Wilhelm von Frerichs – Ode an die Ostwand

Die Ostwand.

Die Ostwand des Großen Watzmanns ist unstreitig die großartigste seiner Fassaden. Topographisch betrachtet zerfällt sie in zwei scharf gesonderte Teile : Der nördliche entragt dem Watzmanngletscher und fußt auf dem Nordabhange des mächtigen Anbaues, der sich in Gestalt der Watzmannkinder und des Kleinen Watzmanns unterhalb der Mittelspitze aus dem Massiv loslöst. Die relative Höhe dieses Abschnittes, vom Scheitel des Grates Hocheck — Mittelspitze bis zum Geröll und dem schmutzigen Firn des Watzmanngletschers gemessen, schwankt zwischen 500 und 600 m. Auffallende Schichtbänder durchziehen diese durch Glätte und Schroffheit gekennzeichnete Wand. Der südliche Teil der Ostwand zeigt gewaltigere, riesenhafte Dimensionen. Mehr als 1900 m mißt der Absturz vom Kreuz der Mittelspitze bis zum Geröll des Eisbachtales, bis zum gewölbten Gletschertor der Eiskapelle.

Von dem Winkel der anstoßenden Südwand der Watzmannkinder bis zu einer großen, aus dem Südgrat der Schönfeldspitze sich lösenden Rippe reicht die eigentliche Ostwand. Schon eine oberflächliche Betrachtung lehrt, daß der Charakter ihrer Struktur ein mannigfaltiger ist und daß sie sich ungezwungen von oben nach unten in drei Zonen zerlegen läßt, deren jede ein anderes Gepräge zeigt.

Den Unterbau bilden die ungeschichteten Massen des Ramsaudolomites. Sie zeigen wechselnde Neigung, bald ungangbare Abbrüche, bald weniger jähe Böschungen, welche teilweise mit Graswuchs bedeckt sind, letztere namentlich in der Fallinie unter der Südspitze.

Darüber lagert ein in gleichmäßiger Schroffheit das ganze Massiv durchsetzender Mauergürtel, der, aus Dachsteinkalk bestehend, keine von weitem wahrnehmbare Schichtung besitzt; seine Höhe ist eine wechselnde, im Durchschnitt vielleicht 300 m betragend. In der Mitte der Ostwand dagegen vereinigt sich sein Steilabfall mit den darunterliegenden Abbrüchen des Sockels zu einer Wand von gewaltiger Ausdehnung, Diese Zone bildet, auf welcher Route man auch die Besteigung unternimmt, das Haupthindernis der Tour.

Der oberste Abschnitt ist ausgezeichnet durch die stark ausgeprägten parallelen Linien der Schichten des Dachsteinkalkes, die sanft nach Süden ansteigen. Es finden sich zahlreiche Bänder, unter ihnen namentlich im unteren Teil der Zone einige von beträchtlicher Breite und nur wenig unterbrochenem Verlauf. Da die Schichten nach Nordosten einfallen, so hat die Oberfläche eines solchen Bandes meist die Gestalt einer schräg nach außen abfallenden Platte. Neben steilen Wänden, die absatzlos die Schichtung nur an der Färbung erkennen lassen, finden sich auch einige eingerissene Rinnen, unter denen besonders diejenige erwähnenswert ist, welche ungefähr in der Mitte des Grates, nahe der Stelle, wo sich die Mittelspitze aus ihm steiler erhebt, mündet. Diese Rinne wird von den Partien benützt, welche von der Eiskapelle unter Vermeidung der Schönfeldspitze dem Hauptgipfel zustreben.

Zu erwähnen sind noch einige größere Terrassen, die zum Teil karartig in die Wand eindringen: eine solche befindet sich ziemlich senkrecht unter der Mittelspitze und trennt hier die unterste Zone von der mittleren. Ihr bergwärts ansteigender Boden ist meist das ganze Jahr hindurch von Lawinenresten bedeckt, die abschmelzend den Übertritt auf die Felsen der mittleren Wandstufe erschweren.

Ferner befinden sich unter der Südspitze in drei Stockwerken übereinander liegende Einbuchtungen, von denen namentlich die unterste zu den am wenigsten steilen Flächen der Wand gehört, während über dem höchsten Kar der erwähnte mittlere Mauergürtel sich besonders glatt und jäh aufrichtet.

Die Ostwand biegt an der als ihr Ende bezeichneten Rippe nach Süden um und verläuft in die Südostwand, welche, vom Südgrat begrenzt und dem Verlauf des steil ansteigenden Eisbachtales folgend, eine nach Süden stets abnehmende Höhe zeigt. Ihre oberen Teile fallen durch gewaltige Plattenpanzer auf, die tieferen Regionen gehören dem Gebiet des bröckeligen Dolomits an und sind abwechselnd bald sanfteren, bald wilden Charakters. An der Südseite der großen Rippe ist  eine Schlucht eingefügt, welche nach oben in Wände verläuft.

