Alpines Rettungswesen – Die Ereignisse in der Watzmann-Ostwand vom 4. bis 8. Januar 1937

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1937, S. 30 ff

Zum Geschehen am Watzmann

Die Ereignisse in der Watzmann-Ostwand vom 4. bis 8. Januar 1937

Bericht von Richard Siebenwurst, Leiter der Landesstelle Bayern für alpines Rettungswesen.

Am 4. Januar erscheint in der Geschäftsstelle der Landesstelle Bayern für Alpines Rettungswesen des D. u. O. A. V. Frau V. und macht folgende Angaben:

Ihr Sohn und sein Onkel, beide namens Franz Frey aus München, sind am Donnerstag, den 31. Dezember 1936, abends von München weggefahren nach Berchtesgaden, um in den Tagen vom 1., 2. und 3. Januar die Watzmann-Ostwand zu durchsteigen. Sie wollten am Sonntag, den 3. Januar, abends, bestimmt wieder in München sein. Ein Vetter der beiden Vermißten ist zwecks Rücktransports der Schier mitgefahren und am Sonntag abends in München allein eingetroffen.

Das am 2. Januar abends eingetretene schlechte Wetter ließ die Möglichkeit eines Unfalles als sehr wahrscheinlich erscheinen, und wir gingen deshalb sofort daran, eine größere Expedition in die Wege zu leiten. Sofortige telephonische Rücksprache mit dem Obmann der Rettungsstelle Berchtesgaden, Herrn Aschauer, ergab folgendes Bild:

Freys sind am Donnerstag 0.30 Uhr in Königssee eingetroffen, übernachteten dort im Hotel Königssee und wollten mit dem ersten Boot um 6 Uhr nach Bartholomä übersetzen. Das erste Boot ging jedoch erst um 11 Uhr.

Gegen Mittag stiegen sie mit Schiern gegen die Eiskapelle an. Nachdem die Schier nicht mehr verwendet werden konnten, kehrte der oben erwähnte Vetter mit drei Paar Schiern nach Berchtesgaden zurück.

Am selben Tag um 23.30 Uhr beobachtete der Forstwart Kellersberger von Bartholomä aus in dem Wandgürtel, der oberhalb der Eiskapelle ansetzt und hinaufzieht bis zum sogenannten Kar, das Hinunterfallen einer Laterne. Er eilte sofort zur Eiskapelle, begann dort zu rufen, mußte aber ohne Antwort wieder zurückkehren.

Berechtigterweise verständigte er die Alpine Rettungsstelle Berchtesgaden, die sofort drei Führer aussandte, um den anscheinend Verunglückten zu Hilfe, zu kommen. Entgegen dieser Annahme war jedoch kein Unfall geschehen; im Gegenteil. Die drei Führer sahen die beiden Frey aufwärts steigen gegen die Schöllhornplatte, und sie riefen ihnen mehrmals zu, doch umzukehren, da das Wetter schlecht werde. Diese Warnungen wurden von den beiden Frey jedoch nicht beachtet und sie stiegen weiter. Sie wurden von da ab von Bartholomä aus ständig beobachtet, bis sie in der Gegend der Schöllhornplatte am Samstagabend ihr zweites Biwak bezogen. Am Sonntag stiegen sie über den ersten Teil des dritten Bandes weiter und von dort, wo es plötzlich abbricht, hinauf auf das vierte und fünfte Band. Das war der Stand am Montag um 11 Uhr. Eine neuerliche Anfrage in Bartholomä

selbst ergab nichts Neues. Der starke Neuschneefall und das schlechte Vorwärtskommen der Bergsteiger veranlaßte mich zu folgenden Schritten, die ich mit dem Obmann der Rettungsstelle Berchtesgaden, Aschauer, gemeinsam besprochen hatte: Ein Zuhilfekommen war bei der augenblicklichen Sachlage weder von unten noch von oben her möglich. Als einziges käme ein Versuch in Betracht, den beiden mittels Flugzeuges Ausrüstungsgegenstände und Verpflegung abzuwerfen. Wir waren uns darüber im klaren, daß dies infolge des Baues der Wand vielleicht beim Versuch bleiben müßte. Wir sahen aber keine andere Möglichkeit, sofort etwas zu unternehmen. Das Flugzeug wurde uns auch sofort von der Übungsstelle Oberwiesenfeld durch Herrn Major Braun mit dem Piloten Neininger, dem Leiter der Übungsstelle, zur Verfügung gestellt. Ich selbst flog mit vier Päckchen Ausrüstungsgegenständen, Inhalt: Meta, Sturmzündhölzer, ein Zeltsack, Benzin für Primuskocher, Wolldecke, nach Ainring bei Freilassing. Dort tauschte ich mit Aschauer, der vier Lebensmittelpakete mitbrachte, den Platz. Aschauer ist einer der besten Kenner der Watzmann-Ostwand und sollte deshalb das Abwerfen besorgen. Vorsorglich wurde aber in München eine Gruppe, bestehend aus den besten Bergsteigern, zusammengestellt. Um 13 Uhr flog ich von München ab. 13.40 Uhr war ich in Ainring;‘ um 15.30 Uhr konnte ich bereits den ersten Blick durch das Fernglas in Bartholomä tun. Ein Sonderboot war bereits von Berchtesgaden aus bestellt. Die in Bartholomä angestellten Beobachtungen über den Standort der beiden waren für das weitere Beginnen der Expedition von großer Bedeutung. Ich fuhr zurück nach Berchtesgaden, um dort zusammen mit Aschauer die inzwischen eingetroffene Expedition aus München mit Berchtesgadnern zusammenzustellen und zu instruieren. Das Jägerregiment 100 von Reichenhall hatte sich erboten, einige gute Leute abzustellen, und, so setzte sich die Expedition zusammen (außer mir) aus acht Münchnern: Göttner, Gramminger, Dr. v. Kraus, Peidar, Nosenschon, Ruder, Schmaderer, Steinberger, den zwei Berchtesgadnern Aschauer und Kurz und drei Reichenhaller Jägern.

