Der Stanzl und das Siegesfeuer

Nachdem Frankreich im Mai 1871 geschlagen war rollte wohl eine Welle des Patriotismus durch das neue Reich. Auch am Watzmann setzte man, bereits nach dem Sieg bei Sedan, Anfang 1871 ein leuchtendes Siegeszeichen.

Amthor – Der Alpenfreund – Band 3

Miszellen aus der Alpenwelt

Auch eine Siegesfeier!

Wer zählt die verschiedenen Arten von Kundgebungen nationaler Freude und Begeisterung, die in den letzten Wochen „von den Alpen bis zum Belt“ stattgefunden haben? Ist dieß auch nicht die Aufgabe des Alpenfreunds, so kann dieser doch nicht unterlassen, zu registriren, wie ein paar bayerische Aelpler in der Freude ihres deutschgesinnten Herzens das Siegesfest begangen haben. Die Bergführer Stantzl und Hölzl in Berchtesgaden führten den von ihnen gefaßten kühnen Entschluß, auf der beeisten Spitze des Watzmanns eine deutsche Fahne aufzustecken und ein Freudenfeuer anzuzünden, am 2. Februar aus. Jedes deutsche Herz muß ein solches Opfer und Wagniß um solche Jahreszeit mit Bewunderung und Freude erfüllen. Aber leider gibt es in unserm Bayerlande, wie allgemein bekannt, eine Klasse von Menschen, die, sich „Patrioten“ nennend, der Pfaffenherrschaft das engere und weitere Vaterland, König und Kaiser gerne zum Opfer bringen möchten. Ist ihnen auch die Aussicht zur Ausführung dieses „patriotischen“ Vorhabens, Dank den Ereignissen der letzten Monate, für immer entschwunden, so suchen sie doch öffentlich und im Geheimen durch Wort und Schrift auf alle mögliche Weise die Verdienste von Kaiser und König, von Heerführern und Soldaten zu bekritteln und zu verkleinern, ja die Freudenfeste mit ihrem Koth zu bewerfen. Auch unsere wackern Aelpler mußten sich direkt und indirekt von dieser saubern Species Dinge über ihre exquisite Siegesfeier sagen lassen, die sie tief kränkten. Sie faßten deßhalb nachstehende Schilderung ab, um deren Aufnahme wir ersucht wurden. Wir haben uns keinerlei Aenderung der Fassung erlaubt, geben vielmehr das für die Leser des Alpenfreunds interessante Schriftstück verbo tenus, da wir die schlichten, für die deutsche Sache begeisterten Alpensöhne in ihrer unverfälschten Sprache zum Wort kommen lassen wollen.