Der erste, der es wagte, über diese unwegsamste Seite des Watzmanns sich den Pfad zu suchen, war der talentvolle Ramsauer Führer Joseph Berger, Hermann von Barths Begleiter auf den Grundübelhörnern. Er wählte zur Erkletterung den niedrigeren nördlichen Teil der Ostwand. Gemeinschaftlich mit Kederbacher führte er im Jahre 1868 A. Kaindl und J. Pöschl vom Gletscher auf die Mittelspitze.

Diese Tour ist fast in Vergessenheit geraten. Erst 32 Jahre später wurde sie durch Georg Leuchs, Otto Schlagintweit und den Verfasser wiederholt.

Wer im Watzmannhause übernachtet, um die Mittelspitze vom Gletscher aus zu erklimmen, sieht sich in die unangenehme Lage versetzt, am anderen Morgen einen nicht unbeträchtlichen Teil der bereits erlangten Höhe wieder aufzugeben. Bis zur Falzalm muß er zurück und von dieser auf dürftigem Steige hinuntersteigen zum block- und latschenbedeckten Boden der Watzmannscharte, fast 400 m unterhalb der Unterkunftshütte. Dies ist die große Schattenseite des schönen Weges, die sich jedoch vermeiden läßt, wenn man auf die Annehmlichkeiten eines Nachtlagers in dem Watzmannhause verzichtet und entweder vom Tal aus aufbricht oder in der gut eingerichteten Hütte der Mitterkaseralm die Nacht verbringt. In diesem Falle kann man ohne nennenswerten Höhenverlust den die Mitterkaseralm mit der Kührointalm verbindenden Weg bis zum Beginn des Kars zwischen dem Großen und dem Kleinen Watzmann benutzen. Dann freilich gilt es noch einen kleinen Kampf mit Krummholz und Felstrümmern, ehe man das Eis des Watzmanngletschers betreten kann. Über Firnhalden und herausgeaperte Platten strebt man dem Grate zu, welcher das Massiv der Mittelspitze mit den Watzmannkindern verbindet. Diesem folgt man ein kurzes Stück aufwärts, um ihn zu verlassen, bevor er sich mit ungangbaren Steilstufen der Ostwand anschließt. Ein Schichtband erlaubt den Übertritt auf die Südseite des Grates und leitet weiter zu den Felsmauern des Massivs. Einige Schritte auf dem plattig abfallenden, mit rutschenden Blöcken bedeckten Bande, und man steht mit einem Schlage mitten in der wilden Einöde der großen Wand. Aus gewaltiger Tiefe klingt das verschwommene Rauschen des Eisbaches, schimmert der Schnee der Eiskapelle, nach oben türmt sich Absatz auf Absatz hoch empor zum Gipfelkreuz der Mittelspitze, während rings erdrückend hohe Wände den Blick beengen. Es ist dies der eindrucksreichste Augenblick der Besteigung. Man folgt dem Bande, bis es durch eine tiefe Schlucht abgeschnitten wird, welche, in den Gipfelkörper eingerissen, sich bis zur Spitze hinanzieht. An der Kante der die Schlucht begrenzenden Seitenwände klettert man höher hinauf zu einem Schärtchen hinter einem Felskopf, gekennzeichnet  durch eine gelbe Felsplatte, die durch Regen- und Schmelzwasser seltsam zersägt ist. Von hier aus kann man auf dem Gesimse einer Schichtfläche in die Schlucht selbst hineinqueren und an deren rechter Seitenwand, höher oben meist in ihr selbst, unmittelbar zum Gipfel gelangen.

Vom Watzmannhause ausgehend, wird man – die Rasten nicht eingerechnet – nach ungefähr 4 ½  Stunden die Mittelspitze betreten. Die Kletterei ist von mittlerer Schwierigkeit; der Einblick in die Felsbildung der Ostwand ist großartig.

Das schönste Problem am Watzmann zu lösen, blieb Kederbacher Vorbehalten : die Durchkletterung der Riesenwand von der Eiskapelle aus.

Am Peter- und Paulstag des Jahres 1881 wurde der erste Versuch gemacht.

Mit Preiß und den Herren Pöschl und Wairinger aus Wien (Mündliche Angabe von Kederbacher und Preiß) verließ er St. Bartholomä ½ 2 Uhr morgens. Sein Plan war der: Zunächst sollte über die Südwand der Watzmannkinder der Gletscher und von diesem aus auf dem vom Jahr 1868 her bekannten Wege die Mittelspitze erreicht werden. Zunehmende Schwierigkeiten sowie ein Gewitter zwangen die Expedition unverrichteter Dinge umzukehren. Die durch den Regen entfesselten Steinfälle brachten auf dem Rückwege manche Gefahr. Erst 7 Uhr abends wurde St. Bartholomä wieder erreicht. Preiß erzählte mir, er halte auf der versuchten Route ein Durchkommen nicht für möglich.

Im selben Jahre noch gelang es der Energie Kederbachers, die schwierige Aufgabe zu lösen. Eine eingehende Rekognoszierung von der Saletalm und vom Eisbachtale aus hatte den leitenden Faden in dem ungeheuren Felschaos gezeigt. Am 6 . Mai führte er Otto Schück aus Wien auf die Mittelspitze.