Zur Zeichengebung hatten wir vereinbart: Auf der Wiese bei Bartholomä werden im Bedarfsfall aus Brettern Buchstaben ausgelegt oder Leuchtraketen abgeschossen. „L“ oder Grün bedeutet: „Links absteigen.“ „R“ oder Rot bedeutet: „Rechts absteigen“ im Sinne des Abstieges. „S“ oder Rauchfeuer heißt „Stopp, Expedition abbrechen“. „A“ bedeutet: Freys sind im Abstieg. Rauchfeuer oder Rot im Wimbachtal heißt „abbrechen“.

Um 20.45 Uhr begann in Wimbachbrücke die Verteilung von Verpflegung und Ausrüstungsgegenständen und kurz darauf setzte sich die Gruppe mit schweren Rücksäcken in Marsch, Richtung Wimbachgriesalm.

5. Januar: Königssee infolge Eisbildung nicht schiffbar. Ankunft dort daher erst um 10 Uhr. Ich konntegerade die ersten unserer Leute den Gipfel betreten sehen.

Ohne daß wir von Bartholomä aus etwas Besonderes beobachten konnten, spielte sich dort oben folgendes ab:

In der tiefsten Einsenkung zwischen der Südspitze des Watzmanns und dem nächsten markanten Felskopf wurde ein Mann senkrecht in die Ostwand abgeseilt, um nach den beiden Vermißten zu suchen. Da der erste Trupp unserer Leute sich auf dem Felskopf aufhielt, legten wir das Zeichen „A“. Wir konnten die beiden Frey immer noch weiter beobachten, wie sie auf dem fünften Band aufwärts stiegen und um 13.30 Uhr eine Felsstufe erreichten, an der sie sich später zur Beiwacht rüsteten. Einbruch von Nebel hinderte uns an weiteren Beobachtungen. Die Rettungsmannschaft auf dem Gipfel konnte trotz lautesten Rufens (13 Mann auf einmal) keine Antwort von den beiden vernehmen. Man mußte mit Bestimmtheit annehmen, daß die Rufe absichtlich nicht beantwortet wurden, denn das Wetter war völlig klar und ziemlich windstill.

Später gaben die beiden Frey auch zu, daß sie die Rufe nicht nur gehört, sondern auch unsere Leute am Grat oben gesehen, absichtlich aber nicht geantwortet hätten. Zugleich kreiste ein Flugzeug mehrere Stunden über der Watzmann-Südspitze und erschwerte außerordentlich eine Verständigung zwischen den Vermißten und der Rettungsmannschaft. Am Gipfel stellte sich heraus, daß infolge der ungeheuren Schneemengen, die in der windgeschützten Ostwand angeweht auf den steilen Bändern lagen, ein Tiefergehen in die Wand nur mit dreifacher Seilsicherung gewagt werden konnte. 320 m Seil, darunter einige Reepschnüre, waren vorhanden. Doch das war bei weitem nicht ausreichend. Die Mannschaft entschloß sich daher, auf dem Gipfel in einer Schneehöhle zu biwakieren; drei Mann stiegen nach Wimbachgriesalm ab, um neue Seile zu holen. Ich entsandte einen Boten zur Wimbachgriesalm, um Nachricht von dort zu erhalten. Am Abend erhielt ich durch diesen Boten nachstehenden Bericht von Aschauer:

„Griesalm 6.15 Uhr ab, noch dunkel am Einstieg zum Schönfeld. Zuerst sehr schlechte Schneeverhältnisse, später weiter oben recht gut. Auf dem Gipfel der Südspitze an 10.03 Uhr! Trotz unserer Rufe (13 Mann gleichzeitig aus Leibeskräften!) keine Antwort aus der Wand. Um 13.15 Uhr wurden die beiden Freys , zufällig etwa 430 m unterm Gipfel vom Grat aus gesichtet. Sie riefen aber nicht um Hilfe! Sie verlangten nur nach Essen. Um 14 Uhr wurde vom Grat aus der Abstieg in die Wand begonnen (Göttner). Er stieg an sechs zusammengeknüpften Seilen etwa 180 m in die Wand ab. Später folgte mit dreimal 50 m Reepschnur Schmaderer. Leider war es bei Beginn des Abstieges sehr neblig, so daß nur noch sehr schlechte Rufverbindung bestand. Als das Wetter ganz zum Schlechten umschlug (es schneite leicht und Eisregen ging nieder), wurden zum einzigen Male Hilferufe gehört. Die Freys befanden sich da auf einem Band, über dem sich eine etwa 25 bis 30 m hohe, senkrechte Wand ausbaut. Leider gelang es Göttner und Schmaderer nicht mehr, auf dieses Band hinabzukommen. Um 15.45 Uhr gaben Göttner und Schmaderer Signal zum Heraufziehen. Damit waren für den heutigen Tag die Rettungsaktionen abgebrochen. Ich entschloß mich daher, sofort mit Kurz Sepp und Schweiger zur Griesalm abzusteigen. Am Grat ab 16.15, Griesalm an 17.40 Uhr. Der Abstieg war schlecht, sehr neblig und schon dunkel.

Hier im Wimbachtal regnet es. Die Wetteraussichten für morgen sind sehr schlecht. Alle anderen (10 Mann) biwakieren in einer lehr schönen Schneehöhle auf dem Gipfel. Ihr könnt ganz unbesorgt sein. Morgen früh steigen wir mit etwa 120 bis 150 m. Seil wieder auf. Vielleicht gelingt es doch noch!“

Dieser Bericht erhellt die ganze Lage!

6. Januar : Um 11 Uhr entdecke ich von Bartholomä aus die beiden Frey, die bisher noch nicht gesehen worden waren, etwas rechts in der Fallinie des Gipfels, wie sie sich in tiefem Schnee mühsam aufwärts mühen. Von unseren Leuten ist infolge des Nebels bis jetzt nichts zu sehen gewesen; auch beim Weichen des Nebels können wir niemand auf dem Gipfel entdecken. Um 12 Uhr schicke ich wieder einen Boten nach Wimbachgries, um dort Nachschau zu halten, ob unsere Leute etwa umgekehrt seien. Ich hege die ärgsten Befürchtungen. Von Bartholomä aus ist deutlich zu sehen, wie haushohe Schneefahnen über den Grat hinwegziehen. Das Wetter war die ganze Nacht über schlecht gewesen. In Berchtesgaden regnete es in Strömen und ich konnte nur annehmen, daß entweder einem oder mehreren unserer Leute etwas zugestoßen sei oder daß ein Aufenthalt unserer Leute infolge des wahnsinnigen Sturmes auf dem Gipfel überhaupt unmöglich war, sollten nicht weitere Menschenleben gefährdet werden. Ich fahre zurück nach Königssee. Dort erreicht mich ein fernmündlicher Anruf Aschauers, der mit der ganzen Mannschaft die Expedition abgebrochen hatte. Von Tagesgrauen ab war eine Stunde lang versucht worden, noch vom Gipfel aus mit den beiden in Verbindung zu kommen. Eine Verständigung konnte nicht erzielt werden.