„Da von der Besteigung des Watzmann, welche ich am 2. Februar 1871 unter Begleitung des wackern Bergführers Hölzl unternommen hatte, mir verschiedenes Gerede zu Ohren kommt, und Einige es für eine Unmöglichkeit halten und meinen, das Feuer, welches wir Abends auf der 9000 Fuß hohen Spitze anzündeten, sei uns vom Himmel gefahren, Einige glauben, ich sei von den preußisch Gesinnten aufgehetzt worden, wieder Andere, ich habe so und so viel Geld verlangt oder bekommen, so sehe ich mich veranlaßt, dem verehrten Publikum und Freunden des Bergbesteigens der Wahrheit gemäß folgenden Thatbestand zu erklären. „Ich, Johann Ilsanker, einfach genannt der Bergführer Stanzl, wurde geboren den 27. December 1816. Seit meinem 12. Lebensjahre bin und war ich im Sommer immer auf den Bergen, Anfangs als Hüterbube, dann als Holzarbeiter, später als Edelweißpflücker und Fremdenführer; durch öftere und glückliche Besteigung aller Berge habe ich mir die Gunst der Herrschaften in einem solchen Grade erworben, daß noch jetzt in meinen alten Tagen eine große Nachfrage nach mir ist. „Wer mich persönlich kennt, muß sagen, daß ich von schwacher Statur bin, und getraue mir selber nicht zu behaupten, ob 40 Pfund Fleisch an mir sind; aber mein Lebtag, Gott sei Dank, weiß ich keine Stunde von einer Krankheit. Ich habe in meinem Leben viele Unternehmungen bestanden, wo sich Jedermann wunderte, wie ich es leisten konnte; ich will nur der Kürze halber einige vom Watzmann bemerken. Im Jahre 1867 war ich von Berchtesgaden aus in 14 Stunden zwei Mal vom Watzmann hin und zurück gekommen; im Jahre 1868 war ich vom 9. bis 15. August 6 Tage nacheinander mit Herrschaften auf die Spitze des Watzmann gekommen, und mußte auch noch allerhand Gepäck tragen; im Jahre 1869 bestieg ich in 26 Stunden drei Mal hin und zurück den Watzmann; auch war ich gewiß zehn Mal bei Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang auf dieser Spitze; und es gibt keine Stunde in der Nacht, wo ich nicht auf diesen Felsen kletterte; also wird Jedem begreiflich sein, daß mir jeder Tritt und Schritt so bekannt ist, wie zu meinem Nachbarshause. Vor zwei Jahren war ich mit zwei Herren aus dem Wiener Alpenclubverein auf dem Watzmann: sie würden so um Weihnachten, sagten sie, zu mir kommen, und da müßte ich mit ihnen den Watzmann besteigen, sind aber nicht gekommen, – aber der Wunsch blieb in meinem Herzen, bei besonderer Gelegenheit möchte ich ihn auch im Winter ein Mal besteigen. Und richtig, die passendste Gelegenheit war jetzt gekommen; jedes deutsche Herz muß staunen und bewundern die herrlichen Siege unserer tapfern Armee, muß sich erfreuen, ein Mal ein einiges Deutschland zu erhalten, das Herz muß sich zu allerhand Unternehmungen begeistern, wenn es bedenkt, die fast von allen fünf Welttheilen gefürchtete Nation ist zu Boden geworfen, auf den Wällen weht die deutsche Fahne, die Aussicht auf einen ehrenvollen Frieden ist vorhanden. Einzig und allein diese Begeisterung hat auch mich dazu veranlaßt, eine deutsche Fahne auf die eisige Spitze des Watzmann aufzustecken und ein Sieg – und Freudenfeuer anzuzünden ! „Ich brach früh Morgens um 8 Uhr nach dem Gottesdienste auf, mit Brennmaterial versehen, welches meistens aus Pech bestand, an der Seite mein getreuer Begleiter, und wir erreichten Abends 5 Uhr diese Spitze, um halb 6 Uhr loderte, zur Freude aller Bewohner Berchtesgadens. der goldene Schimmer der Feuerflamme hoch empor; gleich darauf wurde der Rückweg angetreten und um halb 10 Uhr Nachts sind wir wieder in Berchtesgaden angekommen. Am beschwerlichsten zu besteigen war er von der Stubenalpe bis zur Gugelalpe, die Entfernung dieser zwei Alpen beträgt im Sommer 1/2 Stunden, der Schnee war zwischen 3 und 4 Fuß tief, aber leicht zum Waten, jeder Schritt ging auf den Boden, bei dieser Strecke brauchten wir 32 Stunden. Von dort aus ging es besser, auf den Felsen war Alles abgeweht und der Wind ging auch selben Tag so heftig, daß wir uns die Hüte auf den Kopf anbinden mußten. Im Hinaufsteigen einer Höhe von 4 oder 5 tausend Fuß sahen wir einige Gemsen und Hirsche, welche in dem Schnee mit ihren Füßen arbeiteten, um auf die Alpenrosen-Gesträuche zu gelangen und ihren Hunger zu stillen; beiläufig so 6000 Fuß sahen wir noch die Spuren von Hasen und höher die letzten Pfade von Mäusen. Daraus wird doch Jeder erkennen, daß es für geübte Bergsteiger keine Unmöglichkeit ist, wenn man ein wenig Anstrengung nicht scheut. Auch alles Andere kann ich widersprechen, daß ich weder aufgehetzt, noch so und so viel Geld dafür verlangt habe. Wir sind auf anderer Seite dafür belohnt worden, es war für uns Ä eine große Freude, und sind unserem lieben Gott dafür dankbar, daß wir so vergnügt und so glücklich zurückgekommen sind: dann sind wir dankbar für den Empfang bei unserer Ankunft, wo Jung und Alt, Arm und Reich uns mit Freuden begrüßte; für die liebevolle Bewirthung der Frau Posthalterin Anna Schwarzenbeck, Herrn Gastgeber Köberl und Herrn Sägmüller, sowie allen Jenen, welche uns mit einem kleinen Trinkgeld beehrten, besonders Herrn Baumeister Lorentz herzlichen Dank. Und zur größten Freude erfuhren wir gleich am andern Tag, daß von Ihrer Majestät, der Königin Mutter, ein Dankes-Telegramm dafür an die treuen Berchtesgadener eingetroffen ist. „Schließlich bitte ich Alle um Verzeihung für mein simples, bauernartiges Benehmen, und lasset uns Alle Gott befohlen sein, damit wir noch lange gesund sind und bleiben, und die Segnungen des so heißersehnten Friedens und die Früchte des neu aufblühenden Deutschlands genießen können.

Mit aller Hochachtung empfehlen sich der Bergführer Stanzl und Bergführer Hölzl.“

Vorstehende Zeilen bedürfen keines Commentars; die Wackeren haben mit einfachen und das Gepräge der Wahrheit an sich tragenden Worten dargethan, was sie gewollt und erreicht haben!

E. A.