Paul Krebs – Der kleine Watzmann mit Abstieg nach St. Bartholomä

Gemeinsam mit dem Führer Franz Pfnür fand Paul Krebs am 20.09.1886 eine neue Abstiegsroute vom kleinen Watzmann. Hierbei wählten die beiden als Ziel des Abstiegs St. Bartholomä über das Watzmannlabl und den Rinnkendlsteig.

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1886, S. 254 ff

Kleiner Watzmann

Paul Krebs, Wien

Kleiner Watzmann 2304 m. Besteigungen des Kleinen Watzmann gehören zu den Seltenheiten, da dieselben als schwierig und gefahrvoll gelten. Freilich zeigt sich der Berg so schroff, dass diese Ansicht gerechtfertigt erscheint, namentlich wenn man die Ostabhänge betrachtet, welche so steil in den Königssee abfallen, dass bis jetzt, so weit bekannt, es noch Niemand unternommen hatte, den Abstieg durch diese Wände nach St. Bartholomae zu versuchen.

Um mich von der Möglichkeit dieses Abstieges zu überzeugen, ging ich am 20. September mit Führer Franz Pfnür aus Berchtesgaden zur Kührointalm; da diese jedoch nicht mehr bewohnt war, mussten wir zu der eine Stunde tiefer gelegenen Schapbachalm hinabgehen, um dort zu übernachten. Am nächsten Tage war das Wetter zu ungünstig, um den uns Beiden neuen Weg zu unternehmen, wir benutzten jedoch den Nachmittag, um den Archenkopf und die nördlich von demselben den Königssee einschliessenden Höhen zu besteigen, welche ein herrliches Panorama bieten; der Blick vom Archenkopf auf den See und St. Bartholomae lohnt die leichte Besteigung dieser Höhe. Die Nacht zum 22. September brachte wieder Regen, so dass wir erst nach 7 U Morgens, als das Wettersich aufzuheitern begann, von der Schapbachalm aufbrechen konnten. Um 8 U hatten wir die Kührointalm wieder erreicht und begannen nun den Anstieg, welcher naturgemäss zunächst über den grünen Riegel führte, der sich rechts am Fusse des Kleinen Watzmann hinanzieht, und auf welchem man leicht bis ungefähr zur halben Höhe des Bergkegels gelangt. Rechts unter sich hat man hier die zähen Abstürze zur Watzmannscharte, gegenüber die imponirenden, terrassenförmigen Ostabhänge des Grossen Watzmann. Die früheren Besteiger traversirten von da, wo der grüne Riegel sein Ende erreicht und die Wände steiler werden, nach links hinüber, oberhalb der hier steil zum Fusse des Berges abfallenden Platten, und erreichten durch eine Einsenkung, sich in dieser dann rechts haltend, den Gipfel. Auch Hermann v. Barth wählte diesen Weg, wie ich aus seinen Aufzeichnungen zu ersehen Gelegenheit hatte. Wir setzten den Anstieg in direkter Richtung auf den Gipfel zu fort, welchen wir ohne erhebliche Schwierigkeiten erreichten; nur hatten wir eine steile, ca. 20 Fuss hohe Wand zu überklettern, welche jedoch, da sie Spalten und Risse zeigt, von einem leidlich geübten Touristen leicht und gefahrlos zu überwinden ist; ferner unmittelbar unter dem Gipfel eine steile Platte, bei deren Begehung wir Hände und Füsse zu Hilfe nahmen. Um 10 U 45 hatten wir die Spitze erreicht und fanden uns durch eine herrliche Aussicht belohnt. Das Panorama ist nahezu dasselbe wie vom Grossen Watzmann, nur sind die Höhen westlich vom Gross-Venediger an, welcher zwischen Hundstod und dem Grossen Watzmann sichtbar ist, verdeckt.

Die Spitze des Kleinen Watzmann besteht aus zwei Kuppen, die durch eine geringe Einsattlung von einander getrennt sind. Die von Berchtesgaden aus sichtbare Spitze ist um einige Fuss höher, doch ist St. Bartholomae nur von der anderen, südöstlich gelegenen, aus sichtbar. Um 11 U 30 traten wir den Abstieg an. Da ich denselben direct nach St. Bartholomae hinunter machen wollte, legten wir die Steigeisen an, und stiegen zunächst 2 St. in südöstlicher Richtung, gerade auf St. Bartholomae zu, ab; dann wendeten wir uns nordöstlich und erreichten in weiteren 2 St. den Jägersteig, welcher

vom sogenannten Watzmannanger über die Mooslahnerwand und durch das Watzmannrinnkendel nach St. Bartholomae hinunter führt, wo wir um 4 U glücklich eintrafen. Die ersten zwei Stunden des Abstieges hatten wir schroffe Felswände zu durchklettern, wobei uns viele kleine, erkerartige Vorsprünge zu Statten kamen, indem man von denselben aus den zunächst zu wählenden Weg leichter übersehen konnte.

Vorsichtigerweise hatten wir ungewöhnlich lange und starke Bergstöcke genommen, welche uns bei den oft sehr hohen Stufen von grossem Nutzen waren, so dass sich die mitgenommenen Seile als entbehrlich erwiesen. Als wir dann ungefähr die Höhe des Watzmannanger erreicht hatten, welchen wir seitwärts liegen liessen und von welchem wir durch eine den Watzmannwänden parallel laufende Wand getrennt waren, kamen wir in dichtes Krummholz, welches das Steigen erschwerte und zur Vorsicht nöthigte. Nur wenig an Höhe verlierend, traversirten wir sodann die Mooslahnerwand entlang zum Archenkopf hinüber, um den vorher erwähnten Jägersteig zu erreichen, welcher von der Höhe des Archenkopfes nordwestlich zum Watzmannanger, südlich in einer guten halben Stunde nach St. Bartholomae hinunterführt.

Dieser neue Abstieg ist insofern interessant, als man während der ganzen Zeit das herrliche Bild des von Booten belebten Königsee’s mit der Halbinsel St. Bartholomae unter sich hat.

Die ganze Tour ist von Berchtesgaden aus leicht in einem Tag zu machen, wenn man um 4 oder 5U von dort aufbricht; freilich dürfte dieselbe nur geübten Bergsteigern zu empfehlen sein.

Wien. Paul Krebs.