in das dampfende und wogende Chaos. Da, ein Luftzug, smaragdgrün blitzt aus der Tiefe der Königssee. Ueber schwindelnde Wände gleitet der Blick in die Tiefe, zu den Lawinenresten der Eiscapelle, zu dem herrlichen St. Bartholomä, und wieder aufwärts, um haften zu bleiben an den nebelumflorten Wänden des Hochecks und der Mittelspitze. Wieder ein Luftzug, verschwunden ist die Pracht; feuchter Nebel schlägt uns in’s Gesicht und fröstelnd wenden wir uns zum Abstiege; den von uns zahlreich errichteten Steindauben folgend klettern wir thalwärts, und in einer Stunde stehen wir wieder bei unseren Rucksäcken. Eine kleine Stärkung und wir stolpern weiter über die zu derb gerathenen Schuttfelder, dann geht es hurtig dem Hochwalde entgegen. Jetzt haben wir ihn erreicht.

Abschiednehmend fliegt der Blick empor zu den nebelumflatterten Wänden und Graten der wilden Gesellen. Leb’ wohl. Watzmann ! Was auch ängstliche Philister predigen über die Schrecken der Bergwelt, wir kehren wieder und bald klirren aber abermals ­die Pickel in deinen Wänden auf frischer, schneidiger Bergfahrt!

Zur Frage der Schwierigkeitsabstufung

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1927, S. 102

Zur Frage der Schwierigkeitsabstufung

Diese leidige Frage hat schon viel Nachdenken in zünftigen Kreisen verursacht und hat mit dem Massenandrang in die Berge, der seit Kriegsende eintrat, allgemeine Bedeutung gewonnen. Vergleiche zwischen einzelnen Bergfahrten zu ziehen und — wegen der einen oder anderen Stelle Aehnlichkeiten festzustellen, erschien mir persönlich seit jeher genau so lächerlich, wie etwa die familiären Behauptungen, daß der oder die, weil sie auch diesen oder jenen Charakterzug, oder dieselbe Absonderlichkeit (z. B. eine Warze auf der gleichen Körperstelle) habe, dem Onkel Kasimir oder der Tante Eulalia oder sonst einem Ur-Urahn ähnelt.

Zu meiner Zeit — als ich noch für einen schneidigen Bergsteiger galt — habe ich mich überhaupt nicht um derlei ausgeklügelte Unterscheidungen gekümmert, sondern, im Bewußtsein alpin-technisch gut beschlagen zu sein, mich an jene Bergziele herangemacht, die mich ästhetisch oder sportlich reizten. Dabei genügte es zu wissen — wenn dies überhaupt bekannt war! —, daß die betreffende Bergfahrt leicht, schwierig oder sehr schwer sei. Ueberstieg es die eigenen Kräfte, dann unterließ man es vernünftigerweise, denn die modernen, technischen Behelfe und Kniffe kannte man damals noch nicht!

Selbstverständlich galten diese Schwierigkeitsgrade immer nur relativ, also Kalkgebirge, Urgestein und Eis für sich betrachtet und bei Voraussetzung normaler Wetter- und sonstiger Verhältnisse. Als ich bei der Neuauflage des „Hochturist“ gezwungen war, eine Schwierigkeitsskala aufzustellen, — von der es in der Einleitung zu diesem Buche ausdrücklich heißt: „Die Stufen der Schwierigkeitsbestimmung können selbstverständlich kein absolut gültiges Urteil bedeuten; schon deshalb nicht, weil kein einzelner alles vergleichen kann, und selbst dies als möglich angenommen, nicht immer bei den Anstiegen die gleichen Verhältnisse herrschen. Daher ist es besonders schwer, Beispiele aus der Gletscherregion zu geben, wo sich die Verhältnisse von Tag zu Tag oft gründlicher ändern als im Felsbereich.

Aber sie werden einen ungefähren Maßstab bilden für die Beurteilung des eigenen Könnens und die Wahl des Zieles wie des Weges dahin begünstigen“ — da war es. mir im voraus klar, daß diese Aufstellung viel Anfeindung finden werde.

Außer persönlichen Anschauungen, kamen ja die „alpinen Schulen“ als Ganzes in Betracht, denn die „Münchner“, „Innsbrucker“, „Wiener“, „Grazer“ usw. — jede örtlich umgrenzte Alpinistengilde hat andere Vergleichsobjekte, andere Vergleichsgrundsätze. Die einen schwören auf die Leuchs’sche Kaiser-Skala, die andern lassen nur Pichl’s oder Benesch‘ Graduierung gelten, die dritten halten sich an Karwendelbegriffe usw. So vortrefflich jede dieser Ausstellungen für den gedachten, örtlich-beschränkten Zweck auch sein mögen, für alle ostalpinen Gruppen passen sie nicht.

Daher meine Versuche, sie diesem Bedürfnis anzupassen, wobei ich als selbstverständlich annahm, daß die Muster der einen Stufe immer nur mit den örtlich gleichartigen Mustern der anderen Stufen in Beziehung gebracht werden können, also Kalk mit Kalk, Urgestein mit Urgestein, Eis mit Eis, um nicht raumverschwendend drei gesonderte Tabellen aufstellen zu müssen.

Befriedigt war ich nicht; daher auch die Abänderung in den Bänden II und IV. Doch auch diese, im Verein mit maßgebenden Alpinisten zustande gekommene Aufstellung taugt meines Erachtens nicht für den „Hochturist“. Und darin hat mich nun eine zufällige Aussprache mit Dr. Josef Braunstein bestärkt, wobei ich von seinen im Druck erschienenen Betrachtungen über diese Frage Kenntnis erhielt.