Der Sturm wurde immer heftiger, und die Rettungsmannschaft nahm an, daß die beiden nicht mehr am Leben seien. Denn es erschien auf dem Gipfel als unmöglich, daß jemand eine fünfte Beiwacht bei diesem Wetter durchhalten könnte. Außerdem hatten sich verschiedene Rettungsmänner schon Erfrierungen zugezogen, so daß höchste Eile für den Rückzug geboten erschien. Niedergeschlagen über den Mißerfolg traf ich unsere Leute in Wimbachbrücke. Doch als ich ihnen erklärte, daß wir bis 13.30 Uhr die beiden noch beobachtet hätten, daß sie vorwärts drangen, leuchtete neue Hoffnung in ihren Augen auf.

Unterdessen hatte sich der Reichskanzler Hitler durch Brigadeführer Schaub für die ganze Sache interessiert, und die Frage, ob wir etwas brauchen würden, hatte Aschauer in richtiger Erkenntnis der Sachlage damit beantwortet, daß wir 50 Soldaten, 500 m Seil, Zelte und andere Ausrüstungsgegenstände benötigen. Nur mit dieser Hilfe könnte ein nochmaliger Versuch gemacht werden.

Bereits mittags hatte ich bei den Gebirgsjägern in Reichenhall Funkgeräte angefordert, die eine Verbindung herstellen sollten zwischen Wimbachgriesalm und Berchtesgaden. Um 16 Uhr rückten unsere Leute wieder zur Wimbachgriesalm ab, um einen letzten Versuch am nächsten Tage trotz des schlechten Wetters zu wagen. Es schneit unaufhörlich, im Tale regnet es; alle sind durchnäßt; doch ohne eine Silbe der Widerrede geht jeder erneut ans Werk. Um 19 Uhr trifft Oberleutnant Raithel mit 44 Mann und den ganzen Geräten ein; in ¼ Stunde ist alles eingeteilt. Ein Geländewagen wird noch angefordert zum Nachliefern von Verpflegung, und um 20 Uhr marschieren 36 Mann unter Führung von Oberleutnant Raithel nach Wimbachbrücke. Acht Mann sollen für den Nachschub von Lebensmitteln sorgen. Um 20 Uhr ist die Funkverbindung zwischen Wimbachgries und Berchtesgaden hergestellt. Der Empfang in Berchtesgaden ist aber sehr schlecht, so daß wir umbauen und die Station nach Wimbachbrücke verlegen. Dort ist der Empfang besser, und wir hoffen, morgen eine günstige Verbindung zu bekommen. Zwei Mann habe ich noch auf die Watzmannkindscharte geschickt, die mir um 23 Uhr folgenden Bericht brachten: „Wir sind bis 22 Uhr auf der Watzmannkindscharte gewesen, infolge des wahnsinnigen Sturmes konnten wir aber gar nichts ausrichten.“

Der Zweck dieser beiden Posten war, die beiden Frey durch ihre Anwesenheit wissen zu lassen, daß wir uns noch um sie bemühen und daß sie durchhalten müßten bis morgen früh. Unsere Stimmung ist gedrückt und ich habe wenig Hoffnung. Zwei Voraussetzungen müssen unbedingt erfüllt sein, wenn wir die beiden noch retten wollen: Das Wetter muß besser werden, damit unsere Leute auf den Gipfel kommen, und die beiden Frey müssen diese Nacht noch überstehen.

Es ist alles genau eingeteilt. Die Mannschaft geht morgen einigermaßen gestärkt ans Werk, denn sie braucht kein Gepäck zu tragen und hat eine verhältnismäßig gute Nacht hinter sich. Die Soldaten müssen die Nacht opfern und das gesamte nötige Gerät muß bei Ankunft unserer Leute bereits auf dem Gipfel greifbar sein. Ferner ist im sogenannten Schönfeld ein Depot zu errichten, das den Rückzug sichern soll. In dieser Nacht finde ich keine Ruhe.

Wird es noch gelingen? Werden die beiden durchhalten? Hoffentlich stößt unseren Leuten nichts zu. Das sind meine Gedanken!

In aller Frühe bin ich auf den Beinen, nehme von der Zentrale aus in Berchtesgaden Verbindung auf mit Bartholomä, mit Wimbachbrücke, mit Wimbachgriesalm, mit Kührointalm; von überall her gleich schlechte Nachrichten: Es stürmt und schneit unaufhörlich. Nach bangen Stunden, um 9.55 Uhr, erhalte ich von Kellersberger (Bartholomä) die Mitteilung, er habe eben drei Mann auf dem Gipfel gesichtet. Gottlob, das Schicksal scheint mit uns zu sein. Weiter ist nichts zu beobachten. Um 10.45 Uhr wiederum Anruf von Bartholomä: Ein Mann hat sich in die Ostwand abgeseilt und steht unmittelbar über den beiden Frey, die nunmehr auch gesichtet sind. Sie sind noch an ihrem selben Standort wie gestern nachmittag. Die unglaublichen Schneemassen machen ein Weiterkommen nach oben unmöglich. Ich bitte Kellersberger, mit Brettern einen senkrecht nach unten deutenden Pfeil zu legen, um die Mannschaft oben darauf aufmerksam zu machen, daß die Gesuchten direkt unter ihnen sind, denn scheinbar ist die Sicht von oben aus durch überhangende Felswände gesperrt. Um 12 Uhr erhalte ich von Kühroint die Nachricht, daß der Posten auf der Watzmannkindscharte die beiden Frey noch von einer halben Stunde gesehen habe, und ein Mann unserer Mannschaft sei nur noch auf Seillänge von ihnen entfernt.