Eine kurze Schilderung der Route in großen Zügen ist vielleicht am Platze; die vielen Einzelheiten können hier freilich nicht berücksichtigt werden.

Das erste Ziel ist das kleine Kar unter der Mittelspitze (Siehe Seite 305) das mit einem Ausweichen nach rechts (nordöstlich, in die Südwände der Watzmannkinder) erklettert wird, da der direkte Anstieg zu schwer, vielleicht nicht möglich sein würde. Wenn die Randkluft der Eiskapelle es gestattet, steigt man am besten vom obersten Ende des Schnees in die Felsen ein und klettert nach rechts schräg aufwärts, bis man den Beginn glattgescheuerter Wasserrinnen erreicht. Ist im Herbst die Kluft oben unpassierbar, so betritt man die Felsen vom unteren Beginn der Eiskapelle aus und hält sich dann etwas mehr links, um zu den Rinnen zu gelangen. Durch die rechtsgelegene (östliche) Schlucht klettert man schwierig auf und quert dann nach links hinüber in das Kar, das man oberhalb seines Beginnes betritt (unteres Ende ca. 1400 m). Das Kar verfolgt man aufwärts bis zu seinem Abschluß durch den Felswall des mittleren Mauergürtels, überschreitet die Randkluft, erklettert einige Platten und eine sehr steile Wand, um so in eine schräg nach rechts (Norden) hinaufziehende Schlucht zu gelangen. Die Erkletterbarkeit dieser Rinne und ihrer Absätze ist sehr von den Schneeverhältnissen abhängig; sie scheint zu Zeiten, wenn die Schneereste stark abgeschmolzen sind, nicht möglich zu sein.

In die Wände zur Linken (südlich) münden die drei untersten Bänder der oberen Zone.

Über die Platten und Wände der Schlucht dringt man vor bis zu einer Nische unter einem großen Überhang (ca. 1700 m). Hier verläßt man die große Rinne und wendet sich, südlich in etwas absteigender Richtung querend, den mittleren der erwähnten Bänder zu — das erste bricht mitten in der Wand ab — und verfolgt dieses, wobei man gleich anfangs ausgesetzt über sehr glatten Fels queren muß. Durch ein natürliches Felstor kann man das nächsthöhere Band erklimmen und sucht nunmehr die oben besser gestuften Felsen zu erreichen, wobei in den ausgedehnten, die Orientierung erschwerenden Wänden manche Variante möglich ist. Am besten wird man vorwärts kommen, wenn es gelingt, in eine aus der tiefsten Scharte des Hauptgrates herabziehende Rinne zu gelangen. Will man direkt zur Südspitze aufsteigen, so kann man auch das schmaler und luftiger werdende Band weiter benützen, bis es abbricht und sich 8 m tiefer fortsetzt. Man läßt sich am Seile hinab und quert weiter zu einer Rinne, an deren rechten Begrenzungswänden man hinaufklettert, um schließlich den Hauptgrat nördlich der Schönfeldspitze zu betreten.

Zur Würdigung der Tour und ihrer Schwierigkeit will ich Purtschellers Worte anführen: „Die Erklimmung des Großen Watzmanns von St. Bartholomä gehört zu den bedeutendsten und interessantesten Besteigungen, die im Bereich der Ostalpen ausgeführt werden können. Würden die Berge Berchtesgadens dem eigentlichen Hochgebirge beizuzählen sein und der Sockel des Gebirges um einige hundert Meter höher liegen, so könnte man diese Besteigung unzweifelhaft mit den größten Hochtouren in der Schweiz, in den italienischen Alpen und im Dauphine vergleichen.“ Ich glaube, daß diese Sätze auch heute noch die Erklimmung „dieser wohl höchsten durchkletterten Felswand der Alpen — 1800 m Kletterterrain —“ trefflich kennzeichnen. Gerade die lange Dauer der Arbeit, die fortgesetzt zu überwindenden, mehr oder minder großen Schwierigkeiten, die nicht immer leichte Orientierung, sowie schließlich die — im Vergleich mit einer kürzeren Tour — gesteigerte Gefahr eines Wetterumschlages rücken in mancher Beziehung diese Bergfahrt in eine Linie mit Schweizer Hochtouren und erheischen ein größeres und vielseitigeres Maß alpinen Könnens, als etwa eine durchweg sehr schwere, aber  kurze Dolomittour. Alle diese Faktoren zwingen dazu, die Ostwand des Watzmanns als sehr schwierig zu bezeichnen, obschon sich bedeutendere Schwierigkeiten nur an einigen Punkten des mittleren Mauergürtels vorfinden. Starkes Abschmelzen des Schnees oder durch die Verhältnisse bedingtes Abweichen von der gewöhnlichen Route vermehren natürlich die Hindernisse um ein sehr beträchtliches.

