Grosse Tour am kleinen Watzmann – Franz Barth und Kaspar Wieder mit der „Alten Westwand“

Österreichische Alpenzeitung

1909, S. 279

Turenberichte.

Salzburger Kalkalpen.

Kleiner Watzmann (2307 m). 1. Ersteigung über die Westwand am 12. Juli 1908 mit Herrn Franz Barth-Salzburg.

Von der Schapbachalm (1014 m) auf anfänglich schönem, später dürftigem Jagdsteig links abbiegend ins Watzmannkar bis unmittelbar unter dem Gipfel des Kleinen Watzmanns.

Einstieg in die Westwand in der Fallinie der mittleren (höchsten) Spitze, wo der Schutt zu höchst hinanreicht.

Über steilen Schnee (in späterer Jahreszeit wohl Schutt) zu einem schrofigen Vorbau, über welchen man einen oben blockgesperrten Kamin erreicht; durch diesen empor. Man gewinnt damit ein nach links führendes Band, das bei einer kesselförmigen Einbuchtung der Wand endet, knapp unterhalb ungangbarer Plattenschüsse.

Wenige Meter abwärts und über leichten Fels zu einer linke (nördlich) steil emporführenden Rinne; durch diese in schöner Kletterei unter einen Überhang hinauf. Kurze Traverse nach links (sehr exponiert) zu einem weiteren Überhang; sehr schwer und äußerst ausgesetzt darüber hinauf.

Auf schmalem Schrofenband nach links und über leichten Fels rechts zu dem fast die ganze Westwand von links nach rechts aufwärts durchziehenden, durchwegs von kolossalen Überhängen überdachten Band hinauf. (Vom Watzmannhause gut sichtbar.) Ohne Schwierigkeit auf diesem, stellenweise fast nach innen geneigten Bande aufwärts. Eine kurze Unterbrechung leicht überwindend zu dessen Ende empor. Steinmann mit Karten.

Von hier über eine hellgraue; etwas brüchige Wand direkt zu einem etwas westlich des höchsten Gipfels herabziehenden Riß emporkletternd, quert man, wenige Meter unter seinem Beginne, auf sehr glatter, schwieriger Platte nach rechts und gewinnt mit wenigen Schritten aufwärts den westlichen Gipfel.

Landschaftlich sowie technisch einzigartig schöne Tur. Dauer der Kletterei ungefähr 3 Stunden.

Kaspar Wieder, Salzburg

Zur Frage der Schwierigkeitsabstufung

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1927, S. 102

Zur Frage der Schwierigkeitsabstufung

Diese leidige Frage hat schon viel Nachdenken in zünftigen Kreisen verursacht und hat mit dem Massenandrang in die Berge, der seit Kriegsende eintrat, allgemeine Bedeutung gewonnen. Vergleiche zwischen einzelnen Bergfahrten zu ziehen und — wegen der einen oder anderen Stelle Aehnlichkeiten festzustellen, erschien mir persönlich seit jeher genau so lächerlich, wie etwa die familiären Behauptungen, daß der oder die, weil sie auch diesen oder jenen Charakterzug, oder dieselbe Absonderlichkeit (z. B. eine Warze auf der gleichen Körperstelle) habe, dem Onkel Kasimir oder der Tante Eulalia oder sonst einem Ur-Urahn ähnelt.

Zu meiner Zeit — als ich noch für einen schneidigen Bergsteiger galt — habe ich mich überhaupt nicht um derlei ausgeklügelte Unterscheidungen gekümmert, sondern, im Bewußtsein alpin-technisch gut beschlagen zu sein, mich an jene Bergziele herangemacht, die mich ästhetisch oder sportlich reizten. Dabei genügte es zu wissen — wenn dies überhaupt bekannt war! —, daß die betreffende Bergfahrt leicht, schwierig oder sehr schwer sei. Ueberstieg es die eigenen Kräfte, dann unterließ man es vernünftigerweise, denn die modernen, technischen Behelfe und Kniffe kannte man damals noch nicht!