Die beiden Frey gaben Hilferufe, nachdem sie den Posten auf der Watzmannkindscharte gesehen hatten, und diese Rufe wurden von oben beantwortet. Nun besteht für uns keine Ungewißheit mehr; es wird gelingen! Gleich darauf ruft Bartholomä an: Kellersberger teilt mit, daß er statt eines Mannes, der sich abgeseilt habe, plötzlich mehrere sehe. Das fast unmöglich Scheinende ist Wahrheit geworden. Unsere Mannschaft ist zu den beiden gelangt.

Nun handelt es sich nur mehr darum, daß der Grat erreicht wird und anschließend die Wimbachgrieshütte. In stundenlanger Aufseilarbeit wurden die beiden nach einer kurzen Stärkung zum Gipfel gebracht, dort in der Biwakhöhle nochmals mit Tee und leichten Nahrungsmitteln verpflegt; dann begann der Abstieg.

Die Funkverbindung nach Wimbachgriesalm ist leider unterbrochen. Also zur Wimbachgriesalm. Ich lasse mich nicht mehr halten. Der Führer stellt uns seinen Geländewagen zur Verfügung. Wir fahren ein gutes Stück hinauf und haben nur eine halbe Stunde zu gehen zur Wimbachgriesalm. Dort ist eben ein Teil der Mannschaft mit dem jüngeren Frey eingetroffen. Der ältere ist mit den anderen noch auf dem Abstieg. In der Hütte herrscht ein toller Betrieb. Der Fußboden schwimmt. Überall hängen vollständig durchnäßte Kleidungsstücke und in der Küche ist man bereits dabei, die erfrorenen Füße des einen mit Schnee zu behandeln. Eine halbe Stunde später treffen die Leute mit dem zweiten Frey ein, und jetzt erst atme ich beruhigt auf. Die Lawinentätigkeit war während des ganzen Tages und der vorhergegangenen Nacht schon sehr rege gewesen und es ist wie ein Wunder zu bezeichnen, daß kein weiteres Unglück passiert ist. Der Sturm hält oben unvermindert an. Die Anoraks unserer Leute knistern wie Blech, steif gefroren; alle sind vollkommen durchnäßt. Die gesamten Seile, die Zelte, alles, was oben benötigt wurde, mußte zurückgelassen werden; denn der letzte Teil des Abstieges mußte bereits in der Dunkelheit zurückgelegt werden. Um 18.15 Uhr erst trifft der letzte Mann ein. Das Rettungswerk war gelungen.

Trotz aller üblen Begleiterscheinungen strahlte die Freude aus den Gesichtern unserer Leute, und so wurde am nächsten Tage der noch sehr anstrengende Transport auf einem Körnerschlitten durch metertiefen Schnee gern durchgeführt. Am 8. Januar um 14 Uhr erreichte der Transport Wimbachbrücke; dort erwartete die beiden Frey das Sanitätsauto, das sie um 20 Uhr in München in der Chirurgischen Klinik einlieferte.

Fünf bange Tage und Nächte voll Anspannung, körperlich und seelisch, lagen hinter uns; doch leuchtete uns allen ein Bild vor Augen: Wir haben zwei in Todesgefahr Befindliche dem Leben erhalten.

Kritische Betrachtung. Es ist nicht in der Art und im Wesen eines Rettungsmannes gelegen, zu fragen: Wem sollst du zu Hilfe eilen, wo sollst du zu Hilfe eilen? Was sind die Motive für des anderen Tun ?Wir helfen immer und stets! Und doch wird des öfteren die Frage an uns gestellt: War dieses Beginnen der anderen nicht leichtsinnig? Ist es richtig, wegen des Leichtsinnes anderer soviel Menschenleben aufs Spiel zu setzen? Und so soll hier einmal kurz eine Antwort in bezug auf den vorliegenden Fall gegeben werden. Drei Umstände sprechen gegen das Unternehmen der beiden Frey.

  1. Die mehrfach an sie gerichteten Warnungen, die ihren Hauptursprung in der sich umbildenden Wetterlage und in den derzeitigen schlechten Verhältnissen hatten;
  2. die am Samstag, den 2. Januar, für jeden Bergsteiger klar erkennbaren sicheren Schlechtwetterzeichen, die sich auch am Sonntag bewahrheitet haben, und
  3. die Tatsache, daß ihnen die Wand nicht aus einer Begehung im Sommer bekannt war.

Eine Durchsteigung der Watzmann-Ostwand im Winter erfordert engstes Vertrautsein mit den ganzen Verhältnissen in der Wand. Nicht nur die technische Schwierigkeit muß bekannt sein, viel mehr noch muß man Bescheid wissen über die objektiven Gefahren, über die Schwierigkeit der Orientierung und die Wetterverhältnisse.

Für das Unternehmen der beiden Frey spricht:

  1. Ihr nicht zu gering einzuschätzendes Können (sonst hätten sie die schwierigen Stellen überhaupt nicht meistern können),
  2. ihr unbeugsamer Wille zum Sieg, und
  3. ihre Ausdauer.

Beides gegeneinander abgewogen, ergibt eine Verurteilung nach bergsteigerischen Grundsätzen von vornherein; doch muß man letzten Endes Anerkennung zollen für die letzte drei oder vier Tage. Die Berechtigung der Verurteilung ergibt sich klar und deutlich aus dem Umstand, daß die beiden Frey am letzten Tage, Donnerstag, den 7. Januar, keinen Schritt mehr vorwärts gekommen sind und ohne fremde Hilfe weder den Gipfel noch das Tal erreicht hätten.

Wäre die ganze Rettungsunternehmung nicht mit dem restlosesten Einsatz aller Beteiligten durchgeführt worden, so wäre wahrscheinlich eine Rettung unmöglich gewesen. Und nur diesem Umstand ist es zu verdanken, daß die beiden Frey heute noch am Leben sind.

Mögen alle jungen Bergsteiger aus diesem Geschehen die Lehre ziehen, Probleme mit dem Kopf und nicht mit dem Körper zu meistern. Mögen aber auch alle Vereine und Führer von Jungmannschaften in diesem Sinn auf die ihnen anvertrauten jungen Bergsteiger einwirken und ihnen klar machen, daß der Bergsteiger so weit kommen muß in seiner Selbsterziehung, daß er sich für das Schwierigere, nämlich das Verzichten auf den Gipfel, entscheiden muß, wenn der Berg gegen ihn ist.

Die Vetter Frey – Entscheidung in der Ostwand

Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins

1937, S. 30 ff

Aus dem Bericht des Leiters der alpinen Rettungsstelle Berchtesgaden

Von Josef Aschauer.