Von der Eiskapelle aufbrechend, wird man im allergünstigsten Falle acht Stunden bis zum Gipfel brauchen; im Durchschnitt wird der Zeitaufwand elf bis zwölf Stunden betragen, und befindet sich der Berg in schlechtem Zustande, noch erheblich mehr. (So brauchten Erwin Hübner und der Verfasser am 15. Juni 1896 vom Einstieg bis zur Südspitze ­16 Stunden, da sie die Wände über dem Kar wegen herabstürzender Wassermassen auf neuem, schwierigerem Wege erklettern mußten. Albrecht von Krafft, Wilhelm Teufel und Frau Friedmann benötigten von einem Biwak zwischen der Eiskapelle und dem Kar mehr als 14 Stunden bis zum Grat, wo sie durch ein Gewitter zu einem zweiten Freilager gezwungen wurden. Diese Ersteigung verteilt sich auf den 3., 4. und 5. August 1896.)

Steinfall ist leider stets zu befürchten, doch ist die Gefahr bei trockenem Wetter keine sehr dringende.

Ein Versuch Purtschellers, mit Kederbacher am 28. Oktober 1883 das Unter Unternehmen ­zu wiederholen, mißglückte. Alle Angriffe auf die Steilwände der großen Rinne blieben, da die Schneereste fast ganz geschwunden waren, erfolglos.

Zwei Jahre darauf, am 12. Juni 1885, führte ihn Preiß in der verhältnismäßig kurzen Zeit von elf Stunden von St. Bartholomä aus auf die Südspitze, ohne vorher durch Rekognoszierung sich mit der ihm unbekannten Route näher vertraut gemacht zu haben. Purtscheller zollt seinem wackeren Führer warmes Lob.

Der dritte Tourist auf diesem Wege war Gottfried Merzbacher, der in den oberen Partien einen abweichenden, schwierigeren Weg einschlug. Ihn begleiteten Kederbacher und Preiß, da Kederbacher, der das Mißlingen des mit Purtscheller unternommenen Versuches dem Fehlen eines dritten Mannes zuschrieb, die Tour nur noch in Gesellschaft eines zweiten Führers machen wollte.

(Die erste führerlose Begehung der Ostwand gelang Albrecht von Krafft und Ernst Platz im Sommer 1895. Am 15. Juni 1896 fanden Erwin Hübner und der Verfasser eine Abweichung vom gewöhnlich benutzten Wege auf, indem sie die Erkletterung der mittleren Zone in den Wänden nördlich der großen Rinne durchführten, diese überschritten und so das oberste der drei großen Bänder erreichten. Diese Route hat den Vorzug, über reinen Fels zu führen und nur in Bezug auf die Randkluft des Kars vom Schnee abhängig zu sein.)

Das Jahr 1890 brachte wieder einen Versuch, der mit dem Untergang eines ausgezeichneten Bergsteigers, Christian Schoellhorns, endete. Er verlor auf den Platten über dem kleinen Kar den Halt und stürzte in die 70 m tiefe Randkluft zwischen Schnee und Fels.

Gottfried Merzbacher – Der dritte Sieg über die Ostwand

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins, 1889

Dritte Ersteigung des Watzmann von Bartholomä

Von Gottfried Merzbacher in München.

Anfangs Juni d. J. von den Höhen der Appeninen, auf welchen um diese Zeit noch ganz erstaunliche Schneemassen lagerten, nach meiner alpenumkränzten Heimat reisend, war ich auf dem Brenner und noch mehr im Innthale überrascht, die stolzen Berge zu so früher Jahreszeit schon ganz im grünen und grauen Sommerkleide zu finden. Nur auf den höchsten Höhen und in tiefen Schluchten erglänzten noch, als letzte Zeugen entschwundenen Wintergrimmes, weisse Schneeflecken; sogar die Gletscherabstürze schimmerten unter den heissen Strahlen einer Frühlingssonne, wie ich sie sengender und drückender nicht auf den Gefilden Siciliens empfand, bereits in jenem zarten Blaugrün, das sie sonst erst im Spätsommer umglänzt. Niemals hatte ich das Hochgebirge in so früher Jahreszeit, so sommerlich gekleidet gefunden, und in Fortsetzung meiner Reise durch das grünende Pinzgau nach Salzburg stiegen besondere Zweifel in mir auf, ob mir wohl ein Vorhaben gelingen würde, ohne dessen Ausführung ich nicht glaubte, nach langen, beschwerlichen Reisen mich mit ruhigem Gewissen einigen Wochen heimatlicher Ruhe hingeben zu dürfen.