Welch sonderbare Folgerungen selbst ein so scharfsichtiger Kritiker wie Dr. I. B. aus der 5 Stufigen Skala im „Hochturist“ zieht, ergibt sich z. B. aus dem Satze: „Da Glocknerwand und Glockner-NW-Grat beide bloß als „schwierig“ bezeichnet werden, müßte die Tur Glocknerwand bis Großglockner (über den NW-Grat) ebenfalls nur als „schwierig“ eingeschätzt werden, eine Unternehmung, die Welzenbach als „sehr schwierig“ klassifiziert und mit Weißhorn über den Schalligrat vergleicht.“ — Und doch haben wir beide recht; denn „schwierig“ plus „schwierig“ ist eben doppelt oder „sehr schwierig“ !

Es sei mir gestattet noch eine Frage zu stellen: Ist eine Tur, etwa in den Jütischen Alpen, die technisch mit dem Totenkirchl oder dem Kleinen Buchstein zu vergleichen wäre, nicht schwieriger als diese, wenn erst ein stundenlanger, wüster Anmarsch mit Sack und Pack zur Kletterei bringt?

Solche Erwägungen versuchte ich in den Schwierigkeitsstufen vergleichend zur Geltung zu bringen. Der Versuch ist mißglückt. Und diese Erwägungen bestärken mich nun in dem schon vorher gefaßten Entschluß, in Zukunft die Bergfahrten im „Hochturist“ einfach als «leicht“, „mittelschwer“, „schwierig“, „sehr schwierig“ und „äußerst schwierig“ zu bezeichnen und auf Vergleiche ganz zu verzichten.

Da der „Hochturist“ ausdrücklich bemerkt, daß er für den geübten Bergsteiger bestimmt sei, denn nur ein solcher soll führerlos Hochturen unternehmen, müssen diese fünf Stufen genügen, normale Verhältnisse vorausgesetzt.

Hans Barth, Wien

Touren am Watzmannmassiv – Übersicht

Großer Watzmann Hocheck

  • Hocheck vom Watzmannhaus aus
  • Hocheck von der Mittelspitze aus
  • Schiefer Kamin
  • Braune Verschneidung
  • Ostwand der Hocheck Schulter
  • Ostpfeiler
  • Pfeilerwand
  • Aufstieg aus dem Schüttalpetal

Großer Watzmann Mittelspitze

  • Mittelspitze vom Hocheck aus
  • Mittelspitze von der Südspitze aus
  • Mittelspitze Ostwand vom Watzmanngletscher aus
  • Direkte Ostwand von der Skischarte aus
  • Abstieg über die Westflanke
  • Vom Salzburger Weg zur Mittelspitze

Großer Watzmann Südspitze

  • Südspitze von der Mittelspitze aus
  • Südspitze aus dem Wimbachtal
  • Süd-Westflanke
  • Südgrat
  • Ostwand über den Kederbacher Weg
  • Ostwand über den Berchtesgadener Weg
  • Ostwand über den Salzburger Weg
  • Ostwand über den Münchener Weg
  • Ostwand über den Frankfurter Weg
  • Ostwand über den Polenweg
  • Ostwand über den Franz-Rasp-Gedächtnisweg
  • Querung zum Watzmannkar
  • Diagonalverbindung vom Schöllhornkar
  • Ostwand aus dem Eisbachtal
  • Südostwand aus dem Eisbachtal

Kleiner Watzmann

  • Nord-Ostgrat
  • Westwand
  • Direkte Westwand
  • Südwand
  • Ostgrat
  • Süd-Westgrat
  • Westwandriss
  • Westverschneidung
  • Neue Westverschneidung
  • Westwandrisse
  • Westwand/Sackrisches Eck

Erstes Kind

  • Nord-Ostflanke
  • Westgrat
  • Südpfeiler

Zweites Kind

  • Ostflanke
  • Westgrat

Drittes Kind

  • Nordwand
  • alte Südkante
  • gerade Südkante

Viertes Kind

  • Ostflanke
  • Südwand
  • direkte Südwand
  • Nordgrat
  • Westwand
  • direkte Westwand
  • Süd-Westkante

Fünftes Kind

  • Ostflanke
  • Westgrat
  • Südwand

Hermann Feichtner, Hans Feichtner, Viktor Reitmayr und Ludwig Schifferer – Ein neuer Weg durch die Watzmann Ostwand

Der Weg der Erstbegeher, der Kederbacher-Weg, konfrontiert den Alpinisten im Rahmen der Begehung mit zwei grossen Problemen.

1. Die Route weisst eine erhebliche Steinschlaggefahr auf

2. Gewisse Wandbereiche erfordern, um den Zustieg möglich zu machen, ein ausreichendes Schneeniveau um vorhandene Randklüfte zu überwinden.

Aus den Problembereichen resultierend gelang einer Salzburger Seilschaft am 08.09.1923 die Begehung einer alternativen Route über die in den Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins informiert wurde.

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1923, S. 114 ff.

Rubrik „Turistik“

Neuer empfehlenswerter Einstieg in die Watzmann-Ostwand

Watzmann-Südspitze, 2712 m. 1. Ersteigung der Watzmann-Ostwand (Bartholomäwand) ohne Benützung der Randkluft und, Schöllhornplatte auf neuem Wege. (Salzburger Weg) über das erste Band, am 8. September 1923.