Wir haben oben mit dem Berg, mit dem Sturm, dem Eis und Schnee so viel Arbeit und Kampf gehabt, daß wir nicht mehr an das Tal mit seinen teilnehmenden Menschen denken konnten. Unsere ganze Kraft galt dem Rettungswerk allein, das wir, ganz auf uns allein gestellt, ausführen mußten. Wir hatten keinen Mann zu viel, der vielleicht Meldungen hätte ins Tal bringen können. So ist es ja nur zu erklärlich, daß vieles falsch sein mußte, was unten nur angenommen wurde. Von den wirklichen Verhältnissen oben am Berg können sich wohl nur sehr wenige Menschen – eben nur solche Bergsteiger, die Ähnliches erleben mußten – eine Vorstellung machen.

Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Kampf mit den Naturgewalten, die so grauenhafte Anstrengungen machten, um uns das Rettungswerk zu vereiteln. Nur die eiserne Kameradschaft der Rettungsmänner und das vollste Vertrauen eines Kameraden zu dem anderen ließen“ den Kampf überstehen und gewinnen, und jeder Mann leistete auf dem Platz, auf den er gestellt wurde, sein Bestes. Ich weiß nicht, was höher einzuschätzen ist, der Abstieg in den Lawinen der Ostwand oder das Ausharren und das Bedienen der Seile oben am Grat in diesem höllischen Sturm. Als ich nach Stunden aus der Wand heraufkam, da waren meine Kameraden über und über von Eis überzogen. Die Gesichter waren teilweise eingeeist. Sie konnten nur noch spärlich aus den beeisten Wimpern sehen. Als ich einem davon das Eis im Gesicht entfernte, meinte er, der Eispanzer täte gut, weil man den Wind nicht mehr verspüre. Ja, es wurde viel ertragen, um die Tat zu vollbringen.

Als ich am Montag, den 4. Januar, vormittag, an die Landesstelle für das Alpine Nettungswesen in München über die Lage der in Not geratenen Bergsteiger an der Watzmann-Ostwand berichtete, war mir völlig klar, daß ein Rettungswerk ganz außerordentliche Leistungen verlange. Ich erbat mir vom Landesleiter Siebenwurst die besten Münchner Bergsteiger. Eine Rettung konnte nach meiner Ansicht nur von oben unternommen werden. Aber da sich die beiden Frey um diese Zeit noch in der Wandmitte befanden, mußte abgewartet werden, was sie weiter unternahmen, ob sie absteigen oder dem Gipfel zu streben würden. Es war für den Moment mein weiterer Vorschlag, mit einem Flugzeug zu versuchen, Lebensmittel, Ausrüstung usw. abzuwerfen, um einen längeren Aufenthalt in der Wand den beiden Frey zu ermöglichen.

Dies mußte aber sofort geschehen. Von der Landesstelle aus wurde sofort eine Maschine der Luftwaffe erbeten.

Kurz vor dem Abflug zur Ostwand erreichte mich ein Anruf von St. Bartholomä, mit dem mir mitgeteilt wurde, daß die beiden Frey seit dem Vormittag weitergestiegen seien und sich unter einer Wand auf dem vierten Band befänden. In 2000 in Höhe flogen wir über Berchtesgaden nach St. Bartholomä und direkt auf die Ostwand zu. Knapp vor der Wand wurde die Maschine auf den Flügel gestellt, und im Sturzflug ging es an der Wand hinunter ins Eisbachtal. Ich hatte sofort die Spuren im Schnee auf dem vierten Band entdeckt, die unter die Wand hineinführten. Bei zweiten Anflug warf ich das erste Lebensmittelpaket ab, und im Sturzflug sausten wir wieder hinab an der Wand. Ich sah ganz genau den Auffall des Paketes auf dem zweiten Band. Ich hatte also nicht getroffen; das zweite Band kann nämlich überhaupt nicht erreicht werden. Die Maschine mußte noch näher an die Wand heran. Der Pilot zog eine Schleife und steuerte die Maschine von rechts (von Norden) in die Wand hinein. Er legte sie steil auf den Flügel, so daß ich links hinunterschauen und rechts das Paket hinausfallen lassen konnte. Dieses Paket fiel auch tatsächlich am vierten Band knapp neben der Spur auf. Ich war sehr froh, daß es so schön gelang. Aber als wir uns aus dem Eisbachtal wieder herausschraubten, entdeckte ich die beiden Bergsteiger schon in einer Steilrinne zwischen viertem und fünftem Band. Also war es wieder nichts, es sei denn, daß die beiden umkehren wollten und das Paket fanden. Der Pilot steuerte also noch näher an die Felsen heran, die schon ganz bedenklich nahe kamen, und dies Manöver mußte noch mindestens achtmal ausgeführt werden, bis ich alle sieben Pakete abgeworfen hatte. Aber ich hatte auch mit Bestimmtheit gesehen, daß ich mit zwei Paketen ganz in die Nähe der Bergsteiger traf. Leider blieb, das eine davon mit den Lebensmitteln nicht liegen und rutschte ab (Verankerungen an den Paketen konnten nicht angebracht, bzw. mußten wieder entfernt werden, da dadurch die Pakete sich möglicherweise an den Steuervorrichtungen der Maschine verfangen hätten) und das zweite mit den Zeltsäcken konnten die beiden Frey nicht erreichen, weil es auf eine Felsstufe fiel, die gar nicht hoch, aber für die beiden unersteiglich war. Wir erfuhren aber erst vier Tage später von den beiden Frey, daß sie nichts erwischen konnten.

Am 21 Uhr marschierten wir mit den Münchner Bergsteigern – elf Mann: Göttner, Gramminger, v. Kraus, Peidar, Rosenschon, Schmaderer, Steinberger, Ruder, Kurz Sepp, Kurz Toni und ich – von der Wimbachbrücke zur Griesalm ab, die wir um 24 Uhr erreichten. In der Nacht kamen noch Gefreiter Schwaiger und Vreyer, beide vom Jägerregiment 100, zur Griesalm nach. Wir verließen am 5. Januar die Griesalm um 6.15 Uhr. Es war noch finster und ein mühevoller Aufstieg im untersten Teil des Weges. Oft brachen wir bis zu den Hüften in den weichen Schnee an den Latschen ein. Doch schon um 10.05 Uhr standen wir auf dem Gipfel. Wir waren ohne Rast gegangen. Ich glaubte bestimmt an einen schnellen Erfolg, wenn es auch nicht leicht sein sollte. Nach kurzer Rast auf dem Gipfel stieg ein Teil der Mannschaft über den vereisten Grat zur Mittelspitze weiter, während die anderen mit dem Bau einer Schneehöhle begannen, da mit einem Biwak gerechnet werden mußte. Auf einer in die Ostwand vorspringenden Stelle des Grates wurden später alle 13 Mann versammelt und auf Kommando wurde in die Ostwand hinuntergebrüllt. Dann trat Totenstille ein.