Seit mehreren Jahren schon, insbesondere nach Durchlesung von Purtscheller’s hübscher Schilderung in der „Zeitschrift“ 1886, S. 281, steht das Project der Watzmannbesteigung von Bartholomä auf meiner Tourenliste, ohne dass Zeit und Umstände die Ausführung mir bisher erlaubt hätten. Sollte ich auch diesmal wieder unverrichteter Dinge heimkehren? Sollten wirklich die Schneebänder, welche die ungeheuren Watzmannwände oberhalb Bartholomä durchsetzen, schon so weit abgeschmolzen sein, um einen Aufstieg auch für dies Jahr unmöglich zu machen? Waren ja doch (nach Versicherungen Kederbacher‘s) ein Dutzend Aufstiegsversuche an diesen Wänden schon gescheitert und nur zwei bisher geglückt. Wie dem auch sein mochte, den Versuch wollte ich auf alle Fälle wagen! So sass ich denn am Sonntag den 3. Juni morgens im Garten der Post in Berchtesgaden, mit dem Führer Punz (Preiss) aus Ramsau mich eifrig über die Vorbereitungen zu dem Unternehmen unterhaltend, und wir waren bereits vollständig über alles Wichtige ins Reine gekommen, Punz wollte eben aufstehen, um in seiner Behausung Bergkleidung und Ausrüstung zu holen, als der mir wohl befreundete Führer Kederbacher unserm Tische zuschritt, mich freundlich begrüssend.

Kaum hatte er von meinem Vorhaben vernommen, als er sofort die schwersten Bedenken dagegen geltend machte und ernstlich abrieth, die Tour zu Zweien zu unternehmen. Er für seinen Theil würde überhaupt unter keinen Umständen mehr die Tour zu Zweien antreten und wäre der Tüchtigste sein Begleiter, dabei auch auf sein Missgeschick bei dem Versuch mit Purtscheller („Zeitschrift“ 1886, S. 283) verweisend. Bei dem starken Rückgange der Schneezungen stellte er es als sicher hin, dass Wir zu Zweien zurückgeschlagen würden, und nur bei tüchtigem Zusammenarbeiten zu Dreien hielt er einen Erfolg für möglich. Wenn uns aber das Missgeschick der Umkehr, und zwar, wie voraussichtlich, erst auf dem obersten Bande aufgezwungen würde, so könnten die Gefahren des Rückweges, infolge der zu so vorgerückter Tageszeit in diesen Wänden unausbleiblichen Steinschläge und Schneeabbrüche für uns die verhängnissvollsten werden. Vergebens führte ich meine guten Gründe mit möglichster Beredsamkeit in das Feld; es gelang mir nicht, Kederbacher’s Ansicht auch nur im Mindesten zu erschüttern. Da ich aber, bei dem mir genügend bekannten Charakter Kederbacher’s, leidige Gewinnsucht als Motiv seines Abrathens für gänzlich ausgeschlossen hielt, so musste ich mir wohl oder übel sagen, dass, wenn ein Mann von dem unzweifelhaften und so oft erwiesenen Muthe Kederbacher’s, von seinen reichen und grossen Erfahrungen in den Fährlichkeiten und Wagnissen schwieriger Bergfahrten und von seiner ganz eminenten Kenntniss des hier in Frage kommenden Gebirges so urtheilte, mir nichts Anderes übrig bleibe, als mich unterzuordnen, wollte ich mir nicht den Vorwurf zuziehen, bei eventuell schlimmem Ausgang des Unternehmens das Leben eines Andern in sicher voraussehbare Gefahr gebracht zu haben, im günstigsten Falle aber den Spott, unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen, einheimsen.

Mit schwerem Herzen fügte ich mich denn in die eiserne Notwendigkeit und bestellte nunmehr auch Kederbacher für den Abend zum Treffpunkt am Königsee. Meine frohe Bergeslaune war aber dahin; ein grosser Theil des Zaubers der schönen Bergfahrt war für mich verloren, denn wie gab es mehr eine Selbstständigkeit des Vorgehens für den Touristen, eine Möglichkeit zu frohem Wagen und keckem Handeln, welche einen grossen Theil des Reizes schwieriger Bergtouren ausmachen, inmitten zweier Führer wie Kederbacher und Punz?

Die Schwüle der Luft und der nachmittags zum Ausbruch kommende Regen, nach so langer Reihe ungetrübt schöner Tage, trug auch nicht dazu bei, mich aufzuheitern, und meine Stimmung hatte sich daher um nichts gebessert, als ich abends 8 h mit den beiden Männern am Ufer des Königsees zusammentraf. Der Himmel hatte sich wieder aufgeklärt; aus dem kühlen, dunklen Himmelsblau glänzten freundliche Sterne herab; Wellen und Luft spielten miteinander wehend und wogend und die über den Bergen schwebende schmale Mondessichel, lockte nur auf den höchsten Spitzen derselben einen silbernen Tag hervor, während dunkle Schatten die Schönheiten des Seekessels verbargen. Kühle Luft umfing mich, als nachts 12 h 10 m die an den Felswänden wiederhallenden Ruderschläge der beiden Schiffer, welche uns nach Bartholomä übersetzten, die feierliche Stille der Nacht unterbrachen, und einem gespenstischen Schatten gleich glitt das Boot mit seinen schweigsamen Insassen über den verlassenen Seespiegel. Wie oft hatte ich mir im Vorgefühl jener Bergtour diese nächtliche Fahrt im Geiste ausgemalt, aber anders, ganz anders! Von der frohund wagemuthigen Laune, dem frischen Thatendrang, welche damals mein Herz schwellten, empfand ich heute wenig mehr. Wir landeten um 2 h in Bartholomä und setzten beim flackernden Scheine einer Laterne sogleich den Weg in das Eisthal fort, aus welchem eine wie in einem Backofen erwärmte dicke Luft uns von Zeit zu Zeit entgegenbrodelte; ein schlimmes Vorzeichen, welches auch den Rest getrübter Freude, den die Aussicht auf das Gelingen des Unternehmens noch in mir rege hielt, zu nichte machte. Die Fichten standen regungslos in der Erde und nur die Laubsträucher wiegten leise ihr neugebornes Grün in den lau flatternden Lüften, als wir der hohen, von der Dunkelheit noch verschleierten Bergeswelt entgegen schritten. 2 h 55 m beim ersten schwachen Zwielicht des kommenden Tages erreichten wir die Schneehalden, welche zu den Felsen hinanziehen, und die schwere Arbeit der Ersteigung der Steilwände konnte beginnen.