Die in fast allen Alpinistenkreisen bekannte Watzmann-Ostwand ist durch die Schneeverhältnisse bei der Randkluft unterhalb der Schöllhornplatte nur bis zu einer gewissen Jahreszeit ersteigbar. Nach normalen Wintern bis höchstens Mitte August. Auch nach dem schneereichen Winter 1923 war die Randkluft Ende August durch das Einbrechen der Schneebrücke unpassierbar, wodurch eine Ersteigung der normalen Ostwandroute unmöglich ist. Infolge der Schneefreiheit der Schichtenbänder unter dem Gipfelgrat ist eine Begehung der Ostwand im Spätsommer außer den übrigen herbstlichen schönen Stimmungen besonders genußreich.

Am 8. September 1923 ab Königsee 3 1/4 Uhr früh mit Ruderboot bei Nacht und Nebel. Ab Bartholomä 5 Uhr zur Eiskapelle und auf den gewöhnlichen Anstieg, wie im „Hochtourist“ oder „Zellers Führer durch die Berchtesgadener Alpen“ zur großen Terasse. (7 Uhr bis 9 Uhr.)

Vom Biwakblock führt der „Salzburger Weg über den dahinter gegen Nordwest hinanziehenden Schutt- und Grasrücken in eine ausgewaschene Rinne. Diese Rinne ein Stück verfolgend, dann nach rechts auf einem nach Osten abfallenden Felssockel vor dem sich steil aufbäumenden Wandabsturz unterhalb des von unten markant aussehenden Felstopfes am unteren (rechten, östl.) Ende des ersten Bandes. Vom Felssockel in der rinnenähnlichen Felsverschneidung schräg rechts aufwärts zu einem kleinen länglichen Loch. Ueber den die Verschneidung sperrenden Ueberhang noch etwa 25 m nach rechts Hinaus. Hierauf Quergang scharf nach links und über fast senkrechte Wandstufen gerade aufwärts zu dem schon vom Biwakplatz sichtbaren blockgesperrten, weitwinkeligen Kamin. Nach diesem schräg rechts auswärts bis man das gewaltige erste Band erblickt. Von hier auf schmalen, kurzen Bändern nach links auf das untere Ende des ersten Bandes. (Sehr schwere und ausgesetzte Kletterei auf ständig festem und gutgriffigem Fels, etwa 800 m vom Biwakplatz, normale Kletterzeit 2—3 Std.)

Auf dem Riesenband, welches bis zu 70 m breit und ungegliedert ist (rechts halten) weitermarschierend bis ungefähr zur Mitte desselben, wo man eine geräumige Höhle und Wasser antrifft. (Steinmann mit Karten, 12 Uhr bis 1 ½ Uhr).

Von hier das Band weiter verfolgend bis es in Schroffen gegen Südwest abbricht. Zur Linken ein großer Felsblock. Von diesem Scheitel über die kurze Wandstufe nach rechts in schwerer Kletterei auf die obere Fortsetzung des ersten Bandes und nach links querend zur Mündung der Gipfelschlucht. (Schneereste auch im Herbst.) In der Gipfelfschlucht steigt man nur kurze Zeit empor, um dann an der rechten Begrenzungsflanke nach etwa 100 m den Normalanstieg zu erreichen. Wie im Zeller-Führer oder Hochtourist weiter zur Südspitze. (½ 5 Uhr bis 5 Uhr). Abstieg über das Schönfeld zur Wimbachgrieshütte (an 7 ¼ Uhr.)

Rechnet man von der Gesamtdauer des Aufstieges von Bartholomä bis zur Südspitze die Rasten, sowie 1 Stunde für die Errichtung großer und zahlreicher Steinmänner ab, so bleiben etwa 7 Stunden reine Kletterzeit, welche bei Wiederholungen gewiss verringert werden, wenn leichtere Rucksäcke – wir rechneten mit einem Biwak – zu tragen sind.

Der „Salzburger Weg“ gewinnt noch an Bedeutung dadurch, daß er vor Steinschlag und Lawinen sicherer und die Orientierung wesentlich leichter ist. Die Wandhöhe des Salzburger Weges vom Biwakblock bis zur mittleren Gipfelschlucht beträgt etwa 900 Meter.

Hermann und Hans Feichtner, Viktor Reitmayr, Ludwig Schifferer, Salzburg.

Paul Krebs – Der kleine Watzmann mit Abstieg nach St. Bartholomä

Gemeinsam mit dem Führer Franz Pfnür fand Paul Krebs am 20.09.1886 eine neue Abstiegsroute vom kleinen Watzmann. Hierbei wählten die beiden als Ziel des Abstiegs St. Bartholomä über das Watzmannlabl und den Rinnkendlsteig.

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1886, S. 254 ff

Kleiner Watzmann

Paul Krebs, Wien

Kleiner Watzmann 2304 m. Besteigungen des Kleinen Watzmann gehören zu den Seltenheiten, da dieselben als schwierig und gefahrvoll gelten. Freilich zeigt sich der Berg so schroff, dass diese Ansicht gerechtfertigt erscheint, namentlich wenn man die Ostabhänge betrachtet, welche so steil in den Königssee abfallen, dass bis jetzt, so weit bekannt, es noch Niemand unternommen hatte, den Abstieg durch diese Wände nach St. Bartholomae zu versuchen.