Selbstverständlich galten diese Schwierigkeitsgrade immer nur relativ, also Kalkgebirge, Urgestein und Eis für sich betrachtet und bei Voraussetzung normaler Wetter- und sonstiger Verhältnisse. Als ich bei der Neuauflage des „Hochturist“ gezwungen war, eine Schwierigkeitsskala aufzustellen, — von der es in der Einleitung zu diesem Buche ausdrücklich heißt: „Die Stufen der Schwierigkeitsbestimmung können selbstverständlich kein absolut gültiges Urteil bedeuten; schon deshalb nicht, weil kein einzelner alles vergleichen kann, und selbst dies als möglich angenommen, nicht immer bei den Anstiegen die gleichen Verhältnisse herrschen. Daher ist es besonders schwer, Beispiele aus der Gletscherregion zu geben, wo sich die Verhältnisse von Tag zu Tag oft gründlicher ändern als im Felsbereich.

Aber sie werden einen ungefähren Maßstab bilden für die Beurteilung des eigenen Könnens und die Wahl des Zieles wie des Weges dahin begünstigen“ — da war es. mir im voraus klar, daß diese Aufstellung viel Anfeindung finden werde.

Außer persönlichen Anschauungen, kamen ja die „alpinen Schulen“ als Ganzes in Betracht, denn die „Münchner“, „Innsbrucker“, „Wiener“, „Grazer“ usw. — jede örtlich umgrenzte Alpinistengilde hat andere Vergleichsobjekte, andere Vergleichsgrundsätze. Die einen schwören auf die Leuchs’sche Kaiser-Skala, die andern lassen nur Pichl’s oder Benesch‘ Graduierung gelten, die dritten halten sich an Karwendelbegriffe usw. So vortrefflich jede dieser Ausstellungen für den gedachten, örtlich-beschränkten Zweck auch sein mögen, für alle ostalpinen Gruppen passen sie nicht.

Daher meine Versuche, sie diesem Bedürfnis anzupassen, wobei ich als selbstverständlich annahm, daß die Muster der einen Stufe immer nur mit den örtlich gleichartigen Mustern der anderen Stufen in Beziehung gebracht werden können, also Kalk mit Kalk, Urgestein mit Urgestein, Eis mit Eis, um nicht raumverschwendend drei gesonderte Tabellen aufstellen zu müssen.

Befriedigt war ich nicht; daher auch die Abänderung in den Bänden II und IV. Doch auch diese, im Verein mit maßgebenden Alpinisten zustande gekommene Aufstellung taugt meines Erachtens nicht für den „Hochturist“. Und darin hat mich nun eine zufällige Aussprache mit Dr. Josef Braunstein bestärkt, wobei ich von seinen im Druck erschienenen Betrachtungen über diese Frage Kenntnis erhielt.

Welch sonderbare Folgerungen selbst ein so scharfsichtiger Kritiker wie Dr. I. B. aus der 5 Stufigen Skala im „Hochturist“ zieht, ergibt sich z. B. aus dem Satze: „Da Glocknerwand und Glockner-NW-Grat beide bloß als „schwierig“ bezeichnet werden, müßte die Tur Glocknerwand bis Großglockner (über den NW-Grat) ebenfalls nur als „schwierig“ eingeschätzt werden, eine Unternehmung, die Welzenbach als „sehr schwierig“ klassifiziert und mit Weißhorn über den Schalligrat vergleicht.“ — Und doch haben wir beide recht; denn „schwierig“ plus „schwierig“ ist eben doppelt oder „sehr schwierig“ !

Es sei mir gestattet noch eine Frage zu stellen: Ist eine Tur, etwa in den Jütischen Alpen, die technisch mit dem Totenkirchl oder dem Kleinen Buchstein zu vergleichen wäre, nicht schwieriger als diese, wenn erst ein stundenlanger, wüster Anmarsch mit Sack und Pack zur Kletterei bringt?

Solche Erwägungen versuchte ich in den Schwierigkeitsstufen vergleichend zur Geltung zu bringen. Der Versuch ist mißglückt. Und diese Erwägungen bestärken mich nun in dem schon vorher gefaßten Entschluß, in Zukunft die Bergfahrten im „Hochturist“ einfach als «leicht“, „mittelschwer“, „schwierig“, „sehr schwierig“ und „äußerst schwierig“ zu bezeichnen und auf Vergleiche ganz zu verzichten.

Da der „Hochturist“ ausdrücklich bemerkt, daß er für den geübten Bergsteiger bestimmt sei, denn nur ein solcher soll führerlos Hochturen unternehmen, müssen diese fünf Stufen genügen, normale Verhältnisse vorausgesetzt.

Hans Barth, Wien