Wir horchten alle angespannt. Nichts rührte sich in der Wand, kein Laut, kein Hilferuf. Wir stiegen am Grat weiter, um die Wand besser einsehen zu können. Von einem Gratturm aus gelang dies auch sehr gut und bald waren die Trittspuren mit dem Feldstecher weit unten in der Wand entdeckt. Also schrien wieder alle 13 Mann gemeinsam. Volle 3 Stunden stiegen wir nun schon am Grat hin und her und versuchten auch an einer Stelle in die Wand einzusteigen, aber ohne genaueste Kenntnis des Platzes, an dem sich die beiden Frey befanden, konnten wir nicht weiter absteigen, da die Wand ja auch riesig breit ist. Das Wetter verschlechterte sich zusehends. Plötzlich um 13.30 Uhr entdeckte v. Kraus zufällig einen der beiden Frey. Alle versammelten sich sofort an dem Punkt des Grates, wo man sie sehen konnte. Sie stiegen gerade über eine dunkle Wandstufe auf und hoben sich wieder schlechter ab. Die beiden Frey mußten uns auch gesehen haben, aber sie rührten sich nicht deswegen. Um Hilfe riefen sie noch keineswegs. Sie wollten was zu essen haben. Es wurde sofort ein geeigneter Platz in einer Gratscharte gesucht, von dem aus das Abseilen in die Wand erfolgen konnte. Als Göttner als erster in der Wand unten war, brach plötzlich Nebel herein. Es war um etwa 14.15 Uhr. Dadurch wurden natürlich alle weiteren Maßnahmen sehr erschwert. Göttner stieg an einem Seil etwa 180 m in die Wand hinab. Wir hörten ihn kaum noch. Ihm folgte Schmaderer mit dreimal 50 m Reepschnur, die aber doppelt genommen werden konnte, um einigermaßen Sicherheit zu gewähren. Der Nebel wurde immer dichter, es begann zu schneien. Der Horchposten auf dem Felskopf hörte nun zum erstenmal die Hilferufe der beiden Frey, die schrien: „Hilfe, Hilfe, es schneit schon!“ Göttner und Schmaderer taten alles, um so weit und so nahe wie möglich an die beiden Frey heranzukommen. Diese Arbeit erschien uns oben am Grat schier endlos. Wir hielten krampfhaft das Seil, an dem die beiden unten in der Wand hingen. So gegen 16 Uhr erhielten wir endlich Zeichen zum Aufziehen. Als Göttner und Schmaderer in bessere Rufweite kamen, teilten sie mit, daß mit den vorhandenen Seilen nicht bis zu den beiden Frey hmunterzukommen sei. Eine senkrechte Wandstufe von 30 bis 40 m Höhe trennte sie noch von dem Band, auf dem die beiden Frey sich befanden. Es seien noch gut 100 m Seil notwendig, wenn dies gelingen sollte. Ich entschloß mich daher sofort, diese Seile vom Tal zu holen. Es war höchste Zeit, wollten wir noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit so weit hinabkommen, daß wir aus der Gefahr waren. In einem Laufschritt ging es über alle Schluchten und Wandstufen hinunter. Es herrschte dichtester Nebel, ab und zu ging ein feiner Eisregen nieder und schnell brach die Finsternis herein. Jede Minute war kostbar. Den letzten steilen Grat über dem Wimbachtal legten wir in der Dunkelheit zurück. Auf der Griesalm trafen wir um 17.45 Uhr ein.

Das Wetter war nun völlig umgeschlagen, es schneite und regnete. Da auf der Griesalm nicht  genügend Seile vorHänden waren, schickte ich noch in der Nacht zum Wimbachschloß, um alle Seile, die dort hinterlegt waren, zu holen. Am Morgen stiegen wir wieder mit 180 m Seil zur Südspitze auf. In der Nacht hatte es nicht mehr viel geschneit. Doch hatte der gefallene Schnee genügt, um die Spuren unbrauchbar zu machen, so daß wir uns gehörig schinden mußten. Zudem waren wir nur zu dritt im Spuren. Das Wetter blieb denkbar schlecht. Es wehte ein eisiger Westwind. Als wir dann auf das obere Schönfeld kamen, erschienen oben am Grat die ersten Kameraden und stiegen ab. Wir erhöhten unser Tempo, um möglichst Zeit zu sparen. Als wir auf Rufweite zusammenkamen, riefen uns die Absteigenden zu: „Es ist oben aus, in der Ostwand rührt sich nichts mehr. Die beiden Frey haben diese Nacht nicht mehr überstehen können.“ Nach dieser Beiwacht auf dem Gipfel war der eisige Wind nicht mehr zu ertragen. Schweren Herzens mußten unter solchen Umständen meine Kameraden den Abstieg vom Gipfel antreten. Die eisige Beiwacht in dem wütenden Giftfelsturm hatte den Kräften aller Rettungsmänner zu sehr zugesetzt, und es war ein zwingendes Gebot der Verantwortung gegen jeden einzelnen, abzusteigen. Dazu kam, daß aus der Ostwand wieder auf die Rufe keine Antwort erfolgte. Wir schlössen uns als letzte diesem Abstieg an. Nun war doch alle Plage umsonst gewesen. Gegen Mittag kamen wir zur Griesalm zurück. Dort warteten, bereits zwei Brüder des einen Frey auf ihren jüngsten Bruder. Wir ließen alle zusammen die Köpfe hängen. Die gesamte Ausrüstung wurde nun zusammengepackt und die Griesalm verlassen. Um 13.30 Uhr kamen wir an der Wimbachbrücke an. Ich versuchte sofort telephonische Verbindung mit Siebenwurst; dieser war aber in St. Bartholomä und nicht erreichbar. Zugleich wurde mir mitgeteilt, daß der Führer sofort meinen Bericht erwarte. Ich rief daher am Berghof an und teilte dem Adjutanten des Führers mit, daß das Rettungswerk mißlungen und die beiden Frey unserer Meinung nach tot seien. Gleich nach dieser Meldung wurde ich wieder angerufen und erfuhr, daß die beiden Frey soeben von Vartholomä aus wieder gesichtet wurden, wie sie versuchten, weiterzusteigen. Nun erreichte das Drama den Höhepunkt. Wir sitzen im Tal, abgespannt und ermüdet, und in der Ostwand leben die beiden noch! Aber sofort waren wir alle wieder bereit, hinaufzusteigen. Ob wir aber noch imstande sein würden, den kommenden Strapazen standzuhalten? Wollten wir noch ernsthaft den Rettungsversuch wiederholen, dann mußte sofort in ganz großzügiger Weise ans Werk gegangen werden. Nach kurzer Beratung mit meinem Kameraden beschloß ich, den Führer sofort von der neuen Sachlage zu unterrichten und von ihm die notwendige großzügige Unterstützung zu erbitten. Wir brauchten zu unseren 350 m Seil noch 700 m dazu, weiters Windjacken, Handschuhe, Steigeisen, Zelte, Proviant usw. Um diese Lasten zur Südspitze zu fördern, sollten 50 Mann abgestellt werden.