Um mich von der Möglichkeit dieses Abstieges zu überzeugen, ging ich am 20. September mit Führer Franz Pfnür aus Berchtesgaden zur Kührointalm; da diese jedoch nicht mehr bewohnt war, mussten wir zu der eine Stunde tiefer gelegenen Schapbachalm hinabgehen, um dort zu übernachten. Am nächsten Tage war das Wetter zu ungünstig, um den uns Beiden neuen Weg zu unternehmen, wir benutzten jedoch den Nachmittag, um den Archenkopf und die nördlich von demselben den Königssee einschliessenden Höhen zu besteigen, welche ein herrliches Panorama bieten; der Blick vom Archenkopf auf den See und St. Bartholomae lohnt die leichte Besteigung dieser Höhe. Die Nacht zum 22. September brachte wieder Regen, so dass wir erst nach 7 U Morgens, als das Wettersich aufzuheitern begann, von der Schapbachalm aufbrechen konnten. Um 8 U hatten wir die Kührointalm wieder erreicht und begannen nun den Anstieg, welcher naturgemäss zunächst über den grünen Riegel führte, der sich rechts am Fusse des Kleinen Watzmann hinanzieht, und auf welchem man leicht bis ungefähr zur halben Höhe des Bergkegels gelangt. Rechts unter sich hat man hier die zähen Abstürze zur Watzmannscharte, gegenüber die imponirenden, terrassenförmigen Ostabhänge des Grossen Watzmann. Die früheren Besteiger traversirten von da, wo der grüne Riegel sein Ende erreicht und die Wände steiler werden, nach links hinüber, oberhalb der hier steil zum Fusse des Berges abfallenden Platten, und erreichten durch eine Einsenkung, sich in dieser dann rechts haltend, den Gipfel. Auch Hermann v. Barth wählte diesen Weg, wie ich aus seinen Aufzeichnungen zu ersehen Gelegenheit hatte. Wir setzten den Anstieg in direkter Richtung auf den Gipfel zu fort, welchen wir ohne erhebliche Schwierigkeiten erreichten; nur hatten wir eine steile, ca. 20 Fuss hohe Wand zu überklettern, welche jedoch, da sie Spalten und Risse zeigt, von einem leidlich geübten Touristen leicht und gefahrlos zu überwinden ist; ferner unmittelbar unter dem Gipfel eine steile Platte, bei deren Begehung wir Hände und Füsse zu Hilfe nahmen. Um 10 U 45 hatten wir die Spitze erreicht und fanden uns durch eine herrliche Aussicht belohnt. Das Panorama ist nahezu dasselbe wie vom Grossen Watzmann, nur sind die Höhen westlich vom Gross-Venediger an, welcher zwischen Hundstod und dem Grossen Watzmann sichtbar ist, verdeckt.

Die Spitze des Kleinen Watzmann besteht aus zwei Kuppen, die durch eine geringe Einsattlung von einander getrennt sind. Die von Berchtesgaden aus sichtbare Spitze ist um einige Fuss höher, doch ist St. Bartholomae nur von der anderen, südöstlich gelegenen, aus sichtbar. Um 11 U 30 traten wir den Abstieg an. Da ich denselben direct nach St. Bartholomae hinunter machen wollte, legten wir die Steigeisen an, und stiegen zunächst 2 St. in südöstlicher Richtung, gerade auf St. Bartholomae zu, ab; dann wendeten wir uns nordöstlich und erreichten in weiteren 2 St. den Jägersteig, welcher

vom sogenannten Watzmannanger über die Mooslahnerwand und durch das Watzmannrinnkendel nach St. Bartholomae hinunter führt, wo wir um 4 U glücklich eintrafen. Die ersten zwei Stunden des Abstieges hatten wir schroffe Felswände zu durchklettern, wobei uns viele kleine, erkerartige Vorsprünge zu Statten kamen, indem man von denselben aus den zunächst zu wählenden Weg leichter übersehen konnte.

Vorsichtigerweise hatten wir ungewöhnlich lange und starke Bergstöcke genommen, welche uns bei den oft sehr hohen Stufen von grossem Nutzen waren, so dass sich die mitgenommenen Seile als entbehrlich erwiesen. Als wir dann ungefähr die Höhe des Watzmannanger erreicht hatten, welchen wir seitwärts liegen liessen und von welchem wir durch eine den Watzmannwänden parallel laufende Wand getrennt waren, kamen wir in dichtes Krummholz, welches das Steigen erschwerte und zur Vorsicht nöthigte. Nur wenig an Höhe verlierend, traversirten wir sodann die Mooslahnerwand entlang zum Archenkopf hinüber, um den vorher erwähnten Jägersteig zu erreichen, welcher von der Höhe des Archenkopfes nordwestlich zum Watzmannanger, südlich in einer guten halben Stunde nach St. Bartholomae hinunterführt.

Dieser neue Abstieg ist insofern interessant, als man während der ganzen Zeit das herrliche Bild des von Booten belebten Königsee’s mit der Halbinsel St. Bartholomae unter sich hat.

Die ganze Tour ist von Berchtesgaden aus leicht in einem Tag zu machen, wenn man um 4 oder 5U von dort aufbricht; freilich dürfte dieselbe nur geübten Bergsteigern zu empfehlen sein.

Wien. Paul Krebs.

 

Gottfried Merzbacher – Der dritte Sieg über die Ostwand

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins, 1889

Dritte Ersteigung des Watzmann von Bartholomä

Von Gottfried Merzbacher in München.

Anfangs Juni d. J. von den Höhen der Appeninen, auf welchen um diese Zeit noch ganz erstaunliche Schneemassen lagerten, nach meiner alpenumkränzten Heimat reisend, war ich auf dem Brenner und noch mehr im Innthale überrascht, die stolzen Berge zu so früher Jahreszeit schon ganz im grünen und grauen Sommerkleide zu finden. Nur auf den höchsten Höhen und in tiefen Schluchten erglänzten noch, als letzte Zeugen entschwundenen Wintergrimmes, weisse Schneeflecken; sogar die Gletscherabstürze schimmerten unter den heissen Strahlen einer Frühlingssonne, wie ich sie sengender und drückender nicht auf den Gefilden Siciliens empfand, bereits in jenem zarten Blaugrün, das sie sonst erst im Spätsommer umglänzt. Niemals hatte ich das Hochgebirge in so früher Jahreszeit, so sommerlich gekleidet gefunden, und in Fortsetzung meiner Reise durch das grünende Pinzgau nach Salzburg stiegen besondere Zweifel in mir auf, ob mir wohl ein Vorhaben gelingen würde, ohne dessen Ausführung ich nicht glaubte, nach langen, beschwerlichen Reisen mich mit ruhigem Gewissen einigen Wochen heimatlicher Ruhe hingeben zu dürfen.

