Hans Feichtner – Spuren am Watzmann

Die Österreichische Alpenzeitung berichtet über zwei Touren von Hans Feichtner am Watzmannstock aus dem Jahre 1919.

Von Hans Feichtner (+) wurden 1919 noch folgende neue Turen (allein) ausgeführt:

Watzmannjungfrau. Südwestkante. Erste Ersteigung, am 5. August 1919.

Vom schneeigen Sattel östlich des Westlichen Kindes schwach rechts über steile, schrofige Felsen knapp an der Südwestkante schwer hinauf auf ein schmales Band. Auf ihm rechts zur Kante. Nun dicht an der Kante, einmal südlich knapp rechts von ihr durch einen Riß, dann wieder an der Kante vollends zum Gipfel. (100 Meter, ½ bis 1 Stunde.)

Kleiner Watzmann. Südwestgrat. Erster Aufstieg, vermutlich am 5. August 1919.

Aus der Watzmannscharte, immer der Gratkante folgend, bis zum überhangenden Abbruch. a) Derselbe wird schwach rechts der Kante durch einen Riß sehr schwer und anstrengend überwunden. Oder b) knapp links der Kante durch einen links schräg aufwärts führenden Riß sehr schwer und anstrengend hinaus. Nun wieder an der Kante weiter bis zum plattigen Gipfelabbruch. Unter diesem kurzer Quergang nach links und über eine plattige, rinnenartige  Verschneidung zum südlichen Vorgipfel und über den Grat zum Hauptgipfel.

Gustav Jurek – Rendezvous mit der Jungfrau

Der Naturfreund, 1901

Eine Bergfahrt im Watzmanngebiet.

Ersteigung des höchsten Watzmannkindes (2260 m) auf theilweiser neuer Route.

Von GUSTAV JUREK.

Knarrend fällt die Thüre der zur Zeit ungastlichen ­Schappachalm hinter dem Letzten unseres Trios in’s Schloss. Fein und schneidig umweht uns der Morgenwind, bleich und kalt blicken die Watzmannwände in’s Thal, kein Laut stört die Stille, als das lustige Plätschern der naheliegenden Quelle.

Froh, den tückischen Balken des angeblichen Heubodens entronnen zu sein, eilen wir mit beschleunigten Schritten den Hochwald hinan, als nächstes Ziel der Watzmannscharte zustrebend. So gut es eben geht, bahnen wir uns den Weg zwischen mächtigen, mit Moos überwucherten Steintrümmern und uralten Stämmen. Da ein Blitz! Aufflammt der Watzmann in glühender Lohe, die starren Wände färben sich in Purpur — Bergmorgen! Es stockt der stahlbewehrte Fuss, die Augen hängen gebannt an dem feenhaften Bilde, der Mensch freut sich des herrlichen Naturschauspiels. Weiter geht’s durch Wald, Latschen und Steintrümmer empor, den Weg vom Münchnerhaus zum Königssee querend, bis uns das klare Nass einer munter sprudelnden Quelle zu Rast und Frühstück ladet. Erquickt und gestärkt streben wir, zur Linken die Schuttfelder Klein-Watzmanns, unserem heutigen Ziele, dem bereits sichtbaren Sprossen Vater Watzmanns, dem höchsten, gar trotzig blickenden Watzmannkind entgegen. Wie ungeberdig dieser Range sein kann, sollten wir erst später erfahren. Vorsichtig, mit Vermeidung jeden Geräusches dringen wir vor, denn wir schreiten auf verbotenen Pfaden, und wehe dem Pechvogel von Alpinisten, dem hoch oben der Hüter der hier in Rudeln hausenden Gemsen — der Jäger — den Weg vertritt. Vorbei ist jede Hoffnung auf eine frische, fröhliche Bergfahrt. Doch uns ist Fortuna hold, schon stolpern wir fluchend und lachend durch das Chaos von grossen und kleinen Blöcken, welche das Kar des Watzmanngletschers füllen. Links blicken höhnisch die Wände des kleinen Watzmann und der beiden links liegenden Watzmannkinder herab, während gerade vor uns unser Ziel, das höchste Watzmannkind, sich uns als kühnes Horn präsentirt. Rechts von ihm gurgeln und rumoren die Wassergeister in den Spalten des Watzmanngletschers, während wallende Nebel den grossen Watzmann uns nur ahnen lassen.