Angeweht von kühlerer Morgenluft stieg es sich jetzt leicht, allein in immer stärkeren Stössen kam uns die von der Sonnen gluth des vorigen Tages erhitzte und in den Felsschluchten eingepresste Luft, durch die deckenden Nebelschichten der Nacht am Entweichen verhindert, dick entgegen. Es war klar, dass günstigsten Falles bis mittags auf gutes Wetter zu zählen war, dass wir aber sodann mit Sicherheit Regen zu erwarten hatten. „Wenn’s nur bis mittags aushält, dann ist’s gewonnen,“ meinte Kederbacher. Bis dahin durften wir vom Grat nicht mehr weit entfernt sein, denn bei einfallendem Nebel wäre kein Vorwärts- noch Zurückgehen in den schwierigen Wänden mehr möglich gewesen. Eile war daher vonnöthen. Die Führer wollten das Seil herausnehmen und mich an dasselbe befestigen. Das hatte mir nun gerade noch gefehlt, um das Mass meiner üblen Laune voll zu machen. In entschiedenster Weise verwahrte ich mich dagegen und wäre lieber umgekehrt, als unter solchen Umständen die Besteigung auszuführen, eine Entschiedenheit, die mir den Genuss meiner Freiheit wahrte. Nur an einigen wenigen, den allerschwierigsten Stellen, wo ein Zusammenwirken unerlässlich schien, wurde dann allein von dem Seile Gebrauch gemacht. Wir waren alle Drei bei günstigster körperlicher Disposition, und es war ein wahrer Wettlauf, den wir an den Felsen empor ausführten. In einer Kederbacher selbst in Erstaunen versetzenden Kürze der Zeit, in 1 St. 50 Min., hatten wir die erste Terrasse überwunden und standen 4 h 45 m am Beginne des zweiten Schneebandes. Die Sonne blitzte eben über die Berge östlich des Sees herüber und warf ihr Rosenfeuer in das dünn schwebende Gewölk, das in zartesten, beweglichen Farbentönen erglänzte, während das bisher tiefe Blau der Zackenkrone des Gebirges von dämmerndem Golde angehaucht wurde. Wir liessen uns zum wohlverdienten Frühstück nieder und frohe Hoffnung des Gelingens begann mich wieder mit besserem Lebensmuthe zu erfüllen, zumal meinem Thatendrang durch die bevorstehende schwierige Felskletterei Spielraum genug zur Sättigung gegeben war.