Seit mehreren Jahren schon, insbesondere nach Durchlesung von Purtscheller’s hübscher Schilderung in der „Zeitschrift“ 1886, S. 281, steht das Project der Watzmannbesteigung von Bartholomä auf meiner Tourenliste, ohne dass Zeit und Umstände die Ausführung mir bisher erlaubt hätten. Sollte ich auch diesmal wieder unverrichteter Dinge heimkehren? Sollten wirklich die Schneebänder, welche die ungeheuren Watzmannwände oberhalb Bartholomä durchsetzen, schon so weit abgeschmolzen sein, um einen Aufstieg auch für dies Jahr unmöglich zu machen? Waren ja doch (nach Versicherungen Kederbacher‘s) ein Dutzend Aufstiegsversuche an diesen Wänden schon gescheitert und nur zwei bisher geglückt. Wie dem auch sein mochte, den Versuch wollte ich auf alle Fälle wagen! So sass ich denn am Sonntag den 3. Juni morgens im Garten der Post in Berchtesgaden, mit dem Führer Punz (Preiss) aus Ramsau mich eifrig über die Vorbereitungen zu dem Unternehmen unterhaltend, und wir waren bereits vollständig über alles Wichtige ins Reine gekommen, Punz wollte eben aufstehen, um in seiner Behausung Bergkleidung und Ausrüstung zu holen, als der mir wohl befreundete Führer Kederbacher unserm Tische zuschritt, mich freundlich begrüssend.

Kaum hatte er von meinem Vorhaben vernommen, als er sofort die schwersten Bedenken dagegen geltend machte und ernstlich abrieth, die Tour zu Zweien zu unternehmen. Er für seinen Theil würde überhaupt unter keinen Umständen mehr die Tour zu Zweien antreten und wäre der Tüchtigste sein Begleiter, dabei auch auf sein Missgeschick bei dem Versuch mit Purtscheller („Zeitschrift“ 1886, S. 283) verweisend. Bei dem starken Rückgange der Schneezungen stellte er es als sicher hin, dass Wir zu Zweien zurückgeschlagen würden, und nur bei tüchtigem Zusammenarbeiten zu Dreien hielt er einen Erfolg für möglich. Wenn uns aber das Missgeschick der Umkehr, und zwar, wie voraussichtlich, erst auf dem obersten Bande aufgezwungen würde, so könnten die Gefahren des Rückweges, infolge der zu so vorgerückter Tageszeit in diesen Wänden unausbleiblichen Steinschläge und Schneeabbrüche für uns die verhängnissvollsten werden. Vergebens führte ich meine guten Gründe mit möglichster Beredsamkeit in das Feld; es gelang mir nicht, Kederbacher’s Ansicht auch nur im Mindesten zu erschüttern. Da ich aber, bei dem mir genügend bekannten Charakter Kederbacher’s, leidige Gewinnsucht als Motiv seines Abrathens für gänzlich ausgeschlossen hielt, so musste ich mir wohl oder übel sagen, dass, wenn ein Mann von dem unzweifelhaften und so oft erwiesenen Muthe Kederbacher’s, von seinen reichen und grossen Erfahrungen in den Fährlichkeiten und Wagnissen schwieriger Bergfahrten und von seiner ganz eminenten Kenntniss des hier in Frage kommenden Gebirges so urtheilte, mir nichts Anderes übrig bleibe, als mich unterzuordnen, wollte ich mir nicht den Vorwurf zuziehen, bei eventuell schlimmem Ausgang des Unternehmens das Leben eines Andern in sicher voraussehbare Gefahr gebracht zu haben, im günstigsten Falle aber den Spott, unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen, einheimsen.

Mit schwerem Herzen fügte ich mich denn in die eiserne Notwendigkeit und bestellte nunmehr auch Kederbacher für den Abend zum Treffpunkt am Königsee. Meine frohe Bergeslaune war aber dahin; ein grosser Theil des Zaubers der schönen Bergfahrt war für mich verloren, denn wie gab es mehr eine Selbstständigkeit des Vorgehens für den Touristen, eine Möglichkeit zu frohem Wagen und keckem Handeln, welche einen grossen Theil des Reizes schwieriger Bergtouren ausmachen, inmitten zweier Führer wie Kederbacher und Punz?