Nach dreiviertelstündigem Stolpern sind wir am Fusse unseres Zieles angelangt. Die Rucksäcke werden geöffnet und nach kurzer Stärkung geht’s zum Angriff. Schon sind die Nagelschuhe mit den schleichenden Kletterschuhen vertauscht, das Seil um die Schulter gerollt, die Rucksäcke und Pickel geborgen und Freund B. packt als Erster die Felsen an, um durch einen circa 4 m hohen Riss auf ein breites, schuttbedeck schuttbedecktes ­Schichtenband zu gelangen. Rasch folgen wir diesem und lustig geht es über eine weitere Felsstufe auf ein zweites, etwas ansteigendes Band.

Dasselbe verfolgend dringen wir vor, begleitet von den Juchzern einer Partie, die soeben den Gipfel des kleinen Watzmann erreicht Ein Lachen! Was ist’s? Da steht Freund B. und weist auf eine ungeheure Platte, die in unfreundlicher und unheimlicher Glätte, am oberen Ende von Nebeln umwallt, den weiteren Anstieg vermittelt. Nur frisch voran!

Schon kriecht unser Erster hinan und langsam folgen wir Seillänge um Seillänge. Während des Wartens findet mein Bruder Rudolf genügend Zeit, um zierliche Steindauben zu bauen, die zu seinem Missvergnügen oft das nachschleichende Seil wieder zerstört. Sieben Seillängen liegen hinter uns, da wendet sich der Vorangehende scharf rechts, und schon klettert er die überhängenden Platten durch einen pikanten Riss hinan. Eine Seillänge und die Stelle ist überwunden. Teuflisch lächelnd lauert Freund B. auf unser Zurückzucken, wenn wir ahnungslos über die schmale Gratschneide in der schwindelnden Tiefe den Watzmanngletscher er erblicken. ­Weiter geht’s über den schmalen Grat, einen Thurm überkletternd. Als ich nachgekommen, steht B. in einer schmalen Scharte und betrachtet kopfschüttelnd die Fortsetzung unseres „Weges“. Ein über den Gletscher in furchtbarer Exposition hinaushängender Gratthurm (schwierigste Stelle), dessen Kante messerartig geschärft, prophezeit eine unheimliche grifflose Passage; die Kniee fest zu zusammenpressend, ­die winzigen „Griffe“ krampfhaft umklammernd, schiebt sich unser Vordermann empor ­und nach einigen bangen Minuten steht er keuchend oben und wir folgen auf demselben Wege.

Fort geht’s auf der schmalen Schneide, sausend treibt uns der Wind feuchte Nebelfetzen in’s Gesicht. Endlich nach weiteren 20 Minuten exponirter Kletterei stehen wir auf dem Gipfel. Der rasch durchsuchte Steinmann barg nur vier Karten, wovon drei von führerlosen und eine von einer Partie mit Führer (Kederbacher) herrührten. Auch wir deponiren unsere Karten und blicken nun, auf einer Kante sitzend, hinein in das dampfende und wogende Chaos. Da, ein Luftzug, smaragdgrün blitzt aus der Tiefe der Königssee. Ueber schwindelnde Wände gleitet der Blick in die Tiefe, zu den Lawinenresten der Eiscapelle, zu dem herrlichen St. Bartholomä, und wieder aufwärts, um haften zu bleiben an den nebelumflorten Wänden des Hochecks und der Mittelspitze. Wieder ein Luftzug, verschwunden ist die Pracht; feuchter Nebel schlägt uns in’s Gesicht und fröstelnd wenden wir uns zum Abstiege; den von uns zahlreich errichteten Steindauben folgend klettern wir thalwärts, und in einer Stunde stehen wir wieder bei unseren Rucksäcken. Eine kleine Stärkung und wir stolpern weiter über die zu derb gerathenen Schuttfelder, dann geht es hurtig dem Hochwalde entgegen. Jetzt haben wir ihn erreicht.

Abschiednehmend fliegt der Blick empor zu den nebelumflatterten Wänden und Graten der wilden Gesellen. Leb’ wohl. Watzmann ! Was auch ängstliche Philister predigen über die Schrecken der Bergwelt, wir kehren wieder und bald klirren aber abermals ­die Pickel in deinen Wänden auf frischer, schneidiger Bergfahrt!