Binnen kürzester Zeit erhielt ich vom Kommandeur des Jägerregiments die Mitteilung, daß von Seiten des Regiments alles zur Verfügung gestellt werde, was notwendig sei. Es kam alles schnellstens in Gang. Unser neuer Rettungsplan wurde folgendermaßen aufgestellt: Wir Rettungsmänner begeben uns schnellstens zurück zur Griesalm. Wir legen uns sofort nieder, um uns auszuruhen.

In der Nacht trifft die Mannschaft des Jägerregiments mit der Ausrüstung ein und beginnt dann um 3 Uhr früh den Aufstieg. Um 5 Uhr wollen wir ohne Rucksäcke nachkommen und so zu gleicher Zeit auf dem Gipfel eintreffen, worauf sofort in die Ostwand eingestiegen wird. Um 16 Uhr marschierten also alle Rettungsmänner wieder zur Griesalm ab, wo wir um 19 Uhr eintrafen. Um 23 Uhr kamen die Gebirgsjäger, durchnäßt bis auf die Haut, an. Das Wetter hatte ganz zum Schlechtesten umgeschlagen. Es sah trostlos aus, als ich mit dem Führer der Mannschaften, Oberleutnant Raithel, alles Wichtige für den Aufstieg besprach. Die Griesalmhütte war bis auf den letzten Winkel von dampfenden, nassen Menschen angefüllt. Draußen klatschte im Sturmwind strömender Regen nieder. Wie wird das Unternehmen wohl noch enden? Ich hatte große Sorgen, und eine schwere Verantwortung lastete auf mir. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Es mußte gewagt werden. In durchnäßter und dann eiserstarrter Uniform ist jede Minute Sturm ein Risiko. Ich habe das zweitemal in dieser Nacht lange nicht einschlafen können, geplagt von Zweifel und Sorgen. Um 5.30 Uhr verließen dann wir Rettungsmänner die Griesalm. Oben in den Steilhängen und an den Graten schwankten die Lichter der Jäger umher. Der Regen hatte aufgehört. Dafür tobte der Wind wenn möglich noch viel stärker. Auf der Weghälfte hatten wir die Soldaten eingeholt und überholt. Der Sturmwind nahm mit der Höhe immer mehr zu. Am Grat angelangt, bauten wir sofort an geeigneten Stellen Schneehöhlen, da die Soldaten mit den Seilen noch nicht eingetroffen waren. Es durften nur noch diese Leute nachkommen, die die Seile trugen. Alle anderen mußten umkehren, bzw. unten bleiben und warten. Was brauchten wir noch Proviant, wo zum Essen keine Zeit mehr blieb? Die Schneehöhle auf dem Gipfel wurde sofort vergrößert. Als dann die ersten Seile gebracht wurden, band ich mich fest und ließ mich über die Gratwächte hinunter. Nach gut 100 m Höhe kam ich zu einer mit Eis überzogenen, 8 m hohen Wandstufe, der letzten zu einem vorspringenden scharfen Gratrücken. Meine Kameraden oben hatten das Seil gleichmäßig durch den Karabiner laufen lassen, während ich oberhalb der Wandstufe nach der besten Abstiegsmöglichkeit suchte und stehen blieb. Dadurch war ich nicht mehr straff gehalten worden, ich verlor Plötzlich den Halt, stürzte die Wandstufe hinunter und löste dadurch eine riesige Lawine aus. Durch den Sturz war ich schnell unten, und zudem hatte ich dadurch glücklicherweise die gefährliche Lawine vor mir gelöst. Der Weg weiter abwärts lag offen. Auf dem Gratrücken stieg ich vor zur Kante und schrie hinunter. Es erfolgte sofort Antwort: „Hilfe, wir leben beide noch!“ Es war ganz deutlich, ich hatte mich nicht getäuscht. Ich ließ nun Schmaderer zu mir nachkommen. Wir riefen wieder hinab und nichts mehr rührte sich. Also bleibt nichts anderes- übrig, als weiter abzusteigen. Göttner mußte nachkommen. Schmaderer und ich lösten die Verbindung mit dem Grat völlig, um Seil zu sparen. Als Göttner bei uns war, stieg ich nunmehr in der Lawinenrinne ab. Den Rucksack mit Proviant und Tee für die beiden Frey hatte ich mitgenommen. Als nach 120 oder 150 m das Seil zu Ende ging, da schrie ich mir die Stimme heiser, und es rührte sich nichts. Nur Staublawinen rauschten vorbei an mir wie große Wasserfälle. Es war alles eingehüllt in stäubenden Schnee. Ich machte Quergänge hinaus an die Kanten und versuchte alles, um Einblick zu bekommen in eine Wandeinbuchtung, in der die beiden Frey sein mußten. Mit jeder seitlichen Querung schnitt ich mit, den Seilen die Schneebretter aus den Flanken der Wand heraus, die sich dann auf mich niederstürzten. Aber um mich hatte ich keine Sorge. Ich dachte an die beiden Frey und an die Kameraden im Sturmwind des Grates. Da wurden ganz allmählich die Seile immer straffer, ich wurde wieder hinaufgezogen. Eine Verständigung nach oben war unmöglich. Nun begann die Plage des Aufstieges. Die Seile hatten sich tief in den Schnee hineingeschnitten und die Verknotungen bremsten dazu, so daß mich meine Kameraden nur hinaufziehen konnten, wenn ich selbst so viel wie möglich mithalf. Inzwischen war Kurz Sepp auch auf den schmalen Gratvorsprung heruntergekommen und half mit bei meinem Aufziehen. Fast erschöpft erreichte ich um 12.30 Uhr meine drei Kameraden wieder.