Bewundernd betrachtete ich das herrliche Schauspiel, wie der Ring der Berge um den Königsee immer mehr von der Sonne erhellt wurde und die Lichter des Tages, wie Schnee immer tiefer an den Wänden herabrollten indess der See noch von dunklem Schatten bedeckt war. Ein plötzlicher Steinhagel schreckte mich aus meinen Betrachtungen auf und mit knapper Noth konnten wir uns der drohenden Gefahr entziehen. Hoch oben unbemerkt von uns durch die Wände setzende Gemsen hatten die Geschosse auf unseren Lagerplatz herabgesandt. Rasch die bedrohte Stelle verlassend, wurde 5 h 15 m der Weg fortgesetzt. Die Randkluft zwischen Schnee und Fels gähnte überall breit entgegen und nur eine einzige Stelle erlaubte noch einen Uebergang. Noch wenige Tage und jede folgende Partie musste schon hier zurückgeschlagen werden. Der Uebergang war indess nicht leicht. Punz zog seine Schuhe aus, um als der Erste, von uns unterstützt, die ausgewaschenen, plattigen Felsen zu erklimmen; ich folgte, zuletzt Kederbacher, von mir gehalten. Punz benützte die ihm gelassene Pause, um durch eine unachtsame Bewegung zu unserem nicht geringen Schrecken einen seiner Schuhe in die gähnende Randkluft hinabzustossen. Ein wahres Glück, dass er in geringer Tiefe noch auf einem vorspringenden Schneezacken liegen blieb; er wäre sonst unwiederbringlich verloren gewesen. Am Seile musste Punz wieder hinab, um ihn heraufzuholen. Die nun in kurzen Pausen sich folgenden schwierigen Stellen, meist steil aufgerichtete, ausgewaschene Platten, hohe Wandstufen, oder ausgebogene Felsblöcke, wurden sämmtlich ohne grossen Zeitverlust genommen und schon 7 h 48 m war das dritte grosse Schneeband erreicht, welches als Unterlage eine gegen Südwest durch eine tiefe Schlucht unterbrochene Felsterrasse hat. Kederbacher war zufrieden, denn wir hatten ein gutes Stück der schwierigen Arbeit in ungemein kurzer Zeit erledigt. Der Himmel war zwar schon etwas umzogen, allein das Gewölk war noch dünn und stand hoch. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten wir den Grat schon überschritten, bevor eine Wendung zum Schlimmen eintreten konnte. Die Aussicht auf die so nahe scheinende glückliche Lösung der schwierigen Aufgabe und die Befriedigung, welche die schöne, abwechslungsreiche, alle Kräfte anspannende Arbeit des Felskletterns gewährte, hatten auch das gestörte Gleichgewicht meiner seelischen Erregungen wieder in harmonische Stimmung verwandelt. Unter frohem Geplauder lagerten wir uns unterhalb einer Felswand, neben herabströmendem Schmelzwasser, um eine Stärkung zu nehmen, allein auch diese kurze Spanne Zeit beschaulichen Genusses sollte nicht ungetrübt vorüberrauschen und mit unwiderleglicher Logik wurde erwiesen, dass Kederbacher’s Befürchtungen nur zu begründet waren. Ein in ‚allen Wänden wiederhallendes, donnerähnliches Krachen scheuchte uns auf und schnell suchten wir an der Felswand Schutz vor der drohenden Gefahr. In dumpfem Grollen entfernte sich der Schall und ängstlich lauschten wir seiner Erneuerung. Es wurde jedoch wieder still und wir konnten uns von dem unheimlichen Platze mit heiler Haut zurückziehen. Wie sich später oben zeigte, hatte sich ein grosses Stück einer auf stark geneigter Felsunterlage ruhenden Schneescholle abgelöst und war mit starkem Getöse herabgestürzt, jedoch nach kurzem Falle in einer muldenförmigen Vertiefung liegen geblieben, wodurch wir vor drohendem Unheil beschützt blieben.

Um 8 h 20 m aufbrechend, traversirten wir etwas nach rechts, denn es galt nun, von dem Schneeband aus, die dasselbe überragenden Felswände wieder zu erreichen. Das Mittel hiezu schien ein vorspringender Felskopf zu bieten, am Fusse der grossen Rinne, und die beiden Führer versicherten, dass dies die Stelle sei, welche sie bei ihrer früheren Ersteigung benützt hätten. Der Schnee reichte jedoch nicht hoch genug hinan, um den ganz ausgebogenen Felskopf ansteigen zu können. Das Hinderniss musste also umgangen werden und wir wandten uns nach links, Südwest, hinüber, auf einem Felsbande so lange fortwandernd, bis dasselbe von einem mit Schnee erfüllten klammartigen Einriss unterbrochen wurde, sprangen in den Schnee hinab und setzten über denselben den „Weg fort, der uns hoch und immer höher in südwestlicher Richtung an die Felsen emporführte. Wir glaubten so eine nicht mehr ferne, etwas östlich umbiegende Felsschlucht erreichen zu können, von der anzunehmen war, dass sie sich weiter oben wieder mit der zum Gipfelgrat emporziehenden grossen Rinne vereinigen würde. Bald standen wir indess unerwarteter Weise an einem Abbruch des ganzen Bandes, der jedes Vorwärtsdringen unmöglich machte. Eine etwa 12 Meter hohe Wand trennte uns von einem Graben, über den hinweg eine Fortsetzung gangbarer Felsbänder und Schneehalden zu erkennen war. Abseilen war hier die einzige, doch schwierige Möglichkeit; als Stützpunkt bot sich nämlich nur eine kleine, schmale Felsplatte unter einem überhängenden Felsen. Nach sorgfältigen Vorbereitungen wurde der zögernde Punz, dem die Sache nicht recht gefallen wollte, zuerst hinabgelassen; dann kamen die Rucksäcke und Pickel, hernach meine Wenigkeit und endlich seilte sich Kederbacher mit bekannter Geschicklichkeit und Vorsicht selbst ab. So waren wir denn, nach mehr als einstündiger Arbeit, alle wieder glücklich beisammen unten angelangt; doch nein! — Peinliche Ueberraschung ! Einer war zurückgeblieben, K e d e r b a c h e r’s Hut, den derselbe im Eifer der Arbeit auf dem Felsband oben liegen liess, wo derselbe heute noch liegt.