Die Schwüle der Luft und der nachmittags zum Ausbruch kommende Regen, nach so langer Reihe ungetrübt schöner Tage, trug auch nicht dazu bei, mich aufzuheitern, und meine Stimmung hatte sich daher um nichts gebessert, als ich abends 8 h mit den beiden Männern am Ufer des Königsees zusammentraf. Der Himmel hatte sich wieder aufgeklärt; aus dem kühlen, dunklen Himmelsblau glänzten freundliche Sterne herab; Wellen und Luft spielten miteinander wehend und wogend und die über den Bergen schwebende schmale Mondessichel, lockte nur auf den höchsten Spitzen derselben einen silbernen Tag hervor, während dunkle Schatten die Schönheiten des Seekessels verbargen. Kühle Luft umfing mich, als nachts 12 h 10 m die an den Felswänden wiederhallenden Ruderschläge der beiden Schiffer, welche uns nach Bartholomä übersetzten, die feierliche Stille der Nacht unterbrachen, und einem gespenstischen Schatten gleich glitt das Boot mit seinen schweigsamen Insassen über den verlassenen Seespiegel. Wie oft hatte ich mir im Vorgefühl jener Bergtour diese nächtliche Fahrt im Geiste ausgemalt, aber anders, ganz anders! Von der frohund wagemuthigen Laune, dem frischen Thatendrang, welche damals mein Herz schwellten, empfand ich heute wenig mehr. Wir landeten um 2 h in Bartholomä und setzten beim flackernden Scheine einer Laterne sogleich den Weg in das Eisthal fort, aus welchem eine wie in einem Backofen erwärmte dicke Luft uns von Zeit zu Zeit entgegenbrodelte; ein schlimmes Vorzeichen, welches auch den Rest getrübter Freude, den die Aussicht auf das Gelingen des Unternehmens noch in mir rege hielt, zu nichte machte. Die Fichten standen regungslos in der Erde und nur die Laubsträucher wiegten leise ihr neugebornes Grün in den lau flatternden Lüften, als wir der hohen, von der Dunkelheit noch verschleierten Bergeswelt entgegen schritten. 2 h 55 m beim ersten schwachen Zwielicht des kommenden Tages erreichten wir die Schneehalden, welche zu den Felsen hinanziehen, und die schwere Arbeit der Ersteigung der Steilwände konnte beginnen.

Angeweht von kühlerer Morgenluft stieg es sich jetzt leicht, allein in immer stärkeren Stössen kam uns die von der Sonnen gluth des vorigen Tages erhitzte und in den Felsschluchten eingepresste Luft, durch die deckenden Nebelschichten der Nacht am Entweichen verhindert, dick entgegen. Es war klar, dass günstigsten Falles bis mittags auf gutes Wetter zu zählen war, dass wir aber sodann mit Sicherheit Regen zu erwarten hatten. „Wenn’s nur bis mittags aushält, dann ist’s gewonnen,“ meinte Kederbacher. Bis dahin durften wir vom Grat nicht mehr weit entfernt sein, denn bei einfallendem Nebel wäre kein Vorwärts- noch Zurückgehen in den schwierigen Wänden mehr möglich gewesen. Eile war daher vonnöthen. Die Führer wollten das Seil herausnehmen und mich an dasselbe befestigen. Das hatte mir nun gerade noch gefehlt, um das Mass meiner üblen Laune voll zu machen. In entschiedenster Weise verwahrte ich mich dagegen und wäre lieber umgekehrt, als unter solchen Umständen die Besteigung auszuführen, eine Entschiedenheit, die mir den Genuss meiner Freiheit wahrte. Nur an einigen wenigen, den allerschwierigsten Stellen, wo ein Zusammenwirken unerlässlich schien, wurde dann allein von dem Seile Gebrauch gemacht. Wir waren alle Drei bei günstigster körperlicher Disposition, und es war ein wahrer Wettlauf, den wir an den Felsen empor ausführten. In einer Kederbacher selbst in Erstaunen versetzenden Kürze der Zeit, in 1 St. 50 Min., hatten wir die erste Terrasse überwunden und standen 4 h 45 m am Beginne des zweiten Schneebandes. Die Sonne blitzte eben über die Berge östlich des Sees herüber und warf ihr Rosenfeuer in das dünn schwebende Gewölk, das in zartesten, beweglichen Farbentönen erglänzte, während das bisher tiefe Blau der Zackenkrone des Gebirges von dämmerndem Golde angehaucht wurde. Wir liessen uns zum wohlverdienten Frühstück nieder und frohe Hoffnung des Gelingens begann mich wieder mit besserem Lebensmuthe zu erfüllen, zumal meinem Thatendrang durch die bevorstehende schwierige Felskletterei Spielraum genug zur Sättigung gegeben war.