Gramminger und Rosenschon kamen nun auch zu uns herunter. Nun standen wir zu sechst auf dem schmalen Grat. Wir riefen nun wieder links in der Richtung meines Abstieges hinunter und glaubten etwas zu hören, aber es war nichts Sicheres. Die einen hörten etwas, die anderen nichts. Droben heulte der Sturm, es schneite in dichten Flocken in der Wand. Die Lage wurde immer kritischer. Wir einigten uns nach kurzem Ratschlag darauf, daß wir nunmehr Schmaderer links an der Gratkante hinunterlassen, und zwar höchstens 50 m. Mißlingt dieser Versuch wieder, dann muß der Kampf um die Errettung aufgegeben werden, dann mußten wir die beiden Frey der Ostwand lassen. Es war wie ein Todesurteil.

Die Sorge um die Kameraden oben am Grat zwang mir diesen Entschluß auf. Ich durfte keinen meiner Rettungsleute opfern, um vielleicht einen doch schon Todgeweihten oder bereits Toten zu bergen. Schmaderer wurde also von uns ans doppelte Seil genommen. Nach 30 m entschwand er unseren Blicken und nur noch weitere  10 in lief das Seil durch unsere Fäuste, dann spürten wir keinen Zug mehr. Wir warteten ab. Es geschah nichts. Auf unsere Rufe kam keine Antwort. Schließlich ließen wir Rosenschon hinab, damit er nach Schmaderer ausschaue. Und Rosenschon brachte uns die freudige Meldüng, daß Schmaderer bei den beiden Frey stehe und sie füttere. Nun hatten wir eine unbändige Freude. In letzter Minute gelang es uns also doch noch. Lange dauerte es noch, bis Rosenschon Zeichen gab, daß wir die Seile einziehen sollten. Dies ging nur langsam. Es hingen ja auch alle drei, Schmaderer und die beiden Frey, am Seil. Aber es wurde unentwegt eingezogen, Zentimeter um Zentimeter. Wie werden wohl die beiden aussehen? And dann tauchten sie an der Kante auf, bemitleidenswerte, gekrümmte Gestalten mit eingefallenen Gesichtern. Sich näher die beiden anzusehen, blieb keine Zeit. Erst mußten wir aus der Ostwand heraus sein.

Göttner und ich ließen uns sofort aufziehen, damit wir oben mithelfen konnten. Als ich auf den Grat heraufkam, stellte ich mit Entsetzen fest, wie sehr hier im wütenden Orkan meine Kameraden leiden mußten. Von allem Anfang an stand v. Kraus am Grat und leitete die Seilmanöver. Ihn unterstützten die ganze Zeit über Steinberger, der kleine Gefreite Schweiger, der Unteroffizier Wiesheu und der Gefreite Rausch. Diese fünf Mann vollbrachten eine hervorragende Leistung. Ich glaube, der Aufenthalt am Grat war viel schlimmer wie in den Lawinen in der Wand. Ich habe sie bewundert, wie sie standhielten mit den eingefrorenen Gesichtern und Augen und sorgfältigst alle Kommandos von unten, die sie erreichen konnten, ausführten. Ich schickte Leute mit der Botschaft der glücklichen Rettung ins Tal. Dann half ich mit beim Aufziehen. Nun hingen gleich vier Mann – die beiden Frey, Schmaderer und Kurz – am Seil. Wir waren froh, als sie heroben waren. Über die Geretteten wurde sofort ein neuer Zeltsack gestülpt, und mit unseren Körpern schützten wir sie außerdem noch vor dem Sturm. Die Zeltsäcke, die steif gefroren waren, zerrissen im Wind wie Papier. Nach kurzem Verschnaufen seilten wir die beiden Frey an. Der Abstieg konnte beginnen. Alle Mann verließen fluchtartig den Grat und den Gipfel. Es war höchste Zeit. Alle Seile, die Haken und die Karabiner, alles blieb liegen. Nun hieß es zu allererst die Menschen in Sicherheit zu bringen. Eine neue Gefahr bildete beim Abstieg über das Schönfeld die große Lawinengefahr. Mit hereinbrechender Dunkelheit erreichten alle Mann glücklich und hell den Boden des Wimbachtales. Hier herunten war es warm geworden, der Schnee war tief und weich. Wie sollten unter solchen Verhältnissen die beiden Frey schnell zur Hütte kommen, wo man mit jedem Schritt bis zu den Hüften im Schnee versank.

Es blieb nichts anderes übrig, als daß zwei Kameraden, die dann für die kurze Strecke zur Hütte weit über eine Stunde brauchten, ihre Schi hergaben, damit die beiden Frey darauf die Hütte mit möglichst geringer Anstrengung erreichen konnten. Eine Abfahrt, wie es hieß, war das nicht. Der Schnee lag tief, die Abfahrt ist sehr flach und obne Hindernisse. Wir waren froh, daß es so war. Vor der Hütte brach dann der jüngere Frey, der als erster mit mir eintraf, zusammen. Später kam der ältere in besserer Verfassung an. Anderen Tages, am Freitag, den 8. Januar, verlangte der Schlittentransport durch das Wimbachtal hinaus zur Wimbachbrücke noch allen Einsatz der schwindenden Kraft der Rettungsmänner. Riesige frische Lawinenbahnen zwangen uns zu allem Überfluß noch zu großen Umgehungen im aufgeweichten Schnee. Wie waren wir froh und glücklich, als die Wimbachbrücke erreicht war und die beiden Geretteten im Sanitätsauto lagen. Das Rettungswerk war zu Ende.