Wer wird ihn holen ? — Der Verlauf der Schichtenbänder drängte uns indessen immer mehr nach links, Südwest, was Kederbacher unheimlich vorkam, so dass er schliesslich die schwersten Bedenken zur Geltung brachte, ob wir auf diesem Wege eine zum Gipfelgrate emporführende Rinne wohl erreichen würden. Ihm schien es unerlässlich, aus solcher Ungewissheit herauszukommen und auf alle Fälle, wenn auch mit weiterem Zeitverlust, die grosse Hauptrinne wieder zu erreichen. Kurz entschlossen, versuchte er es über einige Felsstufen nach rechts abzubiegen, überstieg einige vorspringende Rippen und verständigte uns dann nachzukommen, nachdem der gewonnene Ueberblick ihn von der Gangbarkeit des Terrains überzeugt hatte. Sein vielbewährter Orientirungssinn hatte ihn auch diesmal nicht getäuscht; über Einrisse, Schneezungen und Schichtenbänder bahnten wir uns einen Weg und erreichten glücklich die Hauptrinne wieder, hatten jedoch im Ganzen durch diese uns allerdings aufgezwungene Abweichung von der Hauptanstiegslinie, der grossen Rinne, ca. 2 St. Zeit verloren.

Und wir hätten eigentlich keine Zeit zu verlieren gehabt, denn die Wolkendecke wurde während des nun folgenden Aufstieges immer dichter, senkte sich tiefer herab und einzelne Nebelfetzen krochen bereits verdächtig unter uns an den Wänden herauf, als wir 11 h 20 m ein kurzes Stück unterhalb des Grates noch eine Rast machten, um durch einen kleinen Imbiss die während der letzten dreistündigen harten Arbeit stark mitgenommenen Kräfte zu erneuern.

Als wir 11 h 50 m wieder aufbrachen, war bereits ein weites Stück des Grates in dichten Nebel gehüllt und die Orientirung auch für Leute vom Schlage der beiden Führer eine schwierige geworden. Kederbacher hatte die Tour nur einmal, und zwar vor acht Jahren ganz ausgeführt, Punz war an dieser Stelle überhaupt nicht vorbeigekommen, denn bei seiner Ersteigung mit Purtscheller war er schon tiefer unten mehr nach Südwesten ausgebogen, um die Südspitze zu erreichen („Zeitschrift“ 1886, S. 286), während die Erreichung der Mittelspize in meiner Absicht lag. Punz wurde also zum Auskundschaften des Weges vorgeschickt, während Kederbacher und ich unter einem überhängenden Fels vor dem nun zum Ausbruch kommenden Regen Schutz such ten. Mit der Rückkehr von Punz nach ¼ St. hatte sich das Wetter indess wieder etwas gebessert und wir setzten mit ihm den Weg fort, der bis zur Erreichung der Grathöhe noch eine längere und anstrengendere Kletterei erforderte, als wir vorausgesetzt hatten. Hart unter den Abstürzen der Südspitze betraten wir gegen 1 h den Hauptgrat gerade in dem Augenblick, als die Sonne den Wolkenhimmel auseinanderwarf. Glänzende Wolkenstücke zogen sich langsam in die Ferne nach Norden zu und ihre Schatten glitten über das helle Grün der Thäler.

Die Sonne zog ein weites Strahlennetz über das mich umgebende einsame, uralte Felsenmeer, voll starr und jäh aufbäumender Wellen. Die Fernen glänzten und dampften und hie und da am Horizonte stäubten schwarze Dunstballen ihren Inhalt in die feucht schimmernde Welt herab. Dieser erhabene grossartige Krieg der Sonne mit dem Wasser, mit den Dünsten und der Erde fesselte mich lange und nöthigte mir stumme Bewunderung ab. Indessen wurde es wieder düsterer um uns und von Neuem umwogten feuchte Nebelballen den wild gezackten Felsgrat, weshalb wir bei Fortsetzung des Weges bald auf demselben, bald unterhalb desselben auf der Nordwestseite durch die Schwierigkeit der Orientirung manchen Zeitverlust erlitten.

Endlich um 3 h betraten wir unser langersehntes Ziel, den Mittelgipfel des Watzmanns, und hatten so doch noch glücklich eine Aufgabe gelöst, deren Gelingen mir am Morgen wenig wahrscheinlich erschien. Ob Kederbacher’s Ansicht, diese Tour nur mehr zu Dreien zu unternehmen, durch den Verlauf unserer Besteigung vollständig gerechtfertigt wurde, möge der denkende geneigte Leser je nach seiner Auffassung und alpinen Erfahrung selbst entscheiden. 13 St. waren verflossen, seit wir bei Bartholomä in der Nacht den Fuss ans Land gesetzt hatten und keine vollen 2 St. waren hievon auf Rasten entfallen. Wären wir durch die ungünstige Beschaffenheit der Schneebänder nicht von der grossen Hauptrinne abgedrängt worden, so hätten wir den Gipfel in weniger als 11 St. erreicht. Nur kurze Zeit konnten wir uns der mühsam errungenen Höhe erfreuen, denn bald fing es zu regnen an und strömende Wasserfluthen geleiteten uns auf dem ferneren Wege zum Hocheck und hinab zum Watzmannhaus, das wir um 5 h betraten, als auch nicht ein trockener Faden mehr an uns war.