Bewundernd betrachtete ich das herrliche Schauspiel, wie der Ring der Berge um den Königsee immer mehr von der Sonne erhellt wurde und die Lichter des Tages, wie Schnee immer tiefer an den Wänden herabrollten indess der See noch von dunklem Schatten bedeckt war. Ein plötzlicher Steinhagel schreckte mich aus meinen Betrachtungen auf und mit knapper Noth konnten wir uns der drohenden Gefahr entziehen. Hoch oben unbemerkt von uns durch die Wände setzende Gemsen hatten die Geschosse auf unseren Lagerplatz herabgesandt. Rasch die bedrohte Stelle verlassend, wurde 5 h 15 m der Weg fortgesetzt. Die Randkluft zwischen Schnee und Fels gähnte überall breit entgegen und nur eine einzige Stelle erlaubte noch einen Uebergang. Noch wenige Tage und jede folgende Partie musste schon hier zurückgeschlagen werden. Der Uebergang war indess nicht leicht. Punz zog seine Schuhe aus, um als der Erste, von uns unterstützt, die ausgewaschenen, plattigen Felsen zu erklimmen; ich folgte, zuletzt Kederbacher, von mir gehalten. Punz benützte die ihm gelassene Pause, um durch eine unachtsame Bewegung zu unserem nicht geringen Schrecken einen seiner Schuhe in die gähnende Randkluft hinabzustossen. Ein wahres Glück, dass er in geringer Tiefe noch auf einem vorspringenden Schneezacken liegen blieb; er wäre sonst unwiederbringlich verloren gewesen. Am Seile musste Punz wieder hinab, um ihn heraufzuholen. Die nun in kurzen Pausen sich folgenden schwierigen Stellen, meist steil aufgerichtete, ausgewaschene Platten, hohe Wandstufen, oder ausgebogene Felsblöcke, wurden sämmtlich ohne grossen Zeitverlust genommen und schon 7 h 48 m war das dritte grosse Schneeband erreicht, welches als Unterlage eine gegen Südwest durch eine tiefe Schlucht unterbrochene Felsterrasse hat. Kederbacher war zufrieden, denn wir hatten ein gutes Stück der schwierigen Arbeit in ungemein kurzer Zeit erledigt. Der Himmel war zwar schon etwas umzogen, allein das Gewölk war noch dünn und stand hoch. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten wir den Grat schon überschritten, bevor eine Wendung zum Schlimmen eintreten konnte. Die Aussicht auf die so nahe scheinende glückliche Lösung der schwierigen Aufgabe und die Befriedigung, welche die schöne, abwechslungsreiche, alle Kräfte anspannende Arbeit des Felskletterns gewährte, hatten auch das gestörte Gleichgewicht meiner seelischen Erregungen wieder in harmonische Stimmung verwandelt. Unter frohem Geplauder lagerten wir uns unterhalb einer Felswand, neben herabströmendem Schmelzwasser, um eine Stärkung zu nehmen, allein auch diese kurze Spanne Zeit beschaulichen Genusses sollte nicht ungetrübt vorüberrauschen und mit unwiderleglicher Logik wurde erwiesen, dass Kederbacher’s Befürchtungen nur zu begründet waren. Ein in ‚allen Wänden wiederhallendes, donnerähnliches Krachen scheuchte uns auf und schnell suchten wir an der Felswand Schutz vor der drohenden Gefahr. In dumpfem Grollen entfernte sich der Schall und ängstlich lauschten wir seiner Erneuerung. Es wurde jedoch wieder still und wir konnten uns von dem unheimlichen Platze mit heiler Haut zurückziehen. Wie sich später oben zeigte, hatte sich ein grosses Stück einer auf stark geneigter Felsunterlage ruhenden Schneescholle abgelöst und war mit starkem Getöse herabgestürzt, jedoch nach kurzem Falle in einer muldenförmigen Vertiefung liegen geblieben, wodurch wir vor drohendem Unheil beschützt blieben.

Um 8 h 20 m aufbrechend, traversirten wir etwas nach rechts, denn es galt nun, von dem Schneeband aus, die dasselbe überragenden Felswände wieder zu erreichen. Das Mittel hiezu schien ein vorspringender Felskopf zu bieten, am Fusse der grossen Rinne, und die beiden Führer versicherten, dass dies die Stelle sei, welche sie bei ihrer früheren Ersteigung benützt hätten. Der Schnee reichte jedoch nicht hoch genug hinan, um den ganz ausgebogenen Felskopf ansteigen zu können. Das Hinderniss musste also umgangen werden und wir wandten uns nach links, Südwest, hinüber, auf einem Felsbande so lange fortwandernd, bis dasselbe von einem mit Schnee erfüllten klammartigen Einriss unterbrochen wurde, sprangen in den Schnee hinab und setzten über denselben den „Weg fort, der uns hoch und immer höher in südwestlicher Richtung an die Felsen emporführte. Wir glaubten so eine nicht mehr ferne, etwas östlich umbiegende Felsschlucht erreichen zu können, von der anzunehmen war, dass sie sich weiter oben wieder mit der zum Gipfelgrat emporziehenden grossen Rinne vereinigen würde. Bald standen wir indess unerwarteter Weise an einem Abbruch des ganzen Bandes, der jedes Vorwärtsdringen unmöglich machte. Eine etwa 12 Meter hohe Wand trennte uns von einem Graben, über den hinweg eine Fortsetzung gangbarer Felsbänder und Schneehalden zu erkennen war. Abseilen war hier die einzige, doch schwierige Möglichkeit; als Stützpunkt bot sich nämlich nur eine kleine, schmale Felsplatte unter einem überhängenden Felsen. Nach sorgfältigen Vorbereitungen wurde der zögernde Punz, dem die Sache nicht recht gefallen wollte, zuerst hinabgelassen; dann kamen die Rucksäcke und Pickel, hernach meine Wenigkeit und endlich seilte sich Kederbacher mit bekannter Geschicklichkeit und Vorsicht selbst ab. So waren wir denn, nach mehr als einstündiger Arbeit, alle wieder glücklich beisammen unten angelangt; doch nein! — Peinliche Ueberraschung ! Einer war zurückgeblieben, K e d e r b a c h e r’s Hut, den derselbe im Eifer der Arbeit auf dem Felsband oben liegen liess, wo derselbe heute noch liegt.

Wer wird ihn holen ? — Der Verlauf der Schichtenbänder drängte uns indessen immer mehr nach links, Südwest, was Kederbacher unheimlich vorkam, so dass er schliesslich die schwersten Bedenken zur Geltung brachte, ob wir auf diesem Wege eine zum Gipfelgrate emporführende Rinne wohl erreichen würden. Ihm schien es unerlässlich, aus solcher Ungewissheit herauszukommen und auf alle Fälle, wenn auch mit weiterem Zeitverlust, die grosse Hauptrinne wieder zu erreichen. Kurz entschlossen, versuchte er es über einige Felsstufen nach rechts abzubiegen, überstieg einige vorspringende Rippen und verständigte uns dann nachzukommen, nachdem der gewonnene Ueberblick ihn von der Gangbarkeit des Terrains überzeugt hatte. Sein vielbewährter Orientirungssinn hatte ihn auch diesmal nicht getäuscht; über Einrisse, Schneezungen und Schichtenbänder bahnten wir uns einen Weg und erreichten glücklich die Hauptrinne wieder, hatten jedoch im Ganzen durch diese uns allerdings aufgezwungene Abweichung von der Hauptanstiegslinie, der grossen Rinne, ca. 2 St. Zeit verloren.

Und wir hätten eigentlich keine Zeit zu verlieren gehabt, denn die Wolkendecke wurde während des nun folgenden Aufstieges immer dichter, senkte sich tiefer herab und einzelne Nebelfetzen krochen bereits verdächtig unter uns an den Wänden herauf, als wir 11 h 20 m ein kurzes Stück unterhalb des Grates noch eine Rast machten, um durch einen kleinen Imbiss die während der letzten dreistündigen harten Arbeit stark mitgenommenen Kräfte zu erneuern.

Als wir 11 h 50 m wieder aufbrachen, war bereits ein weites Stück des Grates in dichten Nebel gehüllt und die Orientirung auch für Leute vom Schlage der beiden Führer eine schwierige geworden. Kederbacher hatte die Tour nur einmal, und zwar vor acht Jahren ganz ausgeführt, Punz war an dieser Stelle überhaupt nicht vorbeigekommen, denn bei seiner Ersteigung mit Purtscheller war er schon tiefer unten mehr nach Südwesten ausgebogen, um die Südspitze zu erreichen („Zeitschrift“ 1886, S. 286), während die Erreichung der Mittelspize in meiner Absicht lag. Punz wurde also zum Auskundschaften des Weges vorgeschickt, während Kederbacher und ich unter einem überhängenden Fels vor dem nun zum Ausbruch kommenden Regen Schutz such ten. Mit der Rückkehr von Punz nach ¼ St. hatte sich das Wetter indess wieder etwas gebessert und wir setzten mit ihm den Weg fort, der bis zur Erreichung der Grathöhe noch eine längere und anstrengendere Kletterei erforderte, als wir vorausgesetzt hatten. Hart unter den Abstürzen der Südspitze betraten wir gegen 1 h den Hauptgrat gerade in dem Augenblick, als die Sonne den Wolkenhimmel auseinanderwarf. Glänzende Wolkenstücke zogen sich langsam in die Ferne nach Norden zu und ihre Schatten glitten über das helle Grün der Thäler.

Die Sonne zog ein weites Strahlennetz über das mich umgebende einsame, uralte Felsenmeer, voll starr und jäh aufbäumender Wellen. Die Fernen glänzten und dampften und hie und da am Horizonte stäubten schwarze Dunstballen ihren Inhalt in die feucht schimmernde Welt herab. Dieser erhabene grossartige Krieg der Sonne mit dem Wasser, mit den Dünsten und der Erde fesselte mich lange und nöthigte mir stumme Bewunderung ab. Indessen wurde es wieder düsterer um uns und von Neuem umwogten feuchte Nebelballen den wild gezackten Felsgrat, weshalb wir bei Fortsetzung des Weges bald auf demselben, bald unterhalb desselben auf der Nordwestseite durch die Schwierigkeit der Orientirung manchen Zeitverlust erlitten.

Endlich um 3 h betraten wir unser langersehntes Ziel, den Mittelgipfel des Watzmanns, und hatten so doch noch glücklich eine Aufgabe gelöst, deren Gelingen mir am Morgen wenig wahrscheinlich erschien. Ob Kederbacher’s Ansicht, diese Tour nur mehr zu Dreien zu unternehmen, durch den Verlauf unserer Besteigung vollständig gerechtfertigt wurde, möge der denkende geneigte Leser je nach seiner Auffassung und alpinen Erfahrung selbst entscheiden. 13 St. waren verflossen, seit wir bei Bartholomä in der Nacht den Fuss ans Land gesetzt hatten und keine vollen 2 St. waren hievon auf Rasten entfallen. Wären wir durch die ungünstige Beschaffenheit der Schneebänder nicht von der grossen Hauptrinne abgedrängt worden, so hätten wir den Gipfel in weniger als 11 St. erreicht. Nur kurze Zeit konnten wir uns der mühsam errungenen Höhe erfreuen, denn bald fing es zu regnen an und strömende Wasserfluthen geleiteten uns auf dem ferneren Wege zum Hocheck und hinab zum Watzmannhaus, das wir um 5 h betraten, als auch nicht ein trockener Faden mehr an uns war.

Umfeldtouren – Hachelköpfe

Vom grossen Hachelkopf aus sind einige der bekanntesten Bilder der Ostwand des Watzmanns entstanden.

Grosser Hachelkopf – 2065 Meter

von der Hirschwiese
  • von der Hirschwiese im östlich gelegenen Abstieg
  • Weg über den latschenbedeckten Verbindungsgrat
  • mässig schwierige Kletterei auf den Gipfel
  • Höhenmeter ca. 100 Meter
  • Schwierigkeit : II
  • Zeitbedarf ca. 1 Stunde
Nordwand
  • Aufstieg aus dem Eisbachtal auf zwei verschiedenen Routen
  • Höhenmeter ca. 600 Meter
  • Schwierigkeit : IV
  • Zeitbedarf ca. 3-4 Stunden
Nordwestgrat
  • Aufstieg von St. Bartholomä aus
  • Über den rechts vom „Napoleonskopf“ gelegenen Sattel, schmaler und steiler Waldstreifen, auf altem Steig aufsteigen
  • oberhalb des Burgstallkopfs Orientierung nach steil rechts aufwärts
  • auf Gamswechseln zwischen den Latschen am Grat weiter aufwärts
  • Grattürme nach Bedarf rechts oder links umgehen
  • Höhenmeter ca. 1400 Meter
  • Schwierigkeit : II
  • Zeitbedarf : ca. 10 Stunden

Terrain oberhalb des „Napoleonkopfes“

Wegführung zum Grat zur Erreichung des Gipfels